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Balance Defenders

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
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Gruppenzugehörigkeit


 

Gruppenzugehörigkeit
 

„Am tiefsten schmerzen Wunden uns geschlagen

von Menschen, die der Freundschaft Maske tragen.“

(Friedrich von Bodenstedt, dt. Schriftsteller)
 

Dienstag. Einer der schlimmsten Schultage! Zumindest für Vitali.

Deutsch – und das zwei ewig lange Stunden... Schulstunden zwar, aber für Vitali konnten zwei 60-Minuten-Stunden auch nicht länger sein. Nein, um genau zu sein, hätte er sogar lieber drei Stunden damit zugebracht, eine weiße Wand anzustarren.

Demotiviert hatte er seine Bank zur Kopfablage umfunktioniert, doch schon betrat die Deutschlehrerin das Klassenzimmer. Ihre Stöckelschuhe hatten ihr Kommen schon zuvor angekündigt.

Vitali seufzte und setzte sich widerwillig wieder auf.

Erik musste angesichts seiner expressiven Mimik schmunzeln.

Nach der Begrüßung eröffnete ihnen Frau Müller, dass sie über die nächsten drei bis vier Wochen eine Gruppenarbeit zu der Lektüre ‚Nathan der Weise‘ vorbereiten sollten. Zwei große Arbeitsthemen gab es. Also zwei Gruppen, die sich auf der Fenster- beziehungsweise der Wandseite zusammenfinden sollten.

Und dazu hatte Frau Müller die absolut grandiose Idee, die Gruppen gleich persönlich einzuteilen! Schließlich müssten sich die Leute in der Klasse erst richtig kennenlernen und dies sei doch die perfekte Gelegenheit dazu. Daher sollten jeweils die Banknachbarn voneinander getrennt werden.

Dieses Vorhaben weckte die gewohnte Begeisterung bei den Schülern. Oder war genervtes Stöhnen etwa kein Zeichen für Begeisterung? Wen interessierte das schon? Frau Müller zumindest nicht…

Serenas Blick huschte auf die Fensterseite des Zimmers, wo sich die erste Gruppe versammeln sollte. Amanda machte nicht den Anschein, aufstehen zu wollen.

„Du kannst ruhig hier bleiben.“, hörte Serena Ariane sagen.

Ariane lächelte sie an und erhob sich von ihrem Platz. Ob sie bemerkt hatte, warum Serena nicht auf die andere Seite wollte?

Vivien tat es Ariane gleich und stand auf. Sie zwinkerte Justin und Serena zu. „Keine Angst, wir kommen wieder!“, lachte sie.

Vitali wollte gerade aufstehen und zur Wandseite gehen, als er Eriks Hand auf seiner Schulter spürte. Fragend sah Vitali ihn an.

„Könntest du vielleicht auf die Seite gehen?“, bat Erik mit seltsam ernster Miene.

„Hä?“, Vitali verzog das Gesicht.

Mit dem Daumen seiner linken Hand deutete Erik nach links hinten. Vitalis Gesichtsausdruck wurde noch verständnisloser. Skeptisch schaute er in die Richtung, die Erik ihm gewiesen hatte.

Um den Tisch von Amanda hatte sich eine Schar an Mädchen versammelt, die miteinander kicherten und weibliche Gesten machten, von denen Vitali nichts verstand.

Vitali begriff nicht, worauf Erik hinaus wollte. „Du hast ne Mädchenphobie?“

Erik zog ein gequältes Gesicht.

„Echt jetzt?!“ rief Vitali entsetzt.

Entnervt verdrehte Erik die Augen und schüttelte den Kopf. „Pass auf.“

Langsam drehte er sich nach hinten und sah die Mädchenclique für einen kurzen Moment stumm an. Seine Mimik war in keinster Weise freundlich, doch in der Kombi mit seinen geheimnisvollen grünblauen Augen hatte sein durchdringender Blick zur Folge, dass die ganzen Mädchen plötzlich auf ihn fixiert waren.

Erik wandte sich langsam wieder ab. Zeitgleich breitete sich ein Kichern und Tuscheln in der Gruppe aus.

Baff starrte Vitali auf das Geschehen, dann zu Erik. „Wie machst du das?“

Erik sah ihn grimmig an. „Was weiß ich. Verstehst du jetzt, was ich meine?“

Vitali spottete: „Ja, echt schlimm, alle Mädchen stehen auf dich.“

Gram legte sich auf Eriks Züge. „Sobald ich nur ein Wort mit einem Mädchen wechsle, heißt es, ich würde mit ihr flirten.“

Das war ihm sowohl bei der Schwester eines Schulkameraden und der festen Freundin eines anderen passiert. Bei ersterem Vorfall wurde ihm danach vorgeworfen, er habe der Schwester falsche Hoffnungen gemacht, beim zweitem, dass er dem Jungen die Freundin hätte ausspannen wollen.

„Der Fluch der Gutaussehenden.“, höhnte Vitali.

Erik bedachte ihn kurz mit einem Blick, als verstünde er nicht, warum Vitali das so sagte, als zähle er nicht zu dieser Gruppe.

„Bringt dir auch nichts, wenn du da rübergehst.“, meinte Vitali.

„Serena ist da drüben.“, entgegnete Erik.

Ein leiser Argwohn erschien auf Vitalis Gesicht. „Ja und?“

„Wegen dem ersten Schultag geht das Gerücht rum, wir wären zusammen.“

Ehe Erik weitersprechen konnte, wurde er von Vitalis aufgebrachter Stimme unterbrochen: „Was war am ersten Schultag!“

Erik erklärte nüchtern: „Damit Amanda sie in Ruhe lässt, hab ich gesagt, Serena würde zu mir gehören. Wenn ich das aufrechterhalte, bleibe ich vielleicht von den Modezeitschrift-Anhängerinnen verschont.“

Vitalis Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war er von der Idee nicht begeistert.

Ein neckisches Lächeln erschien auf Eriks Lippen. „Das würde dich nicht rein zufällig stören?“

„Nicht die Bohne.“, zischte Vitali. Mit gespielter Gleichgültigkeit stand er auf und stapfte hinüber zu Vivien und Ariane in die erste Gruppe.

Noch einen Moment grinste Erik amüsiert, dann ging er zur Wandseite hinüber und setzte sich neben Serena. Die anderen Gruppenmitglieder hatten bereits die Tische verrückt, sodass alle Platz fanden.

Schließlich erklärte Frau Müller die Aufgaben und es konnte mit der Besprechung innerhalb der Gruppen begonnen werden.

Zu ihrem Leidwesen musste Serena erkennen, dass sie äußerst ungünstig saß. Zwar hatte sie direkten Blick zu Vivien, Vitali und Ariane – Vivien hatte ihr sofort überschwänglich zugewunken, als sie ihren Blick bemerkt hatte – aber das Grauen war, dass die drei aus irgendwelchen Gründen direkt bei Amanda saßen.

