Zum Inhalt der Seite

Es gibt kein Zurück im Leben

Where the streets have no name ...
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Hier hat es angefangen …

Ruhig lässt er seinen Blick über die Aussicht wandern, die sich vor ihm erstreckt. Nass hängen ihm seine Haare ins Gesicht, der Regen hat ihn in den wenigen Minuten die er hier steht bereits völlig durchweicht. Doch die Kälte in seinen Knochen, in seiner Seele, rührt nicht daher. Nein, diese Kälte ist dort schon vor so langer Zeit eingezogen, dass er sich kaum erinnert wie es vorher war.

Und trotzdem war widererwartend vor einigen Monaten dieser kleine warme Funken aufgetaucht. Nur kurz, kaum spürbar im ersten Moment und dennoch so kraftvoll, dass es ihn ins Schleudern brachte.

Ihr Blick, er hat ihn immer noch genau vor Augen. So neugierig und interessiert. Niemand sah ihn je an. Niemand sollte ihn ansehen, wahrnehmen. Er war ein Schatten, folgte seinem „Herrn“ wortlos. Immer war er da, aber er hielt sich stets im Hintergrund, stets bedeckt.

Man konnte sagen, dass er sein Job war. Andere übten einen Beruf aus, er war sein Beruf. Immer. Tag und Nacht. Woche für Woche. Kaum Platz für ein Privatleben, genau deswegen hatte er den Job vor zwei Jahren angenommen. Keine Freizeit hieß keine Zeit zum Grübeln. Keine Möglichkeiten für die alten Dämonen ihn wieder heimzusuchen. Einfach nur funktionieren war angenehmer, wie sich ständig mit Entscheidungen, Möglichkeiten und Erinnerungen zu befassen.

Doch dann tauchte sie auf. Ihre blauen Augen richteten sich auf ihn, sahen ihn an, wirklich an. Sie nahm ihn wahr, im Gegensatz zum Rest der Welt. Das Lächeln welches sie ihm schenkte war warm und herzlich. Sie stellte sich ihm vor, einfach so. Keine ihrer Vorgängerinnen hatte das je getan. Sie alle hatten seine Gegenwart einfach hingenommen. Doch sie nicht. Sie reichte ihm die Hand und fragte ihn nach seinem Namen.

Er war als Soldat im Krieg gewesen, hatte in seinem zweiten Leben als Leibwächter eines der mächtigsten Männer der Stadt auch schon hunderte gefährliche Situationen erlebt, und dann wusste er nicht wie er reagieren sollte, weil ihm diese zierliche, freundliche Frau nach seinem Namen fragte. Er kam sich vor wie der letzte Idiot während er sich stockend vorstellte.

Er war kein Schatten für sie, nicht wie für alle anderen. Müsste er einen Tipp abgeben, würde er vermuten, dass der Großteil der gut eintausend Leute die im Hochhaus auf dem er gerade steht arbeiten, nicht mal seinen Namen wissen.

Doch sie wusste ihn. Und das nicht vom Hörensagen, sondern von ihm selbst.

Sein Chef war immer schwerbeschäftigt. Mit seinem Job und seiner Firma verheiratet. Und dadurch auch indirekt mit ihm, und seiner Assistentin. Sie beide waren Teil dieser fordernden und stressigen Struktur um ihren Boss herum. Ihre Vorgängerinnen haben das nie lange durchgehalten. Sie haben alle nach wenigen Monaten das Handtuch geworfen.

Sie nicht. Sie war anders. Zäh genug dem Stress und dem Perfektionismus ihres gemeinsamen Chefs stand zu halten, und auch die Stirn zu bieten, wenn nötig. Ja, sie war charakterstark und scheute im Zweifelsfall nicht die Konfrontation.

Durch die enge Zusammenarbeit verbrachte er viel Zeit mit ihr. Das war schon mit ihren Vorgängerinnen so gewesen. Nur, die Frauen vor ihr, haben ihn ignoriert, seine Anwesenheit kaum wahrgenommen.

Sie nicht. Sie war anders. Die neue Assistentin seines Chefs grüßte ihn, brachte ihm Kaffee und nötigte ihm hin und wieder ein wenig Smalltalk ab.

Er mochte sie, schätze sie. Fühlte es sich am Anfang noch recht steif an, wenn er mit ihr redete, wurde es mit den Wochen besser. Die Empathie gewann die Oberhand und irgendwann genoss er ihre Gespräche. Ihr Witz, ihr Charme und ihre sanfte Art vereinnahmten ihn mehr und mehr.

Sie brachte die Kälte dazu zu verschwinden. Sorgte für Wohlbefinden und dafür, dass seine Tage heller wurden. Jeden Tag ein wenig mehr.

