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Selbstwiderspruch

von

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Entgegen jeder Art von Plan

„Lassen Sie mich sofort aussteigen!“

„Wir sind noch nicht da.“

„Genau deswegen! Was denken Sie sich eigentlich dabei?!“

„Wärst du lieber mit dem Zug gefahren? Die Verbindungen sind schlecht und außerdem, wenn man ein Auto hat, sollte man es auch benutzen.“

„Das meine ich nicht! Stellen Sie sich nicht dumm! Das meinte ich überhaupt nicht! Ich bedanke mich für Ihre Bemühungen, Ihre Intention reicht jedoch schon vollkommen. Dieser ganze Ausflug ist nicht nötig, deswegen möchte ich gerne wieder zurück nach Hause.“

„Abgelehnt. Das ist eine Anweisung deines Vorgesetzten.“

„Hören Sie auf, immer diese Karte zu spielen! Es ist Wochenende und ich möchte jetzt zurück nach Hause.“

„Hast du ein Date?“

„Eh… was?“

„Wenn dem nicht so ist, kannst du auch mit mir zu den heißen Quellen fahren. Das hilft auch deinem Sinn für Romantik auf die Sprünge, wenn du wieder einmal mit einer Mangaka zusammenarbeitest.“

„Wie bitte?! Wenn Sie Kritik an meiner Arbeit haben, dann sagen Sie mir das bitte im Büro und lauern mir gefälligst nicht Zuhause auf! Takano-san, lassen Sie mich jetzt sofort aussteigen!“

„Du könntest wirklich etwas mehr Dankbarkeit dafür aufbringen, dass ich mich um deinen beruflichen Werdegang sorge. Aus dir wird nie etwas in unserer Abteilung, wenn wir deine romantische Ader nicht ein bisschen zum Laufen bringen.“

„Das ging schon das letzte Mal nach hinten los, als Sie mich einfach überfallen haben! Nie im Leben werde ich in einem Doppelzimmer mit Ihnen in diesem Thermalbad bleiben!“

Das letzte Mal habe ich dir etwas über’s Flirten und Verführen beigebracht. Das Zimmer ist schon reserviert und bezahlt.“

„Wer’s glaubt! Halten Sie jetzt endlich den Wagen an, ich meine es ernst! “

„Es gab einmal eine Zeit, in der du mir überall hin gefolgt bist. Wie ein Stalker. Was wurde daraus?“

„Hören Sie schon auf, das ist über zehn Jahre her. Da war ich jung und dumm.“

„Willst du mir sagen, dass das ein Fehler war?“

„Zumindest wäre ich dann jetzt nicht in dieser Lage! Anhalten, sofort!“

„Onodera, willst du nicht mit mir zusammen sein?“

„…“

„…“

„Ich… ich…“

„Ja?“

„…möchte aussteigen.“
 

Endlich wurde der Wagen langsamer, bis er letztendlich am Straßenrand hielt. Auch, wenn der Preis dafür dieses seltsame Gefühl in der Magengegend war, das ihn plötzlich befallen hatte. Bis der Wagen zum Stehen gekommen war, war kein weiteres Wort zwischen ihnen gefallen. Onodera hatte kein gutes Gefühl dabei. Gerade eben war etwas zu Bruch gegangen, dass hatte er klar gespürt.

Wäre es besser gewesen, weiter zu diskutieren? Nein, bestimmt nicht. Er hatte schon zu viel gesagt, das er so nicht sagen wollte. Dennoch… Er musste hier raus. Raus aus diesem Wagen. Raus aus dieser Situation und weg von Takano. Sie waren vor Kurzem an der letzten Bahnstation vorbeigekommen, da würde er jetzt hinlaufen müssen, aber das war in Ordnung. Ohne seinen Kopf zur Fahrerseite zu drehen, umschlossen seine Finger den Türgriff, zogen leicht an dem Hebel.

„Gib doch endlich zu, dass du mich liebst.“ Takanos Stimme war nicht zornig, aber es schmerzte Onodera, die Enttäuschung und das Leid in Takanos Worten zu hören. Und es setzte ihn unter Druck. Es war nicht fair. Konnte das nicht endlich aufhören? Warum musste er nach so vielen Jahren ausgerechnet wieder auf Takano treffen?!
 

Egal, er musste seine Chance ergreifen und das Auto verlassen, bevor sein Vorgesetzter es sich anders überlegte und wieder auf’s Gas drücken konnte.

