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Rabenfedern

von

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II. Blutspuren

Ich hatte wenig Ahnung, wohin Rabe wollte. Doch was sollte ich schon tun? Wenn man einer magischen Kreatur oder in diesem Fall einem großen Geist folgt, muss man diese Dinge manchmal hinnehmen. Also versuchte ich das beste drauß zu machen, auch wenn – ehrlich gesagt – die Müdigkeit mit fast um den Verstand brachte. Doch die Nachtluft rauschte durch mein Gefieder und ließ zumindest einzelne Lebensgeister in mir erwachen.

Solltet ihr schon einmal von fliegen geträumt haben, so kann ich euch garantieren: Selbst eure Träume kommen nicht an das wahre Gefühl heran. Immer wenn ich fliege, wenn ich mir Flügel wachsen lasse … Es ist großartig! Und gerade damals war es das beste Gefühl, das ich kannte. Ja, sogar besser als Sex. Es war einfach befreiend über die Stadt hinwegzugleiten und für die ganzen Menschen unberührbar zu sein. Egal ob Gangs oder Polizei: Hier oben kam niemand an mich heran.

Ich meine, ehrlich, das war der Hauptgrund warum ich Rabe folgte. Ohne ihn wäre es mir nie so möglich gewesen. Wie flogen über die kleinen Hütten der Flats hinweg. Über eine kleine Schießerei – wahrscheinlich ein Turf-Konflikt. Über die Leute, die erst jetzt nach Hause kamen. Über die Leute, die auf den Grünflächen in Zelten schliefen.

Ich kannte diese Gegend seit meiner Kindheit. Doch ich war dem entkommen – mehr oder minder.

Ein Schrei hallte vom Osten zu uns hinüber und ließ Rabe abdrehen. Meinte er, dass es mit dem Vampir zu tun hatte? Doch so sehr auch die Fragen in meiner Rabenkehle brannten, so behielt ich es erst mal für mich. Später wäre noch Zeit dafür. Zumal ein Schrei meistens bedeutete, dass es jemanden nicht gut ging.

Schon winkelte Rabe die Flügel an und steuerte eine der freien Staubflächen an. Da waren Gestalten, die ich im Dunkeln jedoch kaum erkennen konnte. Die eine von ihnen drückte sich gegen eine Hauswand, versuchte die andere im Auge zu behalten, während sie sich in Richtung der nächsten Gasse drückte. Die andere war auf der Mischung, war beinahe auf allen Vieren. Wie ein Raubtier lauerte die Gestalt da, sprang auf einmal vor … als ein Schoss durch die Stille der Flats donnerte.

Blut spritzte, sogar im Zwielicht erkennbar, als eine Ladung Schrot die Schulter des Biests traf.

Statt zu landen kreiste Rabe über dem Stück, während ich versuchte den Schützen zu erkennen. Die Bestie schien es ähnlich zu halten. Sie hatte sich umgedreht und starrte mit glühenden Augen in die Dunkelheit. Schon rechnete ich mit einem weiteren Schuss, doch stattdessen erwachte eine Flamme im Schatten zwischen zwei einfachen Backsteinhütten zum Leben, formte einen Ball und sauste auf das Biest zu.

Dieses knurrte, sprang zur Seite und kauerte sich seinerseits in die Lücke zwischen zwei Häusern.

Eine dritte Gestalt betrat die freie Stelle. Es war ein Mann, da war ich mir recht sicher. Er war großgewachsen und hatte eine Kräftige Statur. Allerdings trug er – ich verarsche euch nicht – eine verfluchte Kutte mit Kapuze und allem. Er sah ein wenig aus, als käme er gerade von irgendeiner Convention. Ich meine, natürlich wusste ich, dass diverse Magier eine Tendenz zum theatralischen hatten. Innerlich ging ich schon Wetten mit mir selbst ein, dass er einer der weißen Hermetiker war. Wieder flackerte eine Flamme über seiner Hand.

„Du kannst dich zeigen“, rief er auf Englisch. Er hatte definitiv einen Dialekt, doch ich konnte ihn nicht zuordnen. Vielleicht französisch oder so?

Ein Knurren klang über den Platz, doch der Vampir zeigte sich nicht. Derweil stand das vermeintliche Opfer, eine Frau in einem weiten Kleid, noch immer an der Wand. Ihrer Körperhaltung nach hatte sie vor dem Jäger mindestens genau so viel Angst, wie vor dem Biest. Da waren dunkle Flecken auf ihrem Kleid. Blut wohl, kein Muster. Sollte ich etwas tun?

