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Common Ground

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Leute, schnallt euch an, legt die Taschentücher bereit, es wird nochmal dramatisch! Nicht mehr lange und ihr habt es überstanden, versprochen!

Der Titel kommt wie schon der des letzten Kapitels aus „Lover I don’t have to love“ von Bright Eyes – die Lyrics sind einfach Killer, so starke Bilder, so viel Melancholie und dann noch die Musik dazu … hach. *seufz* 💔

Und zu guter Letzt: Wer noch nie etwas von Schrödingers Katze gehört hat, kann hier nachlesen ;) https://de.wikipedia.org/wiki/Schrödingers_Katze#Das_Gedankenexperiment

Jetzt aber erstmal viel … Spaß. *hust* Komplett anzeigen

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Excuse to get hurt. (And to hurt.)

Du doch auch nicht.

Wieder oben auf dem Hügel angekommen, lief Duke quer über den Vorplatz ohne nach links und rechts zu sehen. Inmitten einer Baumgruppe und weit außerhalb des Sichtfeldes aller seiner Mitschüler, ließ er seinen Rucksack achtlos zu Boden gleiten und sich an einem der Baumstämme nach unten sinken.

Tristan hatte recht. Warum hatte er nicht versucht, Joey zu stoppen? Warum hatte auch er nur wie gelähmt dagestanden und zugesehen?

Schmerz durchzuckte von Neuem seine Schädeldecke.

Noch ein Grund mehr für Kaiba, sauer auf ihn zu sein, ihn für alles verantwortlich zu machen. Gegen das Gespräch, das sie später führen mussten, würde die Präsentation vor dem Industrial Illusions-Vorstand geradezu ein Spaziergang werden! Und niemand würde ihm helfen. Niemand konnte ihm helfen. Er hatte sich ganz allein in diese Lage manövriert und jetzt musste er auch allein wieder hinausfinden.

Seine Brust zog sich zusammen. Früher war es immer so gewesen – Duke Devlin, allein gegen die Welt – und er hatte sich stark gefühlt dabei, unabhängig. Er entließ ein kurzes, zynisches Schnauben. Wie sich die Dinge doch geändert hatten!

Einige Zeit später, aber trotzdem viel zu früh, drang Frau Kobayashis anstrengende Stimme an sein Ohr. Er wandte seinen Kopf ein wenig nach hinten und sah durch die Bäume, wie die Lehrerin nach und nach die anderen Schüler aufscheuchte und sie aufrief, sich an der Treppe vor dem Museumseingang zusammenzufinden. Seufzend erhob er sich und trottete ebenfalls zu dem auserkorenen Sammelplatz.
 

Der triste Himmel schlängelte sich wie ein graues Band über dem staubigen Weg, der sie weiter hinein in das langgestreckte und dicht bewaldete Tal zwischen den beiden Bergketten führte. Duke blieb allein und immer auf Abstand sowohl zu seinen Freunden als auch zu Kaiba, als wären sie alle Elementarteilchen mit der gleichen Ladung, die sich abstießen, wann immer sie einander zu nahe kamen. Alle paar Meter versteckten sich zwischen den hohen Laub- und Nadelbäumen weitere Grabhügel und Steinansammlungen, unterschieden sich jedoch in Bauart und Erhaltungszustand teils deutlich von denen weiter vorne.

Gerade deutete Frau Kobayashi aufgeregt und wild gestikulierend auf verschiedene Stellen einer Struktur aus aufgeschichteten Steinen, doch so faszinierend das Ganze auch sein mochte, an Duke rauschten ihre Worte einfach vorbei. Eine Hügelform war hier schon lange nicht mehr zu erkennen, die oberen Steinschichten waren fast vollständig abgetragen. Übrig geblieben waren lediglich die Wände oder Einfassungen der Grabkammer, die sich in Form einer rechteckigen Grube im Boden auftaten.

Ein offenes Grab. Das war es doch im Grunde, oder? 1600 Jahre und bestimmte Dinge blieben einfach gleich.

Die Grube, in die sie damals den Sarg hinabgelassen hatten, ihren Sarg, hatte gar nicht so viel anders ausgesehen. Noch immer sah er das Bild genau vor sich, so lebhaft und detailreich hatte es sich in sein Gehirn eingeprägt. Eigentlich war der Tod für seine Mutter fast schon eine Erlösung gewesen – das Ende eines langsamen und grausamen Sterbeprozesses, der sich über Monate hingezogen hatte. Man hatte zusehen können, wie sie schwächer geworden war, dünner, der Husten immer stärker und unerträglicher, bis ihre Kräfte sie schließlich nach ein paar letzten Wochen im Krankenhaus verlassen hatten.

Ein Windstoß fuhr durch den Wald, ließ Blätter rascheln, Äste knacken und einige Haarsträhnen seines Zopfes wild in sein Gesicht wirbeln. Ein Stich durchfuhr sein Herz.

Das gleiche Haar.

Ihr Haar, lang, seidig weich und pechschwarz, auf das sie immer so stolz gewesen war, das sein Vater so geliebt hatte, das die aggressive Chemotherapie ihr genommen hatte.
 

„Ich weiß was, Mom! Warum lasse ich nicht einfach meine Haare lang wachsen, bis du deine wieder hast? Dann sind sie gar nicht so richtig weg! Und wenn es soweit ist, dann tauschen wir wieder. Oder mir gefällt es und dann haben wir beide lange Haare!“

Mit einem traurigen Lächeln zog sie ihn an sich – vorsichtig und immer darauf bedacht, nicht versehentlich einen der Schläuche an ihrem Arm zu quetschen – und gab ihm einen sanften Kuss auf den Kopf.

„Das ist eine ganz wundervolle Idee, mein Schatz!“
 

Wie naiv er gewesen war! Vielleicht hatte er aber auch schon geahnt, wie es kommen würde und es nicht wahrhaben wollen. Sein zehnjähriges Ich hatte die Endgültigkeit des ganzen Vorgangs erst dann wirklich begriffen, als es bereits vorbei gewesen war und er an der Hand seines Vaters vor der offenen Grube gestanden hatte. Den Ort hatte sie sich selbst ausgesucht, ein schöner Platz unter einer alten Weide, in der Hoffnung, dass er und sein Vater oft zu ihr kommen würden, sie besuchen, ihr erzählen. Zwei oder drei Mal nur hatten sie es geschafft, bevor der Schmerz seinen Vater so sehr verändert hatte, dass er nicht mehr wiederzuerkennen war.

Mein Gott, Junge, mach dir doch wenigstens einen Zopf! Du siehst aus wie sie!

Seitdem hatte ihn genau ein anderer Mensch so gesehen – hatte sie gesehen.

Weil er es zugelassen hatte.

Zum allerersten Mal.

Und er hatte es vergeigt. Auf ganzer Linie.
 

Frau Kobayashis Wortschwall war versiegt. Offenbar hatten sie jetzt wieder einmal etwas Zeit, um sich die Steine selbst genauer anzusehen – oder eben auch nicht. Duke entschied sich wenig überraschend für letzteres und ließ sich einige Meter entfernt auf einem umgestürzten Baumstamm nieder.

Eine Bewegung in seiner Nähe schreckte ihn aus dem Strudel an traurigen Erinnerungen, in den er in den letzten Minuten immer weiter hineingezogen worden war. Tea setzte sich zu ihm und strich ihm, ohne ein Wort zu sagen, sanft über den Rücken. Er hatte weder die Kraft noch den Willen, ihr Einhalt zu gebieten, sondern ließ es einfach geschehen.

Schließlich entließ er ein langgezogenes Seufzen und sah sie an. „Was ich vorhin gesagt habe, tut mir leid. Wenn ich es überhaupt gemeint habe, dann nur auf Joey und Tristan bezogen, nicht auf Yugi, Ryou und dich. Ihr hattet mit alldem ja nichts zu tun.“

Für einen Moment bedauerte es Duke, als die Wärme ihrer Hand von seinem Rücken verschwand, doch stattdessen fing sie seinen Blick auf und lächelte. „Entschuldigung angenommen! Bei dem, was da gestern offenbar gelaufen ist mit den beiden, ist dein Ärger ja auch nur verständlich. Wenn es um Kaiba geht, gibt es für Joey eben meistens nur schwarz und weiß.“

„Und wer nicht für ihn ist, ist gegen ihn.“

Tea nickte und musterte ihn noch einmal ausführlicher. „Mhm. Ist das wirklich alles oder ist noch etwas anderes?“

Duke wich ihrem prüfenden Blick aus und scharrte mit seinen Schuhspitzen durch das Laub auf dem Waldboden. Natürlich war das nicht alles. Es gäbe so viele Geständnisse, die er machen könnte, machen müsste. Aber heute würden sich die Geständnisse auf Kaiba beschränken, und das allein würde schon schwer genug werden.

