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Tag 20

Shukichi saß in seiner vollen Shogi-Montur im Wagen seines älteren Bruders. Während einer Partie oder eines Wettkampfes legte er viel Wert auf sein Äußeres. Er rasierte sich, kämmte die Haare und verzichtete auf seine Brille. Stattdessen trug er Kontaktlinsen und einen Yukata. Das war ihm wichtig – egal ob es sich um ein offizielles Spiel handelte, ein Turnier oder ein Freundschaftsspiel. Manchmal kleidete er sich auch so, wenn es ein Trainingsspiel war. Das gehörte einfach dazu. In allen anderen Sachen fühlte er sich unwohl, wenn es um Shogi ging.

In seiner Freizeit hingegen ließ er sich gerne mal gehen. Wie sehr freute er sich schon auf seine Wohnung und sein Bett. Und natürlich die Ruhe sowie den geringen Bekanntheitsgrad, wenn er wie ein mittelloser Student aussah. Aber nicht nur das, er würde auch wieder Yumi sehen können.

Seine letzten Spiele fanden allesamt in Osaka statt. Selbstverständlich hätte er sich gefreut, wenn Yumi dabei gewesen wäre oder ihn abgeholt und nach Hause gefahren hätte. Mehrere Stunden im Auto mit ihr hätten ihre Beziehung festigen können. Sie hätten geredet, hätten irgendwo angehalten, was gegessen und hätten die restliche Fahrt geredet. Oder er wäre währenddessen eingeschlafen. Vermutlich wäre er das. Und je nachdem welche Laune Yumi hatte, würde er mit bemalten Gesicht aufwachen. Allein bei der Vorstellung lächelte er.

Aber Yumi war nicht hier. Stattdessen hatte ihn sein großer Bruder aus Osaka abgeholt und fuhr ihn nach Hause. Shukichi hatte gescherzt, dass alles nur ein großer Zufall sei, weil sein Bruder sowieso etwas in Osaka zu erledigen hatte. Letzen Endes stellte sich dies sogar als Wahrheit heraus. Aber er war ihm nicht böse, denn so konnten sie Zeit miteinander verbringen. Und das war schon lange überfällig. Schon seit ihrer Kindheit sahen sie sich kaum und sprachen dementsprechend auch wenig miteinander. Nur zu Geburtstagen und meistens war es Shuichi, der anrief, da er ihnen nie seine aktuelle Nummer gab. Aber jetzt waren sie alle in Japan und doch nicht vereint. Seine Schwester und Mutter hielten Shuichi immer noch für tot und sein Bruder wollte sich ihnen immer noch nicht offenbaren.

„Es ist lange her“, entgegnete Shukichi, in der Hoffnung die Stille zu durchbrechen.

Shuichi nickte. Er sah weiterhin auf die Straße und hielt das Tempo gleichbleibend.

„Diese Art von dir ist mir so fremd“, sagte Shukichi anschließend. Er dachte an damals. Früher war sein Bruder anders, aufgeschlossener, fröhlicher und mehr am Reden. Mit der Zeit wurde er schweigsamer und zog sich zurück. Shukichi hatte keine Ahnung, was dazu führte. Vielleicht hatte er in seinem Beruf zu viel schlimme Dinge gesehen.

„Mhm? Was meinst du?“ Aber eigentlich wusste es Shuichi bereits.

„Du warst früher anders und jetzt bist du…so ruhig. Wir haben uns alle verändert, aber bei dir fällt es mir am meisten auf. Wahrscheinlich, weil wir uns so viele Jahre nicht mehr gesehen haben. Du solltest dich häufiger bei uns melden.“

„Ich tu, was ich kann.“ Er würde ihm nicht sagen, dass er in seiner aktuellen Identität bei Weitem gesprächiger war. Ansonsten würde sein Bruder ein ähnliches Verhalten erwarten. Und darauf konnte er verzichten.

Wieder war das Gespräch beendet. „Ach ja, danke, dass du mich mitgenommen hast.

