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Spiel ohne Limit

von

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"Oh Mann", Rin legte den Kopf auf den Tresen, die Stirn voran, dass kaltes Holz auf heiße Haut traf. Ein tiefer Seufzer folgte - bereits zum dritten Mal. Die Haare fielen ihr übers Gesicht, dass nicht mehr viel von der jungen Frau übrig blieb, die gerne ihren Kopf tiefer in den Tresen gerammt hätte. "Ich bin der größte Vollidiot", jammerte sie kaum verständlich und bewegte ihren Kopf hin und her. Ihre Augen waren halbgeöffnet, obwohl sie nichts erkennen konnte. Lediglich ein kleiner Lichtschein drang durch eine dünnere Strähne direkt in ihr linkes Augenlid durch, dass sie die Umrisse ihrer Kaffeetasse ausmachen konnte, die bereits wieder fleißig gefüllt war. Sie war Makoto dankbar, die bisher Rins Verhalten unkommentiert gelassen hatte und stattdessen einen Kaffee nach dem nächsten aufkochte. Der Geruch der schwarzen Flüssigkeit schob sich neckend zwischen das Haarbüschel, dass sie ihren Kopf neigte und den aufsteigenden Dampf beobachtete.

"Ich verstehe es nicht", murmelte Rin und tat einen vierten Seufzer, während ihre Finger träge nach der Tasse griffen. Sie hatte bereits vergessen, wie viel Koffein sie bereits intus hatte. Nach dem dritten Mal hatte die junge Frau aufgehört zu zählen, stattdessen schüttete sie die Hitze durch ihre Kehle. Schon immer zog sie die Wirkung des schwarzen Goldes jeglichem Alkohol vor - besonders, wenn sie gestresst oder traurig war. Zwischen diesen simplen Gefühlen schlich sich eine ordentliche Portion Frust mit ein, der in leichten Zorn umschwenken konnte. Momentan wollte sie sich zweiteilen und ihr Ich einmal kräftig am Arm packen und schütteln, bis es zur Vernunft gekommen wäre. Die eine Hand den Henkel umfassend, während die andere angewinkelt war, dass sie den Kopf stützen konnte, der nur widerwillig von seinem kühlen Tresen wich -

in dieser Position verharrte sie, blickte auf ihr Heißgetränk, das seichte Wellen schlug, wobei die grünen Seelenspiegel kaum die Bewegungen wahrnahmen. Zu sehr drifteten ihre Gedanken immer wieder zu dem einen Punkt ab, bis sie schließlich feststellen musste, seit gestern Abend keinen Schritt weitergekommen zu sein.

Das Scheppern der Tür war das einzige, das sie bewusst wahrnahm. Die schleichende Kundschaft, die so sporadisch hereinspazierte, dass die Wochen im Vergleich dazu ein hektisches Durcheinander waren. Meist kamen nur ältere Herren; Schichtarbeiter, zum Wochenende verdonnerte Angestellte aus dem Dienstleitungesbereich, die sich einen Kaffee für den Weg mit nahmen und so schnell wieder verschwanden, dass sie genauso gut Halluzinationen hätten sein können.

"Ich verstehe es nicht", seufzte die junge Frau als ein weiterer Gast von dannen zog.

"Du musst schon deutlicher werden", lächelte sie die Kassiererin an. Makoto hatte sich leicht zu der jungen Frau vorgebeugt. Die Hände in die Hüften gestemmt wartete sie darauf, dass Rin endlich mit der Sprache rausrückte.

"Erinnerst du dich an den Typen, mit dem ich hier mal Kaffeetrinken war?"

"Der gutaussehende Mann mit den schwarzen Haaren? Er wirkte nett. Irgendwie habt ihr gut zusammengepasst."

