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Liebe, Lüge, Wahrheit

von

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Wie seine Eltern

Träge stieg die Sonne auf, breitete ihr helles Licht überall aus und weckte schon die ersten Menschen auf dem Anwesen der de Jarjayes. Jedoch nicht Oscar und André. Die beiden schliefen in tiefer Umarmung und merkten nicht, wie die Tür sich langsam öffnete.

 

Die schmale Statur eines Knaben schlüpfte durch den Türspalt in das Zimmer herein und blieb sogleich auch dort stehen. Seine blaugrünen Augen weiteten sich etwas, seine Mundwinkel zogen sich leicht nach oben und seine Wangen erröteten sich aus Scham. Er hatte seine Eltern schon öfters in einer Umarmung oder beim Küssen beobachtet, aber er hatte sie noch nie zusammen in einem Bett gesehen. Was würde wohl sein Großvater dazu sagen? Nun, er musste es ihm ja auch nicht erzählen, dass seine Eltern sich hin und wieder liebten. Immerhin war er deren Sohn, von dessen Existenz sie noch immer nichts wussten. Aber irgendwann einmal, wenn er älter und stärker sein würde, dann würde er ihnen alles erzählen. Das hatte Augustin sich schon lange geschworen und aus diesem Grund verriet er seinem Großvater die Liebe zwischen seinen Eltern niemals.

 

Augustin kaute leicht nervös auf seiner Unterlippe. Er war hier nicht wegen seines Großvaters oder seines Schwurs, sondern wegen diesem schwedischen Grafen von gestern. Der besagte Graf spazierte gerade durch den Garten und weil François und die anderen im Haus noch schliefen, wusste er nicht, was er tun sollte. Er hatte nach seiner Mutter gesucht, weil der Graf hauptsächlich ihr Gast war, aber fand sie nicht in ihrem Zimmer. Deswegen kam er zu seinem Vater und fand alle beide in einem Bett. Zum Glück waren sie bis zu den Schultern mit einem Laken bedeckt, sodass er sie nicht in vollkommener Nacktheit sehen brauchte.

 

Auf Zehenspitzen ging Augustin bis ans Bett, zu seinem Vater und in dem Moment öffnete Oscar ihre Augen. Sie sah ihn kommen, hielt die Decke an ihrem Körper fest und saß auf. „Was machst du hier?“

 

Damit weckte sie André und er machte es ihr gleich. „Das würde ich auch gerne wissen!“

 

Das wäre beinahe eine lustige Szene, wie sie da saßen, wenn die Scham nicht so groß wäre und die beiden ihn überrascht und gleichzeitig verärgert ansahen. Augustin fühlte sich dabei etwas unwohl, aber das störte ihn nicht das zu sagen, weshalb er eigentlich hier war. „Der Gast von gestern läuft durch den Garten und ich weiß nicht, was ich mit ihm machen soll.“

 

„Von Fersen ist schon wach?“, fragte Oscar. Das hieß, sie hatte verschlafen und womöglich war der Graf nicht der einzige, der schon wach war. Sie musste sofort auf ihr Zimmer, sich umziehen und dafür sorgen, dass niemand einen Verdacht schöpfte! Um Augustin würde sie sich natürlich auch kümmern, aber später! „Wer ist noch wach?“, wollte sie von ihm wissen.

 

Augustin hob und senkte seine Schultern. „Niemand ist sonst noch wach, außer ihn, mir und jetzt euch.“

 

„Du kannst gehen.“, sagte Oscar im beinahe schroffen Tonfall. „Und du sagst niemanden ein Wort darüber, dass du uns beide gesehen hast!“

 

Augustin verstand. Selbstverständlich würde er seine Eltern niemals verraten, das hatte er sich doch geschworen! Aus diesem Grund war die Mahnung seiner Mutter unnötig. „Das wäre nicht das erste Mal.“, offenbarte er ihr und grinste verschwörerisch. „Ihr seid wie Eltern für mich und meine Eltern verrate ich niemals.“ Dann schlüpfte er hinaus, machte die Tür zu und stob zurück auf sein Zimmer. Er hatte es ihnen gesagt und dabei das Versprechen zu seinem Großvater nicht gebrochen! Das fühlte sich sehr gut an, so ähnlich wie damals vor vier Jahren, als er nach der Schlägerei zuerst seinen Vater und dann seine Mutter umarmen durfte!

 

Oscar schluckte hart und wechselte mit André einen verwirrten Blick. Was war das gerade? Hatten sie das richtig gehört? Für Augustin waren sie wie seine Eltern? Und er hatte sie schon mal zusammen gesehen? „Ich denke, wir müssen mit ihm reden.“, meinte André baff.

