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Balance Defenders

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Vivien und Justin haben wieder zueinander gefunden, doch kann ein einziges Gespräch die vielen Unsicherheiten beseitigen und müssen sie da wirklich alleine durch?
Mit diesem Kapitel - dem letzten in diesem Jahr - wird das Oberkapitel "Begehren und Selbstbeherrschung" abgeschlossen. Komplett anzeigen

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Geduld und Selbstannahme


 

Geduld und Selbstannahme

 

„Sei, wer du bist und sag, was du fühlst!

Denn die, die das stört, zählen nicht

- und die, die zählen, stört es nicht.“

(Theodor Seuss Geisel)

 

Als Justin aus Viviens Haustür trat, erinnerte er sich an Eriks Worte:

„Wenn du bei Vivien warst, ruf Vitali an. Ich weiß, du siehst das nicht, aber für ihn ist es wichtig, dass du ihn wie einen Freund behandelst.“

Justin hatte sich nicht getraut zu sagen, dass er nicht wusste, wie man einen Freund behandelte. Außerdem hatte er sich mehr Sorgen um den Besuch bei Vivien gemacht. Er war vom Schlimmsten ausgegangen, nämlich davon, dass sie ihn gar nicht empfangen würde. Ihm wurde jetzt erst bewusst, wie pessimistisch das wieder gewesen war. Dabei hatte er Erik gegenüber doch gesagt, dass er Vivien vertrauen wollte.

Er betrat das Haus und begab sich ins Wohnzimmer, wo das Festnetztelefon stand. Dort hatte er die Nummern seiner Freunde hinterlegt, sodass er Vitalis Nummer bloß ablesen brauchte.

Vitalis Mutter nahm den Hörer ab, es dauerte allerdings nicht lange, ehe Vitali an den Apparat kam. Statt eines Hallos rief Vitali direkt: „Wie geht’s dir?“

Justin fragte sich, ob er Vitali nicht einen unnötigen Schreck mit seinem Anruf eingejagt hatte, schließlich war dieser es nicht gewöhnt, dass er sich bei ihm meldete. „Ähm, gut.“

„Sicher?“, hakte Vitali nach.

Irgendwie war Justin nicht davon ausgegangen, dass Vitali sich solche Sorgen um ihn machen würde.

„Ja.“, antwortete er zögerlich. „Ich war gerade bei Vivien.“

„Wie geht’s ihr?“, rief Vitali noch lauter als zuvor.

„Gut.“, antwortete Justin leise.

„Wirklich?!“

Justin zögerte und schüttelte dann den Kopf, um den aufkommenden Zweifel zu verscheuchen. „Ja.“

Er hörte Vitali erleichtert aufatmen. „Kann ich das den anderen schreiben?“, fragte er aufgeregt.

Justin horchte auf. Er war gar nicht auf die Idee gekommen, die anderen zu informieren. Dabei hatte er doch gesehen, dass sie sich ebensolche Sorgen um Vivien gemacht hatten.

„Ich denke schon.“

„Warte, ich hol mein Handy.“

Justin war überrascht, dass Vitali das direkt in die Tat umsetzen wollte, andererseits war es Vitali und wahrscheinlich war es besser, die anderen schnellstmöglich darüber in Kenntnis zu setzen.

„Okay, erledigt.“, sagte Vitali, als er wieder am Apparat war. 

Es herrschte kurzes Schweigen.

Vitali durchbrach die Stille. „Also du und Vivien, ihr wart vorher kein Paar?“

Justin verneinte beschämt.

„Aber ihr seid doch immer Hand in Hand gelaufen und habt euch wie ein Pärchen benommen!“, rief Vitali. „Ihr habt euch dauernd so angeschmachtet und umarmt und Vivien hat dir auf dem Jahrmarkt doch diese Lebkuchenherz gekauft, auf dem ‚Mein Schatz‘ stand! Und sie hat sich dauernd an dich gekuschelt!“

Justin stockte. Aus Vitalis Mund klang das tatsächlich komplett anders als das, was er wahrgenommen hatte. Wenn er jetzt darüber nachdachte:

Was war er nur für ein begriffsstutziger Trottel gewesen?

