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Eins mit dem Tier

von

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Hoffnung

Einige Tage später.
 

Von Weitem konnten sie über die Wälder Horan sehen und atmeten erleichtert auf. Alaine drückte Valnars Hand feste und er erwiderte ihre Geste, während er auf das große Schloss starrte, geschützt von einer Mauer. Es grenzte am Meer, welches in der Morgensonne rot funkelte und den Ort noch schöner aussehen ließ.

 

Sie hatten es geschafft. Nun musste Alaine nur noch diesen König Aaron überreden, ihnen Unterschlupf zu gewähren.

Aber das wohl größte Problem: Dieses Königreich war voller Menschen.

 

Seit er ein Vampir geworden war, hatte er keine Menschen mehr in seiner Nähe gehabt. Wie würden er und sein Tier auf sie reagieren? Würde er sofort die Kontrolle verlieren?

 

Alaine wandte sich an die Vampire. »Hört zu. Vielleicht können wir hier leben, aber ihr müsst Euch zusammenreißen. Das warme Blut der Menschen wird das Tier noch aggressiver machen, aber ich weiß, dass ihr widerstehen könnt. Ihr alle habt die Verwandlung mit eurer eigenen Stärke überlebt.«

 

Die Vampire nickten ihr entschlossen zu und auch Valnar glaubte daran, dass er nach allem, was er mit dem Tier durchgemacht hatte, auch dieses Hindernis meistern würde.

 

Ungefähr eine Stunde später erreichten sie die Tore von Horan.

 

Zwei Wachen auf Pferden kamen auf sie zugeritten und ihm schoss der Geruch von frischem Menschenblut in die Nase, erweckte das Tier.

 

Die beiden Reiter kamen immer näher, bis Alaine ihre Arme ausbreitete.

 

»Vorsicht! Wir sind Vampire«, ermahnte sie und die Wachen verstanden und bewegten sich einige Schritte zurück.

 

»Ich bin Hohepriesterin Alaine vom Asran Imperium und ich erbitte um Audienz. König Aaron kannte meinen Vater und erinnert sich sicherlich an mich.«

 

Die Wachen schauten sich verwundert an, bis sie sie mit großen Augen musterten. »Ah, Asran! Ja, wir bringen Euch sofort zu König Aaron, aber haltet Euch und Eure Vampire zurück.«

 

»Natürlich.« Alaine lächelte erleichtert und sie folgten ihnen durchs Tor, hinein in die große Stadt voller Menschen.

 

In Valnar kamen Zweifel auf und er wurde nervös. Er versuchte den Geruch so gut es ging zu ignorieren, aber es roch einfach so ungeheuerlich gut. Das Tier biss ihm in die Seele, wollte, dass er sich auf sie stürzte. Auch wenn er es schon hundertmal erlebt hatte, diesmal war die Stimme noch aggressiver und schmerzvoller.

 

Hört auf damit.

 

Valnar versuchte, sie angestrengt zurückzuhalten, aber sie wütete weiter.

 

*

 

Mitten in der Stadt wurde es ziemlich beschwerlich für ihn und er musste den Arm vor dem Mund halten, um sich vor dem Geruch irgendwie abzuschirmen. Die langen Eckzähne ragten aus dem Kiefer, als die innere Stimme in jede Ecke seiner Sinne abprallte und ihm Schmerzen zufügte. Sie wollte raus.

 

Deswegen waren die Vampire damals so kalt gewesen. Es war einfach extrem mühsam, sich bei so vielen Menschen zu beherrschen.

 

Die beiden Reiter versuchten den Leuten klarzumachen, dass sie Vampire unter sich hatten und sie sollten Platz machen. Die Menschen gehorchten, doch schauten sie immer noch neugierig und tuschelten. Es waren so unglaublich viele, dass Valnar schon vor Anstrengung schwitzte, um das Tier zurückzuhalten.

 

Die Augen der unschuldigen Leute, der Duft ihres süßen Blutes ... Valnars Jagdtrieb entfachte sich und er wollte ihnen hinterherhetzen, sich in sie alle festbeißen, während sie schrien und er sie komplett aussaugte. Das Tier kreischte im Einklang mit ihm, wollte es so dringend.

 

Das hier ist deine Bestimmung.