So schüttelte er nur den Kopf, sie legte noch einmal ihren Arm um seine Schultern und drückte sich kurz an ihn, bevor Frau Kobayashi auch schon zum Weitermarsch blies. Tea erhob sich und streckte ihm mit einem sanften Lächeln die Hand hin, er ergriff sie und ließ sich von ihr nach oben ziehen.
 

Den restlichen Teil der Führung absolvierte er hauptsächlich gemeinsam mit Tea, die Yugis und Ryous Fachsimpelei ebenfalls nicht mehr ertragen konnte. Schließlich kamen sie wieder zum Parkplatz, wo sie erst einmal auf die Rückkehr des Fahrers warten mussten, damit er den Bus aufschloss. Als Tea ganz selbstverständlich zu den anderen ging, blieb Duke kurz stehen, atmete noch einmal tief durch und folgte ihr dann. Er würde sie nicht ewig meiden können und wollte das auch gar nicht. Es war nicht mehr wie früher. Er war nicht mehr wie früher.

Sich bei Ryou und Yugi zu entschuldigen war ebenso unkompliziert, wie es bei Tea gewesen war. Nach ihnen kam Tristan an der Reihe: „Tut mir leid, dass ich dich so angefahren habe! Ich hab mich wahrscheinlich mehr über mich selbst geärgert und das an dir ausgelassen.“

„Schon okay, Mann! Ging uns allen mal so.“, erwiderte Tristan lächelnd und klopfte zweimal sanft mit der Hand auf seinen Oberarm. „Ist ja auch logisch, dass du sauer warst. Wir haben uns gestern echt nicht gerade von unserer besten Seite gezeigt.“

Als Tristans und sein eigenes verlegenes Lachen erstarb, hing ein merkwürdiges Schweigen in der Luft, nur durchbrochen von Joeys Fuß, der hörbar auf den Asphalt tippte. Der Blonde hatte die Arme vor der Brust verschränkt und ein Funkeln lag in seinem Blick.

Erwartete Joey ernsthaft ebenfalls eine Entschuldigung von ihm?! Tze, das konnte er vergessen! Wenn sich jemand entschuldigen sollte, dann Joey – und zwar bei ihm! Und Kaiba!

Tea sah zwischen ihnen hin und her und rollte mit den Augen. „Himmel! Ihr seid wirklich zwei Sturköpfe sondersgleichen!“ Sie legte dem Blonden die Hand auf die Schulter und sah ihn eindringlich an. „Joey, könntest du Duke als Freund einfach mal vertrauen und ihm glauben, wenn er sagt, dass er Kaiba den Block wirklich freiwillig gegeben hat?“

Unter ihrem vorwurfsvollen und mahnenden Blick nickte Joey schließlich sichtlich zähneknirschend.

„Sehr schön! Und damit legen wir dieses ganze leidige Thema jetzt bitte endgültig zu den Akten!“ Dann wandte Tea sich ihm zu. „Duke, du kennst Joey. Was auch immer er gestern genau gesagt hat, einiges davon hätte er sicherlich nicht gesagt, wenn er nüchtern gewesen wäre.“

Die Hände in den Hosentaschen vergraben sah er zu Boden und wiegte kurz den Kopf hin und her. „Wahrscheinlich nicht.“

„Okay. Können wir diesen dummen Streit dann bitte vergessen und uns wieder vertragen? Niemandem ist was passiert, es gab keine Toten, es sind keine irreparablen Schäden entstanden.“

Widerstrebend nickten sie beide und gaben sich die Hand, während Tea noch etwas in sich hineinmurmelte das stark nach „… wie im Kindergarten hier …“ klang.

Von wegen ‚keine irreparablen Schäden‘! Die ganze Sache war noch lange nicht vergessen, für ihn selbst genauso wenig wie für Joey, das war nur zu deutlich aus dessen Blick abzulesen.
 

Mit einer gewissen inneren Befriedigung legte Seto im Bus Mantel und Tasche auf einem der Sitze ab und ließ sich auf den Fensterplatz daneben fallen. Der letzte Ausflug war überstanden! Nur noch ein einziges Mal würde er in diesem unwürdigen Gefährt sitzen müssen und zwar morgen, um wieder nach Hause zu kommen. Dann gehörte diese ganze Fahrt endlich genauso der Geschichte an, wie die zerfallenen Hügel und Gräber, die er gerade zu besichtigen gezwungen gewesen war. Nicht, dass er wirklich irgendetwas besichtigt hätte. Die Vergangenheit war Vergangenheit und es lohnte sich selten, darauf zurückzuschauen. Er blickte lieber nach vorne, in die Zukunft, die man ändern und gestalten konnte, nach seinen eigenen Vorstellungen.

Versonnen sah er aus dem Fenster. Warum fiel es ihm dann so verdammt schwer, seine eigene nähere Vergangenheit einfach loszulassen? Devlin war ihm den ganzen Tag ausgewichen – zu recht natürlich, nach letzter Nacht. Nicht einmal einen kleinen Seitenblick hatte er ihm zugeworfen. Vermutlich hatte er nun endlich aufgegeben und eingesehen, dass diese ganze Sache aussichtslos war.

Falls dem so war: Wunderbar! Das machte sein Leben um einiges einfacher! Sicher, er würde hin und wieder noch mit Devlin zu tun haben, spätestens wenn es um die Realisierung der DDM-Duel Disk ging, aber bis dahin würde sein Alltag die Erinnerungen an das, was hier geschehen war, vollständig überspült haben. Sie würden bedeutungslos sein, einfach keine Rolle mehr spielen, ganz so, als wären sie jemand völlig anderem passiert.

Mr. Hyde, nicht Dr. Jekyll.

Ein leichtes Ziehen in seiner Magengegend brachte ihn dazu, das Sinnieren einzustellen, schnell nach seiner Tasche zu greifen und den Block herauszuholen. Die Fahrzeit würde vermutlich genau ausreichen, um die Detailzeichnung des Dimensionierungsmechanismus zu beenden, die er heute in der Mittagspause begonnen hatte, anstatt das labberige und ausgesprochen uninspirierte Sandwich zu verspeisen, das den Hauptinhalt des Lunchpaketes dargestellt hatte.
 

Etwa zwanzig Minuten später war die Zeichnung beendet und Seto sah das erste Mal wieder auf. Bewegten sie sich überhaupt noch vorwärts? Ein Blick aus dem Fenster verriet ihm, dass dem in der Tat nicht so war. Bereits seit mehreren Minuten schienen sie in einer langen Kolonne von Autos zu stecken und stillzustehen.

Just in diesem Moment erhob sich Frau Kobayashi, wechselte ein paar Worte mit dem Fahrer und postierte sich dann im Mittelgang. „Meine Damen und Herren, wie ich gerade erfahren habe, hat sich weiter vorne ein Unfall ereignet und wir stehen im Stau. Es kann also noch ein wenig länger dauern. Aber keine Sorge, ich rechne damit, dass wir trotzdem pünktlich zum Abendessen und zu unserer kleinen Überraschung zurück sein werden. … Ach, wissen Sie was? Was soll’s! Ich wollte Ihnen ja ohnehin auf der Rückfahrt verraten, worum es sich handelt. Die Überraschung ist …“

Warum die dramatische Pause? Wartete die Gute auf einen Trommelwirbel?!

„ … ein Lagerfeuer! Ja, Sie haben richtig gehört: Nach dem Abendessen wird es draußen ein Lagerfeuer geben, wir werden uns alle darum versammeln, gemütlich unter freiem Himmel sitzen, die Natur genießen und die herrlichen, letzten Tage noch einmal Revue passieren lassen!“

Ein Lagerfeuer?! Das verbuchte Kobayashi-sensei unter einer Überraschung? Und einer guten noch dazu?! Dass er wie ein Höhlenmensch vor einem Feuer sitzen und seine Kleidung komplett nach Rauch stinken würde? Mit dem Stift massierte Seto sich die rechte Schläfe und schloss für ein paar Sekunden die Augen. Gott, diese Frau! Nur noch wenige Monate, dann hatte er seinen Abschluss und war diese Nervensäge endlich los.
 

