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Erleuchtung - Erkenntnis

Beleuchtung der Worte Guru Laghimas
von

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Ein philosophischer Disput

Zaheer schwebte über dem Boden, die Beine in eine Schneidersitzhaltung gelegt. Vor einigen Monaten war es ihm gelungen zu fliegen. Nicht wie die Luftbändiger mittels Gleitern, sondern ohne Hilfsmittel. Guru Laghimas Worten entsprang Wahrheit. Er konnte fliegen, wie die Luftbisons – die ersten Luftbändiger. Auch wenn er sich in der Geisterwelt frei bewegen konnte, in der realen Welt schweben, so war er doch gefangen. Unfrei – ein hässliches Wort.
 

Seine Haare waren wieder nachgewachsen. Sie hingen ihm strähnig und verfilzt ins Gesicht. Ein buschiger Bart bedeckte den Mund. Zaheer war abgemagert. Trotz allem wirkte er nicht betrübt oder niedergeschlagen. Er hatte die Freiheit gekostet. Es gab nichts mehr das ihn an die reale Welt band. Sein Dasein in diesem Käfig, im Gefängnis des Weißen Lotus, war kein Hindernis. Er konnte noch immer die Geisterwelt betreten, sie erkunden. Im Gegensatz zu den Wachen die kamen und gingen, sich gegenseitig ablösten, war Zaheer tatsächlich frei. Er betrachtete die Welt in ihrer Reinheit und Schönheit. So wie er sie hatte schaffen wollen.
 

Seine Luftbändigerfähigkeiten waren ein Zeichen gewesen. Der Weg des Roten Lotus war richtig. Chaos ist die natürliche Ordnung. Guru Laghimas Worten entsprang Wahrheit. Zaheer vergötterte ihn, er war sein Mentor, sein Führer, sein Idol. Doch im Gegensatz zu ihm hatte sich Laghima nie in weltliche Dinge eingemischt. Seine letzten 40 Jahre soll der alte Mönch schwebend über dem Boden verbracht haben, losgelöst von der irdischen Welt. Dieses Schicksal stand Zaheer nun auch bevor. Ihm war es aber nicht vergönnt seinen Fehler zu korrigieren.
 

Ob die Welt einen Avatar brauchte sei einmal dahingestellt. Wo Chaos herrschte folgte Ordnung und auf Ordnung wieder Chaos. Das war der Lauf der Dinge. Es gab nur eine Konstante im Leben: Veränderung. Ob diese Veränderung gut oder schlecht war zeigte sich erst später. Er hatte die Bevölkerung von Ba Sing Se befreit. Als er der Erdkönigin die Luft aus dem Körper bändigte waren sie frei geworden. Sie hätten so viel mit dieser Freiheit anfangen können. Teilweise taten sie das auch. Doch der Lauf der natürlichen Dinge wiederholte sich immer wieder. Anstelle von Königin Hou-Ting hatte Kuvira die Macht ergriffen und den freien Flickenteppich des zersplitterten Erdkönigreichs wieder zu einem Verbund zusammengefügt. Wie sie dabei vorging – das war selbst in Zaheers Augen falsch.
 

Er hätte Korra getötet um dem Avatar-Zyklus ein Ende zu bereiten und wahres Gleichgewicht in der Welt zu schaffen. Sie stand für Hoffnung. Hoffnung war eine Illusion. Auf Hoffnung zu vertrauen war falsch. Wieder Worte des großen Laghima. Doch konnte er sich nicht auch täuschen? Zaheer brauchte keine Hoffnung. Er war aufgestiegen. Seine Existenz stand über der anderer. Das klang hochtrabender als es gemeint war. Er lebte für andere Facetten, konnte sich an kleinen Dingen wie dem Gezwitscher der Vögel oder einer aufkeimenden Blume erfreuen. Sein Leben war beinahe vollkommen. Essen, Trinken, soziale Kontakte und bisweilen auch Schlaf – davon hatte er sich weitestgehend gelöst. Tagelange Meditation in der Geisterwelt ersetzte sämtliche dieser Bedürfnisse. Askese und Einfachheit: So wie die Luftnomaden lebten, lebte auch Zaheer. Dass es eine andere Richtung gab, einen anderen Weg, hatte Avatar Aang bewiesen. Ob dieser wiederum richtig oder falsch war, vermochte der ehemalige Anführer des Roten Lotus´ nicht beurteilen. Er wusste aber, dass Aang viel für diese Welt getan hatte.
 

