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Eine Begegnung verändert alles

Daryl und Matt
von

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Die Stunde der Wahrheit


 

Mia
 


 

Alle Menschen sind Brüder, bis auf die Schwestern.

Klaus Klages

 

Ein grässlicher Schmerz durchzuckt mein Herz. Es zerreißt mich förmlich und fühlt sich einfach nur unerträglich an. Liams Schrei besteht mehr aus Verzweiflung, wie aus Leid; und das macht es noch schlimmer.

„Mia …“, wimmert er und sieht mich fassungslos an.

Die Zeit steht still, aber nicht auf die gute Weise. Es ist dieser Stillstand, der sich anfühlt als würde sich alles in nichts auflösen. Als wäre die Welt gerade explodiert. Der Moment, nachdem es nie wieder wie vorher sein wird.

Ich gehe in die Hocke, meine Augen immer noch auf ihn gerichtet. Dieses Blau, dass meinem so ähnlich ist und das nicht nur wegen der Farbe. Auch der Schmerz der sich darin spiegelt, ist der Gleiche … doch es ändert nichts … Langsam hebe ich seine Waffe auf; nehme sie routiniert auseinander. Magazin und Schlitten entferne ich und lege alles auf die Kommode neben mir.

Meine Augen können einfach nicht von ihm lassen. Er bricht mir das Herz; mal wieder, schon wieder. Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft das in den letzten Monaten passiert ist, in den letzten Jahren. Jetzt ist Schluss, es muss endlich aufhören. Ich höre Matt und Daryl hinter mir, sie reden leise miteinander. Mein Herz schlägt schwer. Ich habe die beiden ganz schön in die Scheiße geritten. Aber als Juri einfach nicht aufhörte zu bluten, wusste ich nicht so recht wohin. Zu unserem üblichen Arzt konnte ich nicht; ich war mir sicher, dass Liam ihn überwachen würde um unserer handhab zu werden. Daryl kam mir sofort in den Sinn … und das aus mehreren Gründen.

Ich traue mich nicht mich umzudrehen und die Brüder anzusehen. Ich schäme mich, bin verunsichert und verwirrt. Alles Gefühle die ich sonst nicht unbedingt habe, vor allem nicht in dieser Kombination. Ich fühle mich hilflos und überfordert. Mein Freund kommt mir zu Hilfe, ohne es zu wissen. Juri betritt das Wohnzimmer, seine Waffe bereits wieder zerlegt und in seiner großen Umhängetasche verstaut. Man sieht ihm immer noch die Spuren des letzten Zusammentreffens mit Liam an. Sein Gesicht ist noch deutlich mit Hämatomen gezeichnet, sein Gang schwerfällig. Doch er ist gekommen. Ich habe auch nie daran gezweifelt; an seiner Zielsicherheit allerdings … Er hat trotz seiner verletzten Schulter einen perfekten Schuss gesetzt. Ein Profi auf seinem Gebiet eben.

„Wie konntest du nur?“, faucht Liam unseren gemeinsamen Freund an. Er hält seinen Unterarm fest und versucht die Blutung einzudämmen.

Es bricht mir das Herz. Er ist so … so … fremd. Ich erkenne ihn wirklich nicht mehr wieder. Ich habe diesen Umstand lange verdrängt, zu lange vielleicht. Nein, nicht vielleicht, sondern sicher. Ich sehe Juri an, dessen Blick auf Liam gerichtet ist. Er sagt nichts, er weiß auch, dass es sinnlos ist inzwischen. Seufzend senkt er kurz die Augenlider, dann wendet er sich den Brüdern zu.

„Daryl, richtig?“

„Hm“, antwortet der Angesprochene hinter mir gedämpft.

„Ich konnte mich noch nicht Bedanken, also jetzt: Danke“, erklärt Juri mit seinem typischen Akzent und seiner typischen Gelassenheit.

Man könnte ihn in einem Kriegsgebiet abwerfen und er würde trotzdem die Hände in die Hosentaschen stecken und lässig davon Schlendern als wäre nichts. Ich habe ihn schon immer dafür bewundert; und beneidet.

Zu gern würde ich mich umdrehen um die Reaktion der Zwillinge sehen, aber ich stehe wie angewurzelt da und rühre mich nicht. Da ist so viel, dass ich erklären muss, so viel, für das ich mich entschuldigen muss. Ich habe Angst davor, Angst vor der Reaktion, Angst davor, wie es weitergeht.