Serena biss sich auf die Unterlippe. Aus diesem Winkel war sie geradezu gezwungen, ständig auf Amanda zu schauen.

Sie würde es einfach ignorieren. Jawohl. Ignorieren!

Das ging auch eine Zeit lang gut. Nur nicht allzu lange…

Schlimm genug, dass das gezierte Lachen Amandas über jeden Sicherheitsabstand hinweg zu Serena vordrang und in ihren Ohren dröhnte wie das Kratzen von Fingernägeln auf einer Schiefertafel. Doch als sich ein weiteres Geräusch hinzumischte, glaubte Serena ersticken zu müssen. Ihr Brustkorb verkrampfte sich. Entsetzt starrte sie hinüber zu Amanda. Nein, zu Vivien, Vitali und Ariane!

Die drei lachten... Lachten gemeinsam mit dieser Person!

…Als wären sie jahrelange Freunde…Als würden die drei sie gemeinsam mit Amanda heimlich auslachen.

Vom Rest der Welt unbemerkt stürzte Serena in ein schwarzes Loch.

Dieses Lachen – es wollte einfach nicht verschwinden! Es hallte in Serenas Kopf. Wie damals in dem Spiegelsaal. Dieses schreckliche, schreckliche Lachen!

„Serena?“ Justins Stimme riss den finsteren Schleier, der sich um Serena aufgebaut hatte, entzwei. „Alles in Ordnung?“

Noch wie abwesend sah Serena ihn an.

„Geht’s dir nicht gut?“, erkundigte sich nun auch Erik, der auf der anderen Seite neben ihr saß.

Serena schüttelte den Kopf. Ihr Blick streifte nochmals die vierköpfige Gruppe, die mittlerweile aufgehört hatte zu lachen, und heftete sich dann auf das Aufgabenblatt.

Erik versuchte den Anlass für Serenas Schockzustand auf der anderen Seite auszumachen.

Großer Fehler!

Scheue Blicke, hohes Kichern und Getuschel.

Fluchtartig rückte Erik näher an Serena heran und legte seinen Arm auf die Rückenlehne ihres Stuhls.

Immer noch halb abwesend sah sie ihn skeptisch an.

„Selbstschutz.“, entgegnete Erik, was Serena eher verwirrte.

„Was…?“, fragte sie.

„Es wird getuschelt, wir beide wären zusammen. Wenn das so bleibt, kann ich vielleicht die Tussis von mir fern halten.“, erklärte er.

Der ungläubige Ausdruck in Serenas Gesicht steigerte sich nochmals und bekam etwas bitter Bissiges. „So ein Quatsch. Niemand würde jemals glauben, dass du mit mir zusammen bist.“ Sie schüttelte den Kopf, als wäre das das Dümmste, das sie jemals gehört hatte.

Nun war es Erik, der sie verständnislos anblickte. „Wieso denn nicht?“

Serena warf ihm einen zynischen Blick zu. „Warum wohl!“

Erik war mit dieser Antwort eindeutig unzufrieden. Er beugte sich herausfordernd zu ihr vor. „Also ich finde das nicht so abwegig.“

Serena schien es dieses Mal nicht einmal für nötig zu erachten, darauf zu antworten.

„Du solltest mehr Selbstvertrauen haben.“, tadelte Erik sie.

Serena rollte mit den Augen. Dann fühlte sie, wie Erik den Arm um ihre Schultern legte.

„Hey, wenn du so schrecklich wärst, würde ich wohl kaum darauf bestehen, dass das Gerücht, dass wir zusammen sind, weiterbesteht!“

Serena stieß belustigt die Luft zwischen den Zähnen hindurch aus und lächelte spöttisch. „Du solltest aufpassen, sonst bild ich mir noch was drauf ein.“

Erik grinste zurück. „Ach, mir würde das weniger ausmachen, als jemand anderem.“ Seine Augen glitten kurz hinüber zu der Gruppe an der Fensterseite.

Serena konnte nicht umhin, es ihm gleichzutun, und obwohl Amanda schnellstmöglich ihren Blick wieder abgewendet hatte, war ihrem Gesichtsausdruck doch noch deutlich die Wut über den Anblick von Serena und Erik anzusehen.

Allerdings übersah Serena dabei etwas, das nun Ariane befremdet feststellen musste: Vitali hatte mit einem gruseligen Gesichtsausdruck begonnen, seinen Block in hektischen Bewegungen vollzukritzeln, dass der Abdruck sicher auf sämtlichen verbleibenden Blättern sichtbar sein musste, wobei er wie ein Irrer auf die Gruppe auf der anderen Zimmerseite fixiert war. Oder besser gesagt, zwei ganz bestimmte Personen dieser Gruppe.

Vivien konnte sich daraufhin ein belustigtes Kichern nicht verkneifen.
 

Serena ließ sich ausgestreckt auf ihr Bett fallen und starrte die Decke an. Sie hob noch einmal kurz den Arm, um an ihrer Armbanduhr die Uhrzeit zu überprüfen. Heute war erneut ein Training angesetzt. Dabei war sie gerade überhaupt nicht in der Stimmung, das Haus nochmals zu verlassen. Schon gar nicht um die anderen zu sehen.

Ja. Sie wusste, dass es dumm war. Sogar sehr dumm. Aber sie konnte es nicht abstellen. All diese Gedanken schwirrten in ihrem Kopf herum!

Serena begab sich in eine Sitzposition. Ihr Blick schweifte zur Seite, wo in einem Regal noch ihr altes Lieblingskuscheltier stand: Gizmo. Ein Mogwai genanntes plüschiges Wesen aus dem Film ‚Gremlins‘, dessen große Ohren entfernt an Fledermäuse erinnerten, und das sich bei falscher Pflege in einen grässlichen Gremlin verwandelte. Ihre Schwester hatte ihr Gizmo geschenkt, als sie noch nicht mal in der Schule gewesen war.

Sie stand auf, ergriff Gizmo und setzte sich dann erneut auf das Bett, drückte den treuen Begleiter an sich. Das Lachen von Vitali, Vivien und Ariane kam ihr erneut in den Sinn. Auch ein Kopfschütteln half da nichts.

Aber was hatte sie sich denn gedacht? Dass die anderen Amanda meiden würden wie die Pest, nur weil sie Probleme mit ihr hatte? Das hatte doch überhaupt nichts mit ihnen zu tun!

Serena schaute zu Boden.

Ihr gesamtes Leben hatte nichts mit ihnen zu tun. Sie waren Fremde. Es waren Personen, deren Gefühle und Gedanken sie nicht kannte, und die ihre Gefühle und Gedanken nicht kannten.