Vitali sprudelte weiter. „Und ihr wart doch beide ineinander verknallt. Oder nicht? Und Vivien wusste doch, dass du sie magst. Ich kapier das nicht. Wieso wart ihr dann nicht zusammen?“

Kleinlaut gestand Justin: „Ich dachte nicht, dass sie mich auch mag.“

„Häääääää?!“, rief Vitali fassungslos. „Noch offensichtlicher geht ja wohl nicht!“

Irgendwie war es frustrierend, das von Vitali zu hören. Justin rang sich dazu durch, ihm zu offenbaren, woran es wohl schlussendlich gelegen hatte. „Ich dachte nicht, dass ich gut genug bin.“

„Hä? Wieso sollst du nicht gut genug sein?“ Vitali schien das überhaupt nicht nachvollziehen zu können, als wäre es für ihn selbstverständlich, dass Justin für alles gut genug war. „Sie ist doch komplett verrückt nach dir. Wenn es um dich geht, ist sie total aufgedreht und hat dieses krasse Leuchten in den Augen, als würde sie am liebsten über dich herfallen und dich die ganze Zeit abknutschen.“

Justin konnte nicht fassen, dass Vitali das so deutlich erkannt haben sollte. „Vitali.“

„Ja?“

„Fällt dir immer so viel auf?“

„Hä?“

„Diese ganzen Kleinigkeiten.“

„Das sind doch keine Kleinigkeiten.“, meinte Vitali verständnislos. „Kleinigkeiten fallen mir nie auf.“

Justin fragte sich, was Vitali als Kleinigkeiten definierte.

Vitalis Stimme nahm wieder einen ruhigeren Klang an. „Und Vivien geht’s wirklich wieder gut?“

„Ich hoffe es.“, meinte Justin kleinlaut. Konnte er sich da wirklich sicher sein?

„Also habt ihr euch wieder vertragen.“, schlussfolgerte Vitali.

„Ich denke schon.“

„Was heißt denn ‚Ich denke schon‘? Du musst doch wissen, ob ihr euch vertragen habt!“, schimpfte Vitali.

Justin wurde unsicher. „Ich glaube ja.“

„Mann! Vivien ist doch voll anzusehen, ob sie wieder glücklich ist oder nicht. Also war sie wieder glücklich?“

„Ich glaube schon.“, antwortete Justin.

„Justiiiin!“, rief Vitali. „Wieso glaubst du nur und weißt es nicht?“

„Woher soll ich denn wissen, was wirklich in ihr vorgeht?“, klagte Justin verunsichert. „Ich habe es vorher doch auch nicht erkannt.“ Er ließ den Kopf hängen. „Sogar du hast es besser verstanden als ich.“

„Was heißt denn, ‚sogar‘ ich?“, maulte Vitali.

„Äh, so war das nicht gemeint!“ rief Justin eilig. „Es… Es ist nur, dass ich doch mehr Zeit mit ihr verbracht habe, aber ich habe gar nichts verstanden.“

Vitali stöhnte. „Mann, Justin, du bist einfach so unsicher.“

Justin schwieg.

Vitali sprach weiter. „Ich weiß manchmal nicht, wer schlimmer ist, du oder Tiny.“

Justin stockte. Vitali verglich ihn mit Serena? Das… – Sie waren doch ganz unterschiedlich.

„Ihr redet euch immer irgendeinen Mist ein. Ihr denkt zu viel!“

Diesen Satz von Vitali zu hören, war irgendwie nicht wirklich dazu geeignet, Justin dazu zu bewegen, weniger zu denken.

Vitali gab ein wütendes Geräusch von sich. „Du denkst auch, ich denke zu wenig.“

Woher?

Justin konnte dem nicht widersprechen.

Vitali setzte fort. „Ich weiß nicht, was daran so toll sein soll, sich über Dinge Gedanken zu machen, die man eh nicht ändern kann.“

Justin wandte ein: „Aber man muss sich Gedanken machen, damit man nichts Dummes macht.“

„Ja klar.“, sagte Vitali geradezu beleidigt. „Deshalb bist du ja auch erst gestern mit Vivien zusammengekommen.“

Das saß. Justin kam sich wie ein Trottel vor.

