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Zu den Strömen von Babylon

eine schier endlose Wandung
von

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Tag 1

Wir sind schon viele Tage unterwegs; wie viele, das kann ich gar nicht sagen. Jehudah, unsere Heimat, liegt weit hinter uns und vor uns … Sie führen uns nach Bawel. Das jedenfalls haben sie uns gesagt. Nach Bawel. Ich weiß nicht, wo genau das liegt. Ich weiß nicht, wie es dort ist. Ein fremdes Land, eine fremde Stadt. Wir, die wir die Zerstörung von Jeruschalajim überlebt haben müssen dort hin wandern … Immer nach Norden – zuerst entlang des Jarden, später folgen wir, so sagten sie uns, dem Orontes und dann dem Perat, dem größten aller Flüsse. Mir ist all das vollkommen egal, denn
 

Jeruschalajim, die Stadt, in der ich geboren wurde und aufwuchs, ist nicht mehr! Überrannt und zerstört von den Truppen der Kasdim. Als wir gingen, war der Berg Zijon noch immer in Rauch gehüllt und der Tempel unseres Stadtgottes, so hieß es, sei geplündert. Ich habe es nicht selbst gesehen, aber man sagte uns, dass die Kasdim die Lade des Bundes zertrümmert hätten und den Altar zerschlagen; und die beiden Menorot und die goldenen und silbernen Gefäße, die sollen sie mit sich genommen haben. Und dann, dann kamen sie noch einmal und brachten das Feuer über uns.
 


 

Als ich die Häuser unseres Viertels brennen sah und dazwischen die Menschen nach Verschütteten suchen, da, da … Ihre Rufe nach Überlebenden … „Moscheh, Moscheh, wo bist du? Hörst du mich?“ und als keine Antwort kam, da wusste ich, dass uns unser Stadtgott verlassen hatte und dass das Ende gekommen war. Wenn brennende Häuser einstürzen, dann gibt es ein ganz seltsames Geräusch, ächzend, so als wehre sich das Haus gegen die drohende Zerstörung. Dann tut es einen dumpfen Knall und dann sacken die Mauern in sich zusammen – wie ein alter Mensch, der nicht mehr kann. Als ich sah, wie ein Mann, der nach seiner Frau suchte, von einem Türpfosten erschlagen wurde, hätte ich weinen wollen, doch ich konnte nicht. Ich starrte nur hin und sein Blut spritzte mir bis hoch zu den Schienbeinen, aber ich rührte mich nicht. Ich blieb dort stehen und hörte sein leises Wimmern und dann, dann war da nur noch das Lodern der Flammen, die über ihm zusammenschlugen.
 

Von diesen Dingen trennen mich viele, viele Tage, so viele, dass sie mit den Fingern zweier Hände nicht gezählt werden können. Und doch sind sie immer da: das Feuer, das Stöhnen der Menschen, die den Flammen nicht entkommen konnten, die ausgebrannten Ruinen einst prachtvoller Häuser. Und dann die harten, auf dem Boden hallenden Tritte der Kasdim …
 

Manchmal fahre ich des Nachts aus dem Schlaf hoch, hocke für einen Moment lang da und starre in die Finsternis, während mir das Herz im Leibe tobt. Mir ist dann schlecht – so sehr, dass ich mich übergeben könnte und ich brauche lange, um mich wieder zu beruhigen …
 


 

Wir sind wieder auf dem Weg, wandern so wie gestern und vorgestern und vorvorgestern. Meine Füße schmerzen und mein Rachen brennt. Ich würde mich am liebsten einfach irgendwo hinlegen und schlafen, ganz egal wohin, so erschöpft bin ich. Ich will einfach nicht mehr! Aber das geht nicht, denn niemand darf zurückbleiben. Niemand. Und wenn es doch einmal jemand tut, wird er dafür bestraft. Öffentlich. Die Kasdim wissen zu bestrafen und manch einer wünscht sich hernach, einfach tot zu sein.
 


