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Far Across the Distance

Shiro x Keith
von

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Part III

 

Jetzt

 

Etwas stieß ihm in den Rücken.

Keith riss die Augen auf und klammerte sich haltsuchend an die Kiste, bevor die nächste Welle über ihn hinwegrollen konnte. Für einen kurzen, aber gefährlichen Moment hatte er das Bewusstsein verloren und sich von der allgegenwärtigen Kälte beinahe in den ewigen Schlaf lullen lassen. Doch der Stoß hatte ihn wieder aus seinem Dämmerzustand gerissen.

Mühsam wandte er den Kopf und versuchte zu erkennen, was ihn in der Dunkelheit getroffen hatte. Er konnte vage erkennen, dass es groß und flach war und ruhig auf dem Wasser trieb. Eine Tür vielleicht...? Aber nein, dafür war die Oberfläche nicht ebenmäßig genug. Eher ein Stück der hölzernen Wandverkleidung. Doch was es auch war, für Keith war es wie der rettende Anblick einer Insel.

Mit vor Kälte steifen Fingern griff er nach dem Rand des breiten Brettes und zog sich schwerfällig hinauf. Das Holz schaukelte bei jeder Bewegung heftig hin und her und für einen Moment befürchtete er, es würde kippen. Doch dann ließ das Schaukeln wieder nach und schließlich konnte Keith auch seine Beine aus dem Wasser ziehen. Für eine Weile lag er keuchend und zitternd auf seinem improvisierten Floß und kämpfte hartnäckig gegen die Bewusstlosigkeit an. Als er sich sicher war, wieder Herr seiner Sinne zu sein, drehte er sich mühsam auf den Bauch und tauchte seine Hände seitlich über die Ränder des Holzes hinweg ins Wasser, um sich mit schwachen Paddelbewegungen voran durch die Dunkelheit zu bewegen.

Eine fast gespenstische Stille begegnete ihm. Die letzten Hilferufe waren mittlerweile verklungen und er sah reglose Körper im Wasser treiben, so weit das Auge reichte. Wo auch immer Shiro sich in diesem Massengrab befinden mochte, es war sehr wahrscheinlich, dass ihn dasselbe Schicksal ereilt hatte.

„Oh, bitte nicht... Shiro...!“, raunte Keith und spürte, wie ihm Tränen in die Augen stiegen, nur um anschließend auf seinen Wangen zu gefrieren.

Doch er gab seine Suche nicht auf. Es war erst wenige Tage her, dass er dem anderen Mann begegnet war – die erste gute Sache seit langem in einem Leben voller Schicksalsschläge – und Keith würde bis zum letzten Atemzug kämpfen, um das, was zwischen ihnen entstanden war, zu bewahren.

Er hatte schon zu viel verloren.

Er würde nicht auch noch Shiro verlieren.

 
 

Zuvor

 

„Was ist eigentlich dein Ziel?“, fragte Keith und spießte mit der Gabel ein weiteres Stück Bratwurst auf, um es sich in den Mund zu schieben. Shiro hatte ihn eingeladen, mit ihm Frühstück zu essen, dieses Mal als sein Gast. „Wohin wirst du gehen, nachdem wir New York erreicht haben?“

Shiro hatte ihn mit der für ihn eigenen, höflichen Hartnäckigkeit darum gebeten, ihn als Gleichrangigen anzusprechen, und Keith hatte schließlich nachgegeben. Bei jedem anderen hätte er sich geweigert, doch bei Shiro... fühlte es sich irgendwie natürlich an. Richtig. Vielleicht weil der Mann ihn tatsächlich wie einen Gleichrangigen behandelte und nicht aufgrund ihres Standesunterschiedes von oben auf ihn herabsah.

Shiro, der sein Frühstück bereits kurz zuvor beendet hatte, stützte das Kinn in die Hand und sah gedankenverloren über das Meer.

„Annapolis“, entgegnete er schließlich.

„Hmm?“, machte Keith, die Gabel noch im Mund.

„Eine Stadt an der Ostküste, in der es eine renommierte Marineakademie für Offiziersanwärter gibt“, erklärte Shiro. „Ich wurde als einziger aus meinem Jahrgang mit dem Privileg geehrt, dort zu studieren, um nach meiner Rückkehr die Kaiserliche Japanische Marine mit meinem Wissen zu bereichern.“

Jeder andere hätte diese Dinge mit Stolz in der Stimme gesagt, doch Shiro wirkte fast schon gleichgültig. So als würde er über eine gänzlich andere Person sprechen, und nicht über sich selbst.

Keith zögerte. Er musste plötzlich an Shiros Worte vom Vorabend denken.

Alles, was ich will, ist für die Dauer der Fahrt Dinge zu erleben, die ich nirgendwo sonst erleben kann.

In jenem Moment hatte der andere Mann sehr viel lebendiger und entschlossener gewirkt, als er es jetzt tat.

„Warum?“, fragte Keith.

Shiro warf ihm einen verständnislosen Blick zu.

„Warum gehst du dorthin studieren, wenn es dich offensichtlich so unglücklich macht?“, fragte Keith. „Dir steht ein ganzer Kontinent zur Verfügung, ein Leben voller Möglichkeiten. Sei, wer auch immer du sein willst.“

Shiro lächelte schwach.

„Du verstehst nicht“, entgegnete er. „Meine Familie hat viel geopfert, damit ich dort hinkomme, wo ich jetzt bin. Ich bin ihr alles schuldig, und wenn ich meine Pflicht nicht erfülle, beschmutze ich ihr Ansehen und ihre harte Arbeit.“

Keith konnte nicht behaupten, dass er verstand, was der andere sagte, zu fremd war ihm diese Denkweise. Doch eines verstand er sofort.

