Zum Inhalt der Seite

Eine Begegnung verändert alles

Daryl und Matt
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Zwischen Hoffen und Bangen


 

Matt
 

Trost, ehrlicher Trost, ist ein Neffe der Liebe.

Stefan Wittlin

 

Wie sie da vorhin stand und uns angestarrt hatte. Völlig panisch und ängstlich. Die Tränen auf ihren Wangen, das Blut auf ihrem Oberteil und dann …

„Es hört nicht auf zu bluten.“

Ich dachte ich müsste mich übergeben im ersten Moment. Alles in mir hatte sich schlagartig verkrampft und die Bilder der Vergangenheit schossen sofort wieder hoch. Der Laster, die zarten Hände die meine Hüfte losließen als sich mein Bike auf die Seite legte …

Im Augenwinkel sah ich wie Daryl sich in Bewegung setzte und das holte mich zurück. Wir gingen zu Mia und ich konnte nicht anders. Ich musste sie berühren, sie ins Hier zurückholen, denn sie wirkte völlig neben der Spur. Da ich nicht wusste was passiert war, wollte ich kein Risiko eingehen. Womöglich hatte ihr jemanden Schlimmes angetan und ich wollte sie nicht verschrecken. Vorsichtig umfasste ich ihren Arm und drehte sie zu mir.

Ich habe ihr tief in die Augen gesehen und hatte das Gefühl, dass das was ich da sah, mich jeden Moment zerstören konnte. Schmerz und Angst tobten durch ihre blauen Augen wild durcheinander wie Flocken in einem Schneesturm.

„Wo blutest du?“, fragte ich sanft und strich langsam mit den Daumen über ihre Oberarme.

Mia sah mich verwirrt an. Sie runzelte die Stirn und überlegte kurz. Dann hellte sich ihre Miene auf. „Nicht ich.“ Sie drehte sich zu ihrem Wagen um und deutete auf ihn. „Er.“

Mir viel ein Stein vom Herzen. Ihr ging es gut, zumindest körperlich. Ich musste mich zusammenreißen, nicht zu lachen, oder zu weinen, oder umzukippen vor Erleichterung.

Daryl war schon um den BMW gelaufen und hatte die Beifahrertür geöffnet, während ich mein Gefühlschaos bändigte. Sein Gesichtsausdruck sprach Bände und sorgte dafür, dass ich mich wieder konzentrieren konnte.

Mia und ich folgten ihm.

Ich konnte den Fluch nicht unterdrücken, als ich den jungen Mann sah. Er sah schlimm aus. Aufgeplatzte Lippe, geschwollene linke Gesichtshälfte. Ihm stand Schweiß auf der Stirn und sein Atem ging schwer. Sein Hemd war aufgeknöpft und sein Oberkörper entblößt. Hämatome waren deutlich sichtbar und ein Verband an der linken Schulter, der durchgeblutet war.

Mich überforderte was ich da sah. In meinem Kopf bildete sich ein Knoten, der sich immer fester zusammenzog. Nicht der Russe, zumindest vermutete ich, dass der Unbekannter einer war, und sein Zustand sorgten dafür, dass mein Kopf den Dienst quittierte. Daryl und ich waren zu lange auf den Straßen unterwegs gewesen, wir hatten schon zu viel erlebt und gesehen. Die Gangs, die illegalen Kämpfen … und noch einiges mehr, an das ich mich lieber nicht erinnern wollte.

Was für meine Unfähigkeit sorgte, dass hier zu begreifen war eher Mia. Trotz ihrer offensichtlichen Sorge und Angst wirkte sie nicht so, als wäre ihr das unbekannt. Um ehrlich zu sein, wirkte sie absurderweise fast schon routiniert mit der Situation. Noch dazu war sie zu Daryl gekommen, als wüsste sie, dass er ihr helfen könnte … In mir kam ein Verdacht hoch, dem ich nachgehen musste.

„Warum hast du ihn nicht ins Krankenhaus gebracht?“, fragte ich sie, weil ich eigentlich etwas Anderes wissen wollte, mich aber nicht traute zu fragen.

„Wie soll ich dem Krankenhaus seinen Zustand erklären?!“, brüllte Mia mich völlig aufgelöst an. „Von dem Durchschuss in der Schulter ganz zu schweigen!“

Ich sah zu Boden; meine Vermutung war bestätigt. Als mir mein Bruder vorhin sagte, dass seine kleine Raubkatze und meine Fotografin dieselbe Person waren, rumorte es sofort in mir. Nicht unbedingt wegen der Tatsache, dass wir offenbar mit derselben Frau geschlafen hatten, eher wegen … dem hier. Mia hatte Kontakt in die Szene, egal welche genau und wie tief sie da mit drinsaß. Deswegen war sie zu Daryl gekommen, sie wusste, dass er ihr diskret helfen konnte. Krankenhaus hieß Polizei, vor allem bei Schusswunden.