Vitalis Stimme nahm wieder einen versöhnlicheren Ton an. „Wieso glaubst du immer, alles kontrollieren zu müssen?“

„Weil man sich nicht auf gut Glück irgendwo hineinstürzen kann.“, antwortete Justin.

„Die meisten Sachen kann man doch eh nicht im Voraus wissen.“, entgegnete Vitali. „Außerdem ist es ein Unterschied, ob man über was nachdenkt wie Vivien oder ob man sich alles schlecht redet wie du und Tiny.“

Ein weiterer Treffer.

Justin fragte sich, ob Vitali das mit Absicht tat oder ob er unbeabsichtigt seine wunden Stellen attackierte.

„Wieso vergleichst du mich mit Serena?“, fragte er.

Vitalis Stimme wurde ungewohnt ruhig. „Weil ihr beide nicht glaubt, dass man euch mag.“

Justin musste schlucken.

Vitali wurde noch leiser. „Egal wie sehr man sich anstrengt...“

Justin war zu bestürzt über Vitalis Worte, um etwas entgegnen zu können. Er fühlte sich daran erinnert, wie Vivien ihm am Tag zuvor vorgeworfen hatte, dass nichts, was sie tat, gut genug für ihn war.

Vitali fuhr fort. „Ich kapier ja, dass ihr das nicht mit Absicht macht. Aber … könntet ihr nicht einfach aufhören, euch fertigzumachen?! Das ist echt anstrengend!“

„Tut mir leid.“, sagte Justin bedrückt.

„Ey, du sollst dich nicht entschuldigen!“, ermahnte Vitali ihn. „Das ist es doch! Ihr braucht euch nicht immer dafür entschuldigen, dass ihr so seid wie ihr seid! Keiner von uns hat damit ein Problem!“

Justin wusste nicht, was er darauf antworten sollte.

„Sei einfach wie du bist.“, verlangte Vitali.

Aber war das nicht der Grund, warum Vivien die ganze Zeit gelitten hatte, weil er so war wie er war? Wenn er anders gewesen wäre, wäre das nicht besser gewesen?

„Hörst du mir eigentlich zu?!“, rief Vitali.

„Ich… Wenn ich so bin wie ich bin, dann bin ich… dann zweifle ich an mir. Du hast doch gesagt, ich soll das nicht.“

Vitali stöhnte. „Alter, warum machst du dich wieder selbst fertig?“

„Weil… Ich hab Vivien dadurch doch nur Ärger gemacht…“

Vitalis Stimme triefte nur so vor Ironie. „Ja klaaar, deshalb ist sie auch volle Kanne in dich verknallt, weil du ihr niiiiichts als Ärger machst!“ Er wurde wieder lauter. „Erde an Justin! Hörst du dir eigentlich zu? Vivien hat kein Problem damit, dass du so bist wie du bist. Das hast du! Du redest dir dauernd ein, dass du schlecht bist! Jetzt schon wieder!“

Die Erkenntnis traf Justin. Dabei hatte er Vivien gegenüber doch eben noch behauptet, an sich glauben zu wollen. Und nun tat er schon wieder das Gegenteil! Er ließ den Kopf hängen und schwieg.

Vitali sprach tief und drohend. „Justiiiiiin… Es ist okay! Mann, dann machst du dich eben manchmal fertig. Aber du machst dich auch noch dafür fertig, dass du dich fertig machst! Chill doch mal!“

Justin wusste nicht, was er darauf antworten sollte.

Vitali fuhr fort. „Jedem geht mal was schief. Das gehört halt dazu.“ Er wurde wieder lauter: „Ey, alle reiben mir dauernd unter die Nase, dass ich alles falsch mache! Und weißt du was: Na und?! Die sollen’s doch besser machen!“

Die Aussage brachte Justin zum Schmunzeln.

„Du bist du, und keiner weiß, wie das ist. Außer dir! Du brauchst nicht machen, was jemand anderes sagt.“, verkündete Vitali. „Du willst dich weiter fertig machen, dann mach! Sei einfach du!“

Justin war von diesem Vorschlag einen Moment überfordert.

Einfach er sein?

„Wirklich?“

„Ja!“, bestätigte Vitali. „Wir mögen dich so.“

Verlegen rang Justin nach Worten. „Danke.“

„Jo.“, machte Vitali.