Der Fahrer schaffte es, eher von der Autobahn abzufahren, allerdings mussten sie sich stattdessen durch den spätnachmittäglichen Berufsverkehr Naganos kämpfen, sodass sie wesentlich später als ursprünglich geplant zurück in der Herberge ankamen und umgehend von der Lehrerin zum Abendessen in den Speisesaal gescheucht wurden.

Duke saß mit den anderen am Tisch, schob sich abwesend sein Essen in den Mund und hörte der Konversation nur mit einem halben Ohr zu, im Kopf schon wieder (oder vielmehr immer noch) bei der zunehmend drängenden Frage, wie er mit Kaiba reden sollte.

„Was soll ich denn gleich nur anziehen? Ich möchte eigentlich nicht, dass irgendeins meiner guten Tops voll nach Rauch stinkt! Und meine Jacke erst!“ Tea machte sich schon seit der Ankündigung des Lagerfeuers Gedanken über die Wahl der richtigen Kleidung.

„Ich kann mich auch irren, aber gibt es dafür nicht so ein Gerät? So eine – wie sagt man noch gleich? –‚Waschmaschine‘?“, warf Tristan in gespielter Ahnungslosigkeit ein.

„Sicher, Blödmann, aber manche meiner Sachen sind nun einmal empfindlich und ich habe Angst, dass der Gestank nicht vollständig wieder rausgeht!“

Yugi lächelte. „Ich würde dir ja einen von meinen Pullis geben, aber ich glaube nicht, dass die dir passen …“

„Danke Yugi, das ist wirklich nett von dir! Aber die Idee ist gar nicht so übel! Joey, leihst du mir einen von deinen Pullovern?“

„Ach, weil meine Klamotten verraucht werden dürfen oder was?!“

„Hmm, lass mich überlegen …“ Sie legte nachdenklich die Finger an die Lippen, dann nickte sie. „Ja! Mehr als meine jedenfalls.“

Joey rollte mit den Augen. „Na gut, von mir aus. Ich bring dir einen mit.“

„Danke, Joey, du bist ein Schatz!“

„Ja ja, mal sehen wie lange noch.“

Sollte das gleich vielleicht schon seine Gelegenheit sein? Oder sollte er warten, bis er heute Nacht wieder allein mit Kaiba im Zimmer war? Immerhin gab es heute keine Party, die ihn daran hindern würde, zur Nachtruhe wieder oben zu sein. Aber dann war es spät, Kaiba würde genervt sein vom Lagerfeuer, würde schlafen wollen … keine gute Ausgangsbasis, so viel stand fest. Ebenso, dass er selbst das Lagerfeuer unmöglich würde genießen können, wenn er noch weitere drei Stunden warten musste. Voller Ungeduld würde er die Minuten zählen und je später es wurde, desto mehr würde er zum Nervenbündel werden, bis es im schlimmsten Fall vielleicht noch seinen Freunden auffiel. Wenn er sich hingegen schon im sicheren Besitz der Entwürfe wüsste …

Die Aufregung ließ das Blut schneller durch seine Adern rauschen. Je eher er es hinter sich hatte, desto besser. Aber würde Kaiba ihm überhaupt eine Chance geben und ihn anhören? Wie sollte er anfangen? Zwar hatte er schon den ganzen Tag über diesen Fragen gebrütet, aber das war weit weniger fruchtbar gewesen, als er gehofft hatte. Am Ende würde es wohl wieder einmal auf Improvisation hinauslaufen. Ein flaues Gefühl breitete sich in seiner Magengegend aus und den Rest seiner Mahlzeit brachte er nur mit Mühe hinunter.
 

Nachdem das Essen beendet war, fiel unter den Freunden ganz wie erwartet tatsächlich der Beschluss, erst einmal auf die Zimmer zu gehen, sich umzuziehen und dann unten zu treffen. Eine feste Zeit wurde glücklicherweise nicht vereinbart; Duke hätte auch gar keine Lust gehabt, sich eine weitere, vermutlich noch hanebüchenere Ausrede ausdenken zu müssen, warum er erneut länger brauchen würde als der Rest.

Die Zeit der Ausreden musste (und würde!) endlich ein Ende haben! Seine vielfachen Verschleierungstaktiken kosteten doch um einiges mehr Kraft, als er jemals erwartet hätte und langsam, aber sicher war er nur noch erschöpft. So betrachtet grenzte es ja schon fast an eine Erlösung, Kaiba gleich sagen zu können, was Sache war.

Ach, wem machte er eigentlich etwas vor? Es gab nichts schönzureden, an dem, was ihm gleich blühte.

Kaum waren sie oben im Gang der zweiten Etage angekommen, rutschte ihm das Herz endgültig in die Kniekehlen. Kaiba lehnte an der Wand neben der Tür zu ihrem Zimmer, seinen Mantel über dem Arm und die Tasche auf den Schultern, und schien bereits ungeduldig auf ihn zu warten. Kein Wunder, immerhin war wieder einmal er es, der den Schlüssel hatte. Duke schluckte. Kurz angebunden verabschiedete er sich vorübergehend von den anderen und schritt den Gang weiter nach hinten auf Kaiba zu. Sein Herz raste und er musste sich zwingen, nicht den Kopf zu senken und den blauen Augen auszuweichen. Der Brünette bewegte sich keinen Zentimeter von der Stelle, als Duke die Tür erreichte, und seine unerwartete Nähe war ebenso erdrückend wie einschüchternd. Selbst das Parfüm roch heute ein wenig anders als sonst: irgendwie … bittersüß, Kopfnote: Schuld und schlechtes Gewissen. Das minimale Zittern seiner Hände beim Aufschließen der Tür konnte er nur mit allergrößter Mühe zügeln. Er durfte jetzt keine Schwäche zeigen, Kaiba hatte so schon genügend Gründe, ihn zu verachten. Gentleman, der er war, ließ er dem Brünetten den Vortritt und nahm noch einmal einen tiefen Atemzug, bevor er direkt nach ihm ins Zimmer trat und die Tür hinter ihnen schloss.
 

Anders als gestern war nicht die untergehende Sonne durch das Fenster zu sehen; nur die weiterhin undurchdringliche, graue Wolkendecke, die sich im schwindenden Tageslicht immer dunkler färbte.

Zielstrebig ging Kaiba zu seinem Koffer und begann, darin zu suchen, vermutlich, um ebenfalls einige getragene Kleidungsstücke zu finden, die er gleich guten Gewissens dem Rauch des Feuers aussetzen konnte. Duke ließ seinen Rucksack von der Schulter gleiten, legte seine Jacke auf dem Bett ab und setzte sich mit angewinkeltem Bein daneben, den Blick auf den Rücken des Brünetten geheftet.

„Kaiba, wir müssen reden!“

Der Brünette hielt in seinem Tun inne, richtete sich auf und sah ihn mit verschränkten Armen kühl und abwartend an. Dukes Herzschlag legte noch einen weiteren Gang zu. Er hatte keine Wahl: Am Ende musste es auf diese eine kritische Forderung hinauslaufen. Aber er hatte die Chance sie einzubetten und vorzubereiten, sodass Kaiba seine Zwangslage hoffentlich verstehen würde. Außerdem gab es da ein paar Dinge, die es verdienten, noch einmal gesagt zu werden: nüchtern und von Angesicht zu Angesicht.

„Nochmal wegen gestern …“, setzte er an und rieb nervös seine kalten und zunehmend feuchten Handflächen aneinander.

Schon öffnete Kaiba den Mund, vermutlich, um ihn sogleich zu stoppen, aber Duke brachte ihn mit einer Geste zum Schweigen. „Bitte, lass mich ausreden, auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole und es dich nervt!“

Der Brünette entließ ein leises Seufzen und bedeutete ihm sichtlich widerstrebend fortzufahren.