„Onodera!“

„Was bilden Sie sich überhaupt ein? Sie sind viel zu penetrant und außerdem, was soll das denn bringen? Außer, dass die Leute reden?!“

„Was interessiert mich, was die Leute denken?“

„Mich interessiert es aber! Bei mir hängt eben etwas mehr dran!“

„Eh? Was soll das denn heißen?“

„Dass mein Vater so etwas in der Geschäftsführung mit gutem Grund nicht billigen würde.“, er wollte schon aussteigen, als er merkte, wie er am Arm harsch zurückgezogen wurde. „Hey! Was machen Sie denn da?!“

„Bitte?! Onodera, was soll das heißen?“

„Was ich gesagt habe. Sie wussten doch von Anfang an, wie das in einem Familienbetrieb läuft.“

„Hör auf mit dem Mist und sag, was los ist!“

Er sollte nicht mehr sagen, er hatte ohnehin schon zu viel gesagt. Hätte Takano ihn nur nicht so bedrängt, dann wäre es nie so weit gekommen. Und sie hätten sich nicht anschreien müssen. Sie hätten nicht streiten müssen. Er hätte Takano nicht…

„Ich gehe jetzt!“, mit diesen Worten befreite er sich aus Takanos Griff und stieg aus dem Auto. Ohne zu zögern kehrte er dem Wagen den Rücken zu und begann zu laufen. Seinen Vorgesetzten, der ihm noch nachrief, ignorierte er. Zum Glück war es aufgrund der Enge der Straße unmöglich zu wenden und bis Takano eine Möglichkeit dafür finden würde, war er bestimmt schon abseits der Straße auf dem Weg zur Bahnstation oder hätte diese sogar schon erreicht.
 

Wenn er es recht verstanden hatte, dann lag ihr geschäftlicher Zwischenstopp auf dem Weg zu den Quellen und würde zeitlich keine unnötigen Umwege erlauben. Das kam ihm recht, Takano würde wegen so etwas keinen wichtigen Autor versetzen. Nicht, wenn sogar die Verkaufsabteilung mit Yokozawa vertreten war – dieses Treffen war ohne Frage wichtig. Takano war in dieser Hinsicht zu verantwortungsbewusst, als dass er riskieren würde, den Termin zu verpassen. Mit eiligen Schritten entfernte Onodera sich immer weiter, hatte jedoch noch nicht gehört, dass der Motor erneut gestartet wurde. Er musste sich beeilen und schnellstmöglich weg von Takano kommen. Allein sein. Wie schon die ganze Zeit über, er wollte nur allein sein und seinen Kopf frei bekommen. Doch das schien gar nicht so leicht zu sein.
 

~~~
 

Was war das eben? Wieso hatte er sich so leicht anstacheln lassen und sich so aggressiv gezeigt? So war er doch sonst nicht. Und was hatte Onodera so in Rage versetzt? Er war ihm gegenüber noch nie laut geworden. Onodera hatte zwar gesagt, dass er nicht mitkommen wollte, aber wie oft hatte er schon Unwillen bekundet und sich dann doch gefügt? Er wusste, dass Onodera es oft insgeheim genossen hatte, bei ihm zu sein. Zumindest hatte er das gedacht. War das nur Einbildung? Widerstrebte es Onodera so sehr, Zeit mit ihm zu verbringen und in seiner Nähe zu sein? Er konnte es sich nicht vorstellen, so oft hatte er ihn in seiner Nähe geduldet, sich von ihm berühren lassen und sich dann… das würde man doch nicht mit jemanden machen, den man nicht ausstehen konnte. Vor allem in letzter Zeit hatte er das Gefühl gehabt, Onodera würde es endlich zugeben. Dass er etwas für ihn empfand. Immer noch. Vielleicht sogar, dass er ihn liebte.
 

Er hatte ihn darum gebeten, ihn nahezu angefleht, es ihm endlich zu sagen. Dass er ihn auch liebte. Dann würde er endlich zu ihm gehören, ganz offiziell.
 

Doch seit einer Woche schien sich Onodera ihm regelrecht zu entziehen. Auf Arbeit mied er den Kontakt, beschränkte es auf das nötigste Minimum. Er war sogar eher ins Büro gekommen, um vor ihm nach Hause gehen zu können. Und auch wenn er klingelte oder versuchte, ihn auf dem Handy zu erreichen, erhielt er nie eine Rückmeldung.

Und jetzt das. Was sollte das? Wieso war er so aggressiv? Und das mit der Firma seines Vaters…? War er etwa in den Vorstand aufgenommen worden? So schnell? Das konnte er sich nicht vorstellen.

Takano nahm für einen Moment die Brille ab, schloss erschöpft die Augen und massierte sich mit schlanken Fingern den Nasenrücken. Er fühlte sich, als hätte ihm die Situation mit einem Schlag all seiner Kraft beraubt.
 

Onodera selbst hatte doch gesagt, dass er es aus eigenem Ansporn schaffen wollte, dass er nicht das behütete Söhnchen sein wollte, das sich auf dem Erbe der Eltern ausruhte. Abgesehen davon wäre es doch normal, wenn man den Sprössling erst noch Erfahrungen sammeln ließ, bevor man ihn in eine solch hohe Position beförderte. Auf der anderen Seite… vielleicht missfiel Onoderas Eltern die Tatsache, dass ihr einziger Sohn als Redakteur für Shojo-Manga arbeitete. Aber selbst wenn, dann hätte Onodera ihm doch bestimmt etwas gesagt, oder? Oder würde er wieder verschwinden?
 

„Ich gehe jetzt!“
 

Würde er wirklich einfach so gehen? So, wie er es auch damals getan hatte? Hatte er die Nase voll von ihm und würde sich nun aus dem Staub machen? Hatte er nur gespielt, wollte er deswegen nichts sagen?
 

Nein. Nein, das konnte er sich bei Onodera nicht vorstellen. So eine Person war er nicht, dafür hatte der Kleine ein zu großes Herz. Niemals hätte er ohne Ankündigung ihn oder die Redaktion verlassen. Das wusste er. Dennoch…
 

„Ich gehe jetzt!“
 

Er durfte nicht gehen und er würde ihn auch nicht gehen lassen. Nicht so einfach. Nicht, ohne es von Onodera selbst gehört zu haben. Nicht schon wieder.

Aber er konnte nicht weiter darüber nachdenken, er musste pünktlich zu diesem Termin erscheinen. Wenn er es richtig verstanden hatte, dann lag auch Yokozawa viel an dem Meeting, weshalb er ebenfalls anwesend sein würde.
 

