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Road Trip through Hell

von

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Charons Laden


 

Es dauerte noch drei weitere Kammern, bis sie zumindest auf einen Teil der Routine trafen, nach der sie suchten. Er kam in Form eines leisen Ka-tsching, als Zagreus die nächste Tür aufstieß.

Die Tür war kaum offen, als Kerberos beschloss, dass er genug davon hatte, ihnen brav hinterherzutrotten. Wendiger, als es für einen dreiköpfigen Hund seiner Größe hätte möglich sein sollen, schlängelte er sich an Thanatos vorbei, stieß Zagreus aus dem Weg und streckte erst einen und dann die anderen beiden Köpfe durch den Türrahmen. Erst mit seinen Schultern blieb er stecken.

“Kerberos? Was ist-” Zagreus stockte und Thanatos hätte schwören können, dass er blass wurde. “Oh nein. Kerberos, nein!”

Wenn Thanatos Kerberos’ gefiepte Antwort richtig deutet, bedeutete sie so etwas wie “Kerberos, ja!” 

Ein letztes Schulterruckeln später und der Wächter der Unterwelt glitt durch den Türbogen. Zagreus setzte ihm mit einem weiteren “Nein!” hinterher.

Von seiner Position aus konnte Thanatos nicht sehen, worauf sie sich stürzten. Er konnte gerade noch Zag erkennen, wie er mit einem Spurt Anlauf nahm. Er hechtete vorwärts, schlug auf dem Boden auf, rutschte über die Steinkacheln unter Kerberos’ massigen Körper und verschwand hinter einem roten Knäul aus Pfoten, Nasen und Fell. Etwas, das nach wertvoller Töpferware klang, klirrte und zerbarst. Irgendetwas quietschte.

Kerberos bellte, doch Thanatos hätte nicht sagen können, ob es unglücklich oder fordernd war.

“Ich habe Nein gesagt! AUS!”

Zu seiner Überraschung duckte sich Kerberos tatsächlich und zumindest zwei seiner drei Köpfe legten die Ohren an, fast so, als täte es ihnen leid. Der Dritte hingegen ignorierte sowohl Zagreus, als auch seine besseren Drittel. Vorsichtig witterte er erst an an dem halb eingewickelten Shawarma, das neben ihm in der Luft hing. Schließlich streckte er, zunehmend mutiger, die Zunge danach aus.

“Gaaaaaaaahhhhhh.”

Der ganze Hund zuckte zusammen, und nicht nur der: Thanatos kannte diese Stimme.

Einen Moment lang überlegte er, einfach umzudrehen. Noch wussten nur Zag und Kerberos von seiner Anwesenheit und die beiden hatten wichtigere Dinge zu erklären. Anderseits - nein. Kopfschüttelnd folgte er seinen Begleitern doch in die Kammer.

“Bruder.” Thanatos schluckte. “Ich würde dir das gern erklären, aber-”

Er deutete auf Kerberos. Ein großer, dreiköpfiger Hund zwischen seinen Waren war einerseits selbsterklärend und andererseits einfach nicht zu erklären.

“Keine Sorge!”, fiel Zagreus ihm irgendwo hinter Kerberos ins Wort. “Ich hab’s! Es ist alles sicher!”

“Uuuuuunnnnghhhh”, antwortete Charon unbeeindruckt.

“Ich weiß, ich weiß!”, antwortete Zagreus und klang dabei, als würde er gerade den Kopf einziehen. “Wer es anfasst, muss es bezahlen. Nimm die Zunge von den Pommes, Kerb.”

Winselnd versteckte sich der rechte Kopf unter den anderen beiden. Zagreus drängelte sich zwischen dem Wächter der Unterwelt und dem Shawarma hindurch zu Charon. Der Sack, den er fest gegen seine Brust presste, zappelte.

“Wie läuft das Geschäft, Charon? Gibt es, ähm, viel zu tun?”, fragte Zagreus, zweifelsohne um Zeit zu schinden und nach ausreichend Obol zu kramen. “Seit wann bewegen sich die Wundertütensegen, die du verkaufst, eigentlich? Und warum stinkt er durch das Leinen?”

“Hrrrnahhh.”

“Oh”, antwortete Zagreus und wirkte nicht nur wegen den Lichtverhältnissen des Tartarus ziemlich grün im Gesicht. Thanatos spürte, wie ihm ebenfalls übel wurde.