Tief in seinem Inneren nagte die Ungewissheit, ob es vielleicht nicht doch falsch war, Korra vernichten zu wollen. Aang hatte das Gleichgewicht für einen kurzen Moment wiederhergestellt. Er war sogar gnädig mit Feuerlord Ozai umgegangen. Es ging nicht um gute oder schlechte Menschen oder einen guten oder schlechten Avatar. Selbst eine Ameise konnte das Gefüge der Welt aus dem Gleichgewicht bringen. Aang hatte sich dazu entschieden dem Tyrannen vor Augen zu führen wie falsch er lag. Ozais Leben war wahrscheinlich ähnlich dem von Zaheer. Letzterer bezweifelte aber, dass sich der ehemalige Feuerlord mit einem so einfachen Dasein begnügte. Ein Teil von ihm empfand Mitleid, Mitleid für den Mann, der Chaos über die Welt gebracht hatte, so wie er selbst.
 

Sein beständiger Begleiter war das Rasseln der Ketten, die ihn an Ort und Stelle festhielten. Sonst gab es nichts in diesem kalten Steingefängnis. Es war feucht und düster, moderte vor sich hin. Der Geruch war am Anfang zugegebenermaßen gewöhnungsbedürftig gewesen, doch auch nichts, was bei seiner letzten Gefangennahme anders gewesen wäre. Er schwebte vor sich hin, ließ sich Treiben im Fluss der Zeit. In der Geisterwelt hatte er den Baum der Zeit besucht. Auch Feuerlord Ozais Bruder, General Iroh weilte dort. Sie unterhielten sich oft. Eine Teestunde mit den Geistern und dem alten Mann brachte mehr Erkenntnis zu Tage, als lange Gespräche mit Ghazan oder Ming-Hua. Sie waren treue Freunde gewesen und doch hatten sie nicht verstanden was der wirkliche Grund für sein bestrebtes Handeln, der Welt ihre natürliche Ordnung zurückzugeben, gewesen war. Nicht einmal P´Li hatte begreifen können was in Zaheer vorging. Jetzt war er alleine, zumindest in der materiellen Welt.
 

Unalaq hatte die Geister versklaven wollen. Dagegen war Zaheer vehement vorgegangen. Sklaverei bedeutete keine Freiheit, keine natürliche Ordnung, und auch kein Chaos. Sie war wie die Ketten die ihn hier festhielten – ein straffes Konzept, eine Hierarchie, die niemand brauchte. In einer perfekten Welt war jeder gleich, Chaos und Ordnung wechselten sich ab. Doch hier lag auch schon der Fehler: Wenn Ordnung die Folge von Chaos war, wie kam dann er dazu, sie zu durchbrechen? War es nicht eher so, dass das Eine nicht ohne das Andere existieren konnte? Wie Licht und Schatten, Feuer und Wasser, Raava und Vaatu? Vielleicht hätte es eines Dunklen Avatars bedurft, so wie Unalaq es im Sinn gehabt hatte, denn beide Geister waren im Prinzip auch nur ein Wechselspiel aus Ordnung und Chaos. Die Welt war sowieso chaotisch, auch ohne Vaatu. Er hatte verloren und würde wiederkehren. Dann konnte eventuell Chaos auf die Ordnung folgen, oder umgekehrt. Befanden sie sich nicht bereits im Chaos?
 