„Sicher, dass es ein Durschuss ist?“, hakte mein Bruder neutral nach.

„Ja.“ Sie nickte abwesend. „Ich habe ihn verbunden und die Kugel ist definitiv auf der anderen Seite raus. Aber es hört einfach nicht auf zu bluten.“ Ihre Stimme hatte wieder etwas an Kraft gewonnen.

„Bring ihn ins Haus“, wies mich Daryl an. „Ich rufe den Doc an, dass er herkommt“, erklärte er noch an Mia gewandt.

Ich tat was er sagte, hauptsächlich um mich der Situation zu entziehen. Und ihrer Gegenwart. In meinem Kopf ging es drunter und drüber. Ein Durschuss, ich habe ihn verbunden. Das hier war nicht das erste Mal, dass sie so etwas erlebt hatte.

Ich hob den jungen Mann aus dem Auto und brachte ihn ins Haus. Vorsichtig legte ihn auf die Couch und setzte mich auf den Boden daneben. Der arme Kerl sah wirklich schlimm aus. Wenn man jemanden zum ersten Mal so sieht gefriert einem das Blut in den Adern und man bekommt Angst. Mia hatte auch Angst und Panik gehabt, aber nicht so, wie es normalerweise wäre.

Es war nicht ihr erstes Mal.

Dieser Satz lief in Dauerschleife durch meinen Kopf bis ich die Terrassentür hörte. Mein Bruder und sie kamen herein. Ihr Blick ging zu dem Verletzten und sofort kamen ihr wieder die Tränen. Allerdings ohne einen Ton, sie liefen einfach stumm über ihre Wangen.

Der Schmerz in ihren blauen Augen brach mir das Herz; und auch meinem Bruder, der mich genauso fragend und hilflos ansah, wie ich ihn. Wir kennen Mia kaum, den Mann gleich gar nicht. Wir wussten beide nicht so recht, was wir sagen sollten.

Draußen ertönte erneut Motorenlärm; der Lincoln des Doc`s. Daryl verließ das Haus und ich blieb mit Mia zurück.

Ich fühlte mich gelähmt, unfähig zu denken oder etwas zu sagen. Ehe ich irgendetwas zustande bekam, war mein Bruder schon zurück. Er deutete mir mit der Kleinen nach nebenan zu gehen.

Und das tat ich.

Nun sind wir hier in der Küche. Ich setze Mia auf einen der Barhocker und gehe wieder ein paar Schritte zurück. Unschlüssig beobachte ich die junge Frau. Sie starrt vor sich hin und massiert sich die Schläfen.

Und ich, ich muss mich erstmal sortieren. Ich starre ihren Rücken an, während mein Gehirn heiß läuft vor lauter Fragen. Wer ist der Kerl? Wer hat ihm das angetan? Wie tief steckt die Kleine da mit drin? Wie viel hat sie mit der Szene zu tun? Und mit welcher? Was hat sie da mit meinem Bruder und mir gemacht? War es gewollt? Zufall?

Da ich so schnell keine Antworten bekomme werde, konzentriere ich mich erstmal auf das hier. Ich nehme mir den anderen Barhocker und stelle ihn nah neben sie. Seufzend setzte mich und erstaune mich danach selbst. Mein Arm legt sich wie von selbst um sie, dann ich stelle die einzige Frage, die tatsächlich über meine Lippen kommt, weil sie die einzige ist die gerade wichtig ist: „Wurdest du auch verletzt?“

Mia schüttelt den Kopf und lehnt sich sachte gegen mich; irgendwie schüchtern und betreten. Die Situation ist ihr unangenehm, das spürt man. Trotzdem nimmt sie meinen Trost an …

Und ich? Ich fühle mich … zwischen Hoffen und Bangen. Vielleicht ist das hier alles nur ein Missverständnis … Vielleicht gibt es eine einfache Erklärung … Für alles.

„Er … Sein Name ist Juri“, flüstert die Kleine schließlich leise.

Reden hilft die Gedanken zu ordnen, zumindest ist das bei mir so. Und dann sollte man nicht unterbrochen werden, ist jedenfalls meine Meinung dazu. Also schweige ich einfach und streiche ihr sanft über den Arm.

Mia seufzt und bemüht sich um Fassung. „Er … Er ist ein guter Freund …“, erklärt sie weiter.

Ich brumme leise um ihr zu zeigen, dass ich sie verstanden habe. Zumindest akustisch verstanden … Guter Freund. Das kann alles und nichts heißen. Ich spüren wie Frust in mir hochkocht. Das Bild welches ich von ihr hatte beginnt sich hässlich zu verzerren … Ist sie so eine? Eine die Männer sammelt? Irgendwie schwer vorstellbar. Andererseits hatte sie definitiv etwas mit meinem Bruder, und kaum eine Woche danach mit mir … also könnte es ja sein …

„Juri … er … er ist Familie, weißt du? Wie ein großer Bruder. Ich kenne ihn schon fast mein ganzes Leben … wenn … wenn …“ Sie kommt nicht weiter. Heftiges Schluchzen schüttelt sie und Tränen laufen aus ihren Augenwinkeln.