 “Das”, stammelte Zagreus, gleichzeitig darum bemüht, weniger vom Sack anzufassen und ihn außer Reichweite von drei neugierigen Schnauzen zu halten. “… erklärt … vieles.”

Der Sack quiekte. Es klang beinahe empört. 

Zagreus ignorierte ihn tapfer - etwas, das vermutlich leichter gesagt war, als getan. Mittlerweile war der Geruch von Kot und Verwesung selbst bei Thanatos angekommen. Mit dem Sack in seinen Händen musste das noch schlimmer sein. Doch Zagreus hatte sogar noch genug Atem übrig, um die Nase anzupusten, die neugierig über seine Schulter witterte. 

Kerberos zog sich lautstark niesend zurück.

“Hrmpf.” Zagreus warf den anderen beiden Köpfen einen skeptischen Blick zu. Zähneknirschend überreichte er die Obol. “Sag Charon, Kumpel, ist da wie immer eine Furie hinter der Tür? Und wenn ja, wie gut ist ihre Laune?”

“Mmmhhhn hrnngahhh.”

“Oh, so schlimm?”

Zag warf ihm einen Blick zu. Thanatos zuckte mit den Achseln.

Was erwartete er denn bitte? Schließlich war er derjenige, der ihm diesen Spaziergang als ‘Schatten verbuddeln, Alecto annagen, gegen Vaters Urnen pinkeln. Sowas halt.’ verkauft hatte. Bei so einem Spaziergang war man als zufällig Anwesende:r entweder ganz schnell weg oder sehr, sehr schlecht gelaunt.

Eigentlich war es kein Wunder, dass sie bislang keinen Schatten begegnet waren.

“Nun, ich weiß ganz genau, was sie braucht. Kommt ihr, Jungs?”

Kerberos musste Zag nicht zweimal fragen - aber der würde Zag momentan auch ohne Aufforderung bis ans Ende der Unterwelt folgen. Er durfte nur den Sack nicht loslassen. So schnell er konnte, ohne Zagreus dabei über den Haufen zu rennen, tapperte er ihm zur Tür hinterher.

Thanatos derweil warf seinem Bruder einen leidlichen Blick zu.

“Graaahhnnggghh.”

“Ich weiß. Ich … weiß”, erwiderte er und seufzte. “Es ist nicht so, als könnte ich sie aufhalten.” 

Wie um seine Worte zu unterstreichen, quetschte sich das Zag-Kerb-Knäuel durch die nächste, viel zu enge Tür. Es klang mehrfach so, als stünden sie sich gegenseitig auf den Pfoten.

“Hrrrrr”, erklärte Charon und deutete mit seinem Ruder auf Kerberos’ Rute, die gerade durch die Tür verschwand, “nnnnghhh ohhhh raaahhh.”

Thanatos blinzelte. Was? Meinte sein Bruder das ernst? Skeptisch warf er seinem Bruder einen Blick zu, doch der starrte entschieden zurück. Und er musste zugeben: Es machte Sinn. 

Trotzdem hatte er sich Hades eigentlich immer anders vorgestellt.

Aus dem angrenzenden Raum drang Megaeras Stimme zu ihnen herüber, doch die Worte zogen an ihm vorbei. Sein Bruder beantwortete seine stumme Frage mit starrem Blick.

“Wirklich?”, fragte Thanatos schließlich. “Davon wusste ich nichts.” 

“Gnnnhhh.”

“Heh.” Er zuckte mit den Achseln und lächelte dünn. “Doch. Ich sehe die Ähnlichkeit jetzt. Meg wird sie hassen.”

 
 

*

 
 

Nachdem er den nächsten Raum ebenfalls erreicht hatte, wurde Thanatos klar, dass er sich geirrt hatte. Meg hasste sie schon jetzt.

So sehr, dass sie die Hölle vom Himmel regnen ließ. Wortwörtlich. 

Mit einem bedrohlichen Knistern erschienen vier riesige Energiekreise vor ihm. Für einen Augenblick flackerten sie unwirklich. Dann schloss sich der Kreislauf. Die geballte Wucht einer erzürnten Furie flutete den Raum.

Thanatos riss seinen Umhang schützend vor sein Gesicht.