~~~
 

Ein tiefes Seufzen mischte sich zu den Geräuschen seiner Schritte über den Kies. Irgendwie konnte Onodera sich nicht daran erinnern, dass sie bereits so weit an der letzten Bahnstation vorbeigefahren waren. Und dann hatte er auch noch all seine Sachen bei Takano im Wagen liegen lassen. Das hatte ihm gerade noch gefehlt! Er war hier irgendwo im Nirgendwo und wenn er es auf seinem Handy richtig erkannte, dann handelte es sich auch nur um eine sehr kleine Bahnstation in der Nähe eines kleinen Vorortes. Ob von dort heute überhaupt noch ein Zug zurück in die Stadt fahren würde?
 

Es war doch zum Haare raufen! Frustriert fuhr er sich durch seine nussbraunen Haare, spürte wie die Sorgenfalte auf seiner Stirn immer tiefer wurde. Wie hatte es nur so weit kommen können? Er hatte schon wieder so vieles gesagt, das er nicht sagen wollte. Wie damals, als er behauptet hatte, er würde Takano bestenfalls hassen. Das stimmte nicht und das wusste er auch. Dennoch, sobald er sich bedrängt fühlte, sprudelten die Worte nur so aus ihm heraus. Was sollte er jetzt machen? Er wollte sich nicht mit Takano streiten und am liebsten würde er jedes einzelne Wort zurücknehmen, das er im Auto gesagt hatte. Und dann noch diese Offenbarung über die Firma seines Vaters… war er blöd? Ach, es war zum verrückt werden! Was sollte er denn jetzt machen?! Und wie sollte er das alles Takano erklären? Er würde es irgendwie wieder gut machen müssen. Er hatte die Enttäuschung in dessen Worten gehört und zu allerletzt auch den Schmerz in dessen Zügen gesehen. Dabei erinnerte er sich gut daran, was Yokozawa ihm gesagt hatte. Wie sensibel Takano war, wie sehr er es sich schon damals zu Herzen genommen hatte. Aber das hatte ihm Takano ja schon selbst erzählt. Auch, wenn er im Büro immer harsch und kühl war, so wusste er doch, dass Takano auch eine ganz andere Seite hatte. Er wusste das, weil er es selbst erlebt hatte. Und wenn er ehrlich mit sich selbst war, dann ging es ihm kein Stück anders. Eigentlich fühlte er doch genauso wie Takano. Dieses Gefühl, das ihn völlig einnahm, wann immer Takano ihm nahekam. Er hatte es immer wieder gespürt, jedes einzelne Mal als Takano sich von seiner anderen Seite zeigte. Sanft. Als er ihn küsste, als er ihn berührte, als er mit ihm… Nur das danach machte ihm Angst. Das, was nach dem Glücklichsein kam, wenn die Liebe vorbei war…
 

Was sollte er denn jetzt machen? Wie konnte er das wieder in Ordnung bringen?
 