„Es tut mir unendlich leid, was letzte Nacht gelaufen ist! Glaub mir, ich wollte nichts mehr, als sofort hierher zurückkommen – zu dir zurückkommen – aber ich … hab nicht den Mut gehabt, die anderen einfach stehen zu lassen. Ich wollte um jeden Preis vermeiden, dass sie Verdacht schöpfen und es irgendwie hässlich wird.“ Leise und ein wenig bitter lachte er auf. „Ironisch, nicht wahr?!“

Seine Suche nach irgendeiner Reaktion auf Kaibas Gesicht blieb erfolglos, doch er ließ sich davon nicht abhalten. „Und zu dem, was Joey gesagt hat … irgendwie ist es auch meine Schuld gewesen, dass es diese Richtung genommen hat – indirekt zumindest. Ich wollte mir nicht die ganze Woche dumme Sprüche anhören, darum hab ich niemandem von dem hier erzählt.“ Er klopfte leicht mit der Hand auf ihre gemeinsame Matratze. „Natürlich war das für Joey gestern ein gefundenes Fressen, zumal in seinem Zustand, und auch weil … er ohnehin schon sauer auf dich war. Die ganze Woche hat er irgendwelche wilden Theorien über diesen Dino-Block gesponnen und gestern kam er auf einmal auf die Idee, dass …“

Der Brünette drehte minimal sein Handgelenk, um auf die Uhr zu sehen, weshalb Duke eilig abkürzte: „Ist ja eigentlich auch egal. Der springende Punkt ist: … Er und die andern wissen nichts von unserer Zusammenarbeit.“

Zum ersten Mal glomm ein Fünkchen Interesse in den blauen Augen auf. „Ist mir nicht entgangen. Und der Grund dafür wäre?“

Duke schluckte. Der Kloß in seinem Hals wurde minütlich größer. „Dazu wollte ich gerade kommen.“ Sein Atem zitterte leicht, als er noch einmal tief Luft holte. Sich ewig zu winden, würde es nicht besser oder einfacher machen. Augen zu und durch, hallten Max Worte in seinem Kopf nach. Das Bett knarzte leise, als er sich erhob und etwas mehr in den Raum trat. Gedankenverloren strich seine linke Hand dabei über den kleinen Tisch und fand schließlich auf einer der Stuhllehnen Halt. „Ich … brauche die Entwürfe von dir. Noch bevor wir zurückfahren.“

Langsam, Schritt für Schritt, trat der Brünette auf ihn zu, baute sich vor ihm auf und spielte die knapp zehn Zentimeter, um die er ihn überragte, voll aus. „Und wozu das, wenn ich fragen darf?“

Seine Finger krampften sich fester um das Holz der Lehne. „Ich möchte … – muss – sie am Montag dem Industrial Illusions-Vorstand präsentieren.“

Eine perfekt geschwungene Augenbraue wanderte nach oben. „Weil … ?“

Kaibas durchdringender Blick und messerscharfer Tonfall ließen die gefühlte Temperatur im Raum um mindestens zwanzig Grad sinken. Duke sah zu Boden und massierte sich mit seiner freien Hand den Nacken – nicht, dass es viel zu seiner Beruhigung beigetragen hätte. Noch einmal atmete er tief ein und aus, dann begegnete er von Neuem den blauen Augen seines Gegenübers. „Weil … möglicherweise mein Spiel eingestellt wird, wenn ich dem Vorstand keinen guten Grund vorweisen kann, das nicht zu tun.“

Stille. Sein Herz schlug geradezu unerträglich laut und es erschien Duke wie ein Wunder, dass Kaiba es nicht ebenfalls hören konnte. Die Sekunden zogen sich erbarmungslos in die Länge. Kaibas Miene blieb vollkommen regungslos und die Ungewissheit drehte ihm beinahe den Magen um.

Sie waren sich so nahe, dass Duke den sanften Lufthauch auf seinem Gesicht spürte, als dem Brünetten ein zynisches Schnauben entfuhr, seine Stimme nurmehr ein bedrohliches Flüstern. „Ich hätte es wissen müssen!“ Mit einem Kopfschütteln ließ er Duke stehen und wanderte ziellos durch den Raum. „Schon bei unserem ersten Gespräch habe ich geahnt, dass an der ganzen Sache etwas faul ist!“

„Glaub mir, Kaiba, ich…“

Dir glauben?!“, fuhr ihm der Brünette mit erhobener Stimme ins Wort und schlug dabei einmal mit der flachen Hand gegen die Schranktür, sodass Duke unwillkürlich zusammenzuckte. „Hörst du dir eigentlich zu, Devlin?! Du verlangst allen Ernstes von mir, dass ich dir irgendwas glaube, nachdem du mir gerade frei heraus gesagt hast, dass du nicht nur deinen sogenannten Freunden, sondern vor allem mir absolut kritische Informationen vorenthalten hast?!“

Dukes Herz krampfte sich zusammen. „Hättest du mir denn geholfen, wenn du es gewusst hättest?“, fragte er kraftlos zurück und vergrub seine Hände in der Bauchtasche seines Hoodies.

Kaiba sah ihn an, als hätte er gerade vorgeschlagen, Holographietechnik für ‚Mensch ärgere dich nicht‘ zu nutzen. „Selbstverständlich nicht! Warum sollte ich wertvolle Ressourcen in etwas investieren, das kurz vor dem Aus steht?! Mein anhaltender Erfolg erklärt sich unter anderem dadurch, dass ich solche dummen Fehler nie begangen habe!“

Duke nickte kaum merklich. Immerhin war seine zugegeben unehrenhafte Verschleierung der Tatsachen damit irgendwie gerechtfertigt und nicht umsonst gewesen. „Wenigstens bist du ehrlich.“

„Was man von dir nicht gerade behaupten kann!“

„Ja, verdammt, ich hab’s doch zugegeben!“, platzte es aus Duke heraus und die Leere in seinem Blick wich einem trotzigen Funkeln. „Ja, ich habe dir Informationen vorenthalten und denk’ bloß nicht, ich wäre darauf in irgendeiner Form stolz! Aber Dungeon Dice Monsters ist nun mal meine Erfindung – mein Traum! –, und ich bin bereit sehr viel dafür zu geben, um es am Leben zu erhalten! Wenn das jemand verstehen können sollte, dann doch wohl du! Erzähl mir nicht, dass du nicht bereit wärst, hier und da die Wahrheit ein bisschen zurecht zu biegen, wenn deine Erfindung auf dem Spiel stehen würde!“ Duke nahm die Hände aus der Tasche und trat auf den Brünetten zu, der sich am Schrank angelehnt hatte. Zeige- und Mittelfinger seiner rechten Hand bohrten sich fest in die Brust des Größeren, genau an die Stelle, wo sich sein Herz befand. „Du warst meine einzige Hoffnung, Kaiba! Also, sag mir, was für eine Wahl hätte ich gehabt?! Was hätte ich bitte deiner Meinung nach tun sollen?“

Dukes eigenes Herz hämmerte von innen gegen seinen Brustkorb und drohte ihn zu durchbrechen, als sich Kaibas warme Hand sanft auf die seine legte. Die blauen Augen blitzten gefährlich auf. „Was du hättest tun sollen?! Ich sage dir, was du hättest tun sollen!“ Voll unverhohlener Abscheu wischte er Dukes Finger von sich. „Dich nicht noch billig an mich ranmachen, um sicherzustellen, dass du dein Ziel auch wirklich erreichst!“

„Bitte was?!“ Duke entgleisten alle Gesichtszüge.

„Tu doch nicht so unschuldig, Devlin!“, erwiderte Kaiba verächtlich, stieß sich vom Schrank ab und drängte ihn mit jedem Satz ein paar Zentimeter weiter nach hinten: „Aus der ersten Reihe hast du mitbekommen, dass ich nicht arbeiten kann. Das traf sich gut, denn du brauchtest mich ja, um dein Spiel zu retten. Spätestens im Museum kam dir dann die Idee mit diesem lächerlichen Notizbuch. Aber das allein hat dir nicht gereicht, du wolltest wirklich absolut sicher gehen! Also hast du noch ein bisschen mit mir rumgeflirtet und am Ende sogar deinen Spaß mit mir gehabt! Herzlichen Glückwunsch!“

„Nein! Nein, so war das nicht! Das mit uns hatte damit rein gar nichts zu tun!“, widersprach er atemlos und schüttelte vehement den Kopf. Schon drückte sich die Lehne des Stuhls in seinen unteren Rücken und zwang ihn zum Stillstand.

Das mit uns?!“ Die Augen des Brünetten verengten sich und er spuckte ihm die Worte regelrecht vor die Füße. „Das mit uns gibt es nicht, Devlin, das gab es nie!“

„Achja?!“ Energisch stieß Duke sich von dem Stuhl ab, sodass nun Kaiba reflexhaft zurückwich. „Das gestern und vorgestern, das war also nichts für dich?! Das hat auf mich aber einen ganz anderen Eindruck gemacht!“

Ein wissendes Lächeln zuckte über die Lippen des Brünetten. „Oh, da bin ich mir sicher! Dein Eindruck war, dass dein Plan ganz wunderbar aufgeht! Ich gebe zu, mit deiner kleinen Narben-Geschichte hast du mich tatsächlich eingewickelt, Devlin! Bravo!“

„Das hast du gerade nicht wirklich gesagt!“, presste Duke schwer atmend durch seine Zähne hervor, spannte seine Schultern und richtete sich zu voller Größe auf. „Du – ausgerechnet du, Herr Ich-sitze-apathisch-auf-einer-Bank-und-starre-auf-den-See – wagst es allen Ernstes eines der schmerzhaftesten Erlebnisse meines Lebens, von dem ich niemandem, noch nicht mal meinen Freunden, jemals erzählt habe, meine ‚kleine Narben-Geschichte’ zu nennen?!“ Fassungslos wandte er sich ab und war mit zwei großen Schritten am Fußende des Bettes angekommen. Einen Moment lang stützte er die Hände darauf ab, senkte den Kopf und nahm einen tiefen Atemzug. Als er den Brünetten erneut konfrontierte, gab er sich keinerlei Mühe mehr, das Beben in seiner Stimme, seine Wut und seine Enttäuschung zurückzuhalten: „Du hast mich verstanden, Kaiba! Wirklich verstanden! Da war nicht nur eine körperliche Verbindung zwischen uns, da war mehr! Und das hab ich mir ganz sicher nicht nur eingebildet! Ich dachte wirklich …“ Eine plötzliche Erkenntnis ließ ihn stocken und voller Bitterkeit auflachen. „Nicht zu fassen, Joey hatte recht!“

„Wie bitte?!“

Duke nickte langsam und sah den Älteren durchdringend an. „Du hast Angst.“

„Hab ich nicht!“ Jeder Muskel in Kaibas Körper war sichtbar angespannt, sein Kiefer verkrampft.

Natürlich, es ergab alles Sinn! Als wäre ein Knoten geplatzt, strömten die Worte aus Duke heraus: „Oh doch, wenn du mich fragst, hast du eine Scheiß-Angst! Ja, was mein Spiel und diese blöden Entwürfe angeht, habe ich gelogen und dazu stehe ich! Aber was ich dir vorgestern über mich erzählt habe, alles, was ich seitdem getan und gesagt habe, war echt – zu einhundert Prozent! Und wenn du zur Abwechslung mal ganz ehrlich zu dir bist, dann weißt du das auch! Aber nein, du baust dir schön alles in deinem Kopf zurecht, wie es in deine Story passt, weil dein Leben so viel einfacher und unkomplizierter ist, wenn dir niemand zu nahe kommt! Weil du dich dann nicht ernsthaft mit dem auseinandersetzen musst, was in dir vorgeht, sondern einfach weiter funktionieren kannst! Glaub mir, ich weiß sehr gut, wovon ich rede! Aber d-…“

„Schluss jetzt!“, fuhr der Brünette mit unerwarteter Heftigkeit dazwischen, als wäre er aus einer Versteinerung erwacht, „Dieses Gespräch endet hier!“ Er schnappte nach seiner Tasche, zerrte das Ringbuch daraus hervor, und warf sie, ungeachtet ihres sonstigen Inhalts, geräuschvoll zurück auf den Boden. Schmerzhaft fest wurde Duke der Block vor die Brust gedrückt. „Da hast du deine verdammten Entwürfe, Devlin! Bitte kläre alles Weitere mit meiner Entwicklungsabteilung – das heißt, wenn es dein jämmerliches Spiel dann noch gibt! Ich möchte damit nichts mehr zu tun haben.“

Ein kühler Luftzug, als Kaiba an ihm vorbeirauschte.

Ein lauter Knall, als die Tür hinter dem Brünetten ins Schloss fiel.

Wie an einen Rettungsring klammerte sich Duke an den Block und schloss die Augen.
 

Mit forschen Schritten stürmte Seto durch den Gang. Er hatte es von Anfang an gewusst! Warum hatte er nicht auf seine Intuition gehört? Natürlich hatte Devlin bei alldem Hintergedanken gehabt! Devlin war schlau und durchtrieben, der persönliche Protegé von Pegasus! Das allein sagte doch eigentlich schon alles! Und er war einfach blindlings in die Falle gelaufen, weil er sich von seinem Körper und seinen Hormonen hatte überwältigen lassen! Eigentlich sollte Devlin sich bei nächster Gelegenheit in Demut vor ihm in den Staub werfen, dafür, dass er ihm trotz all der Dreistigkeiten, die er sich in den vergangenen Minuten hatte anhören dürfen, noch die Entwürfe überlassen hatte!

Eine Zimmertür auf der rechten Seite ging auf und Seto stoppte gerade noch rechtzeitig, um nicht mit der Person zusammenzustoßen, die daraus hervortrat.

„Whoa, immer langsam! Warum so eilig, Geldsack?“

Seto brauchte eine Sekunde, um zu registrieren, wer vor ihm stand und angemessen zu reagieren. „Das geht dich einen feuchten Dreck an, Wheeler! Und jetzt lass mich gefälligst vorbei!“

„Sieh an, da kann es wohl jemand gar nicht erwarten, zum Lagerfeuer zu kommen?!“

„Ich warne dich, Köter, ich bin gerade nicht in der Stimmung für Spielchen! Und jetzt geh mir aus dem Weg!“

„Okay, okay!“ Mit einer beschwichtigenden Geste machte Joey ihm Platz und ließ ihn ziehen. Zielstrebig und ohne den Blonden noch eines Blickes zu würdigen, marschierte er umgehend weiter zur Treppe.

„Denk’ dran, wir beide haben noch eine Rechnung offen, Kaiba!“, rief Joey ihm herausfordernd von der Tür zur Herrentoilette aus hinterher, bevor er endgültig aus Setos Blickfeld verschwand.

Wie üblich nahm sich Wheeler viel zu wichtig! Diese hirnlose Made glaubte offensichtlich, im Zentrum seines Hasses zu stehen und begann langsam aber sicher, sich etwas darauf einzubilden. Dabei war von allen seinen offenen Rechnungen diese gerade mit Abstand die unwichtigste.

Devlin auf der anderen Seite … Der würde den Tag noch bereuen, an dem er beschlossen hatte, Seto Kaiba zu hintergehen und auszunutzen.

Bitter.
 

In keiner der unzähligen Varianten, in denen Duke sich dieses Gespräch über den Tag ausgemalt hatte, war es so vernichtend gewesen. So quälend der unklare, fragile Schwebezustand auch gewesen war, in dem er und Kaiba sich während der letzten zwei Tage befunden hatten: Angesichts dessen, was sich hier gerade ereignet hatte, hätte er ihn mit Freuden noch ein wenig länger ausgehalten. Schrödingers Katze war ja auch am Leben, solange man die Kiste zuließ und einfach nicht nachsah – oder in ihrem Fall: miteinander sprach. Wobei ihm vermutlich jeder halbwegs vernünftige Mensch hätte sagen können, dass diese Katze am Ende nur noch tot aus der Kiste kommen konnte. Vielleicht hatte er sein naives, zehnjähriges Ich gar nicht so weit hinter sich gelassen, wie er gedacht hatte.

Gedankenverloren löste Duke seinen Klammergriff um das Ringbuch und nahm es in beide Hände. Mittlerweile entlockten ihm die neon-orangenen Dinos nicht einmal mehr ein müdes Zucken seiner Mundwinkel. Er schlug das Cover auf und ließ die karierten Seiten einmal im Schnelldurchlauf durch seine Finger rauschen. Etwa bis zur Hälfte folgte ein Blatt mit akkuraten Bleistiftstrichen auf das nächste, dann nur noch leeres Papier.

Die Mission war erfüllt, DDM war gerettet.

Aber zu welchem Preis? Hätte ihm nicht von vornherein klar sein müssen, dass er unmöglich beides bewahren konnte – sein Spiel und die Sache mit Kaiba?!

Mit einer schmerzhaften Leere im Herzen klappte er den Block wieder zu und hielt ihn locker an dem beringten Rücken fest, um ihn in seinen Rucksack zu packen. Beinahe wäre er auf das zusammengefaltete Stück Papier getreten, das in dieser Sekunde daraus hervor- und auf den Boden fiel. Hm, sicher nur eine verworfene Entwurfszeichnung, die irgendwo lose zwischen den Seiten oder dem Einband gesteckt hatte …

Leise seufzend beugte er sich nach unten, hob das Blatt auf und entfaltete es mit fahrigen Bewegungen.

Seine Augen weiteten sich und er zog scharf die Luft ein.

Das … das war doch völlig …

Sich selbst zu sehen, war das letzte, womit er gerechnet hätte. Und doch war das ganz eindeutig er da auf dem Papier, eingefangen in stärkeren und schwächeren Graphit-Strichen, inmitten einiger weniger, nur leicht angedeuteter und trotzdem lose vertrauter Gewächse. Der Garten des Herrenhauses …

Sein Gesicht war im Halbprofil dargestellt, ein sanftes Lächeln auf den Lippen, der Blick nicht zum Betrachter, sondern zu einem unsichtbaren Gegenüber gerichtet. Der rechte Arm war locker um sein aufgestelltes Bein geschlungen, mit der anderen Hand strich er ein paar Haarsträhnen zurück. Man konnte den Wind förmlich auf der Seite fühlen, wie er ein paar Blätter durch die Luft fliegen ließ und in seine Haare fuhr, die nahtlos in so etwas wie zarte, kaum sichtbare Wolkenbänder im Hintergrund überzugehen schienen.

Es war perfekt.

Seine Kehle schnürte sich zu, das Bild begann vor seinen Augen zu verschwimmen und er musste mehrmals blinzeln. Schwer atmend ließ er die Zeichnung sinken und faltete sie bedächtig wieder zusammen.

Das mit uns gibt es nicht, Devlin, das gab es nie!

Hitze stieg in ihm auf, sein Gesicht begann zu glühen und von einer Sekunde auf die nächste wurde er von einer wilden Entschlossenheit gepackt. Das mit uns gibt es nicht – am Arsch! War das hier nicht der beste Beweis? Das mit uns war auch für Kaiba sehr real gewesen und das konnte er nicht einfach so leugnen! Diese Erfahrung würde Kaiba ihm – ihnen beiden – nicht absprechen! So leicht gab er nicht auf, es war noch nicht vorbei!

Er steckte die Zeichnung in seine hintere Hosentasche, warf den Block auf das Bett und stürmte aus dem Zimmer.
 

Im Laufschritt durchquerte Duke den menschenleeren Gang und blieb an der Treppe stehen. Wenn er Kaiba wäre, wo wäre er hingegangen? Vermutlich würde er allein sein wollen, niemanden sehen. Die andere Gruppe war abgereist, alle Mitschüler waren vermutlich schon draußen … vielleicht der Gemeinschaftsraum?

Mehrere Stufen auf einmal nehmend hetzte er die Treppe eine Etage weiter nach unten, bis er vor der geschlossenen Tür des besagten Raums stand. Noch ein tiefer Atemzug, dann stieß er sie auf und sah sich um. Die Tische und Stühle waren leer, ebenso die Sessel vor den Bücherregalen, der Billard-Tisch vollkommen unangetastet. Niemand hier.

Dann vielleicht im Speisesaal? Dort wäre Kaiba um diese Zeit auf jeden Fall auch allein.

Hektisch verließ er den Raum und lief noch ein Stockwerk weiter nach unten. Klirren von Geschirr, Besteck und Töpfen, sowie leises Platschen war aus der Küche zu hören, dazu eine gesummte Melodie, die nicht eben vom musikalischen Talent der Küchenfrau zeugte. Im Speisesaal selbst war jedoch niemand zu sehen.

Verdammt, wie weit konnte Kaiba in den paar Minuten denn gekommen sein? War er etwa doch rausgegangen? Also schön. Leise und unauffällig – nicht, dass die alte Dame in der Küche ihn womöglich noch bemerkte – zog er sich aus dem Speisesaal zurück und erklomm einmal mehr die Treppen.

Wieder im Zimmer angekommen wandte er sich eilig nach rechts, griff nach seiner Jacke auf dem Bett und zog sie an. Schon hatte er die Hand wieder am Türgriff, da drehte er sich noch einmal um.

Moment mal … irgendetwas war anders!

Hatte er nicht vorhin den Block auf das Bett geworfen, bevor er den Raum verlassen hatte?

Er sah noch einmal ganz bewusst hin.

Weiße Decken, weiße Kissen. Keine neon-orange leuchtenden Dinos.

Was zur … ?

Panik stieg in ihm auf, sein Herzschlag beschleunigte sich. Noch einmal stürzte er zum Bett und stolperte dabei beinahe über seinen Rucksack. Hastig riss er seine Decke zurück, hob das Kissen an, ließ seine Hände fieberhaft suchend über das Bettlaken gleiten, obwohl der Block ganz eindeutig nicht dort war. Leicht außer Atem beugte er sich wieder nach oben und stemmte die Hände in die Hüften. Seine Augen wanderten zur in perfekter Ordnung arrangierten anderen Bettseite. Ohne darüber nachzudenken, sprang er auf das Bett und wühlte sich wie ein Wahnsinniger auch durch Kaibas Bettzeug. Als er auch dort nicht fündig wurde, ließ er mit einem frustrierten Schnauben die Decke und das Kissen achtlos wieder fallen. Ordnung war jetzt zweitrangig, was zählte, war nur der Block!

Er hatte die Tür vorhin nicht abgeschlossen. War Kaiba zwischenzeitlich noch einmal zurückgekommen und hatte den Block wieder an sich genommen?! Vielleicht weil er sich an die verräterische Zeichnung erinnert hatte? Wenn ja, wo hatte er ihn versteckt? Er würde das Teil doch unmöglich die ganze Zeit mit sich herumtragen …

Abwägend ließ Duke seinen Blick durch den Raum schweifen. Kaibas Tasche jedenfalls war noch hier. Sollte er … ?

Ach, viel schlimmer konnte es zwischen ihnen auch nicht mehr werden! Er sank auf die Knie, schlug die Klappe der Tasche zurück und prüfte jedes Fach, das auch nur annähernd eine entsprechende Größe hatte.

Erfolglos.

Der Koffer?!

Seine Hosenbeine scheuerten über den Teppich, als er ein Stück weiter nach rechts kroch und mit zitternden Händen den Reißverschluss erst der linken, dann der rechten der beiden Kofferhälften öffnete. Kopflos, ohne auch nur einen Gedanken an die Konsequenzen zu verschwenden, berührte, drehte und wendete er jedes Kleidungsstück des Brünetten – ohne Ergebnis.

Die zwei schmalen Schränke in der Ecke waren noch genauso leer wie am Tag ihrer Ankunft und unter dem Bett lag so einiges (das er am liebsten schnell wieder vergessen hätte), nicht aber sein Block. Um spontane geistige Umnachtung auszuschließen und wenigstens gleiche Verhältnisse zu schaffen, durchsuchte er auch seinen Rucksack und sein eigenes Gepäck noch einmal auf das Gründlichste, aber auch dort: Keine leuchtenden Dinos.

Fuck! Der kraftvolle Tritt gegen seine Reisetasche reichte nicht aus, um seinen Frust signifikant zu verringern.

Arbeitete denn auf dieser verfluchten Fahrt wirklich alles gegen ihn?!

Was sollte er denn jetzt nur machen? Tief seufzend erhob er sich, trat zum Fenster und sah hinaus.

In der beginnenden Dunkelheit standen seine Mitschüler unbeschwert um das bereits stattlich in die Höhe lodernde Feuer. Sie lachten und scherzten, tranken heißen Tee, lebten ihre vollkommen normalen Leben – in den meisten Fällen ohne bisher jemals ernsthafte Verantwortung für etwas getragen zu haben. Da vorne waren seine Freunde: Tea hielt ihre Hände nahe an die Flammen, um sich zu wärmen, Yugi und Ryou standen bei ihr und unterhielten sich (Teas desinteressierter Haltung nach zu urteilen vermutlich immer noch über die Grabhügel oder Archäologie im Allgemeinen), Tristan schleppte mit ein paar anderen unter Kobayashi-senseis Kommando zusätzliche Holzscheite herbei.

Und da, auf der anderen Seite der Feuerstelle, stand tatsächlich Kaiba. Mit verschränkten Armen (und definitiv ohne Dino-Block) sah er in das Feuer, so als könnte er es allein mit seinem Blick einfrieren oder löschen. Logisch eigentlich: Er musste mit unten sein, zumindest ein bisschen, ansonsten hätte er sich vermutlich wieder Ärger mit Kobayashi-sensei eingehandelt.

Eine Bewegung schräg unterhalb seines Blickfeldes, im Eingangsbereich der Herberge erregte seine Aufmerksamkeit. Das war Joey, der da aus der Tür kam, schnell, beinahe im Laufschritt. Im Schein des Feuers und damit fast bei den anderen angekommen, wandte sich der Blonde kurz um, so als befürchtete er verfolgt zu werden. Das Ganze dauerte kaum eine Sekunde, doch lang genug für Duke, um trotz des spärlichen Lichts der Flammen zu erkennen, was Joey da halb unter seiner Jacke versteckt hielt.

Oh nein!

Zum zweiten Mal binnen weniger Minuten hetzte Duke aus dem Zimmer. Drei Mal glitt ihm der Schlüssel beim Versuch, die Tür dieses Mal abzuschließen, aus seinen schwitzigen und nervösen Händen, bis er es endlich geschafft hatte.

Dann rannte er, wie er noch nie zuvor in seinem Leben gerannt war.
 

Zu sagen, dass die Hitze des Feuers und der beißende Geruch des Rauchs Seto störten, wäre stark untertrieben gewesen. Er warf einen Blick auf die schwach grün leuchtenden Zeiger seiner Uhr. Noch etwa eine halbe Stunde, dann konnte er sich bei Kobayashi-sensei entschuldigen und wieder hochgehen – je nachdem, wann Devlin endlich das Zimmer freigab und sich hierher bequemte. Sein Mantel würde auf jeden Fall in die Reinigung müssen, obwohl er sich wohlweislich auf der Seite postiert hatte, aus der der Wind kam, sodass er zumindest nicht direkt im Rauch stand. Wie seine Klassenkameraden es zuwege brachten, Spaß zu haben, war ihm ein vollkommenes Rätsel. Wenigstens hielten sie sich mit ihren sinnlosen Unterhaltungen und Marshmallow-bewehrten Stöcken weiträumig von ihm fern. Eigentlich wollte er nichts lieber als allein sein, weit weg von diesen nervtötenden Individuen und natürlich Frau Kobayashi, aber im Hinblick auf die letztere war es ihm nicht ratsam erschienen, dem Lagerfeuer komplett fernzubleiben.

Morgen hatte er es hinter sich. Morgen würde er wieder zu Hause sein, bei Mokuba und seiner Arbeit, und würde das, was hier geschehen war, großflächig vergessen – vollständig sogar, sobald Devlin bezahlt hatte.

Eine viel zu nahe Bewegung ließ ihn aufsehen.

„Schau mal, was ich hier habe, Kaiba!“

Es war Wheeler, der ein nur zu vertrautes Triceratops-bewehrtes Ringbuch zwischen Daumen und Zeigefinger hielt und aufreizend hin- und herschwang.

„Schön für dich.“, erwiderte er so nüchtern und emotionslos, wie möglich, konnte aber nicht verhindern, dass sich seine Augenbrauen kaum merklich zusammenzogen. Woher hatte Wheeler den Block? Nie und nimmer hatte Devlin das Teil freiwillig aus der Hand gegeben – nicht, wenn tatsächlich, wie behauptet, die Weiterexistenz seines Spiels davon abhing.

„Weißt du, Geldsack, Duke hat diesen Block für meine Schwester gekauft und ich hätte gerne, dass sie ihn auch bekommt!“ Das musste die ominöse Theorie sein, die Devlin angedeutet hatte. Demonstrativ blätterte Joey den Block auf, bis er zu den ersten leeren Seiten kam und hielt die gefüllten fest. „Du hast also doch bestimmt nichts dagegen, wenn ich dein Gekritzel entferne?!“

Tze, wenn der Idiot wüsste, was …

Moment! Wheeler hatte keine Ahnung, worum es sich wirklich handelte …

Wie überaus amüsant!

Die Hände in den Manteltaschen vergraben, zuckte Seto scheinbar gleichgültig mit den Schultern. „Tu dir keinen Zwang an!“

Der Blonde hatte sichtlich Mühe, alle Seiten mit einem Mal aus der Ringbindung zu reißen, versuchte aber dennoch geradezu verzweifelt Überlegenheit und Souveränität auszustrahlen. „Brauchst du die noch?“, fragte er schließlich in scharfem Tonfall und präsentierte ihm ein wenig außer Atem den dünnen Stapel herausgerissener Blätter.

Der Köter schien tatsächlich zu glauben ihn in der Hand zu haben! Das wurde ja immer besser!

„Joey, was soll das werden?! Hör auf!“ Tea hatte die Feuerstelle umrundet und legte dem Blonden eine Hand auf den Arm. „Wir hatten doch gesagt, das Thema ist … “

„Halt dich da raus, Tea! Du hast keine Ahnung, worum es geht!“ Die braunen Augen verengten sich, Joey schüttelte ihre Hand brüsk ab und trat noch einen Schritt näher auf ihn und das Feuer zu. Der Brustkorb des Blonden hob und senkte sich unter seinen schweren Atemzügen. Langsam streckte er den Arm zur Seite aus. „Sag, dass dir deine Scheiß-Bemerkung von gestern leid tut, Geldsack, oder deine kleinen Kritzeleien werden ein bisschen heiß!“

Die Zeichnungen schwebten kaum einen halben Meter über den Flammen. In Setos Magen kribbelte es – wie in einem Duell, wenn er kurz davor stand, seine drei Weißen Drachen zu fusionieren oder er im Schach den entscheidenden Zug machte, der das baldige Matt seines Gegners einläutete. „Ich entschuldige mich nicht, Wheeler! Besonders nicht bei dir und vor allem nicht für die Wahrheit.“
 

In der Entfernung löste sich eine schwarze Silhouette aus der Dunkelheit.
 

Die Finger des Blonden begannen sich zu öffnen.

„Du dreckiger …! Ich hab dich gewarnt!“
 

„Joey, NICHT!“

Devlin kam in halsbrecherischer Geschwindigkeit auf sie zugerannt, stürmte an seinen Mitschülern vorbei, rempelte dabei einige von ihnen an und stieß Tea rücksichtslos beiseite. Völlig außer Atem riss er Joeys ausgestreckten Arm nach unten und hielt ihn mit beiden Händen fest umklammert, sodass der Blonde ihn nicht mehr bewegen konnte.
 

Das Feuer loderte hell auf, leuchtende Funken stoben in die Luft.
 

Joeys Hand war leer.

Das billige Papier war binnen Sekunden verbrannt.
 

Vollgepumpt mit Adrenalin wie er war, musste Wheeler seinen Freund nur am Rande bemerkt haben. Der Blonde brauchte nicht viel Kraft, um sich aus Devlins Griff zu befreien und verschränkte die Arme vor seiner stolz geschwellten Brust – den unbenutzten Rest des Dino-Blocks noch immer in der Hand. „Hoppla, da bin ich wohl gestolpert! Das tut mir aber leid! Sah wichtig aus, was da drauf war!“
 

Und Seto konnte nicht mehr.

Es begann mit einem leisen, stoßweisen Schnauben, dann erschütterten kleine Beben seinen Oberkörper und seine Mundwinkel strebten machtvoll und unaufhaltsam nach oben. Langsam verschwand der Triumph aus Joeys Blick und machte endgültig kompletter Irritation Platz, als Seto die Augen zusammenkniff und das Lachen vollständig aus ihm herausbrach.

Die Augen aller Anwesenden richteten sich auf ihn – kein Wunder, wann hatte man Seto Kaiba jemals zuvor herzhaft lachen gesehen? –, bis von seinem ungewohnten Anfall nurmehr ein süffisantes Lächeln übrig blieb und er voller Geringschätzung den Kopf schüttelte. „Tja, dumme, tollpatschige Köter sollten eben nicht mit dem Feuer spielen! Sie verbrennen sich dabei nur die Pfoten.“

Die Augen des Blonden verengten sich. „Was soll das heißen, Großkotz?! Was war daran bitte so lustig?!“

„Ich bin mir sicher, euer Freund Devlin hier wird euch das nur zu gerne erläutern.“ Er nickte in Richtung seines Zimmergenossen, der zusammengesunken, mit kreidebleichem Gesicht und weit aufgerissenen, feucht glänzenden Augen in das Feuer starrte.

Erst, als sein Name fiel, richtete Duke sich etwas auf und schien zu registrieren, dass die Aufmerksamkeit der Umstehenden nun ihm galt – allen voran die seiner noch immer ahnungslosen Freunde, die sich mittlerweile vollständig um sie geschart hatten.