Er mochte sie, mehr wie er sich eingestehen wollte. Mehr wie er generell sollte. Ihre Anwesenheit fühlte sich großartig an und er erwischte sich öfters bei Gedanken die er nicht haben wollte. Sollte.

In der Ferne kann er bereits Polizeisirenen hören, nicht mehr lang und sie sind hier. Wütend ballt er die Fäuste. Nichts von all dem wäre passiert, hätte er besser aufgepasst!

Sein Chef hat immer schon Drohungen erhalten, aber diesmal waren sie konkreter, eindringlicher. Er hätte darauf bestehen müssen, dass sie dieser Veranstaltung fernbleiben. Doch sein Boss hat sich durchgesetzt, wie immer. Natürlich hat er den Angreifer rechtzeitig gesehen. Natürlich hat er rechtzeitig reagiert. Er hat getan, was er immer tut. Er hat getan, was er ist, seinen Job. Natürlich war es seine Aufgabe seinen Chef zu schützen, aber der Preis den er diesmal zahlte war einfach zu hoch.

Ein eisiger Schauer schüttelt ihn, als er sich daran erinnert.

Die Kugel hatte sich in ihren Brustkorb gefressen, hatte einen nicht mehr zu reparierenden Schaden angerichtet. Ihre Bluse färbte sich schnell rot und ihre Atemzüge wurden kürzer und kürzer.

Das viele Blut und ihre ängstlichen blauen Augen haben sich in seinen Verstand gebrannt wie ätzende Säure. Das Bild überlagert alle andere. Selbst die Erinnerungen an seine Einsätze während seiner Militärzeit überdeckt es. Da ist nur noch sie.

Er erinnert sich an jede Sekunde, jeden ihrer Gesichtsausdrücke, an das Gewicht ihres Körpers in seinen Armen. Und er erinnert sich an den Augenblick, als ihr bewusst wurde, dass es keine Rettung mehr für sie gab.

Er kannte das. Er hatte es schon mehrere Male erlebt. Jedes Mal hat es in innerlich zerrissen, zu sehen wie die Erkenntnis des Endes in den Augen aufflackerte und sie kurz darauf erloschen und matt wurden. Einen Menschen sterben sehen ist das eine, einem Menschen beim Sterben in die Augen zu sehen das andere.

Es klingt theatralisch, aber er hatte das Gefühl mit ihr zu sterben. Mit ihr gemeinsam den letzten Atemzug zu machen. Ebenfalls sein Leben auszuhauchen.

Er ließ in diesem Moment einfach los. Hörte auf zu kämpfen und sich zu wehren; es hatte eh keinen Sinn mehr. Alle Dämonen krochen wieder aus ihren Ecken, die Gesichter der Toten suchten ihn wieder Heim und all die Verzweiflung, der er seit Jahren versuchte zu entkommen, überrollte ihn. Finsternis und Kälte hüllte ihn ein und fraßen ihn auf. Und er ließ es zu.

Er wollte diesen miesen Hund nicht der Polizei überlassen, und auch nicht die Hintermänner. Sie hatten es nicht verdient vor Gericht gestellt zu werden, sie hatten den Tod verdient. Den Tod und nichts Anderes. In seinem Kopf existierte nichts mehr außer seinen Racheplänen. Er ging nicht zur Arbeit, er aß kaum; konzentrierte sich nur darauf. Die Welt existierte nicht mehr für ihn. Alles war mit ihr gestorben. Alles hatte seinen Sinn verloren. Die Tage waren wieder dunkel, nein, sie waren sogar dunkler wie zuvor.

Heute war es endlich soweit. Es war ein Gemetzel quer durch die Stadt. Blut, Schreie, Verzweiflung. Sie sollten büßen für das was sie getan hatten. Und er hatte sie büßen lassen, sie alle. Er hat keinen von ihnen verschont, keinen. Die Polizei war ihm recht schnell auf den Fersen gewesen. Kein Wunder. Er hatte nicht versucht sich zu verstecken oder Spuren zu verwischen.

Wozu auch?

Es war vorbei. Die Kälte war in sein Leben zurückgekehrt und das mit solcher Wucht, dass sie ihn über kurz oder lang auslöschen würde.

Er ist hierher gekommen um ihr noch einmal nah zu sein. Hier in diesem Gebäude sind sie das erste Mal begegnet. Hier hat es angefangen … Ihre blauen Augen richten sich auf ihn, sehen ihn an, wirklich an. Sie nimmt ihn wahr, im Gegensatz zum Rest der Welt. Das Lächeln welches sie ihm schenkt ist warm und herzlich.