Angefangen hatte alles vor etwa zehn Tagen...
 

~~~
 

„Was machst du denn hier?!“, damit hatte er nicht gerechnet.
 

Als Onodera sich auf den Weg zur Tür gemacht hatte, hatte er sich schon eine Ausrede zurechtgelegt, wie er Takano so schnell wie möglich wieder abwimmeln könnte. Seine Ausrede war zwar offensichtlich an den Haaren herbeigezogen, doch in der Not musste eine schnelle Lösung her. Immerhin konnte er sich nicht immer von Takano überwältigen lassen, wann immer es seinem Vorgesetzten gelegen kam. Onodera wusste aber auch, dass er sich Takano deutlich effektiver erwehren könnte. Dass er ihn klar abweisen könnte, doch… eigentlich konnte er es doch nicht. Dennoch, ein so penetrantes Klingeln so früh am Morgen verdiente auch keine Gelegenheit, wieder Späße mit ihm zu treiben. Das ging zu weit!
 

Doch in dem Moment, in dem er die Tür geöffnet und zur Abwehr bereits angesetzt hatte, war alles ganz anders gekommen.

„Vater?“

„Sohn.“

Es war dieser seltsame Moment der Stille. Onodera konnte seine Verwunderung nicht zurückhalten, hatte er doch als letztes mit seinem Vater gerechnet. Aber da stand er. Direkt vor ihm. In Fleisch und Blut. Und zwischen ihnen gab es nichts anderes als diese unangenehme Stille, aus der man es noch nie geschafft hatte zu fliehen. Außer…

„Schön, dass du anscheinend doch wohlauf bist. Nachdem du bis dato jegliche Kontaktaufnahme verweigert hast.“ … außer natürlich durch das Initiieren von noch viel unangenehmeren Situationen.
 

Ohne zu zögern oder gar um Einlass zu bitten, hatte sich sein Vater an ihm vorbei gedrängt und sich seinen Weg in das Innere der Wohnung gebahnt. „…Komm doch rein.“, murmelte Onodera verstimmt, holte tief Luft, bevor er die Haustür zurück ins Schloss fallen ließ und seinem Vater folgte.
 

Das konnte nichts Gutes verheißen.
 

„Du bist allein gekommen? Wo ist Mutter?“, langsam näherte er sich dem Wohnzimmer und sah seinen Vater am Fenster stehen. Seine übliche Position, wenn er eine Ankündigung verlauten lassen wollte.

„Interessiert dich das wirklich?“ Er verstand die Kritik seines Vaters und musste sich auf die Zunge beißen, um nichts zu erwidern. Es wäre besser, wenn er seine Worte noch einmal überdachte. Es war bisher noch nicht vorgekommen, dass seine Eltern ihn in seiner eigenen Wohnung aufgesucht hatten. Für gewöhnlich luden sie ihn in die Firma ein, sofern es etwas zu besprechen gab. Diese Situation erschien ihm zunehmend suspekt. Wenigstens hatte er es gestern geschafft, aufzuräumen und die Wohnung zu putzen. Ob sein Unterbewusstsein die Gefahr gerochen hatte?

„Natürlich interessiert es mich. Entschuldige, aufgrund der Arbeit schaffe ich es zurzeit nicht, mich regelmäßig zu melden.“

„Deine Mutter hat seit Wochen nichts mehr von dir gehört. Um genau zu sein, seit dieser Sache mit An.“ Onodera zog scharf die Luft ein. Ob daher der Wind wehte? Was sollte sonst Grund dieses Überfalls sein? Er wünschte, es wäre Takano gewesen, der seine Klingel so grob penetriert hatte.

„Doch deshalb bin ich nicht hier. Wie dem auch sei, melde dich bitte ab und zu bei deiner Mutter. Ihr zunehmender Unmut ist unerträglich.“

Nicht? Es ging seinem Vater nicht um die geplatzte Verlobung? Ging er also recht in der Annahme, dass dieses ganze Theater nur zwischen ihren beiden Müttern zustande gekommen war? Sollte dies der Fall sein, so würde ihn das wirklich erleichtern. Sein Verhältnis war ohnehin schon angespannt genug und die Verbindung zu seinem Vater sehr distanziert. Er hatte nicht die Absicht, dies zu verstärken.

„Warum bist du dann hier, Vater?“

„Ich bin hier, weil du meine Anrufe offensichtlich völlig ignorierst.“

Und wie Onodera merkte, war es ebenso wenig seine Absicht, diese Distanz zu seinem Vater auch nur um einen Millimeter zu verringern.

„Wie ich bereits gesagt hatte, ich bin im Büro stark eingebunden und kann daher -“ „Beschäftigst du dich noch immer mit diesem Schund?“

„W…wie bitte?“, mit einer so harschen Unterbrechung hatte er nicht gerechnet. Er wusste, dass sein Vater es mit Skepsis beäugte, dass er als Redakteur für Shojo Manga arbeitete. Doch Skepsis schien wohl nicht ganz zuzutreffen. Sein Vater hatte ihn anfangs gefragt, ob er nicht einfach die Abteilung wechseln könnte und deutlich darauf hingewiesen, dass im Onodera Verlag immer Platz für ihn sei. Doch er hatte keine Lust gehabt, diese Diskussion zu führen. Es hätte ohnehin zu nichts geführt, außer, dass er seinem Vater gegenüber den Respekt verloren hätte und letztendlich noch irgendein falsches Wort gefallen wäre.
 

Und bis jetzt hatte Onodera gedacht, diese Diskussion erfolgreich vermieden und für die nächsten Jahre aufgeschoben zu haben. Ein weiterer Irrtum, wie ihm jetzt mit Grauen bewusst wurde.
 

„Wir machen uns Sorgen um deine Zukunft.“ Sein Vater zögerte kurz, „Und wir denken, dass du in dieser Abteilung keinem guten Einfluss ausgesetzt bist. Deine Kompetenzen als Redakteur für Literatur werden darunter leiden.“

„Nein, ihr müsst euch keine Sorgen machen. Wirklich.“, die subtile Beleidigung seines Vaters schluckte Onodera mühsam herunter. Wie könnte er das Thema abwiegeln und diese Konversation so schnell wie möglich beenden? Wo war Takano nur, wenn man ihn brauchte? Ganz sicher hätte er zu diesem Zeitpunkt das Wort ergriffen. Rhetorisch war Takano wirklich brillant, sofern er nur wollte.

„Ich lerne im Büro viel und ich denke, dass die Erfahrung mit den Autoren wirklich sehr hilfreich für mich ist! Und mein Manager ist ein wirklich erfolgreicher Redakteur, von dem ich bestimmt noch viel lernen kann…“ Oh nein, das lief nicht gut. Seine Argumentation war seicht, die Meinung seines Vaters würde er so im Leben nicht ändern können. Was sollte er nur machen? Was konnte er noch sagen? Ihm lief es kalt den Rücken runter. Sein Vater war zwar nicht Takano, der ihn packte und ihm gegen seinen Willen einfach etwas aufbürdete. Dennoch war dies gewiss kein Besuch aus Fürsorge. Er hatte ein ganz schlechtes Gefühl bei der Sache und dieses Gefühl dachte noch lange nicht daran, ihn loszulassen. Trocken schluckte er, fixierte den Boden, während er den kritischen Blick seines Vaters auf sich spürte.
 

„Ich habe mir reichlich Gedanken über deine Situation gemacht und in der Firma bereits alle nötigen Vorkehrungen getroffen. Es ist entschieden. Ritsu, ich sehe vor, dich in der Geschäftsführung des Verlags und in allen dazugehörigen Abteilungen eng einzubinden, um dich darauf vorzubereiten das Geschäft irgendwann weiterzuführen.“
 