Iroh erzählte ihm vor einiger Zeit, dass er einfach seinen Körper in der realen Welt zurückgelassen, und sich in die Geisterwelt zurückgezogen hatte. Dort war er wahrlich frei. Er konnte den Geistern Gesellschaft leisten, verirrten Seelen auf ihrem Weg durch das Dickicht und den Nebel in der anderen Sphäre bieten und auch seine Lieben beobachten. Ihm war auch schon der Gedanke gekommen die irdischen Fesseln abzuschütteln die ihn, trotz seiner Fähigkeit zu fliegen, einschränkten. Etwas in ihm hielt ihn aber davon ab. Jemand brauchte ihn hier und ein kleiner Teil von Zaheer hoffte, dass man ihm Gelegenheit gab, seinen Fehler zu korrigieren.
 

Wäre Feuerlord Ozai erfolgreich gewesen, wer hätte garantiert, dass sein straffes System der Ordnung eines Tages aufgebrochen worden wäre? Hätte sich Avatar Kiyoshi nicht Chin dem Eroberer entgegengestellt, was wäre wohl passiert? Avatar Roku ging milde mit seinem Freund aus Kindestagen, Feuerlord Zosin, um. Er war indirekt Begründer des hundertjährigen Kriegs gewesen und hatte so zur Herbeiführung des Chaos beigetragen. Aang wiederum war es gelungen das Chaos zu beenden und Ordnung zu schaffen. Doch auch die Taten des vielleicht größten Avatars ließen die Unruhen aufkeimen. Republica war auf dem Gebiet des Erdkönigreichs entstanden. Auch er, der große Friedensstifter, hatte für Chaos gesorgt.
 

Zaheer schlug die Augen auf. Er hatte nun begriffen, dass jede Handlung, egal ob dem moralischen Dogma von „Gut und Böse“ unterworfen, oder nicht, im Kern beide Seiten enthielt, das Potential für Chaos und Ordnung. Das war es gewesen was Guru Laghima dereinst meinte. Wer wahrlich frei war, der musste sich nicht in die Angelegenheiten der Welt einmischen. Avatar Wan hatte Chaos geschaffen, es zu bereinigen versucht und war dabei gescheitert. Der Avatar war Bote der Ordnung und des Chaos. Diese eine Eigenschaft hatten sie alle gemein, auch Korra. Natürlich – Raava stand für die Ordnung, Vaatu für das Chaos. Sie konnte ohne ihn nicht existieren und er nicht ohne sie. Der dunkle Geist würde wiederkommen.
 

Nun blieb zu klären, ob Zaheers Taten falsch oder richtig gewesen waren. Nein, nicht falsch oder richtig – für Chaos oder Ordnung gesorgt haben. Auch hier erlangte er Einsicht: Beides war korrekt. Mit dem Tod der Erdkönigin war Chaos ausgebrochen, nun war es an jemandem wieder für Ordnung zu sorgen. Er war genauso ein Fremdkörper wie Kuvira. Beide griffen in das natürliche System ein, dem Wechselspiel zwischen Licht und Dunkelheit. Ironischerweise waren Luft und Erde die gegensätzlichen Elemente, wie Feuer und Wasser.
 

Das Erdkönigreich konnte wahre Freiheit erlangen, aber ohne Kuvira. Die Menschen mussten selbst lernen mit ihren Problemen umzugehen. Wenn dies funktionierte, ohne weltliche Macht die für sie bestimmte, dann konnte sein Plan, Freiheit in die Welt zu tragen, von Erfolg gekrönt sein. Das war sein neues Ziel, seine Bestimmung. Nur von hier aus konnte er sich nicht darum kümmern. Kuvira war außerhalb seiner Reichweite. Außerdem hatte er zu viel Schaden angerichtet. Sich erneut einzumischen würde ein Ungleichgewicht erschaffen und die Waagschale wieder in die eine oder die andere Richtung kippen. Das war nicht sein Motiv. Es gab aber jemanden, der dafür da war, dazu bestimmt, auf Chaos Ordnung folgen zu lassen und umgekehrt.
 

Zaheer lockerte die Finger in ihrer Verschränkung ein wenig. Er hatte eine Art Schale gebildet und die beiden Daumenspitzen aneinandergelegt. So floss das Chi im Körper hin und her. Er selbst war sein größter Ankerpunkt in dieser tristen Finsternis. Geduld. Zaheer musste nur warten. Hätte er gewartet, Hou-Ting wäre sowieso irgendwann vom Thron gestoßen worden. Das war sein größter Fehler gewesen. Chaos und Ordnung brauchten niemanden, der sich einmischte. Die Welt selbst beinhaltete sämtliche Freiheit, wahre Freiheit. Der natürliche Zyklus von Leben und Tod, Licht und Schatten, Gut und Böse, Chaos und Ordnung…
 

Draußen waren Stimmen zu hören. Besuch in seinem dunklen Heim? Ungewöhnlich. In ihm keimte eine schwache Hoffnung auf. Konnte es sein? Wenn sich die Tür öffnete und sie den Raum betrat, dann war Hoffnung doch keine Illusion, keine Lüge. Aang wurde mit der Philosophie großgezogen, Hoffnung sei eine Illusion. Er war der Hoffnungsträger gewesen. Sein Verschwinden stand für die Illusion – niemand hatte den Feuerlord aufgehalten. Seine Rückkehr durchbrach diesen Kreis, nein, vollendete ihn. Unbewusst war der Luftbändiger wieder zum Hoffnungsträger geworden. Die Geschichte wiederholte sich, immer wieder. Nicht Laghima lag falsch, sondern Zaheer. Dreizehn Jahre der Gefangenschaft hatten ihn nicht so weit gebracht wie wenige Monate, eigentlich nur wenige Stunden des intensiven Nachdenkens.
 

Er würde es ihr nicht leicht machen. Sie musste lernen auf sich selbst zu hören. Das war eine Lektion, die ihr Zaheer nicht abnehmen konnte. Was aber in seiner Macht lag war ihr zu helfen. Sie war das, was Wan einst gewesen war: Der Begründer von Ordnung und Chaos. Dabei würde er ihr unter die Arme greifen. Sie kam, weil sie nicht mehr in die Geisterwelt eintreten konnte, ihm die Schuld für all die schrecklichen Geschehnisse gab. Dabei war sie genauso daran beteiligt wie er.
 

Knirschend wurde der schwere Steinblock beiseitegeschoben und das Eisengitter quietschend in die Höhe bewegt. Ein wenig blendete ihn das Licht, das durch den schmalen Schlitz fiel, der das Tor zu seinem Gefängnis darstellte. Zaheer schloss wieder die Augen. Er musste nicht sehen um zu wissen was vor sich ging. Nach dieser einen Tat, diesem Ratschlag, ihrem Erfolg, würde er vollends frei sein. Dann konnte er seine irdischen Fesseln hinter sich lassen, oder auch nicht. Die Entscheidung oblag allein ihm.
 

Ihre Schritte waren zögerlich. Sie fürchtete sich. Ihr Atem ging rasselnd. Angst beherrschte ihren Körper. Mutig, sich dem größten Feind zu stellen, oder war es Verzweiflung? Sie war alleine gekommen. Ihr Freund wartete oben auf sie. Was war nur aus ihr geworden? Eine leere Hülle und dabei begleitete Raava sie die ganze Zeit. Wo Raava war, da war auch Vaatu. Endlich hatte er seinen Mentor vollends begriffen. Laghimas Worten entsprang mehr Weisheit als es Zaheers Taten jemals tun würden. Das Schicksal nahm seinen Lauf. Er schlug die Augen auf und musterte das Mädchen vor ihm kurz.
 

Sie hatte sich verändert. Nicht körperlich, sondern spirituell. Korra suchte verzweifelt nach dem Teil ihres Lebens, den sie an ihn verloren glaubte, doch dabei trug sie ihn noch immer in sich. Vielleicht war es Schicksal, Fügung oder Zufall – jetzt hatte Zaheer jedenfalls vollends begriffen, was sein Idol mit seinen Worten meinte. Nun konnte er dem Avatar helfen.
 

„Korra“, formten seine Lippen und er hob die Mundwinkel an. „Ich habe dich bereits erwartet.“



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