„Aber wenn du immer nur tust, was deine Familie von dir erwartet“, sagte er leise, „wirst du dann nicht dein Leben lang unglücklich sein...?“

Shiro senkte den Blick.

„Manchmal muss man tun, was getan werden muss“, entgegnete er. „Auch wenn es nicht das ist, was man will.“

Eine provokante Erwiderung lag Keith auf der Zunge, doch er hielt sich im letzten Moment zurück. Er würde Shiro ganz gewiss nicht zum Umdenken bewegen, indem er sich mit ihm stritt.

Stattdessen wanderte seine Hand unter sein Hemd zu der Feder, die an einer Lederschnur um seinen Hals baumelte, und strich geistesabwesend darüber, wie er es häufig tat, wenn ihn etwas beschäftigte.

„Was ist mir dir?“, fragte Shiro plötzlich und schenkte Keith ein Lächeln. Der Schatten auf seinem Gesicht war wieder verschwunden.

„Was wirst du tun, sobald wir die Staaten erreicht haben?“

Keith dachte kurz nach, doch sie hatten mit ihrem Gespräch bereits eine Grenze überschritten, die sie nicht länger zu Fremden machten, und er hatte das Gefühl, dass er sich Shiro in dieser Sache anvertrauen konnte.

„Meine Mutter suchen“, erwiderte er und zog das Halsband samt Feder unter seinem Hemd hervor.

Shiro sah ihn aufmerksam an, doch er unterbrach ihn nicht, sondern wartete geduldig, dass Keith von alleine fortfuhr.

„Mein Vater starb vor zwei Jahren bei einem Fabrikunfall.“ Er war mittlerweile größtenteils darüber hinweg, aber das Gefühl des Verlusts würde nie ganz verschwinden. „Er hinterließ mir einen Brief – und dieses Halsband.“

Er fuhr mit dem Daumen sanft über die schillernde Feder.

„Bis dahin dachte ich immer, meine Mutter wäre tot, da mein Vater nie über sie gesprochen hat“, sagte Keith. „Aber an jenem Tag erfuhr ich endlich die Wahrheit. Mein Vater schrieb in dem Brief, dass er sie damals als junger Mann in der neuen Welt kennengelernt hatte und sie dazu überreden konnte, ihn nach England zu begleiten. Doch sie wurde nie warm mit den Menschen hier, und nach meiner Geburt kehrte sie wieder in ihre Heimat zurück.“

Er hatte seinem Vater lange nicht verzeihen können, dass er ihm das Schicksal seiner Mutter vorenthalten hatte, aber in den letzten Monaten hatte er seine Gründe dafür langsam angefangen zu verstehen. Keith musste erst älter werden und mehr Lebenserfahrung sammeln, anstatt etwas so unsagbar Gedankenloses zu tun, wie sich an Bord eines Schiffes in die neue Welt zu verstecken, um die andere Hälfte einer Familie zu finden, die er nie kennengelernt hatte – etwas, was der impulsive und dickköpfige Junge, der er früher gewesen war, zweifellos getan hätte.

„Sie ließ mich zurück, weil sie sich ein besseres Leben für mich in England erhoffte“, fuhr Keith leise fort, ohne Shiro anzusehen. „Das Halsband ist das einzige, was ich von ihr besitze. Wenn ich herausfinden kann, woher diese Feder stammt und was sie bedeutet, finde ich vielleicht auch meine Mutter. Es ist nicht viel... aber es ist alles, was ich habe.“

Seine Stimme war seltsam rau geworden und Keith spürte plötzlich Tränen in den Augenwinkeln brennen. Verärgert wischte er sie mit dem Handrücken fort.

Als er schließlich wieder den Blick hob, sah er jedoch kein Mitleid in Shiros Augen, wie er es sonst immer tat, wenn er jemandem seine Geschichte anvertraute, sondern Verständnis, Bewunderung... und etwas, was er nicht genau identifizieren konnte, doch was ein seltsam flaues Gefühl in seinem Bauch verursachte.

„Ich sehe, du hast Großes vor dir“, sagte Shiro warm und griff über den Tisch hinweg nach Keiths Hand, als wollte er ihn auf diese Weise seine Unterstützung spüren lassen. „Du hast bereits großen Mut und Entschlossenheit bewiesen, als du diese Reise angetreten hast, und ich zweifle nicht daran, dass du eines Tages auch deine Mutter finden wirst, Keith.“

Keith lächelte zaghaft.

Er war schon so lange auf sich allein gestellt, er hatte vergessen, wie es sich anfühlte, wenn jemand anderes an ihn glaubte.

„Danke, Shiro“, erwiderte er leise, und er meinte es auch so.

 

Sie verbrachten den Rest des Vormittags erneut im Salon der dritten Klasse, und dieses Mal brauchte Shiro keine Hilfe mehr, um seine Rivalen beim Glücksspiel um ihr hart verdientes Geld zu erleichtern, sehr zu Keiths Belustigung – und Stolz auf seinen neuen Freund.

Und falls sein Herz ein wenig schneller schlug, wann immer der Blick von Shiros dunklen Augen auf ihm lag, dann lag es sicher an der Freude, die er dabei empfand, den anderen Mann so ausgelassen und glücklich zu sehen, und hatte ganz bestimmt nichts anderes zu bedeuten.



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