Justin zögerte einen Moment. Doch nach all den lieben Worten, die Vitali ihm gerade gesagt hatte, wollte er noch etwas klarstellen.

„Ähm, Vitali.“

„Hm?“

„Wenn ich dich manchmal … Wenn ich dich tadle, …“

Vitali lachte. „Ich bin ich.“

Justin musste lächeln.

Ja, Vitali war Vitali. Und Justin war froh darüber.

 

Nach dem Abschied blieb Vivien mit einem stillen Lächeln in ihrem Zimmer zurück und setzte sich wieder auf ihr Bett. Ihr Blick fiel auf ihr Handy.

Mit einer sachten Bewegung nahm sie es zur Hand und lächelte beseelt. Danke, tippte sie und schickte die Nachricht an Erik.

Sie atmete erleichtert auf. Zu ihrer Überraschung signalisierte ihr Handy ihr, dass sie eine Nachricht erhalten hatte. Dabei war sie nicht davon ausgegangen, dass Erik ihr darauf antworten würde.

Wir sollten reden.

Ein mulmiges Gefühl wurde in Vivien wach. Wenn Erik reden wollte, dann…

Sie versuchte, die Unsicherheit abzuschütteln.

Es war ihr doch gerade erst gelungen, endlich aus diesem Albtraum an Gefühlen aufzuwachen! Sie wollte nicht riskieren, dass sie wieder in diesen Strudel gesogen wurde. Nicht jetzt! Sie war noch zu instabil dafür.

Sie atmete aus. Wieso hatte sie solche Angst davor, mit Erik zu reden?

Kurz hielt sie inne.

Weil er sie durchschauen konnte und sie sich davor fürchtete, dass er mehr sah, als sie gerade zu ertragen im Stande war.

Weitere Momente zögerte sie.

Sie war noch nicht in der Lage, die Wahrheit zu verschleiern, das wusste sie. Wenn sie jetzt mit ihm sprach, war sie komplett ungeschützt seinem prüfenden Scharfsinn ausgesetzt – dafür brauchte er sie nicht einmal sehen. Er würde alles erkennen, was sie bisher verborgen gehalten hatte.

Vivien seufzte. Sie hatte nicht mehr die Kraft, sich vor ihm zu verstecken. Vielleicht wollte sie das auch nicht mehr. Nach allem, was er heute für sie getan hatte. Die Rührung löste kurz das Gefühl von Tränen in ihr aus. Sie zog die Nase hoch und wählte Eriks Nummer für einen Anruf aus.

Ihre Nervosität wuchs, während sie darauf wartete, dass er abnahm. Ein Teil von ihr wünschte sich, dass er es nicht tat, weil sie noch nicht dazu bereit war, nicht wusste, wie sie es jemals sein sollte. Es war zu viel die letzten beiden Tage passiert. Nein. Die letzten Wochen seit Secret aufgetaucht war! Und doch spürte sie die tiefe Zuneigung, die sie für ihn empfand, weil er trotz all dem ein so guter Mensch war.

Sie hörte wie der Anruf entgegengenommen wurde, doch es fiel kein Wort.

„Erik?“ Ihre Stimme hörte sich in ihren eigenen Ohren unsicher an.

Wieder schwieg er.

„Alles okay…?“, fragte sie nun noch kleinlauter.

Keine Antwort.

Vivien bekam es allmählich mit der Angst zu tun.

Endlich erklang seine Stimme – fest und streng: „Du musst aufhören, den anderen nur deine Maske zu zeigen.“

Ein Satz. Keine Einleitung, keine Vorwarnung. Umso tiefer ging seine Aussage. Für einen Augenblick war sie unfähig, darauf zu reagieren. Auch von der anderen Seite kam kein weiterer Laut.

Momente verstrichen, in denen keiner von ihnen etwas sagte. Dann hörte sie ein Seufzen von Erik kommen.

Hatte … hatte er das überhaupt auf sie bezogen oder auf sich? Wollte er in Wirklichkeit mit ihr über etwas reden? Darüber hatte sie nicht nachgedacht. Aber… etwas sagte ihr, dass Erik sich ihr nie auf diese Weise mitteilen würde. Vor allem nicht wenn er wusste, dass es ihr zuvor noch so schlecht gegangen war.

