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Bruder

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Bruder

Ich stehe hier am Strand. Vor mir das rauschende Meer, die Sonne scheint, Vögel zwitschern, Krabben und Möwen hört man scharren und rufen. Idyllisch und doch wieder nicht. Denn wenn ich mich umdrehe, sehe ich Silberhain. Jedoch nicht mehr die Illusion vom beschaulichen Dorf an der Küste, sondern die traurige Wirklichkeit. Ruinen, mit den ausgetrockneten Leichen der Bewohner. Ich lenke meinen Blick wieder geradeaus, starre in die Flammen, die deinen missgestalteten Körper verzehren und fühle mich elend. Das hast du einfach nicht verdient. Du hast nie etwas Böses gewollt. Der Stein und seine verderbte Macht sind Schuld, denke ich und knurre in plötzlich aufwallender Wut vor mich hin. Und diese verdammten Hohen, die sich mit diesem schwarzen, unscheinbaren Werkzeug deinen Kummer und deine Angst zu Nutze machten. Sie ließen dich glauben, dass so alles gut werden würde, dass man dich endlich lieben würde. Liebe und Freundschaft. Nichts anderes hast du dir gewünscht. Und selbst ich konnte dir nicht geben, wonach du dich gesehnt hast. Als Halb-Aeterna aus Nehrim, wo meinesgleichen verachtet wird, weiß ich nur zu gut, was es heißt, ausgegrenzt zu werden, geht es mir nicht ohne Bitterkeit durch den Kopf. Doch die Anfeindungen gegen mich waren absolut nichts gegen das, was du offensichtlich durchmachen musstest. Verstoßen vom eigenen Vater, gehasst von den Bewohnern des Dorfes in dem du gefunden wurdest. Und das nur weil dein linkes Bein dick und klumpig, dein Gesicht durch Geschwulste entstellt war. Dämon und Missgeburt wurdest du gerufen. Und nachdem sie deinen Ziehvater – der einzige Mensch der dich trotz deines Aussehens liebevoll aufzog – nach einem Todesfall im Dorf, für den man dir die unberechtigte Schuld gab, töteten, war das Maß voll und der Stein samt der Hohen witterten wohl ihre Chance.
 

Die Illusion war fast perfekt. Meine Mission war es eigentlich nur, diesen verfluchten Stein zurück zu holen. Dazu befragte ich deinen leiblichen Vater, doch der wollte nichts davon wissen, bis ich die Geburtsurkunde fand. Er hatte dich aufgrund deiner Missbildungen fortbringen lassen und verleugnet dich bis heute. Dann kam ich hier an und der Mann, der dich aufzog, sagte mir, du wärst wundersam genesen und ein völlig gesundes Kind. Ich freute mich, das zu hören und hätte da bereits misstrauisch werden sollen, hatte ich doch von Anfang an das Gefühl, dass hier etwas nicht stimmte. Denn warum sah ich in deinem Ziehvater den Meinigen, der schon lange tot ist? Zufall, versuchte ich mir jedoch zu sagen. Als ich dich kennen lernte, warst du ein hübscher Junge, der später im erwachsenen Alter sämtlichen Damen den Kopf verdreht hätte. Zuallererst musste ich dir dein Stofftier zurück holen, das dein Hund sich geschnappt hatte und fand es irgendwie amüsant. Und du wusstest tatsächlich wo der Stein ist und wolltest ihn mir geben, wenn ich dir im Gegenzug dafür drei Wünsche erfülle. Ich spielte also mit dir und fing mit dir Schmetterlinge und wollte nicht an dieses seltsame Gefühl denken. Es machte mir sogar Spaß, erinnerte es mich doch an meine Kindheit, als ich noch mit meiner jüngeren Schwester herum tobte. Deine Überraschung in dieser Höhle, ein Bild, welches uns beide am Strand im Licht der untergehenden Sonne zeigte, hatte mich gerührt. Doch dann kam dein dritter Wunsch und es offenbarte sich mir die ganze Wahrheit. Eine Wahrheit, wie sie grausamer kaum sein kann. Das Dorf, die Bewohner, dein Ziehvater und du selbst – alles ein Trugbild. Die Welt wie ich sie gesehen hatte, war so, wie du sie dir mit der Macht des Steines geschaffen hattest. Eine Welt, in der du geliebt wurdest, in der die Kinder mit dir spielten und niemand dich Dämon nannte. Doch später erkanntest du, dass du dennoch allein warst, denn die Menschen taten das nicht durch ihren eigenen Willen, sondern durch deinen. Wie ferngesteuerte Puppen und so erging es jedem Besucher von „außen“, sie alle wurden sozusagen zu Sklaven deines Willens. Nun mögen Viele meinen, das geschah den Bewohnern dieses Dorfes ganz recht, wären sie nicht so gemein zu dem armen Jungen gewesen. Doch hatte ich auch mit ihnen Mitleid, niemand hatte so etwas verdient. Vielleicht, denke ich mir, wäre es besser gewesen, der Mann wäre mit seinem Ziehsohn irgendwo anders hin gegangen? Andererseits, die Realität war, es hätte wahrscheinlich nirgendwo einen Ort gegeben an dem die Beiden sie willkommen gewesen wären. Wie man es drehte und wendete, Rynéus wäre ein Ausgestoßener geblieben.
 

