Adventskalender
Sie hatte ihren Kopf auf Ihre Arme gebettet und beobachtete Ian, während sie versuchte sich mit der ziemlich unerwarteten “Situation” im Wohnzimmer anzufreunden. Der Jüngste des russischen Teams löste am Esstisch seit einer Weile hoch konzentriert irgendwelche seltsamen Wortspielrätsel. Niemand tat sowas gern. Zumindest niemand der ihrer Meinung nach normal war. Momentan schien es ihr als wäre das gesamte Team nicht ganz normal. Hätte sie das alles vorher gewusst, wäre sie vielleicht nicht nach Russland gekommen. Aber wer hätte denn auch ahnen können, dass das sonst so ernste und eher eisige russische Team um die Weihnachtszeit so eskalieren würde.
Ian brummte leise vor sich hin während er nachdachte. Angel richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihn. Seine dunkelbraunen Augen hatte er leicht zusammengekniffen und seine Zunge hatte er geradezu klischeehaft nachdenklich zwischen seine Lippen geklemmt. Immer wenn er etwas gelöst hatte, tanzten seine dichten Augenbrauen auf und ab. Wie konnte er bei dieser Umgebung nur so ruhig und konzentriert sein? Ab und zu strich er sich fahrig eine vorwitzige Strähne seines dunkelvioletten Haares aus seinem Blickfeld, die sich aus seinem losen Zopf löste. Man, dieser Junge brauchte dringend einen Friseurbesuch oder solche spiralförmigen Zopfgummis, die sein widerspenstiges dickes Haar bändigen konnten. Sie machte sich eine mentale Notiz. Zopfgummis für Ian als Adventskalender-Geschenk. Sie erschauderte. Der Adventskalender oder auch die “Situation” im Wohnzimmer. Ein Ungetüm von Girlande, welches das gesamte Wohnzimmer durchmaß. Es war ein kompliziertes Geflecht aus grünen und roten Säckchen die teilweise noch nicht befüllt waren und das den sonst so großen Raum ungemein beengte. Außerdem stand dahinter eine logistische Meisterleistung aus Beschenken und Beschenkt werden; eine fürchterliche Schacherei beim Festlegen wer wann wen beschenkt und wer wann beschenkt wird. Immer wenn sie an diesen einen Abend dachte, an dem Spencer und Tala mit unheilvollem Grinsen diese riesige Kiste aus der Untiefe des Gebäudes geholt hatten, pochte ein leichter Migräneschmerz hinter ihren Augen. Es war komplett unlogisch, geradezu grotesk, und das frustrierte sie. Sie seufzte und hob den Kopf.
“Ian, erklär es mir nochmal.” Seine dunklen Augen richteten sich halb irritiert, halb genervt auf sie. “Wieso zur Hölle habt Ihr einen Adventskalender mit 40 Türchen?”