„Vivien, denkst du, die anderen haben nicht längst gemerkt, dass du die ganze Zeit versuchst, sie fernzuhalten?“

Sie wollte ihm widersprechen, sie hielt niemanden …. – Sie konnte nicht.

„Du versuchst, alles mit dir alleine auszumachen. Der einzige, den du noch halbwegs an dich ranlässt, ist Justin. Denkst du, es ist fair von dir, von allen zu erwarten, sich dir zu öffnen, aber umgekehrt, alle auf Abstand zu halten?“

Sie spürte das Kribbeln in der Nase und das unangenehme Gefühl in ihren Augen, das Tränen ankündigte.

„Du spielst die Oberflächliche, damit andere nur deine Oberfläche sehen, aber Serena hat längst verstanden, wie verletzlich du wirklich bist, und Vitali – er sieht dich wohl am klarsten so wie du bist, weil er als einziger nicht ständig damit beschäftigt ist, sich selbst zu schützen.“

Vivien stockte bei Eriks Worten.

„Serena hat immer noch Angst, verletzt zu werden, Justin hat Angst, sich zu blamieren, und Ariane versucht dauernd, perfekt zu sein. Jeder von ihnen interpretiert aus dieser Perspektive heraus dein Verhalten.“

Kurz pausierte Erik und sie glaubte, dass er für einen Moment darüber nachgedacht hatte, ihr mitzuteilen, warum er ihre Nähe anfangs unangenehm gefunden hatte. Auch wenn sie das längst wusste. Er wollte genauso wenig gesehen werden wie sie.

„Und Vitali.“ Er stöhnte. „Der stellt sich bloß blöd an, weil er denkt, männlich würde bedeuten, sich wie ein Neandertaler aufzuführen.“

Vivien konnte sich das Lachen nicht verkneifen.

Eriks Stimme wurde nun ruhiger. „Du weißt, warum du Justin liebst, oder?“

Vivien wurde von dieser Frage überrumpelt. Es gab Millionen Gründe, Justin zu lieben!

„Ihr seid euch schrecklich ähnlich.“, verkündete Erik bedeutungsvoll. „Ihr wollt immer das Beste für andere und vergesst dabei eure eigenen Gefühle.“ Seine Stimme sank ab in einen abschätzigen Ton. „Ihr seid so bescheuert.“

Vivien spürte wieder Tränen in ihren Augen. Nicht nur weil seine Worte ihr etwas bewusst machten, das sie bisher verdrängt hatte, sondern auch weil Erik genauso war.

„Du vertraust ihnen nicht.“, sagte Erik ihr auf den Kopf zu. „Warum?“

Vivien bemerkte, wie ihre Atmung sich beschleunigte. Ihre Augen wanderten suchend über ihre Umgebung, wie auf der Flucht vor der Frage, deren Antwort ihr Angst einjagte.

Sein Ton wurde sacht. Offenbar hatte er ihr schwerer werdendes Atmen auf der anderen Seite gehört. „Du bist wirklich wie Justin.“

Vivien schluchzte auf und bemühte sich sogleich wieder, ihre Stimme unter Kontrolle zu bekommen.

Erik gab ein Grollen von sich. „Es macht mich wütend, dass du so über dich denkst.“

Auf seine Worte hin konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten. Doch sie weinte nicht hemmungslos, dazu hatte sie zuvor schon zu viele Tränen vergossen.

„Vivien.“ Er klang fast tadelnd. „Sie alle“, sagte er mit fester Stimme, dann unterbrach er sich.

Sie lauschte, doch erst nach mehreren Sekunden sprach er weiter, verbesserte sich: „Wir alle“ Um einen weiteren Augenaufschlag verzögert, folgten seine nächsten Worte:

„… lieben dich.“

Es verschlug ihr den Atem. Nie hätte sie geglaubt, ausgerechnet Erik diese Worte aussprechen zu hören. Sie fühlte ihr Herz pochen. Sie schwankte zwischen Emotionalität und Gleichgültigkeit, zu heftig war der Eindruck, den Eriks Zug auf sie machte. Sie fühlte sich wie taub. Als würde ein Teil von ihr glauben, dass seine Worte alltäglich wären, während ein anderer Teil von ihr überhaupt nicht damit klarkam. Nicht damit klarkam, dass irgendwer sie lieben sollte.

„Auch wenn du es nicht glaubst.“

Vivien verzog das Gesicht. Ein Teil von ihr begriff, dass er ihr die Worte sagte, die er sich selbst hätte sagen können. Wieder entfloh ihr ein kurzer hoher Laut, der nur aus dem Kontext als Seufzer zu erkennen war. Hieß das nicht, dass Erik begriffen hatte, dass die anderen auch ihn liebten, dass auch er keine Rolle mehr spielen brauchte, dass auch seine Zweifel, nichts daran änderten? Sie schluchzte auf. Noch lauter. War Erik nun endlich wirklich Teil der Gruppe? Natürlich nicht vollständig. Er brauchte seine Zeit, er war immer noch er. Er würde nicht aus seiner Haut können. Aber … sie fühlte sich ihm so nah wie nie zuvor. Dass er von ‚Wir‘ gesprochen hatte, dass er damit gesagt hatte, dass auch er sie liebte.

Sie schluchzte.

„Vivien, du bist gut genug.“

Sie erzeugte lautstarke Atemgeräusche, bei dem Versuch zu atmen, klammerte sich an das Handy, wie um dadurch Halt zu bekommen, um dem Schwall an Emotionen standhalten zu können.

„He.“, sprach Erik behutsam, mit sanfter Stimme. „Glaub an dich.“

Vivien gab ein tränenersticktes Lachen von sich und nickte, auch wenn Erik das nicht sehen konnte.

„Danke.“, japste sie.

„Ich brauche keinen Dank.“, antwortete er harsch. „Ich erwarte, dass du tust, was ich sage.“

Wieder musste sie lachen. „Mach ich.“, presste sie mit belegter Stimme hervor.

„Gut.“, antwortete Erik knapp, was Vivien abermals zum Lachen brachte.

„Wir sehen uns morgen.“

„Erik…“, setzte sie an, ehe er auflegen konnte. „Ich hab dich lieb.“

„Du erwartest nicht, dass ich das erwidere.“, entgegnete Erik fast tadelnd.

Sie lachte, wissend, dass er das längst getan hatte.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Die Gruppe wächst weiter zusammen und selbst Vivien muss sich ihre Schwächen eingestehen. Ob Erik sich nun auch bei den Beschützerangelegenheiten mehr einbringt? Das erfahrt ihr nach einer zweimonatigen Pause am 03.03.2023!

AUSBLICK:
In der Wartezeit werde ich wöchentlich Balance Defenders Kurzgeschichten hochladen, in denen sich Grauen-Eminenz mittlerweile zu einer Hauptfigur gemausert hat. 😆 Ihr dürft also gespannt sein. Hier der Link: http://www.animexx.de/fanfiction/396608/

Das nächste Oberkapitel der Hauptstory heißt übrigens "Freundschaftliche Offenbarungen" (zumindest ist das der Arbeitstitel, der sich vielleicht noch ändert) und ihr dürft euch auf ein Training mit Erik freuen. 😄

PERSÖNLICHES NACHWORT:
Ich danke an dieser Stelle allen, die die Abenteuer der Beschützer verfolgen. Das bedeutet mir unglaublich viel! (´▽`ʃ♡ƪ)💕💕💕💕

Von außen wirkt alles oft sehr viel leichter, man bekommt weniger von den Selbstzweifeln und der Arbeit dahinter mit, und dieses Jahr war (sicher nicht nur bei mir) von großen Umbrüchen geprägt.
Ich bin weit weg von meinem Heimatort gezogen und habe in einem mir neuen Bereich eine Arbeitsstelle angefangen. Das ist noch alles sehr herausfordernd für mich und fühle mich nicht selten durch meine allzu hohen Erwartungen an mich selbst überfordert. 😂 Aber ich wachse daran. 😊