„Bring ihn zum Arzt“, sage ich zu Juri, um mich endlich selbst aus dieser Situation zu lösen. „Ich bereinigen jetzt endlich den Rest.“ Das hätte ich schon vor Wochen tun müssen. Ich hätte gleich meinem ersten Impuls nachgeben sollen, aber Liam hatte es mal wieder geschafft, mich um den Finger zu wickeln. Zumindest teilweise. Er war sehr überzeugend im ersten Moment, ich hatte die wahnwitzige Hoffnung, dass es vielleicht doch funktionieren könnte.

Egal jetzt. Mein russischer Freund packt Liam und zerrt ihn unsanft hoch. Er bugsiert ihn unter Schmerz- und Protestschreien zum Haus hinaus. Der weiße Mustang steht dort, ich bin an ihm vorbeigelaufen als ich mit Matt herkam. Ich erinnere mich wie stolz Liam war und ihn mir präsentiert hatte; da war es zwar schon nicht mehr in Ordnung, aber immerhin noch gut …

Ich seufze, wegen meiner Nostalgie und wegen dem was nun für mich folgt … Die Stunde der Wahrheit.

Ich drehe mich um und mein Blick fällt auf Matt. Er hat mir vorhin vertraut, obwohl er keinen Grund dazu hatte. Er ist ein guter Kerl, der alles für seinen Bruder tun würde. Ich erkenne mich in ihm wieder, wahrscheinlich haben wir uns deshalb auf Anhieb so gut verstanden. Mir wird schlecht, wenn ich daran denke, dass er nur ein Lückenbüßer war an dem Abend. Der krampfhafte Versuch, mich selbst daran zu hindern wo anders zu sein in dem Moment. Das hat er nicht verdient, wirklich nicht, aber ich konnte nicht anders …

Liam hatte mir erzählt, dass er den Deal festmachen wird. Er wollte das ich ihn begleite, ich habe abgelehnt; ihn angefleht es sein zu lassen. Doch er wollte nicht hören; mal wieder, schon wieder. Die Einladung kam mir daher gelegen, um nicht doch schwach zu werden. Das ich aber bei Matt schwach werde, war nicht gewollt. Doch irgendetwas an ihm hat in mir den Wunsch geweckt, ihm etwas Gutes zu tun. Er wirkte so verloren; so wie ich manchmal. So wie ich an diesem Abend. Zwei verlorengegangene Geschwister … Das er Daryl so schrecklich ähnlich sah, hat es sogar noch einfacher gemacht nachzugeben.

„Schon gut“, sagt Matt leise und sieht mich mit einem warmen Lächeln an.

Ich bin unsicher, was er glaubt in meinem Blick gelesen zu haben. Hat er verstanden, was uns verbindet? Hat er gesehen, dass ich ihn schätze, aber eben auch nicht mehr? Das es mir leid tut, dass der Abend so verlaufen ist?

Ein schelmisches Grinsen huscht über seine Lippen. „Ich kann damit leben. Immerhin hast du meinen Bruder gerettet.“

„Ich habe ihn aber auch erst in Gefahr gebracht“, flüstere ich und sehe unsicher zu Daryl. Liam hat ganze Arbeit geleistet, eine Gesichtshälfte ist dabei ordentlich anzuschwellen. Ich spüre, dass mir die Tränen kommen.

„Stimmt“, lacht Matt amüsiert. „Normalerweise schafft er das ganz gut allein. Das war mal eine angenehme Abwechslung.“

Ich muss lachen. Er ist wirklich ein guter Kerl.

Mein Blick haftet immer noch auf Daryl, der genervt knurrt und seinem Bruder einen gereizten Blick zu wirft. Mein Herz klopft und mein Magen flattert. Im Gegensatz zu seinem Bruder, war unser Treffen freiwillig und gewollt. Sein glühender Blick hatte mich sofort gefangen genommen an dem Abend. Ein angenehmes Kribbeln ist meinen Rücken hinunter gehuscht, als er mich aus der Menge gepickt hatte.

Trotzdem hatte ich mich erstmal rargemacht, ihn aus der Ferne beobachtet und versucht einzuschätzen. Als ich ihn an meinem Wagen gesehen hatte, konnte ich nicht anders. Wie seine Augen über die Karosse gewandert waren … Als würde er eine schöne Frau bewundern. Und ja, ich hatte mir gewünscht, dass er mich mit derselben Faszination und Leidenschaft ansieht. Ich hatte den Moment genutzt und ihn fotografiert; ein kleines Andenken, falls der Abend doch anders verlaufen wäre … Doch er verlief gut, eine Mischung aus Provokationen, Schabernack und Schmeicheleien. Und schließlich aus Lust und Leidenschaft.