Die elektrostatische Ladung des Angriffs war stark genug, um ein unheilvolles Kribbeln über seine Haut zu jagen - und im Gegensatz zu Zag war er nicht mittendrin. Während Thanatos sich wegdrehte, sah er selbigen gerade noch durch die Kreise hindurch flitzen. Dann hörte er es japsen.

“Du musst mich dieses Mal wirklich nicht auf dem schmerzhaften Weg zurückschicken!”, rief Zagreus einen Moment später. Er klang, als würde er die Zähne aufeinanderbeißen.

Thanatos senkte seinen Arm gerade weit genug, um Zagreus hinter einer Statue ausmachen zu können. Sein Chiton hing ihm von der Schulter, als sei er irgendwo gerissen - und zwar nicht auf die vielversprechende Art. Blut lief ihm den Arm hinab. In einer Hand hielt er noch immer den Sack, in der anderen sein Schwert. Und er war umzingelt. Auf der einen Seite schritt Megaera durch die Kammer, offensichtlich auf der Suche nach einer Schwachstelle. Auf der anderen lauerte Kerberos.

“Komm einfach raus”, schlug Megaera vor, “dann erlöse ich dich schnell.”

Sie sah nicht viel besser aus, nur wütender.

Verdammt, so lange hatte sein Gespräch mit Charon doch gar nicht gedauert. Wie schafften die Beiden es nur immer wieder, sich so schnell so zuzurichten?

“Aber immer noch schmerzhaft!”, rief Zagreus hinter seiner Säule hervor. Halb außerhalb von Megaeras Sichtfeld duckte er sich. “Ich verzichte.”

Noch, bevor das letzte Wort seinen Mund vollständig verlassen hatte, warf er den Sack. Quiekend und wackelnd flog der Klumpen aus Leinen und Was-auch-immer-darinnen-war in einem hohen Bogen durch die Kammer. Thanatos starrte. Meg starrte. Kerberos nahm Anlauf. Und Zag - der war irgendwo mittendrin.

Er hörte die Hiebe mehr, als dass er sie sah. Megaera sprang halb, flog halb durch den Raum, schlug nach dem Sack, schlug nach Zag, schlug nicht nach dem Hund. Es war Zag, der traf. Einmal, zweimal-

Kerberos Zähne kratzten über das Leinen, doch letztendlich erwischten sie nur Luft. Die Berührung reichte, um dem Sack einen sanften Drall zu geben. Mit einem nassen Pflatsch! landete er vor Thanatos Füßen.

“Hast du eigentlich nie frei?”, hörte er Zagreus fragen, während sich der Anblick des Sackes in seine Netzhaut brannte. 

“Ich würde mir frei nehmen, um dich dahin zu prügeln, wo du hingehörst.”

“Wir wollten doch nur Gassi!”

“Dir gebe ich gleich Gas-!” Megaera stockte. Thanatos hätte nicht sagen können, warum. Vielleicht, weil ihr klar wurde, dass Zagreus Worte wie ‘Gassi’ selten in den Mund nahm. Vielleicht erinnerte sie sich auch an Kerberos. Oder an den Sack.

Er blinzelte. 

Sicher war es der Sack.

Der Stoff war von etwas durchtränkt, das nach einer Mischung aus Blut und Erbrochenem aussah. Er roch auch so. Das ganze Ding pulsierte wie eine mehrere Tage alte, aufgedunsene Leiche. 

Fünf Paar Augen richteten sich auf ihn, während er seine am liebsten zusammengekniffen hätte. Der Gestank, der aus dem Bündel zu ihm aufstieg, biss sich in seinen Schleimhäuten fest. Tränen stiegen ihm in die Augen.

“Uh, Thanatos?”, fragte Megaera. Er war sich sicher, sie roch das Ding mittlerweile auch. Sie klang jedenfalls so, als würde sie es tun. Das war nicht mehr ihr ‘Urgh, Zag!’-Tonfall. “Was machst du hier? Und was ist das?”

Thanatos spähte zu Zagreus und Kerberos. Er spürte, wie er rot wurde. Vielleicht war das aber auch nur eine neue Woge der Übelkeit. Er schluckte.

“Bis eben war das ein … Date”, würgte er hervor. Mittlerweile war sein Magen sich da nicht mehr so sicher. “Zag? Dein Sack.”

Zagreus blickte von ihm zu Megaera zu dem wackelnden Leinenbündel.

“Äh, ja klar.”