Dass sie nett zu ihr gewesen waren, dass sie sie als Freundin bezeichnet hatten, war doch nur ihrem Pflichtgefühl entsprungen gewesen, weil auch sie zu den Beschützern gehörte. Nicht mehr und nicht weniger.

Genau wie sie heute nett zu Amanda gewesen waren, weil sie eine gemeinsame Aufgabe bekommen hatten.

Serena drückte Gizmo fester an sich und unterdrückte ein Schluchzen.

Freundschaft war etwas, von dem sie nicht länger träumen durfte. Nie mehr.
 

Heute bilden wir Teams.“, verkündete Ewigkeit ihnen freudestrahlend.

„Bild ich mir das ein oder hab ich das heute schon mal gehört?“, kommentierte Change.

Unite lachte: „Es muss wohl gerade die ‚Bilden wir Gruppen’ – Saison angefangen haben!“

„Ja, man nennt es auch Gruppenzwang.“, scherzte Change.

Mit euren Kräften könnt ihr zwar langsam umgehen. Aber ihr solltet auf alles vorbereitet sein.“, erklärte Ewigkeit.

Die fünf schienen ihr nur mit halbem Ohr zuzuhören.

„Also: Wer mit wem?“, fragte Unite.

„Bei fünf Leuten gibt es nicht so viele Möglichkeiten.“, antwortete Desire.

Trust schlussfolgerte: „Eine Zweier- und eine Dreier-Gruppe.“

Unite überlegte kurz. „Dann bilden Change und Destiny ein Team!“

„Wieso das?“, beschwerte sich Destiny.

„Wegen unseren Elementen!“, rechtfertigte sich Unite. „Wasser löscht Feuer, also kannst du nicht mit Desire in ein Team. Erde erstickt Feuer und Pflanzen verbrennen von Feuer, also scheiden Trust und ich auch aus. Aber Feuer braucht Luft zum Weiterleben. Also ist Change dein Partner!“

„Schicksal und Veränderung sind doch wohl Gegensätze!“, warf Destiny ein.

Unite ignorierte schlichtweg ihren Einwand.

„Hey, hör mir gefälligst zu!“, schimpfte Destiny.

Unite drehte sich zu Ewigkeit. „Also, was müssen wir machen?“

Ewigkeit führte die Beschützer in den Trainingsbereich, wo nun ein großes viereckiges Spielfeld vorzufinden war und eine riesige Anzeigetafel, die aber nicht für einen Punktestand oder Ähnliches gedacht war, sondern eher wie eine Projektionsfläche aussah.

Ausweichtraining!“, rief Ewigkeit.

„Was?“, Destiny schaute unwillig:

Es ist wichtig, dass ihr den Angriffen der Feinde ausweichen könnt. Also beschieße ich euch mit Energiekugeln.

„Das klingt gefährlich.“, sagte Trust.

Ewigkeit schaute verwundert.

Trust erklärte: „Es soll keiner verletzt werden.“

Ewigkeit nickte. „Keine Angst. Man sieht den Schaden nur auf der Tafel.“ Sie deutete auf die Anzeigetafel über dem Spielfeld.

Desire lächelte ihr Team an. „Klingt interessant.“

„Dann mal los!“, freute sich Unite.

Unite, Desire und Trust stellten sich auf dem Spielfeld auf, unwissend was genau sie jetzt erwarten würde.

Destiny und Change standen derweil am Rand und begutachteten, was auch ihnen in Kürze bevorstand.

Ewigkeit war mit einem Mal für keinen der fünf mehr sichtbar und sie fragten sich schon, wo die Kleine abgeblieben war, als schlagartig eine handgroße Energiekugel aus dem Nichts geschossen kam.

Die drei Spieler wichen ihr eilig aus, doch schon folgten zwei weitere Schüsse aus zwei anderen Richtungen, denen sie geschickt entgingen.

Es zeigte sich, dass Trust, Unite und Desire äußerst wendig waren und somit den immer schneller und häufiger auftretenden Angriffen auf gekonnte Weise entronnen und einander halfen, wenn es notwendig war.

Ihre Bewegungsabläufe waren kein bisschen tollpatschig oder ungelenk. Destiny bewunderte sie. Gleichzeitig wurde ihr klar, dass sie sich schrecklich blamieren würde, wenn sie erst an der Reihe war. Die anderen waren so sportlich und begabt. Alles, was sie so gar nicht war.

Traurig schlug sie die Augen nieder. Sie passte hier nicht dazu.

Nach ein paar Minuten erklang ein Signalton, der das Ende des Durchgangs anzeigte. Erschöpft rangen die drei Beschützer nach Atem.

„Das hat Spaß gemacht!“, lachte Unite überschwänglich.

Desire stimmte in ihr Lachen mit ein und nickte Trust anerkennend zu.

Ewigkeit erschien nun auch wieder auf der Bildfläche. Sie kicherte vergnügt und wies dann auf die Anzeigetafel. Diese zeigte das Bild von drei Körpern. Manche Stellen waren mit roter Farbe gekennzeichnet.

Je dunkler das Rot desto schwerer der Treffer und umso gefährlicher die Verletzung.“, erklärte Ewigkeit.

Bei allen drei Figuren waren nur hellrote Stellen und somit leichte Blessuren zu erkennen. Ganz hatten die drei den Angriffen dann doch nicht entkommen können.

Die drei lächelten einander an und verließen das Feld.

„Super Leute!“, rief Change und hielt ihnen die Hand hin, die alle drei nacheinander abklatschten, sogar Trust, wenn auch zögerlich.

Anschließend drehte sich Change kampflustig zu Destiny um. „Ha! Jetzt zeigen wir’s denen mal!“

Allerdings beunruhigte ihn Destinys entsetzter Gesichtsausdruck ein wenig.

Die beiden stellten sich in die Mitte des Feldes.

Change spähte in alle Richtungen, um den nahenden Angriff rechtzeitig zu entdecken.

Mit weitaus weniger Elan ging Destiny an die Sache heran. Unsicher ließ sie ihren Blick umherschweifen und hoffte inständig auf ein rasches Ende dieses Horrortrips. Sie würde sich sowieso nur blamieren.

„Vorsicht!“, rief Change, als die erste Energiekugel auf sie zukam. Destiny machte gerade noch im letzten Moment einen Schritt zur Seite. Doch schon folgte der zweite Angriff. Ehe Destiny noch begriff, was vorging, hatte Change sie am Arm grob zur Seite gerissen.

„Hey!“, beschwerte sie sich.

„Pass gefälligst besser auf!“, gab Change zurück.

Destiny funkelte ihn böse an und wurde im gleichen Moment mit aller Kraft von ihm weggestoßen, sodass sie zu Boden fiel. Zwar hatte er sie dadurch vor einer weiteren Energiekugel bewahrt, aber Destiny empfand nicht gerade Dankbarkeit dafür.