"Das habe ich auch gedacht", es folgte Seufzer Nummer sechs, "er ist genauso, wie ich es mir früher immer ausgemalt habe - sogar noch besser. Damals wäre ich ihm schmachtend um den Hals gefallen. Hätte mir Hochzeitskleider überlegt, Kindernamen ausgedacht-", sie hielt inne und trank einen kräftigen Schluck, "wir können uns den ganzen Tag unterhalten, ohne dass es langweilig wird. Er ist fürsorglich, aufmerksam...seit Wochen zeigt er Verständnis...und ich...ich bin zu diesen Frauen mutiert, die solche Männer am Haken halten, ohne sie zu angeln." Sie knallte die Tasse auf den Tresen und sah zu der Braunhaarigen hinauf: "Ich weiß nicht, was mit mir passiert ist. Als wir uns gestern geküsst haben, merkte ich, dass ich nichts von ihm will...nicht auf diese Art."

"Manchmal springt der Funke einfach nicht über", Makoto schnappte sich Rins Tasse und drehte sich mit dieser zu der Kaffeemaschine um. "Womöglich hast du deshalb so lange gewartet. Weil du es insgeheim wusstest."

"Dass ich so dumm bin, meinst du?", murrte Rin und beobachtete die routinierten Handgriffe der Kassiererin. Nachdem Milch und Zucker in feinen Nuancen eingerührt wurden, überreichte sie ihr das schwarz-braune Dopingmittel. "Wie kann ich nicht wollen?" Sie schüttelte den Kopf und hauchte: "Was hat sich nur verändert?"

"Vielleicht bist du es, die sich verändert hat." Makoto stützte sich mit den Handflächen am Tresen fest, "vielleicht willst du jetzt etwas anderes."

"Dann wäre die Frage, was ich dann will. Das Gegenteil? Einen Arsch, der sich nur für sich selbst interessiert und mich wie Dreck behandelt? Ich hab diese Weiber immer ausgelacht, die den Traum hatten, aus diesen Kerlen das Gute herauskitzeln zu können. Dass sie sich wegen ihnen ändern könnten...so blauäugig bin ich nicht. Ich will einfach nur...dass es passt."

"Das sieht man nicht immer auf den ersten Blick."

"Makoto, wo nimmst du nur immer diese Kalendersprüche?", Rin musste grinsen, - das erste Mal an diesem Tag - sogar Makoto lächelte breit: "Da spricht nur die Erfahrung. Als die Ältere von uns beiden darf ich mit solchen Weisheiten daher kommen." Es waren fünf Jahre Altersunterschied, welcher bei den beiden Frauen kaum sichtbar war, da Makoto ebenfalls ein junges, mädchenhaftes Gesicht besaß.

"Kaito und ich", begann die Braunhaarige und sah zu den kleinen Cupcakes herüber, die in zweierlei ineinander laufenden Farben eingedeckt waren, "wir gehen seit der Oberstufe miteinander. Ich kannte ihn aus den Vorjahren, die Mädchen flogen auf ihn, liefen ihm hinterher und brachten ihm allerhand Geschenke. Auf mich hat er wie der typische Schwarm gewirkt. Es hatte mich wütend gemacht, dass es ihm egal schien, dass er von allen Seiten angeschmachtet wurde. Als wir im letzten Jahr in dieselbe Klasse kamen, ging dasselbe Spiel von vorne los. Obwohl wir uns nie unterhalten haben, konnte ich ihn nicht ausstehen. Erst recht nicht als er mich um ein Date gebeten hat. Ich dachte, der Typ wollte mich auf den Arm nehmen." Sie lachte auf. Rin stellte sich vor, wie sie mit derselben Lache Kaito den Laufpass gegeben hatte.

"Ich habe natürlich nein gesagt, aber Kaito blieb hartnäckig. Er wusste, warum ich so zu ihm war und versuchte um jeden Preis, mich vom Gegenteil zu überzeugen...Was mich nur noch sturer werden ließ."

"Wie seid ihr zusammen gekommen? Oder hast du einfach irgendwann nachgegeben?"