~~~
 

Er seufzte. Er musste sich unbedingt bei Takano entschuldigen. Wie sollte er das nur wieder gut machen? Von allen hatte Takano es als Letzter verdient, dass er seinen Frust an ihm ausließ. Über diese Geschichte mit seinem Vater brütete er jetzt schon die ganze Woche, es hatte ihn seither nicht losgelassen. Und wahrscheinlich war er auch nur deswegen so leicht reizbar gewesen. Auch, wenn der Besuch seines Vaters unerwartet kam und auch genauso unerwartet endete, so plagten ihn jetzt Zweifel. Wegen seiner beruflichen Lage, vor allem aber auch wegen dem, was all dies für ihn privat bedeuten würde. Er fühlte sich, als würde er auf dünnem Eis balancieren und jeden Moment ausrutschen. Wahrscheinlich hätte er Takano nicht meiden sollen. Wahrscheinlich wäre es das Beste gewesen, ihn damit direkt aufzusuchen und die Lage zu erklären. Vielleicht hätte ihm das geholfen. Vielleicht hätte Takano seine Zweifel mit einem lässigen Kommentar wegfegen können. Obwohl Takano natürlich auch nur ihr Abteilungsleiter war und mit der Geschäftsleitung nur wenig zu tun hatte. Geschweige denn, dass er Isaka irgendwie hätte beeinflussen können. Isaka, den sich sein Vater ins Boot geholt hatte.
 