„Spinnst du?“, schrie sie.

„Hinter dir!“, rief Change zurück. Die Attacke traf Destiny an der Schulter.

„Steh auf!“, befahl Change ihr, doch das bewirkte eher das Gegenteil.

Wütend blieb sie sitzen, was wiederum Change ärgerte. Weiteren Schüssen ausweichend, rannte er zu ihr und zog sie zurück auf die Beine, um sogleich ihren Kopf nach unten zu drücken, als eine Energiekugel über ihre Köpfe hinweg ging.

Destiny reichte es. „Lass mich los!“, brüllte sie ihn an.

„Dann streng dich halt mal an und beweg dich nicht wie ne Schildkröte!“, schimpfte Change und ließ von ihr ab.

Sauer biss sich Destiny auf die Unterlippe. Konnte ihm doch egal sein!

Bei den nächsten paar Angriffen bekam Destiny stets etwas ab. In einem echten Kampf wären ihre Glieder wohl schon abgetrennt worden. Und den Umstand, dass sie nicht schon vollkommen aus dem Spiel ausgeschieden war, hatte sie Changes ständigen Rufen, aus welcher Richtung die Angriffe kamen, zu verdanken. Er schien regelrecht davon besessen, dieses Spiel zu gewinnen – was auch immer das bedeutete.

Seine Bemühungen machten Destiny einerseits schrecklich wütend, andererseits fühlte sie sich durch sie noch elender und nutzloser. Für Change war sie nur ein Klotz am Bein. Sie war einfach nur unfähig.

Der Gedanke zog sie immer weiter runter und ihre Glieder fühlten sich noch schwerer an als zuvor.

„Pass auf!“, erklang erneut Changes Rufen. Dieses Mal kam die Attacke direkt auf Destiny zu, aber sie registrierte es zu spät, als dass sie noch hätte ausweichen können. Im letzten Moment prallte etwas mit voller Wucht gegen ihre Seite und katapultierte sie aus der Schussbahn.

Destiny landete unsanft auf dem Boden und erkannte, dass dieses Etwas Change gewesen war, der sich gegen sie geschmissen hatte. Noch bevor sie ihn anschreien konnte, ertönte eine Sirene.

Das war nicht das Geräusch, das zuvor das Ende der Runde eingeleitet hatte.

Eine metallene Stimme machte eine Durchsage: „Tödlicher Treffer.“

Als Destiny einen hastigen Blick auf die Anzeigetafel warf, erkannte sie, dass es nicht sie erwischt hatte, sondern Change. Als er sich gegen sie geworfen hatte, war er direkt in den Angriff gelaufen.

Change stieß einen Fluch aus und kam wieder auf die Beine. Auch Destiny stand wieder auf und wandte sich dann ruckartig an Change.

„Bist du bescheuert?!!“, kreischte sie ihn lauthals an.

„Waaas?!“ Change fielen fast die Augen aus dem Kopf. „Bescheuert bist doch wohl du! Kannst du nicht mal einem Angriff aus dem Weg gehen, der direkt auf dich zukommt!“

„Ist doch nicht dein Problem!“

„Du bist doch gestört! Wir üben für den Ernstfall!“, fuhr Change sie an.

„Ja! Und dann wärst du tot!“, brüllte Destiny.

„Wegen wem denn!“, donnerte Change. „Du stehst ja die ganze Zeit nur da und guckst dumm in der Gegend rum!“

Destiny ballte die Hände zu Fäusten.

Erst glaubte Change, sie würde im nächsten Moment versuchen, ihm die Augen auszukratzen, dann bemerkte er, dass ihre Unterlippe zitterte, und war nun vollkommen verwirrt.

„Ich kann es nicht! Okay?!“, schrie Destiny völlig aufgelöst. „Ich kann nicht gegen die Schatthen kämpfen! Ich kann keine Beschützerin sein!“ Sie rannte vom Spielfeld in Richtung der Zimmer, bis keiner sie mehr sehen konnte.

„Verfluchte Scheiße!“, tobte Change und starrte zu den anderen, die das Ganze wortlos mitangesehen hatten. Dann rannte er mit einem Mal Destiny hinterher.

Die anderen wollten ihnen nach, als Ewigkeit sich vor sie stellte. „Wenn sie ein Team sind, dann müssen sie das als Team klären.

„Change und Destiny?“ Desire starrte sie entsetzt an. „Wir müssen sie eher davon abhalten, sich gegenseitig umzubringen!“

Trust sah fragend zu Unite. Diese schien im ersten Moment von Ewigkeits Idee genauso wenig überzeugt zu sein wie er und Desire.

Sie atmete aus, als hätte sie die Luft angehalten. Dann hob sie locker die Schultern. „Irgendwann müssen sie wohl lernen, ihre Probleme selbst zu lösen.“

Desires Gesicht spiegelte ihre Fassungslosigkeit wider.

Lächelnd fügte Unite daraufhin hinzu: „Wenn sie in zehn Minuten nicht zurück sind, sollten wir den Notarzt rufen.“
 

Destiny verließ eilig das Geheimversteck der Beschützer und wurde gleichzeitig wieder zu Serena. Sie wollte nur noch weg. Ganz weit weg.

Ein wütender Aufschrei fuhr ihr in den Rücken: „Serena!“

Serena drehte sich nicht um. Sie wollte gerade wieder losrennen, aber im gleichen Moment wurde sie am Handgelenk gepackt und gewaltsam umgedreht. Schmerzerfüllt kreischte sie auf, aber Vitali ließ nicht von ihr ab.

„Verdammt! Was sollte das heißen?“

Serena riss sich los, schwieg aber.

„Was soll das heißen!“, schrie Vitali noch lauter als zuvor.

Serena kämpfte auf einmal mit den Tränen. „Ich bin nicht so wie ihr! Ich bin nicht geschickt. Ich kann nicht irgendwelchen Angriffen ausweichen. Ich kann es einfach nicht! Ich kann keine Beschützerin sein!“

Vitali ließen die Worte ungerührt, als würde er auf eine bessere Erklärung warten.

„Ich bin euch doch nur ein Klotz am Bein! Ich bin eine Versagerin!“, sprach Serena weiter.

Vitalis Miene wurde noch finsterer als zuvor. „Ja! Du bist ein Klotz am Bein und du bist eine Versagerin! Weil du aufgibst, bevor du’s überhaupt versucht hast!“

Serena riss zornesentbrannt die Augen auf. „Was hast du schon für eine Ahnung, ob ich es versucht habe! Mein ganzes Leben war ich eine Niete in Sport! Niemand wollte mich in seinem Team haben! Egal wie sehr ich mich angestrengt habe, es ist einfach nie etwas dabei rausgekommen! Ich hab mich immer nur zum Idioten gemacht!“ In ihren Augen glitzerten Tränen auf.