 

Zwei Jahre belagerten die Kasdim unsere Stadt. Aber ganz am Anfang war es so, als ginge unser Leben einfach so weiter wie bisher: mein Vater arbeitete als Handwerker am Hof König Zidkijahus. Meine beiden ältesten Brüder gingen zur Schule und ich half meiner Mutter im Haus oder betreute meinen jüngsten Bruder Simche, der damals gerade 3 Jahre alt war. Ein süßes Kind. Pausbackig, quirlig, kess. Er kletterte überall herum. Einmal fand ich ihn sogar auf dem Dach unseres Hauses. Wie er da hinaufgekommen war, ist mir ein Rätsel, denn die Treppe zum Dach war steil und die Tür im Grunde immer verschlossen. Nun, er hatte es trotzdem irgendwie geschafft und stand einfach da – dieser kleine, nicht einmal 2 Ellen große Junge – und sah hinüber zu jenem Berg, auf dem die Davidsstadt mit dem stolzen Königspalast und dem Tempel unseres Stadtgottes erbaut war. Ich trat neben ihn. Er bemerkte es, streckte seinen kleinen Arm aus und deutete hinüber. „Da Abba.“ „Richtig“, erwiderte ich. „Dort arbeitet Abba.“
 

Zwei, drei Monate lebten wir noch so. Das, was sich vor den Toren der Stadt abspielte, was da geschah, kümmerte uns nicht! Wir lebten einfach weiter, denn uns fehlte es durch die Arbeit meines Vaters an nichts. Der Palast gab uns Rationen aus, von denen wir sehr gut leben konnten. Und auch in den folgenden Monaten bemerkten wir nicht viel von der Belagerung. Gut, der Dreck in der Stadt mehrte sich – so auch in unserem Viertel. Nur verschwandt der schnell wieder, denn Leute aus der Unterstadt fanden sich immer, die ein paar Schekel hinzuverdienen wollten. Auch dass wir nach dem ersten Jahr der Belagerung etwas weniger Brot bekamen, störte uns nicht, denn die Hauptsache war doch, dass unser Militär die Kasdim endlich in die Flucht schlug. Aber die Kasdim blieben und belagerten unsere Stadt weiterhin.
 

„Warum kommt niemand mehr aus der Unterstadt, um den Dreck wegzumachen?“, fragten wir unseren Vater eines Abends. Der presste die Lippen fest aufeinander und deutete ein Lächeln an.
 

„Weil sie sich da unten vor Hunger gegenseitig auffressen.“
 

„Was?“
 

Er nickte.
 

„Die fressen sich da unten auf?“
 

Wieder nickte er. „Die da unten bekommen keine Rationen. Die da unten …“
 

Er unterbrach sich, holte einige Male tief Luft und setzte dann wieder an:
 

„Wenn nicht bald etwas geschieht, dann …“
 

„Was dann?“
 

„Dann sind wir die nächsten.“
 

Ich wollte es nicht glauben, doch ein halbes Jahr später gab es auch für uns keine Rationen mehr und der Kampf ums Brot begann. Ein Efah Getreide kostete plötzlich 50000 Schekel. Und ein Log Wasser 10000. Menschen schleppten sich durch die Straßen unseres Viertels und durchsuchten den Dreck, der sich an den Hauswänden türmte. Sie aßen, was sie finden konnten … Abgemagerte Kreaturen mit aufgedunsenen Bäuchen.
 

Rufe wurden laut, Rufe, sich endlich zu ergeben. Auch die Kasdim, so hieß es, bevorzugten eine friedliche Lösung. Sie beabsichtigten nicht, uns etwas zu tun, sollten wir uns freiwillig ergeben. Einige Leute versuchten hierauf, zu den Kasdim überzulaufen.
 

„Abba sollten wir es nicht auch versuchen?“, fragte ich meinen Vater.
 

Der lachte hart auf: „Weißt du nicht, dass unsere Militärs jeden abschlachten, der es wagt ...“
 

„Aber ich habe auch gehört, dass sie einige Leute aus der Unterstadt durchgelassen haben …“
 

„Die?“, brauste er auf. „Auf die kommt es doch nicht an! Ob so ein paar Würmer zum Feind überlaufen, interessiert niemanden. Aber wenn wir es tun, dann wird diese Stadt fallen. Fallen wird sie und nicht wieder aufstehen!“
 

„Abba“, murmelte ich. „Aber wenn wir bleiben, dann werden wir auch sterben.“
 

Und er presste die Lippen noch fester aufeinander. „Umso mehr müssen wir hoffen …“
 

Aber es gab keine Hoffnung mehr. Zidkijahu, den Newuchadrezzar 11 Jahre zuvor an Jehojachims, unseres Königs, statt eingesetzt hatte, weigerte sich, die Stadt in die Hände der Kasdim zu übergeben.
 

„Alles für’s Militär!“, hieß es obendrein und er ließ Razzien durchführen. Von ihm eigens Beauftragte durchzogen die Straßen und gingen von Haus zu Haus. Zuerst dachten wir, dass sie nach verborgenen Reichtümern suchten. Aber das interessierte sie nicht. Sie wollten Getreide. Das wenige, was wir noch hatten, das nahmen sie uns.
 

„Wovon sollen wir denn leben?“, hörte ich einen Mann aus der Nachbarschaft brüllen.
 

„Friss doch deine Kinder!“, erwiderten sie ihm ganz ruhig.
 

Auch in unserem Viertel begann das Sterben. Es wanderte von Haus zu Haus und ohne anzuklopfen nahm es sich, wonach ihm verlangte. Einmal, als ich auf der Straße war, sah ich eine Tote, die man vor die Tür gelegt hatte. Auf ihrem Bauch ein sterbender Säugling.
 

Als die Kasdim am 9. des Monats Aw eine Bresche in die Mauer schlugen, kam die Stadt einem Totenhaus gleich, auf das die Sommerhitze erbarmungslos herabdrückte. Die Luft flirrte und schmeckte nach Dreck und Verwesung. Als es begann, hockten wir als Familie beisammen und hörten die dumpfen Stöße der Rammböcke gegen die Mauer schlagen. Niemand sagte ein Wort. Wir saßen nur da und sahen uns an, solange, bis es plötzlich still wurde. Mein Vater ballte seine Hände zu Fäusten und holte tief Luft.
 

„Es ist vorbei“, sagte er leise. „Der Ewige möge uns beistehen!“
 

Aber der Ewige stand uns nicht bei und die Kasdim kamen von überallher, trieben uns aus unseren Häusern und drängten uns auf offenen Plätzen wie Vieh zusammen.
 

Dort standen wir zu hunderten beisammen – einen Tag, zwei Tage – ohne Essen, ohne Wasser. Niemand wusste, was sie mit uns vorhatten. Dann plötzlich begannen sie durch unsere Reihen zu gehen.
 

„Du und du und du – mitkommen“, riefen sie scheinbar willkürlich, bis meine Mutter plötzlich die Hände vor den Mund schlug: „Sie holen sich die Mädchen!“
 

Ich verstand nicht, spürte nur, wie mich mein Vater zur Seite drängte, als ein Kasdu an uns vorbeiging und ein Mädchen, das genau neben uns stand, aus der Reihe holte. Ich wagte kaum, meinen Blick zu heben.
 

„Ewiger“, hauchte meine Mutter, als die Kasdim die Mädchen wegtrieben. „Ewiger!“
 

Und wieder begannen sie durch unsere Reihen zu gehen und musterten jeden Einzelnen, Männer, Frauen, Kinder. Einige zwangen sie, den Mund zu öffnen, andere, sich zu entkleiden und Kniebeuge zu machen. Wer das nicht schaffte, wurde von den Kasdim solange getreten, bis er sich nicht mehr rührte. Ich sah, wie sie eine Frau an den Haaren fortschleiften. Ich sah, wie sie einem älteren Mann Tritte versetzten, bis sich um ihn herum eine Blutlache bildete. Ich sah, wie sie den Mann, der neben uns wohnte und die vielen Kinder hatte, zwangen, sich niederzuknien und seine beiden Hände auf einen Stein zu legen … Und dann … Das Bild seiner beiden blutigen Armstümpfe werde ich nie vergessen!
 

„Beruf?“, wurde mein Vater von einem Kasdu gefragt.
 

„Tischler bei Hof.“
 

„Muskeln?“
 

Mein Vater spannte seine Arme an.
 

„Alter?“
 

„35.“
 

„Familie?“
 

„Frau und vier Kinder.“
 

„Kniebeuge. Los, 10 Stück.“
 

Mein Vater tat es.
 

„Und noch einmal 50 Stück. Zack, zack und die da auch.“
 

Er deutete auf uns. „Mitmachen!“
 

Wir taten es.
 

„Arme nach vorne und beim Hochkommen springen!“
 

Wir taten es.
 

„Und jetzt 10 Liegestütze – du allein.“
 

Er deutete wieder auf meinen Vater.
 

„Und noch einmal 20.“
 

Und wieder ging mein Vater in die Knie.
 

„Hat die schon ihre erste Blutung gehabt?“, wollte der Kasdu dann plötzlich wissen und deutete auf mich.
 

„Nein“, erwiderte mein Vater.
 

Einen Moment lang musterte mich der Kasdu, dann notierte er sich etwas und nickte. „Los, da rüber!“
 

Rasch stellten wir uns zu den anderen, die den gleichen Befehl erhalten hatten. Und als ich zu meinem Vater aufsah, bemerkte ich, dass er kreidebleich im Gesicht war, ebenso wie meine Mutter.
 

Wieder ließ man uns stehen, warf uns aber Brot hin und reichte Wasser herum. Doch obwohl wir so großen Hunger und Durst hatten, aßen und tranken wir nichts.
 

„Ihr kommt nach Bawel“, hieß es dann. „Holt euch Sachen aus euren Häusern – keinen Hausrat, nur Kleidung und was ihr für die Reise benötigt. Wer zu fliehen versucht, wird ermordet!“
 

Ich holte mir nicht nur Kleidung, sondern nahm mir auch Tinte, eine Binse und Leder mit, um schreiben zu können.
 

Wir verließen Jeruschalajim noch im selben Tag, jeder mit einem Bündel auf den Schultern.
 


 

Ich weiß nicht, welches Schicksal das Schlimmere ist: ins Land der Kasdim weggeführt zu werden, in die Fremde, ins Ungewisse oder in einer Stadt leben zu müssen, die vollkommen zerstört ist und in der Hunger und Tod herrschen. Ich weiß es nicht. Ich bin zu schwach, um darüber nachdenken zu können. Ich konzentriere mich auf den Weg, der steinig und sandig ist. Jeder Schritt kostet Kraft. Ich gehe neben meiner Mutter her, gerade so schnell, dass wir nicht in den Verdacht geraten, zurückzufallen. Denn wenn das geschähe, wären sofort die Aufseher der Kasdim da. Ihnen aber möchte ich nicht noch einmal gegenüberstehen müssen. Niemandem von ihnen! Ich habe Angst vor diesen großen Männern, die sich selbst am Abend, wenn sie sich ihr Nachtlager bereiten, der Panzerwehr nicht entledigen.
 


 

Die Sonne brennt erbarmungslos vom Himmel herab, lässt uns schwitzen. Manch einer von uns blieb schon zurück, weil er die Hitze nicht mehr ertragen konnte. Vor wenigen Tagen erlebte ich es: Jehonatan, ebenfalls ein Handwerker, fühlte sich schon seit Tagen nicht wohl, aber war bemüht, sich nichts anmerken zu lassen.
 

„Es geht, es geht“, sagte er immer wieder und winkte schweratmend ab.
 

Doch dann sah ich, wie er plötzlich aus dem Tross taumelte und schließlich zurückblieb. Als ich mich umsah, lag er bereits auf dem Weg. Ich hoffe, dass er schon tot war, ehe die Kasdim auf ihn einzutreten begannen.
 