Mit ein paar Sprüngen war er bei ihm. Unter Kerberos’ wachsamen Blick griff er nach dem Sack, als sei nichts Schlimmeres darinnen als ein paar Granatäpfel.

Megaera beobachtete jede seiner Bewegungen wie Argus die Io.

“Nicht, dass es nicht zu dir passen würde, aber seit wann hast du stinkende Säcke in deinem Arsenal?”

“Sonderangebot aus Charons Laden”, erklärte er, beinahe schon beiläufig. “Zum Für-den-Wächter-der-Unterwelt-Preis.”

Abschätzig warf Megaera Kerberos einen knappen Blick zu. Sie musste das, was Charon ihm erzählt hatte, auch kennen. Oder zumindest genug Bruchstücke davon, um die Alarmglocken in ihrem Hinterkopf schellen zu hören. 

“Du bist dir im Klaren, dass Kerberos hier nichts zu suchen hat?”

“Nö?” 

Selbst auf Entfernung konnte Thanatos sehen, wie Megaera die Augen verdrehte. “Dein Vater wird außer sich sein.”

“Das ist er immer. Oh, und Meg?” Die Art und Weise, wie Zagreus den Sack in seiner Hand wog, ließ Thanatos nichts gutes ahnen. “Fang!”

Mit diesen Worten war er wieder in Bewegung. Er spurtete los und warf - nicht den Sack, sondern sein Schwert. Wie ein Speer schnitt es durch die Luft, doch Megaera sah es kommen und ließ die Peitsche schnalzen. Der Riemen wickelte sich routiniert um die Waffe. Meg riss sie in einer ruckartigen Bewegung aus der Luft. Ungefährlich klirrte die Klinge über die Steinplatten.

Im gleichen Moment warf Zagreus den Sack.

Thanatos glaube nicht, dass Meg ihn kommen sah - sie wich dem Sack trotzdem aus. Kerberos nicht.

Der Wächter der Unterwelt hatte alles beobachtet, oder zumindest alles, was mit dem Sack zu tun hatte. Jeden von Zags Schritten. Jedes Anheben. Jedes Luftholen.

Und jetzt sah er seine Chance gekommen. Wie der Stier von Minos preschte er durch die Kammer. Meg kreischte, als er mit ihr kollidierte. Nur der linke seiner Köpfe legte die Ohren an, als habe er etwas gehört. Die anderen Beiden schnappten sich den Sack.

Mit sich und der Welt zufrieden, ließ Kerberos sich fallen, wo er stand. Irgendwo unter ihm stöhnte Meg. Thanatos spürte, wie sich erste Fasern vom Faden lösten, der sie ans hier und jetzt band. Automatisch schloss er den Griff um seine Sense fester. Nicht, dass er irgendwas hätte tun können, außer den Prozess zu beschleunigen. 

“Sorry”, sagte Zagreus und es klang nicht nach einer Entschuldigung, “aber ich hätte ihn nicht aufhalten können, selbst wenn ich das gewollt hätte.” 

Während der rechte Kopf stolz vor sich hin hechelte, biss der mittlere beinahe schon zaghaft in den Sack und rupfte am Leinen. Während vier Hundeohren aufmerksam dem Reißen des Stoffes und dem Quietschen des Innenlebens lauschten, hatte der linke Kopf längst andere Beute gefunden. Zufrieden leckte er an etwas Blauem, das verdächtig nach Haar aussah.

Unter ihm grollte Meg, doch sie klang, als habe sie Fell im Mund. Zu viel Fell für irgendwelche berühmten, letzten Worte. Irgendwie klang alles wie “Ich bring dich um.”

Thanatos nahm einen tiefen Atemzug. Wenn er je eine Chance gehabt hatte, hier irgendetwas zu deeskalieren, so war sie gerade ebenso gerissen, wie das Leinen unter Kerberos’ Zähnen. Kopfschüttelnd schwebte er zu Zagreus.

“Ich … bring ihn einfach raus”, verkündete er, während er seine Hände auf Zagreus’ Schultern legte. Sachte bugsierte er ihn zum Ausgang der Kammer. Zwischen Zagreus’ Schritten beugte er sich vor und raunte ihm ins Ohr: “Du bist ein toter Gott, Zag.”

Zag schien das nicht zu stören. Thanatos hörte ihn grinsen.

“Ich weiß.”

 



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