Du wolltest, dass ich bei dir bleibe, für immer. Mit dir spiele, dich zu fangen versuche, mit dir Schmetterlinge jage. Wie Geschwister eben. Du nanntest mich sogar schon Bruder, wusstest aber von Anfang an, dass ich nicht so war, wie alle anderen, denn ich behielt meinen freien Willen. Der Stein hatte nicht diese Macht über mich. Und du hattest mir nichts gesagt, aus Angst, dass ich dich genauso hassen und verlassen würde, wie alle Anderen es getan hatten, wenn ich erkannte, wie du wirklich warst.
 

Ich seufze, während ich den Flammen weiterhin zu schaue und dein verbrennendes Fleisch rieche. Es tut mir leid, Rynéus, so leid, denke ich und es tut weh. Ich konnte nicht bei dir bleiben. Deine Enttäuschung, Tränen inbegriffen, schnitt mir ins Herz, doch was sollte ich denn tun? Die Welt steht kurz vor ihrem Untergang, ich bin auf einer Mission, weil ich der Einzige bin, der es verhindern kann. Wäre ich nicht auf dieser Mission, und hätte ich nicht geahnt, dass hier nicht alles so war, wie es schien, was hätte ich getan? Das frage ich mich und horche in mich hinein. Dann nicke ich langsam und flüstere ein „Ja...“. Ich hätte den Wunsch erfüllt und wäre geblieben. Bei dir, Rynéus. Ich hätte eigentlich gar keinen Grund gehabt nein zu sagen, denn ohne meine eigenen besonderen Fähigkeiten wäre ich der Macht des Steins und der Hohen erlegen ohne es überhaupt zu bemerken. Mir wird so klar wie nie zuvor, wie sehr ich meine eigene ermordete Familie vermisse und mich genauso nach ihr sehne, wie der Junge es tat. Wenn ich zugestimmt hätte, hätte auch ich wieder eine wirkliche Familie gehabt. So aber musste ich die Illusion zerschlagen, es ging nicht anders. Mit allen schrecklichen Folgen, denn du hattest mich gewarnt. „Alle Bewohner werden sterben!“, hast du gesagt und dein Blick war voller Angst. „Auch du und ich!“ Doch ich versprach dir, dass uns beiden nichts geschehen würde, du solltest mir vertrauen. Nun habe ich das Gefühl, dieses Versprechen gebrochen zu haben. Als ich mich in der Wirklichkeit wiederfand, eilte ich in dein Haus. Zurück nach Ark wollte ich dich bringen, zu den Apothekarii. Sie hätten dir gewiss helfen können. Und es wäre mir egal gewesen, was die Leute gesagt hätten. Ich hätte nicht zugelassen, dass man dir etwas antut. Natürlich erschrak ich zuerst, als ich dich so sah, das war nur menschlich. Gehasst habe ich dich aber nicht, habe dich gemäß deinen Worten nicht angespuckt und bin nicht voll Verachtung weg gegangen. Keinen einzigen Augenblick habe ich auch nur daran gedacht, das zu tun. Ich sah trotz allem nur ein krankes, einsames Kind, dass sich nichts als Liebe wünschte. Doch sagen konnte ich dir das nicht mehr, es war alles zu spät. Du lagst bereits im Sterben und hast mich bei meiner Wiederkehr, weil ich mich noch nach einem Pferd umschaute, nicht einmal mehr erkannt.
 

Und nun stehe ich hier. Den Stein in der Tasche und alles was ich noch für dich tun kann ist, dir wenigstens eine würdevolle Bestattung zu geben. Dann krame ich eine Teleportrolle hervor. Es wird Zeit aufzubrechen, der Erzmagier in Ark wartet auf mich. „Verzeih mir Rynéus, dass ich dir deinen Herzenswunsch nicht erfüllen konnte“, sage ich leise und traurig. „Ich wünsche dir, dass du jetzt in einer besseren Welt und mit deinem Ziehvater wieder vereint bist. Ich wünsche dir, dass du dort glücklich bist, so wie du es verdient hast.“ Ich spreche den Teleportzauber aus und das Letzte, was ich sehe, ist wie der kleine Scheiterhaufen mit deinen Überresten langsam in sich zusammen fällt. „Lebe wohl, Rynéus. Mein kleiner Bruder.“



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