Ich bin noch nie bei einem Mann zum Frühstück geblieben, aber bei ihm konnte ich nicht anders. Seine Nähe, seine Art hatten mich zu sehr vereinnahmt. Am liebsten wäre ich den ganzen Tag geblieben, aber meine Unruhe wurde immer größer. Ich musste schließlich weg und nach Liam sehen.

Jedes Telefonat, jede Nachricht in den Tagen danach haben Wohlbefinden in mir ausgelöst. Bis auf bei den Jungs und Liam hatte ich das noch nie bei einem Mann. Und auch nicht den Wunsch, ihn wiederzusehen. Zu gern hätte ich diesen dämlichen Sonntagabend mit ihm verbracht. Doch er konnte nicht. Ich hatte überlegt, ob ich ihm sage, dass ich dringend Ablenkung und Gesellschaft brauchen würde … Ich bin mir fast sicher, dass er einen Weg gefunden hätte, mir meinen Wunsch zu erfüllen. Doch ich hatte Angst ihm dann zu sagen zu müssen was los war und warum ich ihn brauchte. Ihn zu brauchen fühlte sich schon eigenartig genug an, es zu sagen hätte ich mich wohl eh nicht getraut.

Ich wollte es mir auch nicht eingestehen, bis zu dem Abend mit Juri. Da Matt ebenfalls da war, hatte ich die Vermutung, dass sie womöglich über mich gesprochen hatten. Falls dem so war, hat es aber keine Rolle gespielt für den Moment. Er hat mir geholfen, einfach so. Das hat sich verdammt gut angefühlt, warm und geborgen.

Und wie er mich später geliebt hat; als würde ich ihm gehören. Das hat mich völlig um den Verstand gebracht und so einige Blockaden in mir aufgelöst. Ich mag dieses Besitzdenken eigentlich überhaupt nicht. Liam hat das immer gemacht, in einem anderen Kontext zwar, aber ich habe es grundsätzlich gehasst. Doch bei Daryl fühlte es sich großartig an. Ich wollte ihm gehören; damit er mir gehörte.

Das Ende war … schmerzhaft. Ich glaube ich war noch nie so sauer und enttäuscht. Keine Ahnung, was der Grund am Ende war, aber ich hatte es verdient – daher hatte ich weder protestiert, oder mich anderweitig zu Wehr gesetzt. Die Ohrfeige war mehr Reflex … Macht der Gewohnheit halt.

Ich atme durch. Wo fange ich nur an? Am besten an der grundlegenden Situation … „Liam“, beginne ich schwerfällig, „Er … Wir …“ Scheiße, warum nur fällt mir das so schwer? „Er ist mein Bruder“, flüstere ich und spüre Tränen meine Wangen hinunterlaufen. Schmerz überkommt mich, den ich nur schwer in Worte fassen könnte.

„Bruder?“, fragte Daryl argwöhnisch nach.

Ich verstehe das; Juri habe ich ja immerhin auch als meinen Bruder bezeichnet. Nur das es hier anders ist … „Ja. Mein Bruder. Mein Zwillingsbruder, um es genau zu sagen.“ Die erstaunten Blicke der Ortegas lassen mich kurz lächeln. „Wir, also er, ich, Juri und Chris, wir haben irgendwann angefangen Autos zu klauen, als wir so … keine Ahnung 10 bis 14 Jahre waren. Schrottkarren um mit ihnen einfach durch die Gegend zu kurven. Nur zum Spaß. Es ging uns nie ums Geld oder so. Irgendwann wurden die Autos höherwertiger, die Herausforderung lockte einfach zu sehr. Vor allem mich, muss ich gestehen. Es ist schwieriger ein Auto mit elektrischer Wegfahrsperre zu klauen wie einen uralten Oldie … Wir haben angefangen mit den geklauten Karren an Rennen teilzunehmen, die kleinen, außerhalb … Ihr wisst schon. Alles war gut und dann …“

Ich breche ab. Eine Flut an Erinnerungen überwältigt mich und ich muss pausieren. Schuldgefühle drängen sich wieder hoch, von denen ich dachte, dass ich sie endlich los wäre. Ich hatte noch nie einen Sportwagen geknackt, auch nie den Wunsch gehabt – bis zu dem Tag. Ich habe es immer noch genau vor Augen; der wunderschöne Porsche und wie ich dastand und ihn unbedingt wollte. Ich habe mich belesen, an ähnlichen Modellen und Marken getestet. Ich wollte es so unbedingt! Wenn ich um die langfristigen Folgen gewusst hätte …

Matt und Daryl sagen nichts, sehen mich einfach nur verstehend an und geben mir die Zeit mich zu sortieren.