„Hast du es jemals wirklich versucht oder dir nur eingeredet, dass du es eh nicht kannst?“, spottete Vitali.

Serena wurde nahezu hysterisch. „Mach dich nicht über mich lustig! Ich bin einfach ungeschickt! Ich bewege mich wie ein Trampel und falle bei jeder erdenklichen Gelegenheit hin! Und das hat nichts, rein gar nichts mit meiner Einstellung zu tun!“

„Na und?“, gab Vitali gereizt zurück. „Du tust gerade so, als wäre das dein Schicksal, an dem du nichts ändern kannst!“

„So ist es eben! Die einen werden sportlich geboren, die anderen sind einfach ungeschickt!“

„Du machst es dir ja sehr einfach! Dann brauchst du es gar nicht erst versuchen, nicht wahr?“

„Halt’s Maul!“, fauchte Serena. „Was verstehst du schon davon!“

„Ich weiß nur, dass du viel zu schnell aufgibst!“

„Verdammt, Vitali, es geht hier nicht um ein Spiel! Bald geht es um unser Leben! Und ich bringe dabei nicht nur mich, sondern euch alle in Gefahr! Das will ich nicht!“ Serena wandte den Blick ab. „Das will ich nicht…“

Vitali atmete geräuschvoll aus. „Ich blick’s nicht! Sonst bist du so dickköpfig und glaubst, alles besser zu wissen. Aber jetzt benimmst du dich wie ein verängstigtes Tier. Wo ist die Serena, die laut rumschreit und sich von niemandem etwas sagen lässt?“

„Das hat nichts miteinander zu tun!“, schimpfte Serena.

„Das hat sehr viel miteinander zu tun! Nur weil das mal eine Sache ist, die du nicht sofort drauf hast, wirfst du gleich das Handtuch! Wovor hast du eigentlich Angst? Wir trainieren ja gerade weil es um unser Leben geht!“

„Hast du mir eigentlich zugehört? Das bringt bei mir nichts! Ganz egal wie viel ich trainiere!“

„Achso!“, höhnte Vitali. „Und jetzt willst du dich wahrscheinlich in eine Ecke verkriechen und dich selbst bemitleiden: ‚O ich Arme kann ja nichts‘. Heul, heul. Glaubst du das bringt dich weiter?!“

Mit aller Kraft stieß Serena ihn von sich. „Halt endlich die Klappe!“

„Du kannst nicht immer davonrennen, wenn dir etwas zu schwierig wird!“

Serena war mit einem Mal wie erstarrt. Der Satz hallte in ihrem Kopf: Du kannst nicht immer davonrennen! Die Worte hatte sie schon einmal gehört. Sie war auch davongerannt, als sie es in ihrer Klasse nicht mehr ausgehalten hatte. Damals hatte sie sich zuerst krank gestellt. Sie wollte nur noch weg, hatte schließlich die Schule gar nicht mehr besucht, sie war weggerannt.

Tränen brachen sich Bahn, mit schriller Stimme schrie sie Vitali an: „Was weißt du schon! Was weißt du? Du weißt nichts über mich! Du weißt nicht, wie ich fühle! Du weißt nicht, was ich durchgemacht habe! Es ging nicht mehr! Ich konnte nicht mehr!“ Ihre Beine gaben unter ihr nach.

Verständnislos kniete Vitali zu ihr. „Findest du das nicht etwas übertrieben, nur wegen diesem blöden Simulationskampf?“

Verstört riss Serena die Augen auf und starrte Vitali leer an. Erst jetzt wurde ihr wieder bewusst, dass er gar nicht das hatte meinen können, woran sie gedacht hatte! Ihr Gesichtsausdruck sprach so deutlich für sich, dass sogar Vitali es verstand.

„Es geht gar nicht um die Simulation…“, hauchte er langsam. „Serena, was ist los?“

Serena stand schleunigst wieder auf und wischte sich die Tränen aus den Augen. „Nichts!“ Sie wich Vitalis Blick aus. „Nichts... Ich habe nur zu wenig geschlafen. Das ist alles! Meine Nerven. Das ist alles.“

Vitali sprang auf. „Serena, wenn dir irgendwer was antut -“

„Nein!“, brüllte Serena ihn an. „Das ist es nicht!“

Er würde es nicht verstehen. Er konnte es nicht verstehen. Und Serena hatte auch nicht die geringste Lust, es ihm zu erklären! Gerade ihm! Es würde ihn ohnehin nicht interessieren. Niemanden würde es interessieren. Und jetzt glaubte Vitali wohl noch sonst was!

„Es ist nichts!“, betonte Serena nochmals. „Ich habe bloß Kopfweh! Also denk dir verdammt noch mal nicht irgendwelche Horrorgeschichten aus!“

Vitali atmete geräuschvoll aus. Er warf den Kopf in den Nacken und gab ein Zischen von sich. „Tth. Vivien sagt immer, wir wären Freunde. Aber Freunde vertrauen einander.“

Serena wurde erneut aufbrausend. „Was willst du? Ich werde nicht geschlagen oder sonst was! Mir geht es fantastisch!“

Nun wurde auch Vitali wieder laut. „Hey!“, stieß er aus. „Ich hab keine Ahnung, was mit dir los ist! Aber wie denn auch? Du kapselst dich doch immer von allen ab! Keiner weiß, was du wirklich denkst!“

Serena kreischte. „Als würde euch das interessieren!“

Vitalis Augen wurden zu zwei Schlitzen, seine Züge hart. Giftig zischte er Serena an. „Du hast keine Ahnung von Freundschaft!“

Augenblicklich holte Serena zu einer Ohrfeige aus, aber Vitali wich problemlos aus. Als er in Serenas Augen sah, blitzten ihm Hass und Abscheu entgegen, getränkt in Tränen. Halb erstickte Worte drangen aus ihrer Kehle:

„Was soll ich über etwas wissen, das es nicht gibt!“

Schockiert sah Vitali sie an. Diese Worte. Diese Reaktion…

Die beiden standen sich schweigend gegenüber.

Mit auf den Boden fixierten Augen verharrte Serena. Sie wollte weg. Aber wohin? Sie wartete darauf, dass Vitali sie endlich alleine ließ, aber der rührte sich genauso wenig von der Stelle.

Serena wollte nichts mehr zu ihm sagen. Sie wollte nicht einmal mehr wegrennen. Sie wollte nur wie versteinert dastehen, ohne zu denken, ohne irgendetwas zu fühlen.

Vitali wusste nicht, was er tun sollte, was er sagen sollte. Er war so wütend über Serenas Worte! Oder vielleicht vielmehr gekränkt?