Makoto fuhr sich durch den Pferdeschwanz: "Durch Zufall habe ich ihn nach der Schule getroffen. Er arbeitete in einer Bäckerei und schuftete wie ein Wilder. Das ging jedes Wochenende so. Von früh bis spät. Als er bemerkte, dass ich ihn beobachtete, haben wir geredet. Zum ersten Mal richtig, ohne Sticheleien oder die üblichen Sprüche. Er erzählte mir von seinem Traum, ein eigenes Café zu besitzen, selbst zu backen, um den Menschen ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Auf einmal wirkte er erwachsen - gar nicht wie der selbstgefällige Sunnyboy. Ich kam mir so dumm vor. Von uns beiden war ich die Oberflächliche gewesen - das war mir in den Moment klar geworden." Schmunzelnd schüttelte Makoto den Kopf. Den Blick hatte sie zur Seite gerichtet, dass Rin den verträumten Ausdruck wieder erkannte.

"Seitdem hatte ich den Wunsch, mit ihm diesen Traum zu leben. Wenn ich daran zurückdenke, wird es der Moment gewesen sein, als ich mich in ihn verliebt habe - auch wenn ich das zu dem Zeitpunkt nicht wusste."

"Ihr seid ein süßes Paar", Rin meinte das aus tiefstem Herzen. Wenn Kaito und sie zusammen waren, umwehte beide eine Aura, die genau diese Zuneigung ausdrückte, die Makoto beschrieb.

"Und Kaito hat recht", ergänzte die junge Frau und deutete auf die Leckereien, "seine Kunstwerke zaubern einem tatsächlich ein Lächeln", sie zeigte auf eines der Nussbutter-Törtchen, dass Makoto sofort verstand. "Aber es ist schon schade, dass seine Fähigkeiten nicht richtig gewürdigt werden. Bei der misepetrigen Kundschaft. Wäre da nicht ein anderer Standort besser? Dort, wo die Leute es wirklich zu schätzen wissen, was ihr hier leistet?" Während Makoto das Törtchen auf einen kleinen Teller legte, schweifte ihr Blick kurz durch das Café. "Ganz so ist es nicht", sie überreichte Rin das kugelförmige Gebäck, "Kaito nimmt an enorm vielen Wettbewerben und Kontests teil. Woanders hätte er wahrscheinlich nicht die Zeit dafür. Außerdem", sie sah dabei zu, wie Rin Stück für Stück in die Gabel schob, "bekommen wir von Mokuba Kaiba alle zwei Wochen einen Großauftrag. Keine Ahnung, wofür er das alles immer braucht - ich denke, für ein paar Charityprojekte...Und dann wären da noch die Geburtstage und Neujahrsbestellungen, wo wir die Sachen in die Kaiba Villa fahren."

"Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass Mokuba eure Kreationen zu schätzen weiß." Makoto nickte: "Wir haben es auch ihm zu verdanken, dass wir damals das Objekt vermietet bekommen haben. Als die Ladenfläche frei stand, ist er beim Vorstellungsgespräch dabei gewesen. Er war so begeistert von Kaito, dass er ihm einen unbefristeten Mietvertrag gegeben hat. Ich sag' dir, seltsam war es schon, mit einem Zehnjährigen den Vertrag auszuhandeln. Auch wenn am Ende Seto Kaiba derjenige war, der das letzte Wort hatte."

Apropos

Rin sah aus dem Ladenfester, dass das Kaiba Building nur einen winzigen Teil seines gigantischen Ausmaßes präsentierte. Bis zur verabredeten Zeit blieben noch genug Stunden, sich mit Kaffee und Kuchen den Koffein- und Zuckerspiegel ordentlich in die Höhe zu treiben.

Ich sollte mich etwas zurücknehmen. Keine Ahnung, wie sich die Technik mit übertriebenen Kaffeekonsum verträgt.