Ruhig lässt er seinen Blick erneut über die Aussicht wandern, die sich vor ihm erstreckt. Nass hängen ihm seine Haare ins Gesicht und seine Kleidung schwer an seinem Körper.

Die Polizeisirenen sind inzwischen ganz nah, unten am Boden kann er bereits die blinkenden Lichter erkennen. Der Regen reflektiert die Farben blau und rot in alle möglichen Richtungen, sodass er diese selbst von hier oben aus dem 40. Stock erkennen kann.

Er weiß, dass es vorbei ist. Vor ihm liegt ein Fall aus 120 m Höhe, den er wohl nicht überleben würde. Hinter ihm erwartet ihn ein Leben im Gefängnis.

Doch er hat seine Entscheidung in dem Moment gefasst, in dem er auf dieses Dach gestiegen ist.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Edit: der "CEO" ist raus XD

Ich mag namenlose Protagonisten, leider bekomme ich zu selten die Gelegenheit das auszuleben.

Man will ja als Autor, dass der Leser so viel wie möglich erfährt, dass er die Background-Storys der Protagonisten kennt etc.
Ich bin hier gewollt einen anderen Weg gegangen.

Ich wollte es möglichst "realistisch"
An was erinnert sich mein namenloser Mann?
Was war für ihn wirklich relevant? Worüber würde er nachdenken?
Und worüber würde er nicht nachdenken?

Ich persönlich stand noch nie irgendwo und habe mein komplettes Leben Revue passieren lassen, um einem nicht vorhandenen Zuhörer genügend Exposition zu liefern XD

Ich hoffe, dass man trotzdem das Seelenleben und die Beweggründe des Mannes nachvollziehen kann.
Man hat ja, theoretisch, genügend Freiraum sich selbst etwas zusammen zu spinnen; was auch gewollt ist. Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Desty_Nova
2021-10-07T19:24:36+00:00 07.10.2021 21:24
Als neutraler Leser bin ich was Kurzgeschichten angeht eher konservativ gestrickt, wobei dein Werk eher ein innerer Monolog ist als eine Erzählung. Auf jeden Fall hätte man mit etwas mehr Arbeit den Spannungsbogen mit dem Höhepunkt (Tod der Assistentin) oder womöglich zwei Höhepunkten (Dramatischer Face-Off mit dem Killer) besser hervorheben können. Rein technisch und sprachlich erkenne ich keine größeren Probleme. An manchen Stellen wirken zwar die ausschweifenden Satzgefüge eher unpassend zum seelischen Zustand des Protagonisten, aber das ist nur meine persönliche Meinung. Wünsche dir noch viel Freude am Schreiben und Inspiration.
Antwort von:  Charly89
08.10.2021 06:47
Hey :)

Ich stimme dir grundsätzlich zu. Man hätte hier viel mehr machen können. Aber wie ich im Nachwort erwähnt habe, ging es mir hier einfach diese eine Sequenz. Und darum, was der gute Mann denn final Revue passieren lassen würde.

Die Story bietet viel mehr Möglichkeiten, sie hat auch eigentlich viel mehr Background zu bieten; aber ich habe mich gewollt dagegen entschieden, weil ich einfach mal etwas anderes machen wollte.

Ich wollte diese eine Szene, ich wollte nur das, an was sich der Mann in diesem Moment erinnert.
Und ich wollte es kurz.

Das ganze war für mich auch eine kleine Übung, in der es darum ging mich auf das wesentliche zu konzentrieren. Ich habe früher eher OS geschrieben (2.000 - 3.000 Wörter) inzwischen schaffe ich das aber einfach nicht mehr so recht, weil ich ständig beim schrieben denke "Das muss auch noch rein" und "Das ist doch auch noch wichtig" "Und dieses noch und jenes noch"
Und am Ende kick ich alles, weil ich nicht fertig werde und das ganze riesige Dimensionen annimmt.

Aber ich schweife ab XD

Ich danke dir fürs kommentieren und das du deine Einschätzung und Meinung mit mir geteilt hast.
Vielen Dank.

Gruß
Charly ^-^/
Von:  Hadara
2021-09-28T18:52:32+00:00 28.09.2021 20:52
Hallo Charly,

erstmal danke für deine spontane Teilnahme. Ich freue mich, dass das Ende hier einen Anfang gefunden hat ^^
du hattest um den Kommentar gebeten:

Zunächst einmal mag ich deinen Rahmen um die Geschichte, also, dass der erste Satz sich im Ende wiederfindet. Das bringt einen von den abschweifenden Gedanken des Protagonisten wieder zurück in das hier und jetzt und rundet alles sauber ab.