 

Das auf jeden Fall! Oscar war mit André einer Meinung. Allerdings musste sie sich zuerst um den Gast kümmern. Deshalb vertraute sie die Sache mit dem Jungen ihrem Geliebten an. „Rede du erst einmal mit Augustin und ich kümmere mich um von Fersen. Sonst fällt es auf.“

 

„In Ordnung.“ André stieg sogleich aus dem Bett und beeilte sich bei der Morgenwäsche. In einem anderen Fall hätte Oscar ihm gerne dabei zugesehen, seinen athletischen Körper, seine kräftigen Beine und strafe Muskeln seiner Oberarme mit gierigen Blicken betrachtet und an die Liebesnacht mit ihm gedacht. Oder sogar mit ihm ganz kurz in Liebe und Leidenschaft versunken. Aber nicht nachdem Augustin sie zusammen mit André in einem Bett erwischt hatte! In Eile zog Oscar ihr Nachthemd an, vergewisserte sich beim Verlassen seines Zimmers, dass niemand sie im Gang entdeckte und lief in ihre Gemächer.

 

 

 

In frischen Sachen angezogen, nach der Morgenwäsche und nachdem sie sich in Ordnung brachte, schaute Oscar kurz aus dem Fenster. Von Fersen spazierte draußen am Brunnen und schaute sich die Umgebung an. Er war nur in Hemd und Hose. Sein langes Haar lag ihm offen über die Schultern und er schien die Nacht gut geschlafen zu haben, denn er lächelte zufrieden. Oscar ordnete noch schnell den Kragen ihres Hemdes und ging zu dem Grafen, um ihm Gesellschaft zu leisten.

 

André derweilen war schon angezogen und suchte nach Augustin. In dem Zimmer, das sein Sohn und der Junge bewohnten, war er jedoch nicht anzutreffen. François stand an einer Waschschüssel und machte die Morgenwäsche. Als André in das Zimmer eintrat, schaute der Junge sofort zu ihm. Es wäre nichts Außergewöhnliches, dass sein Vater am frühen Morgen hier vorbeischaute, wenn dessen Gesichtsausdruck nicht ein wenig besorgt wirkte. Das machte François stutzig. „Ist etwas passiert, Vater?“

 

André schüttelte den Kopf. „Nein, alles in Ordnung, mein Junge. Ich suche nur nach Augustin.“

 

„Er ist bestimmt im Stall, wie jeden Morgen.“ François nahm ein Tuch und trocknete sein Gesicht. „Er wartet meistens dort, bis ich aufwache und mit ihm fechte.“, erklärte er dabei seinem Vater.

 

„Gut, danke, mein Junge.“ André wollte schon das Zimmer verlassen, als sein Sohn ihn noch etwas fragte: „Hat Augustin etwas angestellt?“

 

„Nein.“ Eigentlich schon, korrigierte sich André, aber das würde er mit Augustin selber klären. François sollte erst einmal nichts davon wissen, dass sein Spielgefährte ihn und Oscar in einem Bett entdeckt hatte. „Zieh dich an und komm auch dann in den Stall.“, ordnete André noch an, bevor er das Zimmer verließ. „Das Pferd des Grafen von Fersen muss noch neu beschlagen werden und ihr beide solltet dabei sein, um es zu lernen.“

 

„In Ordnung, Vater, ich bin gleich da.“ François wunderte sich zwar, warum sein Vater so dringen mit Augustin reden wollte, aber machte sich nichts daraus. Solange er kein miserables Gefühl bekam, dann war in der Tat nichts Schlimmes passiert.

 

André eilte in den Stall und fand Augustin bei der letzten Box, wo Oscars Pferd stand. Der Junge stand vor der Holzwand und fuhr die alten Kerben, die dort eingeritzt waren, mit seinen Fingern nach. Oberhalb der Kerben prangten zwei Namen: Oscar und André. „Das haben Oscar und ich gemacht, als wir Kinder waren und um zu erfahren, wer größer von uns war.“ André dachte sofort an die Zeit seiner Kindheit und glaubte sogar Oscars helles Lachen noch immer zu hören. „Das kannst du mit François auch machen.“, sagte er zu Augustin.

 

„Ja, das können wir machen.“, mehr sagte der Junge nicht. Er drehte sich um und schaute offen ins Gesicht seines Vaters.

 

Für ein paar Sekunden dachte André, dass Oscar in Form eines Kindes vor ihm stand. Derselbe stechende und kühle Blick drang bis zu seinem Herzen wie ein Messer und schnitt ihm dort eine tiefe Kerbe ein. Altbekannte Schuldgefühle stiegen in ihm wieder hoch und zerrten an ihm. Aber warum nur? Es verband ihn doch nichts mit diesem Jungen! André versuchte seine Gefühle gegenüber Augustin zu verdrängen und in einem ruhigen Ton mit ihm zu reden. „Hör zu, das, was du gerade in meinem Zimmer gesehen hast, darfst du wirklich niemanden erzählen.“

 

„Ich weiß.“ Warum sagte ihm das sein Vater? Er hatte das ihnen doch schon gesagt, als er das Zimmer seines Vaters verlassen hatte. Aber gut, dann würde er es zum zweiten Mal sagen. „Ich werde schweigen, Ehrenwort!“, versprach Augustin offenherzig und fügte noch hinzu: „Ihr und Lady Oscar liebt euch doch und das darf niemand wissen.“

 

Der letzte Satz verblüffte André. Der Junge schien mehr zu wissen, als ihm lieb war. „Woher weißt du über uns?“

 

„Ich…“ Augustin verstummte. Sollte er das seinem Vater wirklich sagen? Würde er dann nicht böse auf ihn sein? „Könnt Ihr auch ein Geheimnis behalten?“, fragte er deshalb leise.