 

»Valnar, konzentriere dich auf mich«, flüsterte Alaine und streichelte seine Hand mit ihren Fingern. Sie trug eine Kapuze, damit sie niemand erkannte. Seine Nackenhaare stellten sich auf; ihre Berührung und ihre Stimme schlugen das Tier weiter weg und er konnte sich etwas beruhigen.

 

Die anderen Vampire hatten genauso zu kämpfen wie er, und wenn es Alaine auch so erginge, so ließ sie sich nichts anmerken.

 

Trotzdem hielt sich ihre Gruppe zurück. Das hier war alles, wofür sie trainiert hatten.

 

Während all dem musste Valnar doch schmunzeln. Einfache Menschen waren ihre größte Herausforderung.

Völlig erschöpft kamen sie im Burghof an und mussten sich auf den Boden hinsetzen.

 

Erleichterung machte sich breit. Dort gab es nicht allzu viele Menschen. Auf jeden Fall weniger als in der Stadt. Einige Dienerinnen wurden weggescheucht, als diese aufgeregt den Vampiren zuschauten. Er fühlte sich fast wie ein eingesperrtes Zirkustier.

 

Der Geruch vom Blut wurde nicht schwächer, aber es war noch erträglich gewesen.

 

Alaine kniete sich vor ihm und umarmte seine Beine. »Geht es dir gut?«

 

Sie sah selbst verschwitzt aus und er nickte ihr zu.

 

»Wir schaffen das schon.«

 

Sie lächelte und stand auf, um sich um die anderen Vampire zu kümmern. Alle sahen angeschlagener aus als nach der großen Schlacht in Asran.

 

Schließlich kam jemand in einer roten Robe aus dem Schloss und winkte sie zu sich. »Willkommen ... Vampire. Ich bin Meister Ghadar, König Aarons treuer Berater. Ihr dürft eintreten.«

 

*

 

Alaine konzentrierte sich auf ihre Aufgabe und ignorierte jeden Duft, der in ihre Nase eindringen wollte. Ihr Tier sperrte sie so gut es ging weg, war entschlossen, ihre Gruppe zu retten.

 

Sie war stolz, dass sie sich alle zurückgehalten hatten. Fast hatte sie befürchtet, sie müsste jemanden aufhalten, aber sie wusste, dass die Vampire Asrans stark genug waren.

 

Die Halle durchs Schloss sah sehr edel und gigantisch aus. Sie folgten den geraden Weg entlang über den dunkelblauen Teppich. Es gab viele Goldstatuen und selbst die Tische glitzerten mit vielen kitschigen Accessoires. So etwas passte zu König Aaron.

 

Als sie im großen Thronsaal ankamen, grinste er sie schon an und erhob sich aus seinem goldenen Thron, bevor er auf sie zukam.

 

»Lady Alaine! Es ist so schön, Euch wiederzusehen.« Er war sehr alt geworden, was sie an den vielen Falten in seinem Gesicht bemerkte. Doch noch immer trug er seine goldbestickte Krone und dazu eine weiße Robe.

 

»Oder sollte ich Hohepriesterin sagen? Was für eine hübsche Dame Ihr geworden seid.« Er nahm ihre Hände und sie lächelte ihn an.

 

»Ich freue mich auch, König Aaron.«

 

»Was verschafft mir die Ehre für Euren Besuch? Ich sehe, Ihr seid nicht alleine. Und was soll all diese Geheimnistuerei um Euer Erscheinen hier?« Schließlich beäugte er die anderen und Alaines Lächeln verblasste.

 

»Ich bringe kein frohes Ereignis zu Euch. König Morlon aus Iranis hat mich verraten und ganz Asran ausgelöscht. Wir sind die letzten Überlebenden.« Sie musste schlucken, wollte nicht jedes kleine Detail erzählen.

 

König Aaron sah sie entsetzt an. »Asran? Zerstört? Dieser Morlon kam mir schon immer suspekt vor, aber nun wird mir Euer Versteckspiel klar.« Er ließ von ihr ab und seufzte.

 

»Ihr seid unsere letzte Hoffnung. Solltet Ihr uns abweisen, so wären wir verloren ...«, fügte Alaine verzweifelt hinzu.