„Als wir plötzlich den ersten Sportwagen unter dem Hintern hatten, veränderte sich bei Liam etwas. Er roch das große Geld und die damit verbundenen Möglichkeiten … das veränderte ihn“, seufze ich und fahre mit zittriger Stimme fort, „Irgendwann kam Liam und meinte, da wäre jemand der uns bezahlen würde, wenn wir bestimmte Autos besorgen würden. Ich wollte nicht, Juri auch nicht. Aber Liam und Chris. Sie … Sie haben uns überzeugt, wir waren schließlich Familie; und die hält zusammen. Es ging eine Weile gut. Ich habe mir mein zweites Standbein aufgebaut mit der Fotografie. Ich mochte die Autos und die Renen und so … aber die Richtung in die sich das alles durch die Diebstähle entwickelte … Ich habe mich Stück für Stück aus dem Geschäften abgeseilt. Ich hielt natürlich den Kontakt und war oft bei den Rennen dabei, aber mit den Diebstählen hatte ich nichts mehr zu tun. Bis vor zwei Monaten.“

Ich fahre mir übers Gesicht und sehe kurz zur Decke. Die Bilder der Nacht zucken vor meinen Augen vorbei; schnell und überlichtet. Das Blut, die leeren Augen, der verdammte Unglückswagen der der Grund für alles ist. „Liam rief mich an – völlig aufgelöst und panisch. Ich bin hingefahren, zu unserem Versteck. Chris er … er war blutüberströmt … und atmete nicht mehr.“ Tränen bilden sich in meinen Augenwinkeln. Ich stand ihm nie so nahe wie Juri, aber trotzdem riss es ein Loch in mein Herz. Er war tot. Tot. „Sie hatten ein Auto geklaut, dass sie nicht hätten klauen sollen. Ich … Ich habe die Karre versteckt, während Liam und Juri …“, ich schluchze und wische mir über die Wange, „Unseren Freund … verschwinden ließen. Ich dachte, es wäre vorbei, aber Liam er … Er wollte von dem Gedanken nicht ablassen das Auto zu veräußern … Und ich, ich wollte ihm nicht sagen, wo ich die Karre versteckt habe … Ich wollte ihn schützen, vor sich selbst ... das alles so kommt, dass … dass …“ Ich weine, nicht zum ersten Mal wegen dem ganzen Scheiß. Aber diesmal fühlt es sich eigenartig gut an, befreiend irgendwie.

„Was machst du jetzt?“, fragt mich Matt nach einer Weile.

„Ich werde sehen, dass das Auto zu seinem Besitzer zurückkommt und Liam …“ Ich drehe mich um. Der weiße Mustang meines Bruders fährt gerade vom Grundstück. „Keine Ahnung“, hauche ich traurig. Ich bin wirklich überfragt was das angeht. Ich drehe mich wieder zu den Brüdern. „Mir tut es wirklich leid. Ich hätte nicht gedacht, dass er so weit gehen würde …“ Mein Blick wandert über Daryl und bleibt an seinen Augen hängen.

Wir sehen uns lange und intensiv an, bis Matt sich amüsiert räuspert.

„Ich rufe mal den Doc an“, flötet er fürchterlich unpassend zu der Gesamtsituation und steht auf. Er nimmt das Handy seines Bruders und geht nach nebenan.

Wir registrieren das kaum. Unsere Augen kleben an einander und versuchen den jeweils anderen zu erkunden. Ich kenne die Geschichte der Brüder nicht, aber ich vermute, sie ist unserer nicht unähnlich.

„Es war nicht gelogen …“, flüstere ich und spüre eine kribbelnde Woge. Alles war echt, jeder Moment zwischen dir und mir, möchte ich anfügen, kann es aber nicht. Ich habe Angst vor seiner Reaktion, seinen Worten, seinem Blick.

Daryl sagt nichts, muss er auch nicht. Seine Augen werden weich und warm; das reicht mir als Antwort.

Ich drehe mich um und gehe. Ich sehe nicht zurück, weil ich befürchte dann nachzugeben und hier zu bleiben. Aber andere Dinge haben jetzt Vorrang. Vor allem dieser unheilbringende Bugatti.

Schnellen Schrittes verlasse ich das Grundstück und gehe zu meinem Auto. Ich habe ihn vor der Einfahrt stehen lassen, damit Juri wusste wohin er musste. Endlich im Inneren spüre ich die Anspannung von mir abfallen. Ich starte den Motor und das Surren des Sechszylinders beruhigt mich zusätzlich. Ich lege den Gang ein und fahre los …


Nachwort zu diesem Kapitel:
Überarbeitet 22.10.12 Komplett anzeigen

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