Man kann die Geschichte sehr flüssig lesen und ich hab spontan keine auffälligen Rechtschreibfehler entdeckt. In dem Abschnitt mit "Die Kugel hatte sich in ihren Brustkorb gefressen" hast du von einem Satz auf den nächsten die Zeitform gewechselt. Das kann man aus Spannungsgründen durchaus machen, ich würds aber eher bei Beginn eines neuen Absatzes wechseln, nicht mittendrin.

Teilweise hat mich der CEO Part etwas herausgeworfen. Ich habs laut vorgelesen und das Wort hat meinen Fluss irgendwie gestört Vielleicht, weil es auf einmal ein englisches Wort ist? Genau kann ich dir das nicht sagen. Was ich aber cool gefunden hätte wäre, wenn du den Job und was genau sein "Herr" / Chef / Boss ist einfach im unklaren gelassen hättest. Das hätte noch mehr Spielraum gegeben. Zu Anfang hatte ich nämlich gedacht, er wäre die rechte Hand von irgendeinem Mafia-Boss oder so gewesen XD Wenn man schon alles vage hält, warum nicht ^^

Damit seine Verbindung zu der weiblichen Person noch deutlich gewesen wäre, hätte man ihn vielleicht noch eine kurze schöne Erinnerung durchleben lassen, bevor er dann daran denkt, wie die Kugel sich durch ihren Brustkorb gefressen hat. Das hätte einen stärkeren Kontrast erzeugt.

Aber jetzt mal im Ernst, ich habe nicht viel zu bemängeln. Ich fand deine Geschichte traurig und schmerzhaft, aber genau das erwartet man von solch einer Geschichte. Man konnte die Schmerzen des Mannes gut nachvollziehen und diesen einen Moment mit ihm fühlen. Meiner Meinung nach sehr gelungen. Sie meine Kommentare eher als Vorschläge an, wie mans vielleicht noch nen Ticken besser machen könnte ^^

Ich hoffe, du kannst etwas damit anfangen.
Und auch weiterhin viel Spaß beim Schreiben.

Viele Grüße
Hadara
Antwort von:  Charly89
29.09.2021 12:30
Hey ^-^/

Das mit dem Kommentar ging ja schneller wie gedacht, ich freu mich :)

>> Teilweise hat mich der CEO Part etwas herausgeworfen.

Mich auch XD Das war beim Schrieben schon eigenartig, ich wollte es noch rausnehmen, habe es aber irgendwie vergessen.
Ich war tatsächlich am Anfang am Überlegen ob ich den Boss komplett im Dunkeln lasse, und man sich theoretisch einen Mafia-Boss oder sonst was vorstellen kann. Allerdings fand ich das dann mit der Assistentin wieder irgendwie unpassend.
Es ist eigentlich auch nur der CEO geworden, weil ich eine geografische Einordnung wollte. Die Bezeichnung ist inzwischen zwar auch bei uns sehr verbreitet, aber regulär verbindet man damit ja die USA, und das war der Hintergedanke.


>> Damit seine Verbindung zu der weiblichen Person noch deutlich gewesen wäre, hätte man ihn vielleicht noch eine kurze schöne Erinnerung durchleben lassen, bevor er dann daran denkt, wie die Kugel sich durch ihren Brustkorb gefressen hat. Das hätte einen stärkeren Kontrast erzeugt.

Ich stimme dir prinzipiell zu. Ich hatte das eigentlich auch in der Planung, habe es aber verworfen.
Die Verbindung ist gewollt sehr vage gehalten. Bereits von seinen Gedanken her, aber eben auch dadurch, dass nie darauf eingegangen wird wie sie sich ihm gegenüber genau verhält. Sie ist nett und zuvorkommend; aber das muss halt nichts heißen. Vielleicht wollte sie einfach nur freundlich sein, wer weiß.
Auch seine Gedanken dazu sind eben nicht sehr konkret. Womöglich war er in sie verliebt, vielleicht war es auch eher eine Schwärmerei, oder am Ende doch nur etwas Symbolisches.
Es könnte rein einseitig gewesen sein, es könnte alles sein, oder eben nichts.
Hätte ich eine Erinnerung eingebracht, hätte ich das ganze zwischen den beiden näher definieren müssen; und das wollte ich nicht. Ich wollte es „lose“ lassen, damit sich jeder seine eigenen Vorstellungen dazu machen kann.


>> Man konnte die Schmerzen des Mannes gut nachvollziehen und diesen einen Moment mit ihm fühlen. Meiner Meinung nach sehr gelungen.

Vielen Dank :3
Ich hatte sorgen, dass es ohne den obligatorischen Background und so vielleicht zu platt wird. Aber scheinbar konnte ich das Ganze trotzdem gut rüberbringen.

Danke für ausführliches Feedback.

LG
Charly ^-^/


Zurück