 

»Aber Vampire in einem Menschenreich? In Asran wart ihr weit weg von den Menschen, doch hier wärt ihr quasi unter ihnen. Und sollte Morlon davon erfahren, dass ich Euch Schutz biete, könnte er mein Reich angreifen.«

 

Sie faltete die Hände zusammen. »Ich bitte Euch ... Morlon ist noch immer im Glauben, ich wäre bei dem Angriff ums Leben gekommen und meine Vampire sind starke Krieger mit eisernem Willen. Sie werden keinen Menschen hier ein Leid zufügen.«

 

»Hmm.« König Aaron legte seine Hand ans Kinn und überlegte. »Ich kannte Euren Vater gut, Alaine. Ich weiß, dass ich Euren Worten Glauben schenken kann. Doch sagt mir, was können wir gegen Morlon unternehmen, sollte er Wind von Eurem Überleben bekommen und sich gegen mein Reich wenden?«

 

Alaine wusste, dass sie diese Karte spielen musste, sonst würde er sie abweisen. »Asran wurde vernichtet. Ihr habt also einen Grund, eine mächtige Armee zum Schutz Eures Reiches zu erschaffen ...«

 

Überrascht starrte er ihr wieder in die Augen, hatte dieses Funkeln in seinem Blick. »Ihr meint also Vampire?«

 

Sie nickte. »Ich werde Euch eine Armee erschaffen, die uns vor Morlon schützt, falls es dazu kommen sollte. Doch solch eine Verwandlung benötigt geistliche Vorbereitungen und im Gegenzug brauchen wir Schutz und Blut.«

 

Plötzlich strahlte er. »Nun gut, mir gefällt die Idee und Platz für euch alle im Schloss zu finden ist kein Problem. Nur bedenkt zu unser beider Wohl, das es von Vorteil wäre, wenn Ihr Euch weiterhin verdeckt haltet.«

 

Meister Ghadar trat hervor und mischte sich ein. »Mein Fürst, ich glaube, das ist keine gute Idee ... Früher oder später wird Horan durch diesen Leichtsinn noch fallen.«

 

Der König drehte sich zu ihm um und lächelte. »Ach quatsch! Der Plan ist perfekt und ich vertraue Alaine.«

 

Alaine war so vor Erleichterung und Glück überwältigt, dass sie nicht aufhören konnte, zu grinsen. »Habt Dank! Ihr werdet es nicht bereuen!«

 

Sie lief zu Valnar und sprang ihm in die Arme; er hielt sie fest und schmiegte seinen Kopf an ihren.

 

Endlich waren sie wieder in Sicherheit. Asran war fort und der Schmerz zog noch immer an ihrer Seele, aber nun würde alles besser werden. Dessen war sie sich sicher.

 

*

 

Einige Stunden später erhielten sie die ersten Blutspenden und fühlten sich wieder wie neugeboren.

 

Die Vampire bekamen die rechte Seite des Schlosses für sich, während die Menschen die linke Seite bewohnten, aber es war dennoch sehr groß. So wie Alaine König Aaron kannte, wurde das Schloss sicherlich schon mehr als einmal erweitert.

 

Sie kniff die Augen zusammen, als sie die Stadt vom Balkon aus beobachtete. Endlich konnte sie durchatmen und sie war gerade dabei, sich für ihr Bad zu entkleiden, als drei Dienstmädchen in ihr Zimmer stürmten.

 

Sie sahen jung aus und verbeugten sich, dann schauten sie sie begeistert an. Alaine musste sich bei ihrem Geruch stark zurückhalten. Die innere Stimme wand sich lieblich in ihrer Brust, wollte das kostbare Blut für sich beanspruchen.

 

Die Flaschen mit kaltem Menschenblut waren nicht gleichzustellen mit dem warmen Blut, dass das Herz der Menschen durch ihre Adern pumpte. Selbst bei ihr kam der Gedanke ans Jagen in den Kopf, ohne dass das Tier sie dazu auffordern musste.

 

»Oh, Hohepriesterin, lasst mich Euch helfen.« Eine von ihnen rannte zu ihr herüber und nahm ihr die rote Robe vom Leib, als die anderen beiden ihr zur Hilfe kamen.

 

»Ich mach das!«, rief die Zweite und griff die andere Seite der Robe. Die Dritte flüsterte verärgert und sie fingen an sich zu streiten.

 

Alaine brachte keinen Ton heraus und überließ ihnen ihr Kleid. Sie hatte so etwas noch nie erlebt und wusste nicht, wie sie reagieren sollte. War so etwas normal in Horan? Sie waren wie neugierige Kinder und innerlich musste sie schmunzeln.

 

Als sie endlich das Wort ergriff, wurden die drei Mädchen still. »Bitte streitet Euch nicht. Ihr könnt Euch gerne zusammen um mich kümmern.«

 

Freudig eilten sie ihr zur Seite, während sie sich ins Bad setzte.

 

Mit Schwämmen und etlichen Pflegeprodukten knieten sie rechts, links und hinter ihr. Sie fuhren damit über ihre Haut und Alaine atmete zufrieden aus. In Horan war es wohl gang und gäbe, dass die Diener einen sogar wuschen! Daran könnte sie sich gewöhnen.

 

*

 

Später saß Alaine auf einer Bank auf dem Balkon und Valnar lag mit dem Kopf in ihrem Schoß. Grinsend schmückte sie seine langen Haare mit Blumen und er stöhnte mit gespielter Verärgerung, als sie kicherte.

 

Das Meer glitzerte in der Ferne und sie schwiegen eine Weile lang, hörten nur den Wellen zu. Es gab ihrem Tier eine ähnliche Beruhigung wie plätscherndes Wasser, wie sie feststellte. Doch leider nicht genug.

 

»Ich wünschte Garrin und Kizuna hätten es geschafft«, flüsterte Valnar schließlich betrübt und vergrub sein Gesicht. Alaine wusste direkt, über wen er sprach. »Sie waren meine einzigen Freunde gewesen ... Das hatten sie nicht verdient.«

 

Sie schluckte und dachte an ihren Onkel. Er hatte sie retten wollen und zum Dank bekam er den Tod. Genauso wie Abraxas und Nyria.

 

Wut überflutete sie wieder, angefeuert vom Tier. Sollten Morlon oder Molana ihr jemals wieder über den Weg laufen, so Gnade ihnen Gott.

 

Aber der Zorn verflog, als sie sich erneut klarmachte, dass sie eine große Mitschuld an diesem Unglück hatte.

 

»Es tut mir so leid ... W-wir müssen nach vorne schauen und sollten froh sein, einen neuen sicheren Ort gefunden zu haben«, antwortete sie sanft und entschlossen. Sie alle würden wollen, dass sie weiterlebten, auch wenn es noch so sehr schmerzte. Gedanken an Asran gingen ihr durch den Kopf, die gemeinsamen schönen Stunden, die sie dort mit Valnar verbracht hatte. All die Vampire und Menschen; die wundervollen Kleider und Bäder ... Die Erinnerungen an ihren Vater und ihre Kindheit. Es war so schwer, das alles hinter sich zu lassen, aber sie bekam eine Idee.

 

»Ich würde den Gefallenen gerne ein Denkmal setzen, auch für unser Kind ... Wenn du mir dabei helfen möchtest. König Aaron hätte sicher nichts dagegen.«

 

Valnar drehte seinen Kopf zu ihr hin und seine Mundwinkel gingen nach oben.

 

»Das ist eine wirklich schöne Idee, Alaine.« Er klang mehr als gerührt, aber bevor er noch weiter sprach, unterbrach sie ihn.

 

»Und ich möchte, dass wir unserem ungeborenen Kind einen Namen geben ...«

 

Überrascht starrte er sie an und für einen Moment schwiegen sie beide. Sie hatten Angst daran zu denken. Die Qual des Verlustes nagte an ihren Seelen und Alaine befürchtete schon, er würde verneinen.

 

»Welchen Namen?«, fragte er schließlich vorsichtig.

 

Sie nahm seine Hände. »Hoffnung«, flüsterte sie verlegen, aber direkt wurde ihr Blick wieder ernst. »Ich will unser Baby Hoffnung nennen.«

 

Valnar schloss die Augen und stieß einen Atem aus, bevor er sie wieder öffnete und wild nickte.

 

»Hoffnung ist ein wundervoller Name«, schluchzte er.

 

Seine Zustimmung ließ auch sie aufatmen und es fühlte sich an wie eine Erlösung. Sie fing an zu weinen, vor Trauer und vor Erleichterung, sodass er sich an sie schmiegte und ihr die Tränen wegküsste.

 

Nun konnten sie anfangen, ihren Schmerz zu heilen.



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