„Glaubst du das wirklich?“, wollte er wissen.

Serena schwieg.

Vitali biss die Zähne zusammen. „Warum hast du immer darauf gewartet, dass jemand dich in sein Team aufnimmt?! Warum hast du nicht dein eigenes gegründet? Man kann nicht immer darauf warten, dass andere den ersten Schritt machen!“

Serena ignorierte ihn.

„Hey! Verdammt! Hörst du mir zu?“

Wieder kamen Serena Tränen und ein unheimliches Lächeln erschien auf ihren Lippen. Ihre Stimme war nur noch ein Flüstern. „Freunden kann man nicht vertrauen.“

Vitali ballte seine Hände zu Fäusten.

Vivien hätte Serena vermutlich irgendwie aufgeheitert. Ariane hätte sie getröstet, Justin hätte ihr gut zugesprochen und ihr wieder Hoffnung gemacht. Aber er… Er war so stinkwütend über Serenas Verhalten! Er konnte kein Mitgefühl für sie aufbringen! Doch ebenso wenig war er dazu fähig, sie alleine zu lassen. Aus diesem Grund ging er auch nicht die anderen holen.

Aber wenn er nur daran dachte, wie bescheuert es doch von Serena war, noch immer nicht auf ihre Freundschaft zu vertrauen! Diese egoistische, dickköpfige, schwarzseherische Zicke! Sie vier hatten doch viel mehr Grund dazu, an Serenas Freundschaft zu zweifeln, als Serena Grund hatte, ihnen zu misstrauen! Wie bescheuert!

„Serena, du bist ’ne blöde Kuh!“, rief er unüberlegt aus. „Du denkst immer nur an dich und deine Gefühle und überlegst gar nicht, was andere fühlen!“

Serena fuhr auf. „Das stimmt nicht!“ Sie funkelte ihn böse an, voller Bitterkeit. „Aber was bringt es, sich darüber Gedanken zu machen? Am Schluss wird man doch nur ausgenutzt.“

„Das ist das, was du denkst! Nur deine festgefahrene Einstellung! Und wenn du wirklich über die Gefühle von anderen nachdenken würdest, dann würdest du hier nicht so eine Schau abziehen!“

Serena bekam einen irren Blick. Der schrille Klang ihrer Stimme schmerzte in den Ohren. „Verschwinde doch endlich! Es geht dich doch einen feuchten Dreck an, wie ich mich fühle! Ich hab dich nicht drum gebeten, hier zu stehen! Ich will überhaupt nicht, dass du bei mir bist! Ich will auch nicht deine Partnerin sein! Ich will überhaupt nichts mit dir zu tun haben! Ich hasse dich! Hau ab!“

„Musst du mich immer unterbrechen?“, brüllte Vitali zurück. „Du dumme Ziege! Du kannst mich so viel hassen wie du willst! Ist mir doch egal! Alle reißen sich ’nen Arm für dich aus, damit es endlich in deinen sturen Dickschädel reingeht, dass sie deine Freunde sind, und du jammerst immer bloß, wie schrecklich die Welt ist, und dass man niemandem vertrauen kann, anstatt dass du einfach mal die Augen aufmachst! Hast du eigentlich schon mal drüber nachgedacht, wie es den anderen dabei geht, wenn du dich von allen abkapselst? Sie wissen nicht, wie sie sich dir gegenüber verhalten sollen! Wenn sie dir zu nahe kommen, dann lässt du gleich die Kratzbürste raushängen! Und wenn sie dir Freiraum lassen, dann beschwerst du dich, dass sie sich nicht für dich interessieren! Mann, wie sollen sie dir denn zeigen, dass sie dich mögen? Du gibst ihnen ja nicht die kleinste Chance dazu! Weil du so auf deine schwarze Weltsicht fixiert bist, in der jeder ein potentieller Feind für dich ist!“ Sein Geschrei wurde zu einem grimmigen Grollen. „Aber eigentlich hast du Recht! Jemand, der sich so benimmt, der verdient gar keine Freunde. Denn zu einer Freundschaft gehören immer zwei. Aber du denkst nur daran, dass du verletzt werden könntest und nicht daran, dass du mit deinem Verhalten andere genauso verletzt. Aber das verstehst du ja nicht, weil du viel zu egoistisch dazu bist.“

Serena glaubte ersticken zu müssen. Der Druck auf ihre Kehle war zu groß! Sie rang panisch nach Luft, aber es nützte nichts! Dann erbrach sie die hysterischen, kurzen Schluchzer wie etwas, das ihre Luftröhre blockiert hatte.

Vitalis Mund verformte sich zu einem dünnen Strich. Er schaute kurz von Serena weg. Schließlich sprach er in kapitulierendem Ton weiter: „Sie alle wollen mit dir befreundet sein. Du musst ihnen nur die Chance dazu geben.“

Doch Serenas Reaktion war anders als er es erhofft hatte. Mit einem Mal gab sie ein tränenersticktes zynisches Lachen von sich.

„Du hast es doch gerade eben selbst gesagt! Ich verdiene keine Freunde. Ich bin keine liebenswerte, nette Person. Und ich kann niemand anderes sein als ich bin.“

Vitali konterte knallhart: „Du weißt doch gar nicht, wer du bist!“

Es herrschte kurze Stille.

Seine Stimme wurde wieder ruhiger. „Hast du denn nie Freunde gehabt?“

Es war das Thema über das Serena nie mehr sprechen wollte. Nie mehr! Schon gar nicht mit Vitali.

„Freunde…“, Sie hatte einen Kloß im Hals. „..lassen einen nur im Stich.“

Sie wusste nicht, warum sie das überhaupt sagte. Sie musste sich vor Vitali nicht rechtfertigen. Es ging ihn nichts an! Und Verständnis würde er ohnehin keines für sie haben.

Wieder wurde es ruhig.

Zunächst war Vitali ein weiteres Mal erzürnt über Serenas Antwort. Dann verstand er erst, dass sie damit nicht ihn und die anderen meinte, sondern die Freunde, die sie früher gehabt hatte. Und diese ‚Freunde‘ mussten die Ursache für ihr Verhalten sein.

„Serena.“, begann er ungewohnt sachte. „Was ist passiert? Was haben die gemacht, deine ‚Freunde‘?“

Ein Zittern ging über Serenas Körper. Sie schwieg.

In diesem Moment fiel es Vitali wieder ein: Amanda! Serena hatte gesagt, dass sie beste Freundinnen gewesen waren.

„Amanda. Was hat Amanda dir getan?“

Schlagartig riss Serena ihre Hände hoch, bedeckte ihren Mund damit, aber auch so konnte sie das herzzerreißende Schluchzen nicht unterbinden, das sich seinen Weg aus den Tiefen ihres Herzens bahnte und Vitali in der Seele wehtat.

Sie wollte sich gar nicht mehr beruhigen und Vitali musste hilflos zusehen, wie ihr ganzes Gesicht von Tränen benetzt wurde und die Pein ihren gesamten Körper zum Beben brachte.

„Serena.“

Sie reagierte nicht.

Was sollte Vitali jetzt bloß tun?! Er war ja schon als Kind damit überfordert gewesen, wenn sein kleiner Bruder geweint hatte!

Nervös blickte er sich um. Verdammt! Warum kamen denn die anderen nicht, um nach ihnen zu suchen? Wieso ließen sie ihn hiermit alleine? Das ging doch nicht!

Einen weiteren Moment wusste Vitali nicht, wie er reagieren sollte, starrte hilflos auf das Häufchen Elend vor ihm. Sein Gesicht verzog sich widerwillig, als ihm bewusst wurde, was das einzige Mittel war, das ihm einfiel. Das, was er als Kind schon bei Vicki eingesetzt hatte, wenn sämtliche sonstigen Versuche gescheitert waren, den Kleinen zu beruhigen. Das, was er Vicki verboten hatte zu erzählen, weil es ihm zu peinlich gewesen war.

Noch einen letzten Atemzug brauchte Vitali, ehe er dazu bereit war.

Er umarmte Serena.

„Es.. Es tut mir leid. Ich wollte nicht…“ Vitali stockte und schluckte schwer.

Unsicher drückte er Serena ein wenig fester an sich und fragte sich gleichzeitig, ob das auch wirklich eine gute Idee war. Er spürte Serenas Zittern, hörte ihr unkontrolliertes Schluchzen und verharrte in der Umarmung.

Erst Augenblicke später wagte er, wieder das Wort zu ergreifen.

„Ich bin bei dir… Ich bleib bei dir.“, flüsterte er ihr zu, wie er es schon bei Vicki getan hatte, als der Kleine wegen einem Albtraum zu ihm ins Bett geflüchtet war.

Seine Stimme bekam einen belustigten Unterton. „Da kannst du noch so sehr wollen, dass ich verschwinde!“

Plötzlich spürte er, wie Serena seine Umarmung erwiderte.

Davon zunächst etwas verdutzt, sprach er erst nach einem weiteren Moment weiter.

„Tja, das hast du nun davon. Uns kriegt man nicht mehr so schnell los. Nicht mal mit deinem ständigen Rumgezicke.“ Langsam gewöhnte er sich an den Umstand, Serena in Armen zu halten. „Das haben echte Freunde nun mal so an sich. Und Vivien hat sowieso schon die Adoptionspapiere für dich beantragt.“

Das Geräusch, das Serena von sich gab, war nicht ganz klar als Lachen oder Schluchzen zu definieren, Vitali ging davon aus, dass es sich um eine Mischung aus beidem handelte.

Nach und nach legte sich nun Serenas Zittern und Schluchzen.

Als Stille eingetreten war, wusste Vitali nicht, was als nächstes zu tun war. Unfähig zu reagieren, verblieb er weitere Momente in dieser Stellung. Dann, ganz langsam und zögerlich lösten er und sie sich wieder voneinander.

Mit einem Schlag war die ganze Situation noch viel peinlicher als sie es eben noch gewesen war, als sie sich mittendrin befunden hatten.

Total verlegen vermieden die beiden es, den anderen anzublicken.

Schweigend standen sie einander gegenüber und getrauten sich nicht, etwas zu sagen.

Schließlich streckte Vitali Serena eine Packung Taschentücher hin. Ohne Kommentar nahm sie das Angebot an und putzte sich mehrmals lautstark die Nase. Weiterhin sahen sie einander nicht an. Das Schnupfkonzert endete und Serena füllte die mittlerweile leere Taschentuchpackung mit den benutzten Taschentüchern und stopfte sie in ihre Jackentasche.

„Danke.“, flüsterte sie so leise, dass man es nicht verstand.

Vitali machte ein paar Versuche, einen Ton herauszubekommen, brach dann aber jedes Mal kurz vorher ab. Immerhin gelang es ihm, Serena für einen Moment anzusehen, ehe er sich wieder abwendete. Er schnappte nach Luft.

„Die anderen machen sich sicher schon Sorgen.“, fing er endlich an und versuchte besonders unbekümmert zu klingen. „Wer weiß, was sich Vivien in der Zwischenzeit mal wieder für Geschichten ausgedacht hat!“, lachte er, auch wenn es furchtbar aufgesetzt klang.

Serena nickte. Stockend brachte sie erste Worte hervor. „Ich werd’s versuchen.“

Vitali sah sie verständnislos an.

„…zu vertrauen.“ Mit diesen Worten machte sie sich auf den Weg zurück in das Hauptquartier der Gleichgewichtsbeschützer.

„Serena?“

Sie stoppte.

„Wirst du es mir irgendwann erzählen? Was zwischen euch passiert ist?“

Für einen kurzen Moment drehte sie sich zu ihm um und sah ihn an, dann wandte sie sich wieder ab. „Wer weiß.“

Daraufhin kam Vitali zu ihr gejoggt und hielt ihr seine Faust hin, wie er es sonst bei Erik und Justin tat. „Freunde?“

Unsicher betrachtete Serena die Geste, blickte ungläubig in Vitalis Gesicht und zurück auf die ihr entgegengestreckte Faust. Langsam erhob sie ihre Rechte und ballte sie ebenfalls. Noch einen Moment zögerte sie, ehe sie ganz sachte ihre Faust gegen die seine schlug.

„...Freunde.“

Vitali strahlte sie nun über das ganze Gesicht an:

„Willkommen im Team!“


 


 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Nun hat also auch Serena akzeptiert, dass sie ein Teil des Teams ist, zumindest soweit sie das bisher zulassen kann.
Aber was ist eigentlich mit Ewigkeit? Nächste Woche erfahren wir mehr in dem Kapitel „Drei Tage, eine Ewigkeit“.