Ihr Smartphone vibrierte neben ihrem Teller, dass sie die Nachrichten ihrer besten Freundin durchflog, die sich in der nächsten Stunde angekündigt hatte.

Gestern hatte Rin der Schwarzhaarigen vorgeschlagen, zum Lernen ins Café zu kommen. Nicht nur, dass sie die Leckereien seit Wochen anprieß. Die angenehme Ruhe und der wenige Trubel waren genau der richtige Ort für den scheuen Wuschel. Noch dazu war der Weg zur Kaiba Corp. weitaus kürzer als der zur Uni-Bibliothek - vor allem seit sie bei ihrer Cousine übernachtete. Nach zwei Tagen ohne einander gesehen zu haben, freute sie sich darauf, ein wenig Zeit mit ihrer besten Freundin zu haben, bevor Studium und Arbeit das Feld besetzten. Gerade bei der jungen Frau, welche das Tablet zur Hand nahm und auf der offiziellen DuelMonsters-Worldcup-Seite die übrig gebliebenen Spieler durchsah. Gestern hatte Yoshihiko seinen Platz in der nächsten Runde gesichert - ebenso Hii Yuta. Beide waren gegen Duellanten der Sponsorengruppe angetreten, die seit Jahren in den Top fünfzig rauf und runter fuhren - je nachdem, wie viel Geld ihnen gerade zur Verfügung stand. Jeder einzelne von ihnen, ließ Rins Miene verfinstern, dass ihr Zorn auf sich selbst erst einmal beiseite geschoben wurde. Stattdessen blätterte sie die Dateien durch, überflog Yoshis zweitklassiges Spiel, bei dem er schlampige Züge fabrizierte und mehr als einmal mit seinem teuer erkauften und überboosterten Deck punktete statt mit clever durchdachten Runden. Duellant Nummer eins der Kaiba Corp. hatte wie so oft ein Spiel abgeliefert, das seine Arroganz und Selbstgefälligkeit zur Schau stellte, ohne dass es fremder Hilfe bedarf. Selbst an Turnieren wie dem Worldcup besaß er keinen Respekt vor seinen Gegnern, machte stattdessen den Eindruck als hätte er bereits das Ticket für die internationalen Spiele sicher - obwohl er nur knapp einer Niederlage entkommen war.

Irgendwann mache ich diese Flachpfeife fertig

Mit dem Zeigefinger wischte sie seine selbstverliebte Visage vom Bildschirm und wechselte zu Paradius' Duellanten, der ein ganz anderes Spiel ablieferte. Penibel genau beobachtete sie Yutas Züge, versuchte einen Zusammenhang zu seinen bisherigen Gegnern festzustellen. Rin raufte sich die Haare.

Da stimmt was nicht. Die Art, wie er spielt. Gibt er sich etwa keine Mühe?

Seine Züge waren weniger von jener Aggressivität geprägt, wie sie die junge Frau in vorherigen Spielen gesehen hatte. Eher im Gegenteil: Hii war ruhig, spielte das Duell mit souveränen Taktiken, dass er schließlich den Sieg einheimste, ohne dem Gegner die vernichtende Niederlage ins Gesicht zu werfen.

Hat er seine Strategie geändert? Eher unwahrscheinlich. Warum sollte er plötzlich weich werden, wenn ihn jedes Duell den Sieg kosten könnte. Was steckt da bloß dahinter?

Sie versuchte aus seinem Gesicht zu lesen. Eine Veränderung der Muskeln, ein leichtes Zucken oder Blinzeln. Dartz' Vorzeigeduellant blieb ohne jegliche Regung. Wie ein Roboter zog er die Karten, setzte sie und spielte die Monster, die im guten bis mittelmäßigen Bereich lagen. Rins Augen fokussierten die Karten.

Er hat kein einziges Mal Orichalcos auf's Feld geholt. Das ist doch Standardprogramm bei denen. Es würde mich nicht einmal wundern, wenn es zu ihren Anweisungen gehört, diese Feldkarte zu spielen. Mai hat sie auch bisher immer aktiviert. Also warum setzt du sie nicht ein?

Ihre Augen wanderten zu seinem Gegner. Fujimoto war ein guter Duellant, der alle zwei Jahre am Worldcup teilnahm. Dazwischen sammelte er auf etlichen Turnieren und Spendenaktionen das Geld für die Teilnahme an den großen Spielen zusammen. Wer nicht dauerhaft gesponsert wurde oder bei einer Firma fest angestellt war, hatte keine Chance, die Battle-City-Runde zu überstehen, ohne am Ende auf der Straße zu landen. Neben dem finanziellen Fakt schien es noch einen weiteren zu geben - seine Duellstrategie. Diese überlegte er sich jedes Jahr aufs Neue. Da er mit seinen Kartenkombos nur mäßigen Erfolg erzielte, überdachte er die Taktiken bei fast jedem seiner Duelle. Somit hatten seine Spiele fast immer einen unerwarteten Kniff, wenn auch nur kurzweilig. Den Rest des Duells kam er nicht zu selten ins straucheln und schien mehr Glück als Verstand mitzubringen. Mit Hiis Deck und dessen spielerischen Fähigkeiten hätte er das Duell viel schneller beenden können.

Moment! Kann es sein-? Er macht Fujimoto nicht fertig, er ist...nett zu ihm?

Rin riss die Augen auf.

Seine bisherigen Gegner stammen aus den fünf größten Firmen des Landes... Fujimoto ist selbstständig. Das heißt, er verschont ihn, weil er...keine Gefahr darstellt?

Je länger sie darüber nachdachte, umso plausibler kam es ihr. Hii hatte damals zu ihr gesagt, für was er sie hielt. Besonders, was er von der Firma hielt, für die sie arbeitete. Sie musste schnellstmöglich seine Duelle analysieren. Wenn sie in den letzten Runden gegen ihn antreten sollte, durfte sie keinen Fehler begehen. Jeder Zug musste sitzen, keine Karte falsch gespielt werden.

Er könnte der härteste Gegner in diesem Turnier werden.

Sie hatte gar nicht gemerkt, wie erneut die Tür aufging und ein kleiner unscheinbarer Schatten sich neben sie stellte.

"Rin, ich wusste nicht, dass du auf Rollenspiele stehst?" Die junge Frau drehte sich zu dem langhaarig schwarzen Geschöpf herüber, welches sie von oben bis unten musterte. Es folgte ein kurzes Schweigen, bevor Lumina nicht mehr in sich halten konnte und drauf los prustete, dass sie sich den Bauch festhalten musste. Rin sah mit einer Mischung aus Ärger und Scham zu sich herunter. "Das war das einzige, das noch halbwegs passabel war", murmelte die junge Frau. Selbst Makoto hatte sich weiter vorgebeugt und betrachtete das Outfit. Lumina hingegen wischte sich eine Träne aus dem Gesicht und lehnte sich breit grinsend an den Tresen.

"Und du meinst, deine Schuluniform ist da noch das passabelste?"

"Ich hätte ja wohl schlecht in meinem Abschlussballkleid antanzen können - oder dem Sommerkimono", sie zupfte an ihrer Bluse, die etwas ausgewaschen war. "Ich habe den Rock extra umgekrempelt, damit man das Logo nicht sehen kann."

"Steht dir - die kurze Variante", feixte die Schwarzhaarige, "sonst hab ich dich ja nur im braven, langen Rock gesehen. Wo ist eigentlich der Blazer?"

"Dort, wo er hingehört. Und können wir bitte über etwas anderes reden?"

"Ich hoffe, du bist dir im Klaren, dass ich nicht die einzige bin, die mitbekommt, was du da für ein Outfit trägst?" Natürlich wusste Rin, worauf ihre Freundin anspielte. "Mein Outfit wird bei der Arbeit keine Rolle spielen."

"Natürlich nicht", säuselte Luminas, dass Rin ihr am liebsten an die Gurgel gesprungen wäre, "aber reden wir nicht länger von großkotzigen Arbeitgebern", daraufhin stellte sie ihren Rucksack auf den Boden und verschränkte die Arme vor der Brust, "erzähl' mir lieber, was gestern passiert ist."

"Na gut."
 

Rin führte ihre Freundin zu ihrem Stammplatz. Einige Tassen Kaffee später (die lediglich von Lumina gelehrt wurden, Rin war derweil auf Wasser umgestiegen) und ein weiteres Stück Torte, dass sich die beiden jungen Frauen teilten, saßen sie beide mit dem Ellenbogen auf dem Tisch und sahen sich fragend an.

"Und nun? Wie lief's heute morgen?", Luminas lilafarbenen Seelenspiegel wirkten konzentriert, das Sarkastische war aus ihnen gewichen.

"Dieses peinliche Schweigen", schüttelte Rin mit dem Kopf, "oh Gott, es war so furchtbar. Ich wusste einfach nicht, was ich sagen sollte. Und Yamato", sie schluckte den Seufzer herunter, "ich weiß jetzt einfach nicht, was ich machen soll."

"Rin und Männerprobleme... hätte nie gedacht, dass es mal so rum laufen könnte", Luminas Augen blitzten auf, doch Rin verkniff sich einen Kommentar.

"Du musst mit ihm sprechen", dabei fing die Schwarzhaarige an, ihr Feuerzeug aus ihrer Shorts zu ziehen. Zeige- und Mittelfinger drehten das metallene Werkzeug wie ein Zauberer seine Karten. "Ich weiß, dass dir sowas schwer fällt, aber da musst du durch." Sie hielt inne und starrte auf die eingravierten Initialen ihrer Lieblingsband. "Schade. Ich mag Yamato."

Ich doch auch

Lumina wechselte ihren Fokus zum Fenster. Leicht blitzten die Augen, bevor sie sich erneut ihrem Feuerzeug widmete: "Ich kann dir gleich sagen, dass du es bereuen wirst, aber wenn du meinst, dass es mit euch beiden nichts werden kann, dann sag' es ihm."

"Ja", murmelte Rin. Sie wusste, sie konnte ihn nicht länger hinhalten, selbst wenn er sich von ihr abwenden sollte. Bei diesem Gedanken wurde ihr mulmig im Magen. Seine Gegenwart war so selbstverständlich, dass sie ihn nicht mehr wegdenken konnte. Sie wollte ihn weiterhin um sich haben - sicher ein weiterer Grund, warum sie ihn zappeln ließ. Ihr war klar, dass er sich langsam von ihr distanzieren würde, bis am Ende der Kontakt vollständig abgebrochen wäre. Yamato war zwar nett, aber er hatte auch nie verschleiert, welche Absichten er hatte. Wenn sie ihm offen sagte, dass sie nichts für ihn empfand, war es vorbei mit ihrer Freundschaft. Rin legte ihren Kopf zwischen die Hände und tat einen tiefen Atemzug: "Erzähl' mir noch ein bisschen von dir? Kommst du mit dem Lernen voran?"

"Ich weiß, dass du nur ablenken willst", Lumina grinste schief, "aber ich muss gestehen, dass ich bisher ein ziemlich gutes Gefühl habe." Die Schwarzhaarige ließ den Blick durch das Café schweifen. "Mir geht nur Mina gerade ziemlich auf den Sack. Ständig dieses sinnlose Gequatsche. Als ob wir jetzt anfangen müssten, uns wie Freundinnen zu verstehen. Da ist es mir hier schon lieber."

"Hatte ich zu viel versprochen?"

"Es ist perfekt zum Lernen. Auch wenn ich auf die Aussicht verzichten könnte."