Manchmal, wenn ich denke, dass es nicht mehr weiter geht, wenn jeder Schritt zur Qual wird, dann versuche ich an etwas Schönes zu denken, um mich abzulenken. Dann treten mir Bilder meiner Stadt vor Augen. Ihre bunte Pracht, das Frohlocken in ihren Straßen und Gassen – all das werde ich nie vergessen. Niemals. Wenn unsere Stadt tanzte, sich zu Tamburin und Trommeln in Reigen wiegte, dann hörte man das bis ins Kidrontal hinab. Und selbst im Tal Ben-Hinnom, wo sich unsere Kultstätten und die Gräber unserer Ahnen befinden, bekam man es mit, wenn oben in der Stadt gefeiert wurde. Und wie gefeiert wurde! Die Stadt schwebte von Fest zu Fest – wie eine Braut, leichtfüßig, grazil. Und bunt war sie, unsere Stadt, bunt von den Gewändern der jungen Mädchen und so gut riechend vom Parfum der edlen Damen und den vielen Gewürzen, die die Händler an allen Ecken anboten. Unsere Stadt besaß nicht umsonst den Beinamen Tochter Jeruschalajim. Die Tochter unseres Stadtgottes.
 

Nichts ist von all dem geblieben. Wir, die wir weggeführt werden, stinken vom Dreck und Schweiß der Wanderung und ich weiß, dass es Newuchadrezzar, dem König von Bawel, und Newusarardan, dem Obersten der Leibwache, einerlei ist, was mit uns geschieht. Ein Toter wird – und das weiß ich seit dem Vorfall mit Jehonatan – auf dem Weg liegen gelassen, den Geiern und dem Wild preis gegeben.
 

Ich kann mich dagegen nicht wehren. Wir alle können uns dagegen nicht wehren. Zwar sind wir so viele, mindestens 800 Menschen gegenüber einigen Kasdim, die uns begleiten, aber uns fehlt die Kraft zur Gegenwehr. Spätestens seitdem wir wissen, wie sie mit denen verfahren, die den Aufstand erproben. Secharjahu, ein junger Mann, vielleicht einige Jahre älter als ich, wagt es bei Schomron. Die Kasdim schlachteten zuerst seine Gefolgsleute ab, zerrten ihn dann aufs Feld und befahlen allen, die wir in seiner unmittelbaren Nähe auf dem Weg standen, sich um ihn zu scharen. Dann trat einer der Kasdim hervor, starrte Secharjahu, der da vor ihm kauerte, an, hob dann plötzlich das Schwert und ich, die ich nahe stand, um all das mitzubekommen, schloss die Augen und presste meine Hände auf die Ohren. Ich wollte nichts hören, nichts sehen. Einen Moment lang herrschte Stille, dann hörte ich einen langgezogenen, gellenden Schrei und ich war davon überzeugt, dass Secharjahu tot war. Als ich es wagte, die Augen wieder zu öffnen, da gaben die Kasdim zwei Männern von uns den Befehl, Secharjahu aufzurichten und ihn uns zu zeigen. Es wirkte so, als weinte er Blut.
 

„Seht genau hin! Das wird jedem geschehen, der es wagt, sich gegen Newuchadrezzar zu erheben!“, rief der Mann, steckte sein blutiges Schwert wieder in die Scheide und machte auf dem Absatz kehrt.
 

Die beiden Männer von uns führten ihn vom Feld wieder zur Straße hinauf. Dort gab ihm einer der Kasdim einen Schubs, sodass er taumelte und wie ein Irrer um sich tastete.
 

Erst da begriff ich, was geschehen war: Sie hatten ihm sein Augenlicht genommen – ebenso wie Zidkijahu. Ich sah, wie er geführt werden musste. Ja, sie ließen ihn weiterhin laufen, den ganzen Weg.
 

„Es war dumm, was Secharjahu getan hat“, sagte mein Vater, als wir am Abend beim Schein der Öllämpchen vor unserem Zelt sitzen und der heraufziehenden Nacht entgegensahen. „Sehr dumm.“
 

Nach diesem Ereignis habe beschlossen zu schreiben. Und heute ist Tag 1, obwohl wir schon so lange unterwegs sind. Heute ist Tag 1 meiner eigenen Zählung. Wenn ich nicht schreibe, dann halte ich es nicht länger aus; dann werfe ich mich auf den Weg und brülle und warte auf mein Schicksal.
 

Die Nacht hat sich über das Lager gebreitet. Alles erscheint so ruhig und friedlich. Neben mir das kleine Öllämpchen, das leise flackert, bevor ich es lösche, um zu schlafen – oder es wenigstens zu versuchen.



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