Jetzt im Nachhinein fühlte er sich wie der größte Idiot. Die ganze Zeit hatte er Takano aufs Äußerste gemieden, anstatt mit ihm zu reden. Und wie oft hatte sein Vorgesetzter ihm jetzt schon gesagt, er solle klar mit ihm kommunizieren? Damit er ihn verstehen konnte. Damit es nicht wieder zu Missverständnissen kam und sie aneinander vorbei redeten. Oder sich deswegen gar ihre Wege trennten, so wie damals… und jetzt vielleicht auch?
 

Nein, nein, nein! So durfte er gar nicht denken! Er war nur aus dem Auto gestiegen. Er hatte nur das Gespräch gemieden und war aus dem Wagen gestiegen. Und den Termin hatte er auch sausen lassen. Aber immerhin lagen seine Sachen noch im Auto, so hatte Takano zumindest auch alle nötigen Unterlagen für das Gespräch. Immerhin etwas. Oh je… der Termin mit dem Autor und… oh nein. Oh nein! Der Termin mit Yokozawa! Bestimmt hatte Takano ihm erzählt, dass er bei dem Termin auch anwesend sein würde. Bestimmt rechnete Yokozawa auch mit ihm. Und bestimmt würde er fragen, wo er denn geblieben war. Ob Takano es ihm erzählen würde? Alles? Immerhin verband sie eine enge Freundschaft, eine Vertrauensbasis, die er selbst offensichtlich noch nicht erreicht hatte. Die er bislang nicht erreichen wollte, vor der er sich gefürchtet hatte und es auch noch immer tat.
 

Da konnte er sich auf etwas gefasst machen, immerhin hatte Yokozawa ihm seine Position ganz klar und deutlich vor Augen geführt. Er schluckte hart. Yokozawa hatte ziemlich deutlich gemacht, was passieren würde, würde er es wagen, Takano noch einmal zu verletzen. Hatte er Takano verletzt? Wahrscheinlich…
 