"Du sollst auch nicht die Aussicht genießen, sondern lernen", entgegnete Rin und schlug die Beine übereinander.

"Aber wie soll ich dich denn sonst im Auge behalten", flüsterte Lumina und sah sie mit ihrem provokanten Blick an, "ich muss doch sicher gehen, dass mein Lieblingslamm nach Hause kehrt." Zu gern hätte sie Kontra gegeben, im letzten Moment biss sie sich auf die Lippen und sandte Todesblicke, die in den letzten Wochen an Intensität zugenommen hatten. Selbstzufrieden lehnte sich ihre beste Freundin zurück und genoss ihren kleinen Triumph. Dann wurde sie ernster: "Lass' dich einfach nicht so lange aufhalten, okay?"

"Es ist Arbeit, Lumina", Rin sah sie ebenfalls ernst an, "mach' dir keine Gedanken. Ich werd' nichts Dummes tun...nicht nochmal", schnell verdrängte sie die Nacht, die nicht einmal eine Woche zurücklag, in ihrem Gedächtnis jedoch bereits als tiefste Vergangenheit abgehakt worden war- mehr oder weniger.

"Gut", sagte schließlich die Schwarzhaarige und griff mit der freien Hand nach ihren Rucksack. Lumina hatte ihr eigenes Arbeitsequipment, bestehend aus kleinen Notizzetteln, ihrem Laptop und zwei Packungen Kaugummis, welches sie auf den Tisch ausbreitete als wäre sie bei ihnen zu Hause vor der Schlafcouch. Die Utensilien schienen wahllos aneinander gereiht, doch Rin wusste, dass ihre beste Freundin ein System hatte - wenn sie auch noch nicht dahinter gestiegen war.

"Wie lange hat das Café auf?"

"Bis zwanzig Uhr", antwortete Rin und sah zu Makoto herrüber, welche die Bestellungen der nächsten Woche durchging, "aber Makoto ist meist bis Mitternacht hier und macht einen Großputz. Wenn du sie lieb fragst, lässt sie dich sicher noch etwas länger hier sitzen."

"Mal schauen", erwiderte Lumina, obwohl klar war, dass sie sich nicht trauen würde zu fragen.
 

Noch eine Weile saß Rin neben ihrer Freundin und beobachtete ihre konzentrierten Blicke. Ihr wurde bewusst, wie sehr sie die Zeit vermisste, in der sie nichts tat und einfach nur mit Lumina abhing. Selbst wenn die Schwarzhaarige mitten im Prüfungsstress stand und Rin lediglich zusehen konnte, wie Lumina die Kaugummis reihenweise kaute und dabei hektisch auf ihren Laptop hämmerte - es beruhigte Rin, dass sich nicht alles verändert hatte. Makotos Worte hatten ein Echo in ihrem Innersten gebildet, dass sie sich fragte, wie viel sich verändert hatte und was noch vor ihr lag. Sie hatte damit gerechnet, dass es ihr mehr Angst machen würde. Dass sie bereits bei dem ersten Anflug von Druck zusammenbräche. Und ja, sie musste zugeben, dass sie kurz davor gestanden hatte, auf die Knie zu gehen - auf eine andere Weise als sie sich vorgestellt hatte. Statt der Angst, versagen zu können oder dem Druck nicht standzuhalten, fühlte sich der Stoß, der sie mit einer Wucht von hinten traf, eher wie der Anstoß an, der ihrer Geschwindigkeit mehr Tempo verlieh. Anfangs strauchelnd, dass sie nicht sicher war, ob sie das Gleichgewicht verlieren könnte, fühlte sie allmählich, wie sie selbst an Fahrt aufnahm. Rin hoffte, am Ende der Strecke vor sich selbst zu stehen, vor ihrem richtigen Ich - wenn die Chancen auch besser standen, dass sie direkt auf eine Klippe zu steuerte.



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