„Jetzt komm, Blutsauger!“, rief der Mann wieder. „Ich habe nicht die ganze Nacht Zeit.“

Dieses Mal gab es keine Antwort. Stille legte sich wie ein Tuch über den Platz, während auch ich Platz auf dem Dach eines der kleinen Häuschens nahm. Unbemerkt in Dohlengestalt, beobachtete ich den Mann, der weiterhin die kleine Gasse im Auge behielt.

Minuten verstrichen. Doch der Vampir zeigte sich nicht mehr.

Hätte ich ihm folgen sollen?

Unsicher sah ich zu Rabe, der noch immer über uns kreiste. Ich ahnte jetzt schon, worauf das ganze hinauslaufen würde.

Schließlich sackten die Schultern des Jägers ab. Er wandte sich der Frau zu. „Sie sind verletzt“, stellte er fest. Seine Stimme war bemüht freundlich.

Die Frau musterte ihn misstrauisch – wer konnte es ihr verdenken? Sie hielt sich die Schulter. „Wer sind sie?“, fragte sie mit zitternder Stimme.

„Jemand, der Ihnen helfen will.“

Wäre es mir in der Gestalt möglich gewesen, hätte ich die Augen verdreht. Das war so ein typischer Spruch, der mir sagte, zu laufen. Wenn er es ernst meinte, sollte er an diesen Sachen arbeiten. Na ja, abwarten, nicht?

Er ging auf die Frau zu, die Hände vorsichtig vor sich ausgestreckt. Wenn er glaubte, sie so zu beruhigen, lag er falsch. Denn sie kauerte sich zusammen und begann zu schluchzen.

Ich verkniff mir das Seufzen, das in dieser Gestalt ohnehin nicht leicht über den Schnabel kam. Da landete Rabe neben mir. „Der Vampir“, murrte er leise.

Ich wandte meinen Blick vom Jäger und dem Opfer des Vampirs ab und sah mich um. Da war ja etwas. Schon streckte ich die Flügel aus. „Wo ist er hin?“

„Sag du es mir, Murphy.“ Rabe war alles andere als glücklich mit dieser Entwicklung. Als ob es meine Schuld wäre. Wenn er gewollt hatte, dass ich den Vampir direkt verfolge, warum hat er es mir nicht direkt gesagt? Sollte ich seine verdammten Gedanken lesen?

An dieser Stelle ist aber Platz für ein wenig Eigenlob. Ich bin verflucht gut im Improvisieren und war es auch damals schon. Daher raschelte ich gewichtig mit meinem Gefieder. „Ich habe einen anderen Plan“, sagte ich und wandte meine Aufmerksamkeit wieder dem Jäger zu.

„Aha?“ Rabe kannte mich zu gut, um sich so leicht überzeugen zu lassen.

So beleidigt, wie es die begrenzte Mimik eines Vogels zuließ, sah ich ihn an. „Natürlich. Wenn du mir endlich sagen würdest, was du von diesem Vampir willst …“

Rabe schwieg für eine ganze Weile, während der Mann es schließlich schaffte das Opfer des Vampirs genug zu beruhigen, als dass sie sich aufhelfen ließ.

Schließlich plusterte Rabe sich auf. „Er besitzt etwas, das eigentlich mir gehören sollte“, erwiderte er. „In mehr als einer Hinsicht.“

Kryptischer ging es wohl nicht. „Und das soll ich dir zurückholen?“

„Nun, viel eher möchte ich ein persönliches Gespräch mit ihm haben.“ Rabe warf mir einen Seitenblick zu.

„Und was habe ich dann damit zu tun?“

Rabe schwieg für zwei oder drei Sekunden. „Es ist eine Prüfung für dich.“

Ein Schauer schoss durch meine aktuell hohlen Knochen. Ich plusterte mich auf, erinnerte mich zu spät daran mir nichts anmerken zu lassen. Dann breitete ich die Flügel wieder auf. „Ich finde ihn für dich“, erwiderte ich. „Ich habe einen Plan.“ Denn hey, es waren wenigstens die ersten zehn Prozent von einem solchen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Taroru
2019-10-18T21:32:33+00:00 18.10.2019 23:32
ich finde es ja super, das er selbst die klischees auf die schippe nimmt XD
ich feier so was immer wieder, wenn man solche dinge selbst nicht ernst nimmt, obwohl es eigentlich ne ernste situation ist ^^
ich mag sein art zu denken und auch zu handeln.
bin gespannt was für einen plan er hat und ob vor allem auch alles planmäßig verläuft XD


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