Leider gehen mir nun allmählich die Kapitel aus, weshalb die Pause nötig ist. Ich brauche immer viel Zeit, um mit der Hauptstory voranzukommen, weil meine Ansprüche dort noch mal ein anderes Level erreichen als bei den Kurzgeschichten und ich oft Monate brauche, um ein einziges Kapitel fertigzubekommen.
Da ich mir vorgenommen habe, die Kapitel immer Oberkapitel-weise zu veröffentlichen - damit ihr keine schlimmen Cliffhanger monatelang verkraften müsst - will ich mir diese Schreibzeit nehmen. Ich danke euch für euer Verständnis! 💖🙏 Danke für eure Wertschätzung und Unterstützung! 🥰

Ich wünsche euch einen wunderschönen Ausklang dieses Jahres und einen frischen, glücklichen Start in das Jahr 2023. Glaubt an euch und eure Träume! Ihr seid wertvoll und ohne euch wäre die Welt ärmer. Denkt immer daran. 🌟 Aus tiefstem Herzen

Eure Regina 🌈


PS: Ja, @totalwarANGEL das Datum der nächsten Veröffentlichung ist mit Absicht so gewählt, damit du am 04. was zu lesen hast. 😘 Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  totalwarANGEL
2022-12-31T01:02:14+00:00 31.12.2022 02:02
> Was war er nur für ein begriffsstutziger Trottel gewesen?
Männer... 😁😂

> „Häääääää?!“, rief Vitali fassungslos. „Noch offensichtlicher geht ja wohl nicht!“
In your face, Justin!

> „Fällt dir immer so viel auf?“
> „Diese ganzen Kleinigkeiten.“
Das ist JEDEM aufgefallen.

> „Ihr redet euch immer irgendeinen Mist ein. Ihr denkt zu viel!“
Genau! Weniger denken!! 🤪

> „Die meisten Sachen kann man doch eh nicht im Voraus wissen.“
A real man doesn't need a plan! He adapts!

Maaaaan! Vitali ist ein Poet!! 😮

> Wir sollten reden.
Erik Donner Relationship Advice, Part 2

> „Der stellt sich bloß blöd an, weil er denkt, männlich würde bedeuten, sich wie ein Neandertaler aufzuführen.“
Was? Nicht?! O nein, mein Weltbild?! 😭
> „Ihr seid so bescheuert.“
❤👍

> „Ich brauche keinen Dank.“, antwortete er harsch. „Ich erwarte, dass du tust, was ich sage.“
😂😂😂👍
Sprach das Wesen mit Donnerstimme! ⚡⚡⚡



> 03.03.2023 [...] damit du am 04. was zu lesen hast
Ja klasse, ein Datum, dass nicht mal ich vergessen kann. 😁

> den Selbstzweifeln und der Arbeit dahinter
Das Problem hab ich nicht. Ich hab mich damit abgefunden, dass mein Zeug außer dir niemand ließt...

Na dann... eine früchtende Tragende Pause dir. 😘
Antwort von:  Regina_Regenbogen
01.01.2023 16:34
>Männer... 😁😂
😂 Simple Gemüter

>> „Fällt dir immer so viel auf?“
>> „Diese ganzen Kleinigkeiten.“
>Das ist JEDEM aufgefallen.
XD Dabei hast du am Anfang auch gedacht, sie würde nur mit Justin spielen.

>A real man doesn't need a plan! He adapts!
>Maaaaan! Vitali ist ein Poet!! 😮
Wenn Leute nicht immer alles sagen, was sie denken, ist man manchmal überrascht, wenn sie es tun. 😂

>Erik Donner Relationship Advice, Part 2
Genau, wer braucht Doktor Sommer, wenn der Doktor Donner haben kann? 🤣

>Das Problem hab ich nicht. Ich hab mich damit abgefunden, dass mein Zeug außer dir niemand ließt..
Das wäre dann aber eine riesige Verschwendung.

>Na dann... eine früchtende Tragende Pause dir. 😘
Danke. 😘
Antwort von:  totalwarANGEL
02.01.2023 18:59
> Dabei hast du am Anfang auch gedacht, sie würde nur mit Justin spielen.
Ich meinte eigentlich die Charaktere...

> Na dann... eine früchtende Tragende Pause dir.
Oh man, war ich da dicht...
Eine früchtetragende Pause meine ich.


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