Betrübt holte er sein Telefon aus der Jackentasche, prüfte den Weg bis zur Bahnstation. Es sollte wohl nicht mehr allzu weit sein. Er hoffte inständig, dass ein Zug kam. Ansonsten würde er ein Taxi rufen müssen, für welches er nicht ausreichend Geld mit sich trug. Oder er müsste Takano anrufen und ihn bitten, ihn abzuholen. Nein, das konnte er unmöglich tun. Er könnte ihm nicht in die Augen sehen und eine Idee, wie er sich entschuldigen und sich erklären sollte, hatte er auch noch nicht. Aber so wie es aussah, würde der Akku seines Telefons diese Option ohnehin nicht zulassen. Und seine Tasche lag immerhin auch noch in Takanos Wagen, also wohl oder übel auch sein Ladekabel. Selbst wenn er also eine Steckdose finden würde, es wäre zwecklos. Was hatte er da nur angerichtet? Wie kam er da nur wieder raus?
 

~~~
 

Die Ortschaft, in der der Termin stattfand und auch das Hotel gebucht war, lag fernab der Stadt in erhöhter Lage. Die Luft war klar und die Temperaturen frisch, es wäre alles perfekt gewesen, um mit Onodera die heißen Außenanlagen des Bades zu nutzen. Takanos Weg führte in Serpentinen bergauf, um ihn herum lag Wald. Die Aussicht, die sich bereits auf dieser Höhe bot, ebenso wie die unberührte Natur hier draußen, hätten auch seinem Partner gefallen.
 

Partner… ob Onodera das war? Noch immer konnte oder wollte sein junger Nachwuchsredakteur nicht zugeben, dass er ihn liebte. Dass er zu ihm gehörte. Waren sie also Partner? Oder waren sie nach wie vor nur Nachbarn, beziehungsweise Arbeitskollegen? Beide Optionen widerstrebten ihm. Er wollte mehr als das. Er wollte mit Onodera zusammen sein, immer. Er wollte, dass er ihm gehörte, dass er ihn küssen und berühren konnte, wann immer sich die Gelegenheit bot.
 

Er hätte es nicht forcieren sollen. Er hätte Onodera vorwarnen sollen, zumindest das Treffen mit dem Autor hätte er ankündigen sollen. Was er streng genommen auch getan hatte, nur hatte er dabei den eigentlichen Ort des Geschehens unter den Tisch fallen lassen. Und das hatte er davon. Jetzt fuhr er mutterseelenallein eine Serpentine nach der anderen, obwohl er die Chance hätte nutzen können, mehr über Onodera zu erfahren. Mit ihm zu reden, die letzten zehn Jahre aufzuarbeiten und die Vergangenheit endlich Vergangenheit sein zu lassen. Aber er hatte einmal mehr die Reihenfolge nicht eingehalten. Und noch dazu hatte er über Onoderas Kopf hinweg entschieden.
 

Resigniert atmete er aus. Es war Onodera selbst, der ihm erzählt hatte, wie sehr er es hasste, wenn über dessen Kopf hinweg entschieden wurde. Dass er zumindest gefragt werden wollte. Es war damals an seinem Geburtstag gewesen. Gleichermaßen war die Reihenfolge immer wieder Thema ihrer wenigen Konversationen, die sie abseits der Arbeit führten. Und dennoch hatte er weder das eine noch das andere berücksichtigt. Er hatte sich einfach nicht zurückhalten können. Das Treffen mit dem Autor kam ihm gelegen und er wollte doch nur Zeit mit der Person verbringen, die er liebte. Was war so falsch daran?
 

Ob seine Liebe einfach nicht erwidert wurde? Diese kleine Stimme in seinem Kopf hatte ihn seit jeher nicht losgelassen. Was, wenn Onodera seine Liebe nicht erwidern konnte, weil er ihn schlichtweg nicht liebte? Doch dann hätte er ihn abgewiesen. Dann hätte er sich gewehrt, wirklich gewehrt. Mittlerweile ließ er ihn gewähren, erwiderte seine Küsse, Berührungen und auch den Sex genoss er. Um das zu sehen, brauchte es keinen Detektiv.
 

Ritsu Onodera, oder besser Ritsu Oda, hatte ihm damals gezeigt, dass es auch Menschen gab, die an seiner Seite sein wollten. Die ihn wohlauf und glücklich sehen wollten. Die ihn liebten. Bedingungslos. Das war etwas, dass es in seinem Leben zuvor nicht gab. Liebe hatte in seiner Welt nicht existiert, bis sein kleiner Stalker ihm in einer Welle aus Gefühlen das Gegenteil bewiesen hatte.
 

Und so wie Onodera ihm damals geholfen hatte, so wollte er jetzt auch bei ihm sein. Wie oft hatte er schon versucht, Onodera seine Unsicherheit zu nehmen? Ihm zu zeigen, dass er hinter ihm stand und ihm den Rücken freihielt. Dass er ihn liebte und Onodera es nur zulassen müsste, so wie er es damals auch getan hatte.
 

Sie waren beide verletzt worden. Und das alles nur aufgrund eines dummen Missverständnisses. Er selbst hatte das Herz der Person, die er so liebte, gebrochen, weil er im falschen Moment gelacht hatte. Und Ritsu hatte seines in zwei Hälften zerrissen, als er ohne ein Wort verschwunden war. Es wurde Zeit, dass sie diesen Schaden wieder in Ordnung brachten.
 

Wenn Onodera doch nur nicht so stur wäre...
 

Wenn er daran dachte, dass sie all das Theater jetzt nur hatten, weil dieser Trottel damals einfach weggelaufen war und ihrer beiden Leben bis heute unnötig verkomplizierte… Onodera hatte Hals über Kopf aufgrund eines Missverständnisses die Flucht ergriffen. Dieser Idiot.
 