Ich drücke sie etwas fester an meine Seite. Mir wird gleichzeitig leicht und schwer ums Herz. Ich verstehe diese unbändige Angst und Sorge die sie empfindet. Ich habe mich oft genauso gefühlt wegen Daryl, selbst heute noch oft genug. Dieser Gedanke zupft an alten Narben und schmerzt. Mein Bruder und ich sind mehr als nur einmal dem Tod von der Schippe gesprungen; wir haben mehr als nur einmal Ängste und Sorgen wegen dem jeweils anderen ausgestanden … Gleichzeitig macht sich Erleichterung breit, dass er ihr wichtig ist, weil er Familie ist und nicht in anderer Form. Das ändert zwar nicht den kompletten Umstand, aber lässt hoffen, dass es auch für meinen Bruder und mich eine Erklärung gibt.

„Du siehst gar nicht aus, als hättest du Wodka im Blut“, witzle ich und hoffe, sie etwas aufmuntern zu können. Aus dem Augenwinkel sehe ich Mia lächeln; nur schwach, aber immerhin.

„Familie im Geiste“, präzisiert sie.

Plötzlich vibriert es an meinem Bein. Ich bin verwirrt und kann es für den Moment nicht zu ordnen.

Die Kleine löst sich von mir und setzt sich aufrecht hin. Ihre Hand wandert zwischen unsere Beine. Als ihr Handrücken der über meinen Oberschenkel streift, versetzt mir das einen Hitzeschlag, für den ich mich schäme. Sie wühlt in ihrer Seitentasche und holt ihr Smartphone heraus. Ohne nachzusehen legt sie es auf den Tresen und schiebt es weit weg von sich.

Das Handy liegt da und brummt rhythmisch vor sich hin.

Stille.

Wieder beginnt das Smartphone zu vibrieren.

Stille.

Ich sehe Mia an, doch sie starrt einfach nur ein Loch in den Tresen und scheint zunehmend frustrierter zu sein.

Erneut erwacht das Handy zum Leben.

„Willst du nicht wenigstens nachsehen?“, frage ich irritiert.

„Ich weiß, wer mich da anruft“, knurrt sie als Antwort.

Jetzt bin ich noch verwirrter. Da ist Wut und … Frust? Ablehnung? in ihrer Stimme. Irgendetwas von beidem. Dieser emotionale Umschwung überfordert mich. Mia wirkt verspannt, fast steif und furchtbar eisig. Hat das mit dem Anrufer zu tun? Und der wiederum etwas mit Juri? Ich vermute es stark. Bevor ich noch etwas sagen kann geht die Tür auf und Daryl kommt herein.

Mia springt förmlich vom Stuhl und geht zwei Schritte auf meinen Bruder zu. Sie steht da und sieht ihn mit großen Augen an. Hoffnung und Sorge stehen ihr ins Gesicht geschrieben.

„Alles gut. Der Doc hat die Wunde genäht. Dein … Freund, braucht Ruhe und dann wird das wieder“, erklärt er leicht genervt.

Die Kleine sackt vor Erleichterung förmlich in sich zusammen. Dann verspannt sie sich schlagartig, als das Brummen ihres Telefons wiedereinsetzt. Wutentbrannt geht sie zum Tresen, schnappt es sich und geht ran. „Hör auf mich anzurufen!“, faucht sie außer.

Ich sehe verwirrt zu Daryl, dieser zuckt mit den Schultern als wäre es ihm egal. Wir nicken uns schließlich zu und verlassen die Küche Richtung Wohnzimmer.

„Er hätte sterben können!“, hören wir Mia hinter uns brüllen, bevor die Tür zu geht.

Wir stehen da und sehen uns an. Ich lese deutlich die Sorge aus den Augen meines Bruders. Sorge, dir mir gilt. Seine Sorge rührt und nervt mich gleichermaßen, aber ich löse mich, um dem nicht weiter ausgesetzt zu sein. „Bringen wir Juri rüber“, sage ich und deute auf den Verletzten auf der Couch.

„Juri?“, hakt Daryl verwundert nach.

Die Situation zwischen uns und Mia mag nicht klar sein, aber zwischen ihm und mir ist sie es. Er ist mein Bruder und ich werde ihn nicht im Unklaren lassen. Nicht, nachdem was ich in seinen Augen gesehen habe, als er mir zum ersten Mal von der kleinen Raubkatze erzählt hat. Es wäre ungerecht ihm gegenüber, egal was ich empfinde. Noch dazu, wo ich mir noch nicht so ganz im Klaren bin, was ich empfinde; vor allem nach den jüngsten Ereignissen.

„Ja. Juri. Ihr großer Bruder im Geiste“, erkläre ich, um Daryl zu beruhigen und auf den neusten Stand zu bringen.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Überarbeitet 19.10. Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück