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PS: Ich töte dich

von

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Und dann war da Camille.
 

Simon lag regungslos auf dem Bett. Tränen liefen ihm über die Wangen, doch das war ihm egal, denn niemand konnte es sehen.

Es war auch nicht sein Bett, auf dem er lag, sondern das von Clary.
 

Es war nicht fair.

Die Wahl, vor die er gestellt worden war, war nicht fair gewesen und er hatte keine Zeit gehabt, darüber nachzudenken oder eine bessere Alternative zu finden.

Clary hatte Camilles Freiheit gebraucht. Raphael ihre Gefangenschaft im Sarg.
 

Der junge New Yorker wusste nicht, was für eine Folge sein Handeln nun für den Unterweltler haben würde. Doch er ahnte, welche Konsequenzen auf ihn persönlich zu kamen.

Dass er gar nicht daran denken brauchte, den heutigen Tag in seinem Bett im Dumort zu verbringen, hatte Raphael noch nicht einmal aussprechen müssen.

Sein Blick hatte alles gesagt. Hintergangen hatte er ihn. Sein Vertrauen komplett missbraucht.
 

Clary und Simon hatten gehofft, dass es ihnen gelingen würde, die Vampirin ungesehen aus dem Hotel zu schmuggeln, doch sie waren Raphael direkt in die Arme gelaufen.

In dem Moment stand die Zeit einen Augenblick lang still und ohne ein Wort war allen klar gewesen: Simon hatte eine Entscheidung getroffen. Eine Seite gewählt. Und das würde alles verändern.
 

Äußerlich war der spanische Vampir ruhig geblieben, doch Simon hatte regelrecht hören können, wie sein Herz in tausend Stücke zerbrach.

Konnte ein Herz, das bereits seit vielen Jahren nicht mehr schlug, überhaupt brechen? Es konnte.
 

Für Simon war es unmöglich zu beschreiben, was er selbst gefühlt hatte. Die ganze Angelegenheit war so surreal und festgefahren. Ließ ihn einen Weg gehen, den er nicht beschreiten wollte und doch eingeschlagen hatte. Es war ein Fehler, schrie alles in ihm. Ein furchtbarer Fehler, den er nie wieder rückgängig machen konnte, und doch wusste er zeitgleich, dass er das einzig Richtige getan hatte, indem er seine lebenslange Freundin geschützt hatte.
 

Sein Blick wanderte durch den Raum. Ziellos. Die Vorhänge waren sorgfältig zugezogen worden und bewahrten ihn vor dem tödlichen Sonnenlicht. Lange würde er hier nicht bleiben können, das war ihm klar, und das Gefühl, nirgendwo dazu zu gehören, brannte stärker in ihm, als je zuvor.

Das Institut war keine soziale Auffangstation für Unterwelter. Es dauerte nur wenige Tage, bis er den Rauswurf erhielt, mit dem er die ganze Zeit gerechnet hatte und er konnte nicht verhindern, dass ihm sofort Raphaels Worte in den Sinn kamen. Im Zweifelsfall würde Clary nichts zu melden haben und Simon in keiner Weise auf die Hilfe der Nephilim zählen können.

Doch in sein ehemaliges menschliches Zuhause konnte er auch nicht zurückkehren und wohin ging ein Schattenwesen, das Seinesgleichen in den Rücken gefallen war?

Er ging zu Luke.
 

Lucian war der Einzige, neben Clary, der ihm stets das Gefühl gab, willkommen zu sein. Sie waren immer noch Luke und Simon, nicht Werwolf und Vampir. Und für eine kurze Zeit fühlte er so etwas wie Hoffnung.

Bis das Rudel ihn unsanft auf den Boden der Tatsachen zurück holte.
 

Am Ende schlief er die Tage in einem Kanu.
 

Hinter dem Jade Wolf, dem chinesischen Restaurant, das den Wölfen als Rückzugsort diente, arrangierte er sich mit seiner provisorischen Unterkunft in einer alten Lagerhalle.

Er wusste nicht, ob er darüber lachen oder weinen sollte.

War dies nun seine Version von einem Sarg in seiner ganz persönlichen Hölle?
 

Er sehnte sich nach seinem alten Boxspringbett. Nach seinem altes Leben! Seinem Zimmer, seiner Mutter, seiner Schwester ... Doch etwas anderes vermisste er wohl am schmerzlichsten. Jemanden.
 

Zärtliche Finger vermisste er, die durch sein Haar strichen.

Diesen Geruch, der noch im Zimmer hing, noch an seinen Laken haftete, nachdem Raphael längst aufgestanden und verschwunden war, und ihn daran denken ließ, wie dieser eine, ganz besondere Vampir nackt auf ihm gelegen hatte. Ihn geküsst hatte.

Die Nähe, die ihm in letzter Zeit ein Gefühl zurück gegeben hatte, von dem er geglaubt hatte, es wohl nie wieder spüren zu können: Das schnelle Klopfen seines Herzens in seiner Brust.
 

Schmerzlich presste er die Hand an ebendiese Stelle, an der er keinen Herzschlag mehr spüren konnte.

Das Empfinden, das nun anstelle dessen zurück geblieben war, war grausam.

Es brachte ihn um.
 

Raphael, so wurde ihm klar, war in der Lage das zu tun, was Camille nicht zu Ende gebracht hatte. Er tötete ihn. Indem er ihn gottverdammt noch mal liebte.
 

Im obersten Stockwerk eines New Yorker Hochhauses schwebten Magnus Hände, umhüllt von schimmerndem Zauberglanz, wenige Zentimeter über den offenen Wunden, die sich quer über Raphaels Gesicht zogen.

Es würde heilen ...

Bald schon wäre nichts mehr zu sehen, von den Verletzungen, die man ihm zugefügt hatte. Doch der innere Schmerz, der blieb. Das wusste der Hexenmeister, denn er hatte es all zu oft selbst am eigenen Leib erfahren in seinem Jahrhunderte alten Leben.
 

„Hättest du die selben Gefühle für ihn, wenn er eine andere Person wäre? Eine, die in dieser Situation keine Loyalität bewiesen hätte?“
 

Raphael antwortete nicht.
 

„Raphael?“, harkte der Hexenmeister sanft aber vehement nach.
 

„Der Rat geht zu weit“, presste der Angesprochene zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und wusste, dass er damit der eigentlichen Frage auswich.

„Ich habe von Simon gesprochen“, erwiderte Magnus ruhig. Er kannte den Vampir viel zu gut, um sich von dessen Art abblocken zu lassen.

„Du kannst nicht von ihm verlangen, Clary im Stich zu lassen. Und soweit ich weiß kam er zuerst zu dir und hat dich um Hilfe gebeten. Nach einer guten Lösung für alle gesucht.“

Raphaels Fänge bohrten sich in seine Lippen und ein leises Knurren kam tief aus seiner Brust, doch der Halbdämon lächelte nur amüsiert, erhob sich und beendete seinen Zauber.
 

Den Rest würden Raphaels Heilungsfähigkeiten übernehmen. Als Vampir wäre schon bald nicht einmal mehr eine Narbe übrig. In einem musste er dem Kind der Nacht allerdings Recht geben. Die Nephilim hatten eine Grenze überschritten. Die Folter von Unterweltlern war entgegen ihrer eigenen Gesetze und entsprach nicht mehr ihrer üblichen Vorgehensweise. Ein Grund zur Besorgnis ...
 

„Du willst also nicht über ihn sprechen“, stelle er fest, war nicht im Geringsten überrascht darüber und lächelte in sich hinein. In all den Jahren hatte er noch nie erlebt, dass es jemandem gelungen war, etwas in Raphael derart zu berühren.
 

Dieser bedachte ihn mit einem unheilvollen Blick.

„Exakt.“
 

Ein Hämmern an der Eingangstür durchbrach die nun entstandene Stille und verwundert ging Magnus durch die Wohnung, um dem unerwarteten Besucher zu öffnen.

Als er in zwei braune Augen blickte, ahnte er, dass die Situation aus dem Ruder laufen könnte.

Ergeben seufzte er und ließ den jungen Vampir und seine Freundin hinein.

„Kommt rein ...“ Er hoffte inständig, dass die zwei Unterweltler sich nicht an die Kehle gehen und seine halbe Wohnung dabei zerlegen würden, doch als Simon zu reden begann und Raphael dessen Stimme erkannte, schoß der Latino vom Sofa hoch und auf den Jüngeren zu.
 

„Hast du eigentlich eine Ahnung, was du mit deiner Aktion angerichtet hast?!“, fuhr er den Frischling an, der so schnell gar nicht schalten konnte, und packte ihn unsanft an der Kehle.

Gebleckte Fänge blitzten hervor und seine Worte waren mehr ein Knurren und Fauchen. Seinen unmenschlichen Anteil konnte man in diesem Augenblick beim besten Willen nicht leugnen.

Simon hatte den Anderen noch nie so wütend erlebt. Dann fiel sein Blick auf die Überreste aus Narben und Brandwunden in seinem Gesicht und auf seinen Händen.
 

Oh mein... Gott!, dachte er und sah sein Gegenüber geschockt an. Tiefe Schnitte zogen sich über die braune, sonst so makellose Haut.

„Was ist passiert ...“, kam es stockend über seine Lippen und Raphael sah aus, als würde er ihm jeden Moment mitten ins Gesicht schlagen.
 

„Woho, Stopp!“

Entschlossen schob Magnus sich zwischen sie und versuchte die beiden auseinander zu bringen. Clary, die ihrem besten Freund in das Appartement gefolgt war, wich sämtliche Farbe aus dem Gesicht, bis ihr Taint in etwa dem von Simon entsprach.
 

„Aldertree war nicht sonderlich erfreut darüber, dass sich Camille wieder auf freiem Fuß befindet!“, fuhr Raphael den Jüngeren an und packte ihn am Kragen, schleuderte ihn unsanft rücklings gegen die Wand und presste ihn dagegen.

Simon konnte alles spüren.

Er konnte die Kraft des Anderen fühlen, der ihn mühelos festhielt.

Er konnte die Wut fühlen, die Enttäuschung, den Schmerz und die Kälte, die von Raphael ausging.

Dessen Körper an seinem eigenen.

Und obwohl sie sich nicht zum ersten Mal so nahe waren, erkannte er nichts wieder, an dem Mann, den er nun vor sich hatte.
 

Es war, als wäre es der Körper eines Fremden, den er da auf sich fühlte. Jede Vertrautheit schien komplett weggewischt und bei dieser Erkenntnis kämpfte Simon gegen die Tränen an, die in ihm aufstiegen.

Er hatte Angst. Jedoch nicht vor Raphael. Nicht davor, dass dieser ihm mit seinen Fängen die Kehle zerfetzen oder auf ihn ein schlagen würde.

Nein... Er hatte Angst, ihn komplett zu verlieren.



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