Es war sein Handy, das ihn aus seinen Gedanken und zurück ins Hier und Jetzt brachte. Er konnte das Vibrieren am harten Plastik der Mittelkonsole hören, wo er das Telefon vor der Fahrt platziert hatte. Ob es Onodera war? Vielleicht hatte er es sich anders überlegt und stand nun irgendwo im Nirgendwo. Was, wenn er ihn brauchte und wollte, dass er ihn wieder aufsammelte? Suchend wanderte sein Blick zu der Geräuschquelle und wurde schnell fündig. Das Gerät lag jedoch auf dem Display und er konnte nicht erkennen, wer ihn anrief. Mit nur halbem Auge auf dem Verkehr löste er hastig die Hand vom Lenkrad, um nach dem Telefon zu tasten und den Anruf nicht zu verpassen. Solche Situationen nervten ihn, weil sie ihn aus der Ruhe brachten. Er sollte sich voll und ganz auf den Verkehr konzentrieren, so war er sonst nicht.

Wehe, wenn das nicht Onodera ist…

Normalerweise war er ein verantwortungsvoller Fahrer, niemals hätte er sich von einem Anruf ablenken lassen. Wenn nur diese Sache mit Onodera nicht vorgefallen wäre, wenn er gedanklich nicht schon die ganze Zeit in seinem eigenen Chaos versinken würde…
 

Als ihm in der Kurve das Telefon auch noch zwischen den Fingern entglitt und auf den Boden der Beifahrerseite fiel, richtete er seinen Blick und seine Aufmerksamkeit wieder auf die Straße.

„Verdammt!“ erschrocken drückte er das Bremspedal des Wagens durch, umklammerte mit beiden Händen das Lenkrad. Mit quietschenden Reifen kam er gerade noch rechtzeitig zum Stehen. Fast hätte er die rote Ampel übersehen. Im Grunde genommen hatte er sie bereits überfahren. Die komplette Vorderfront des Autos hatte die Haltelinie weit überschritten und er konnte das Verkehrslicht kaum noch sehen. Aber immerhin stand er, das war gerade nochmal gut gegangen.
 

„So ein Mist!“, knurrte er, ließ sich zurück in den Sitz fallen und versuchte seine Gedanken zu sammeln. Das war knapp. Er war froh, dass die Straßen hier nur spärlich befahren wurden. Er hätte sich nicht ausmalen wollen, was passiert wäre, wenn…
 

Das Vibrieren hatte nicht aufgehört, sein Anrufer war hartnäckig. Jetzt, wo er ohnehin bereits stand, konnte er auch den Anruf entgegen nehmen. Dann könnte er danach die Fahrt in aller Ruhe wieder aufnehmen. Wenn das Gerät doch nur nicht auf den Boden des Beifahrersitzes gefallen wäre. Er knurrte genervt, als er den Sicherheitsgurt weitete und versuchte nach dem Telefon zu tasten. Immerhin konnte er jetzt das Display sehen, nur um noch verärgerter festzustellen, dass sein Anrufer nicht Onodera sondern Yokozawa war. Das konnte nur heißen, dass dieser schon ungeduldig auf ihn wartete – daher auch die Geduld ihn endlich an den Hörer zu bekommen. Doch so sehr er es auch versuchte und sich streckte, er bekam das Gerät einfach nicht zu greifen, immer erwischte er es nur mit den Fingerspitzen. Er hatte mittlerweile den Sicherheitsgurt vollständig gelöst und sich so weit wie möglich nach dem Telefon gestreckt. Das konnte doch nicht sein, er musste doch irgendwie an das Gerät kommen…!
 

Takano fuhr erschrocken auf, als er das dröhnende Hupen eines Fahrzeuges hörte. Er hatte das Geräusch sofort erkannt. Doch als er sich ruckartig aufsetzte, um der Geräuschquelle zu folgen, war es bereits zu spät.
 

Er hörte nur noch das ohrenbetäubende Geräusch von kreischendem Metall und spürte einen harten Stoß durch den Wagen gehen. Die Wucht des Aufpralls durchzog seinen ganzen Körper und katapultierte irgendetwas gegen seine Brust, das ihm gewaltsam sämtliche Luft aus den Lungen presste. Durch seine dunklen Strähnen hindurch konnte er nur noch das Aufblitzen von Glassplittern erkennen, die auf ihn stürzten. Er hatte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Und dann wurde alles schwarz.
 

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  NaschKatzi
2021-03-04T18:11:40+00:00 04.03.2021 19:11
Hello~

Q.Q Auch nach dem zweiten Lesen macht mein Herz doki o.o
Ich hoffe so sehr, dass Masa nicht allzu sehr kaputt ist. Oder eigentlich doch xD Argh xD Es ist so fies o.o
Was muss er auch beim Fahren am Handy spielen u.u
Wie wohl Ritsu reagieren wird?! Noooo Q.Q
Ich will es nicht wissen, doch will ich Q.Q
Mein Herz macht aus...*schnieft*
Antwort von:  Komori-666
04.03.2021 20:23
Huhuuu! :)

Vielen lieben Dank für dein Review! Wie schön, dass du die Ff hier gefunden und sogar nochmal gelesen hast! :)
Manchmal unterschätzt man solche Momente und lässt sich dann ablenken, das wurde auch für Masamune zum Verhängnis.
Wie es weitergeht erfährst du bald! Ich denke, dass ich am Samstag das nächste Kapitel hochladen werde :)

Ganz liebe Grüße und bis dahin,
Komori


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