 

Was für ein Geheimnis? „Natürlich.“ André spitzte neugierig und gleichzeitig mit einem mulmigen Gefühl seine Ohren .

 

Augustin atmete tief ein und dann wieder aus. Er hatte nichts zu verbergen, bis auf das Versprechen zu seinem Großvater. Aber sein Großvater war nicht hier und brauchte von daher nicht erfahren, was er seinem Vater gerade offenbarte. „Ich habe euch oft küssen sehen und wie ihr sagtet, dass ihr euch liebt. So wie heute habe ich euch noch nicht gesehen, aber ich musste euch einfach wegen dem Gast warnen… Ihr seid für mich wie meine Eltern...“

 

Wie bitte? Das war also das Geheimnis? André hatte etwas Schreckliches erwartet, aber nicht das! Der Junge war ehrlich, das spürte er, aber... „Wie deine Eltern?“

 

Augustin nickte zustimmend. „Ja, ihr seid für mich wie meine Eltern, die mir vor einer langen Zeit genommen wurden. Das ist das Gleiche wie bei François. Ihr seit für ihn auch wie seine Eltern, oder?“

 

„Augustin, wir ...“ André wusste nicht mehr, was er sagen sollte. Der Junge durfte doch nicht wissen, dass François ihr leiblicher Sohn war und dass er davon wusste! Jedoch die Tatsache, dass Augustin ihn und Oscar als seine leiblichen Eltern empfand, übertraf alles. Was dachte sich Augustin nur dabei? War die Schlägerei in Paris vor vier Jahren etwa der Auslöser dafür? Der Junge tat André noch mehr leid. „Vermisst du deine Eltern etwa nicht mehr? Die Eltern, die dir genommen wurden und weswegen du dich damals mit den Knaben in Paris geschlagen hast?“

 

„Nein, weil ich meine Eltern in euch sehe.“, wiederholte Augustin und es tat ihm weh festzustellen, dass sein Vater die versteckte Botschaft nicht verstanden hatte. André hätte bestimmt anders reagiert, wenn er wüsste, dass er einen zweiten Sohn hatte, der aber verlorengegangen war. Augustin sah noch eindringlicher ins Gesicht seines Vaters. „Darf ich das nicht?“

 

Wie es manchmal zwischen ihm und Oscar geschah, konnte André dem intensiven Blick auch von Augustin nicht länger standhalten. „Doch das darfst du.“ Er wollte einfach den Jungen nicht enttäuschen und ihn traurig machen. Wer wusste schon, was Augustin noch alles erlebt hatte, bevor er auf das Anwesen der de Jarjayes kam.

 

„Danke.“ Augustin umarmte ihn und flüsterte tonlos „Vater.“ So ähnlich wie damals vor vier Jahren nach der Schlägerei in Paris, durchströmte ihn Wärme der Geborgenheit. André war verblüfft, aber legte um ihn seine Arme. Der Junge konnte nichts dafür, dass seine Eltern ihm genommen wurden und er ohne sie aufwachsen musste. Augustin schmiegte sich an ihn wie ein Welpe und wäre gerne noch länger in der väterlichen Umarmung verweilt, aber das ging nicht. Er war kein kleines Kind mehr und hatte schon längst gelernt, seine Gefühle und Emotionen zu verbergen. Augustin entfernte sich von André und schmunzelte. „Was machen wir heute?“

 

Noch bevor André ihm die Frage beantworten konnte, erschien François im Stall. „Ich bin schon da, Vater.“

 

„Du kommst rechtzeitig, mein Junge.“ André schaute von Augustin zu seinem Sohn. „Wir beschlagen zuerst das Pferd des Grafen von Fersen neu und ich zeige euch wie es geht. Danach gehen wir frühstücken und ich gehe zu Oscar.“

 

Augustin und François verstanden. Das bedeutete, dass solange der Gast da war, sie ihre Eltern beim Gespräch nicht stören durften.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Doro81
2024-05-21T12:35:27+00:00 21.05.2024 14:35
Juhuuu, wieder ein tolles neues Kapitel. Ich bin schon gespannt wie's weitergeht...
Vielleicht kommt ja nach der verstecken Botschaft endlich mal ein Geistesblitz der Erleuchtung bei Oscar und André...
Antwort von:  Saph_ira
26.05.2024 14:07
Vielen lieben Dank fürs Kommentar. Ja, lassen wir uns überraschen was als nächstes kommt... ;-)


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