„So gerne ich dem noch beiwohnen würde, aber ich glaube, ich habe doch Besseres zu tun. Ihr entschuldigt mich.“ Seto trat auf den Schwarzhaarigen zu und hielt ihm wortlos die geöffnete Hand hin. Zufrieden nahm er zur Kenntnis, wie Devlin in seine Jackentasche griff, noch einmal schluckte und schließlich den Blick hob, um ihn anzusehen. Obwohl sich die Flammen des Feuers in den grünen Augen spiegelten, war jeder Rest von Wärme aus ihnen gewichen. Mit Nachdruck presste der Schwarzhaarige ihm den Schlüssel in die Hand, vielleicht in der naiven Hoffnung, ihm damit in irgendeiner Form Schmerzen zufügen zu können.

Devlin musste ihn hassen – wirklich hassen –, daran konnte kein Zweifel bestehen.

Mit einem hämischen Grinsen schloss Seto seine Finger fest um das angewärmte Stück Metall und ging, ohne irgendjemanden eines weiteren Blickes zu würdigen, zurück zur Herberge. Im vollen Bewusstsein, dass Duke ihm nachsah, ließ er den Schlüssel demonstrativ um seinen Zeigefinger kreisen.
 

Jetzt war es vorbei.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich glaube, manchmal ist es durch die vielen romantischen Fanfics sehr leicht zu vergessen (und ich schließe mich da voll ein), dass Seto Kaiba ein Arschloch ist und in gewissem Maße auch bleibt. Quasi im Dienste der Allgemeinheit habe ich die Erinnerung also jetzt mal wieder aufgefrischt 🙃🙈
Beim nächsten Mal kommt Duke nicht mehr um ein paar weitere Geständnisse herum und es geht (endlich) wieder nach Hause.

Bis dahin!
LG
Eure DuchessOfBoredom Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (6)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Kuro_Kami
2022-08-15T09:04:07+00:00 15.08.2022 11:04
Nein! Oder? Das ist gerade nicht wirklich passiert. Ich zitter einfach. Alter war das Kapitel krass.ฅ^•ﻌ•^ฅ
Von:  empress_sissi
2022-05-08T18:44:12+00:00 08.05.2022 20:44
Tatsächlich kann man kaum vergessen, dass er zumindest arschig sein kann, aber verdient hat es Duke irgendwie schon. Lügen haben kurze Beine und das Schicksal schlägt da gnadenlos zu. Dass sich Kaiba jedenfalls ziemlich ausgenutzt vorkommt ist logisch und trotzdem hätte er Duke die Skizzen einfach so überlassen.
Ob Joey überhaupt anders reagiert hätte, wenn ihn Kaiba aktiv davon abgehalten hätte?
Antwort von:  DuchessOfBoredom
09.05.2022 19:53
Ja, definitiv hat Duke es verdient, auch wenn er das Gefühl hatte, keine andere Wahl zu haben (was er ja irgendwo auch nicht hatte, weil Seto gar nicht erst mitgemacht hätte, wenn er die Wahrheit gekannt hätte, aber trotzdem). Es musste einfach schiefgehen und dann auch gleich richtig ;)
Einige von den Punkten werden auch im nächsten Kapitel nochmal aufgegriffen, denn genau damit muss er sich jetzt nochmal auseinandersetzen.

Zu deiner letzten Frage: Ich glaube, es käme darauf an, wie Kaiba ihn versucht hätte abzuhalten. Wobei das logischerweise alles mega-spekulativ ist, weil er das natürlich niemals nicht gemacht hätte. Aber hätte er einfach so versucht Joey irgendwie zu stoppen, hätte sich Joey sicherlich nur noch mehr angestachelt gefühlt, das sehe ich auch. Aber wenn Seto relativ klar gesagt hätte, was das für Entwürfe sind und was sie für Duke bedeuten (in der Situation völlig abwegig, klar soweit), dann hätte Joey sie zumindest nicht ins Feuer geworfen ... soweit meine Theorie ;D

Ganz lieben Dank für den Kommi und bis zum nächsten Kapitel! :)
LG
DuchessOfBoredom
Von:  Sceith
2022-04-22T20:58:46+00:00 22.04.2022 22:58
Ich schaue seit Wochen JEDEN Tag hier rein, ob es ein neues Kapitel gibt – und als es endlich soweit war, hatte ich keine Zeit! Ganz mieses Timing. T_T
Jetzt hab ich es endlich geschafft und mich erwartet...nur Drama! Mein armes Herz. Du hast ja schon verraten, dass die beiden noch etwas leiden müssen, aber das war selbst für Setos Verhältnisse echt bösartig. Ich traue ihm das ohne Weiteres zu und ich bin ja auch bei jedem Kapitel aufs Neue begeistert, wie gut du ihn schreiben kannst. Trotzdem hatte ich die leise Hoffnung, dass er nach der Nacht mit Duke wenigstens einen Anflug von Gewissensbissen hat...naja, leider nein.
Dann warte ich jetzt sehnsüchtig auf das nächste Kapitel und wünsche dir ganz viel Spaß beim Schreiben! <3 :3
Antwort von:  DuchessOfBoredom
23.04.2022 07:33
Tja, wenn er sich hintergangen fühlt, dann kennt Seto nichts mehr und spielt sein Nachtragend-Sein und seine Rachsucht voll aus. In seiner Welt ist ja auch die gemeinsame Nacht bzw. der "intime Nachmittag" eine einzige Lüge gewesen. Naja, aber ich glaube, man kann schon erahnen, dass der Vorsatz "Ich habe mich an Devlin gerächt und jetzt vergesse ich das alles!" vielleicht eventuell nicht ganz zu halten sein wird XD

Ja, die Eckpunkte der Handlung für den Rest der Geschichte stehen schon fest, aber das tatsächliche Schreiben eines Kapitels dauert dann je nach Länge doch meistens seine vier Wochen im Durchschnitt. ^^° Aber ich hau auch manchmal zwischendurch was Kleineres raus (sozusagen als Verschnaufpause vom Drama der letzten Kapitel hier). ;)
Und falls du mehr Mastershipping-"Stoff" zur Überbrückung brauchen solltest und sie noch nicht kennst, kann ich dir auch die Stories von Karma sehr ans Herz legen, allen voran "Fun Fair", "Mistakes", "Breaking the Rules" und "Home". Die haben bei mir den Stein überhaupt erst ins Rollen gebracht. <3
Antwort von:  Sceith
23.04.2022 10:16
Ja, da ist seine Rache vielleicht doch ein kleines bisschen eskaliert. Ich bin auf jeden Fall sehr gespannt, wie es weitergeht! *_*

Ja, das verstehe ich total. Ich habe auch letztens eine Geschichte angefangen (nachdem ich eine 15 Jahre alte FF von mir gefunden hab und nur dachte "shit, das kannst du besser" XD), aber ich schreibe sonst nie und war wirklich überrascht, wie lange sowas dauert. Mit Übung geht das bestimmt viel schneller, aber 4 Wochen für ein Kapitel finde ich total angemessen. Man muss ja leider auch noch nebenbei arbeiten, haha.

Vielen lieben Dank für die Empfehlung! Ich habe grade kurz in Karmas Geschichten gestöbert und bin wohl für die nächsten Monate versorgt. Das scheint ja eine Goldgrube zu sein! <3
Wobei mir auch grade auffällt: deine anderen Geschichten habe ich auch noch gar nicht gelesen, shame on me! Die sind ja deutlich kürzer als Common Ground, aber das werde ich auf jeden Fall nachholen.
Von: Karma
2022-04-20T10:18:02+00:00 20.04.2022 12:18
😭😭😭
So passend, aber doch so fies. Ich brauche Taschentücher. Mein armes Herzchen.
🤧😭
Von:  Mopsfloh
2022-04-19T21:58:03+00:00 19.04.2022 23:58
Ich denke ja immer wieder, es kann nicht schlimmer werden, aber du setzt immer wieder eins drauf! Wie schlimm für ihn! Was soll er denn jetzt machen??? Joey kann so ein Idiot sein. Aber duke is ja auch selbst Schild, weil er ihnen nichts gesagt hat. Oh man, wie dramatisch. Ich bin sooo gespannt >.<

Kann es mal wieder nicht erwarten, bis es weiter geht.
Ganz, ganz tolles Kapitel!

Liebe Grüße


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