Es ist wieder Zeit für ein längeres Nachwort von mir. Yay! :D
Das Thema dieses Kapitels liegt mir sehr am Herzen. Manchmal verliert man sich so sehr in seinen Gedanken und Befürchtungen, dass man gar nicht mehr offen für das ist, was wirklich um einen herum passiert, besonders wenn man Angst hat, verletzt zu werden.
Es ist hart, wenn man immer wieder negative Erfahrungen macht, und es liegt nahe, daraus den Schluss zu ziehen, dass sich niemals etwas ändern wird. Schließlich will man sich nicht mit falschen Hoffnungen quälen. Aber egal, was andere Menschen uns angetan haben oder woran wir gescheitert sind, wenn wir uns davor fürchten, dass sich die Vergangenheit wiederholt, versperren wir uns die Sicht auf die Gegenwart und die Chance, dass sich etwas ändert.
Oft wollen wir von anderen Bestätigung bekommen und in ihr Team aufgenommen werden. Wir glauben, nur dann gut genug zu sein. Auf die Idee, ein eigenes Team zu gründen, wie Vitali es vorschlägt, kommen wir nicht. Wer sind wir denn, dass wir selbst unsere Welt bestimmen könnten? Und wer würde denn in unserem Team sein wollen? Schlussendlich braucht es immer Vertrauen, in sich selbst, in die Welt, darin, dass sich Dinge ändern können.
Ich wünsche jedem den Mut, an sich selbst zu glauben, denn Mut zu sich selbst ist der Schlüssel zu Veränderung und ebnet uns den Weg zu dem Ort, wo wir uns angenommen und sicher fühlen dürfen, so wie wir sind.
Alles Liebe!
Eure Regina Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  CMH
2022-07-03T14:25:36+00:00 03.07.2022 16:25
Jetzt hast du mich zum Weinen gebracht. Dieser unglaubliche Schmerz, an dem Serena fast zugrunde geht. 😱Und zugleich kommt am Ende des Kapitels die Hoffnung. 💚Die Stelle mit den Adoptionspapieren ist total goldig. 😊
Antwort von:  Regina_Regenbogen
09.07.2022 21:57
Oooh, es gibt kein größeres Kompliment als wenn jemand so gerührt ist, dass er weinen muss. 💖 Es bedeutet mir viel, dass Serenas Schmerz dir so nahe geht und die Hoffnung dich auch berühren konnte. 🥰
Von:  RukaHimenoshi
2020-12-05T12:39:32+00:00 05.12.2020 13:39
Igitt, Grupppenarbeit. Gibt es überhaupt jemanden, der das mag? XD
Irgendwie finde ich die Freundschaft von Erik und Serena richtig süß. Ich hatte erst gedacht „Och nö, jetzt macht er wieder einen auf Macho und spielt den anderen was vor.“, aber die Sache mit dem Selbstschutz ist einfach zu putzig. :‘D Und ich liebe es, wie Serena da irgendwie so mehr oder weniger einfach mitmacht. XD

Oh Gott, bei Ewigkeits „Also beschieße ich euch mit Energiekugeln.“ mit ihrer Kinderstimme konnte ich vor Lachen erstmal nicht weiterlesen. So süß und unschuldig! X‘D Aber Mensch, Völkerball ohne zu wissen wo der Ball herkommt? Ewigkeit ist schon fies. XD
Und die arme Serena… °~° Es war richtig rührend, wie Vitali sie (auf seine Art) getröstet hat. Man konnte so gut mit den beiden mitfühlen! <3 Zwischen kurz vorm Heulen sein und begeistert Herumquietschen war alles dabei. :‘D

Ich habe mich übrigens sehr über das Nachwort gefreut! ^^ Es ist immer schön, deine Gedanken zu den einzelnen Kapiteln zu hören und du triffst es so toll auf den Punkt mit den Zweifeln und Ängsten, die sich durch wiederholte vergangene Ereignisse bilden und dass der Weg daraus so schwer ist, schon alleine aus dem Grund, da es eben nicht durch einfach Abwarten und Hoffen gelingt.
Antwort von:  Regina_Regenbogen
05.12.2020 21:51
XD Frag ich mich auch.
Lustig ist auch: Wenn Vitali auch nur versuchen würde, mit Serena zu flirten (stell ich mir lustig vor, was er darunter verstünde XD - er wäre wohl einfach unfähig dazu XD), würde sie total ausrasten und wäre stinksauer und eingeschnappt und würde denken, er macht sich über sie lustig. Bei Erik so: In China ist ein Sack Reis umgefallen. Grillenzirpen. XD
Ist schon echt besonders, dass die beiden einander so vertrauen. Er geht ja bei ihr komischerweise auch direkt davon aus, dass sie es nicht falsch versteht, wenn er sich ihr nähert. :)

XD Es freut mich, dass du Ewigkeit so süß findest. :D
:D Ja, ein Moment für alle Serena x Vitali Shipper.

Ich bin froh, dass dir das Nachwort auch gefällt. :D Es ist echt nicht leicht, die Vergangenheit loszulassen, weshalb das Thema bei Serena auch noch nicht gegessen ist. Manchmal braucht es seine Zeit, bis man sich von alten Mustern und von seiner übergroßen Angst vor Enttäuschung trennen kann. Das ist ein Prozess und eben nicht durch eine einzige Begebenheit zu klären, als wäre man plötzlich ein anderer Mensch. Man macht immer mal wieder Rückschritte und fällt in alte Muster zurück. Das ist menschlich und gehört zum Wachstum dazu. Wichtig ist, dass man sich dafür nicht fertig macht, sondern sieht, was man schon erreicht hat und dass man in die richtige Richtung geht. ^^
Von:  totalwarANGEL
2020-12-04T20:33:01+00:00 04.12.2020 21:33
Jetzt kommt auch noch Nathan der Weise in der Schule dran? XD
Serena beim Ausweichtraining erinnert mich an mich beim Völkerball. :|
Man... wieso ist Vitali auf einmal so einfühlsam? Hat er einen Justin gefressen?

Oje, ich kann echt für Serena mitfühlen... Immer nur ausgelacht werden, eine niete im Sport sein und nur verarscht werden. Er so etwas mit macht, der verschließt sich von der Welt und hat einen Schaden weg. Ist echt traurig, wie viele Paralenen ich ziehen kann...
Antwort von:  Regina_Regenbogen
04.12.2020 23:06
Es wurde erwähnt, dass sie Nathan der Weise in der Schule lesen, sonst hätte Vitali den Titel gar nicht erst gekannt, um ihn vor Ewigkeit zu erwähnen. XD
Serena beim Ausweichtraining erinnert mich an mich bei ziemlich allen Schulsportsachen. :'D
Ob man das jetzt besonders mitfühlend nennen kann, dass er sie die ganze Zeit anschreit und ihr lauter Vorwürfe um die Ohren knallt. :'D Justin wäre da sehr viel feinfühliger und ruhigee rangegangen. Vitali ist aber definitiv weit sensibler, als er normalerweise zeigt, allein schon weil er glaubt, andere hielten das für unmännlich. Und die Angst, für unmännlich gehalten zu werden, ist ja bei ihm so ein Thema. Als Kind ständig für ein Mädchen gehalten zu werden, war wohl auch nicht grade hilfreich, was das angeht. :'D

Da bist du nicht allein. :) Ich kenne mehrere ganz wundervolle Menschen, die von so was Narben haben und dadurch, was andere Menschen angeht, unsicher sind. Du befindest dich also in bester Gesellschaft. :D <3


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