„Schon gut“, gab Akai von sich. „Ich habe gelesen, dass du ein Spiel in Osaka hattest. Da ich eh dorthin musste, hat es sich angeboten, dich mitzunehmen. Wenn ich dir helfen kann, tu ich das immer gern.“

Shukichi lächelte. „Der perfekte große Bruder.“

„Mhm…“

Shukichi seufzte gespielt. „Und schon wieder ist das Gespräch abgeflacht.“ Er musste lachen. „Ich treffe mich am Wochenende mit Yumi.“ Sofort strahlte er. „Ich wünschte, du würdest sie kennenlernen.“

„Ich kenn sie doch schon.“

„Aber da wusste sie nicht, wer du bist. Und beim anderen Mal hat sie geschlafen“, warf er ein. „Das zählt also nicht. Und ich möchte nicht, dass du dich wieder verkleiden musst.“

„Dann musst du noch warten“, entgegnete Shuichi. „Es wird noch dauern, ehe ich wieder als ich selbst agieren kann. Sie jetzt kennenzulernen, wäre zu gefährlich. Für dich ist es bereits gefährlich genug, aber ich möchte keine weiteren Menschen involvieren.“

„Irgendwie habe ich geahnt, dass du das sagst.“ Shukichi blickte zu ihm. „Und was ist mit dir?“

„Was meinst du?“

„Gibt es in deinem Leben eine Frau? Jemanden, den du liebst oder mit dem du derzeit ausgehst?“

„Nein.“

Shukichi dachte nach. „Mhm…ich hatte beim letzten Mal das Gefühl, dass es doch jemanden in deinem Leben gibt.“ Er spielte auf Jodie an, die er seinerzeit nur am Telefon hörte. Selbst über das Telefon hatte man gespürt, dass mehr zwischen ihnen war.

„Diese Person gibt es nicht mehr.“

Shukichi schluckte. „Das tut mir leid…mein Beileid. Ich wollte…keine Wunden aufreißen.“

„Schon gut“, murmelte Shuichi. „Sie ist…nicht tot, aber…“

„Aber was?“

„Aber sie hat einiges durchgemacht. Wegen mir“, erzählte er. „Sie ist nicht mehr die Person, die sie war, als wir uns damals kennenlernten. Ich habe mich verändert, sie hat sich verändert. Ich habe ihr…wehgetan, obwohl ich das nie vorgehabt hatte. Dadurch habe ich sie gebrochen und in Verzweiflung gestürzt.“ Er blickte weiter auf die Straße. „Trotzdem ist sie immer noch stark, stärker als früher, aber das weiß sie nicht. Sie glaubt, sie bräuchte mich, aber in Wahrheit braucht sie das nicht. Sie schafft es auch allein, denn sie weiß, wie man sich durchbeißt und wie man kämpft.“ Er lächelte bei dem Gedanken an Jodie.

„Das klingt doch gar nicht so schlecht“, entgegnete der Jüngere. „Egal was du damals auch getan hast, sie wird dir verzeihen. Früher oder später wird alles wieder gut werden. Du darfst die Hoffnung nicht aufgeben. Du verdienst diese zweite Chance. Sieh mich an, Yumi hat mir auch eine zweite Chance gegeben.“

„Es gibt keine Hoffnung und keine zweite Chance für uns. Selbst wenn…in meinem Beruf ist es gefährlich. Ich würde ihr immer wieder wehtun und damit würde ich es vermasseln. Auf Dauer hält sie diesen Druck nicht aus.“

„Das ist doch Unsinn“, warf Shukichi ein. „Das sind alles nur Hirngespinste, weil du Angst hast. Wenn wir in Tokyo sind, sprichst du mit ihr. Entweder direkt oder per Telefon. Du musst ja nichts überstürzen, redet miteinander und legt die Karten offen auf den Tisch. Und vielleicht kommt ihr zu dem Schluss, dass ihr es noch einmal versucht.“

„Mhm…“

„Shuichi!“ Es hieß schon was, wenn er seinen Bruder bei vollem Vornamen ansprach. „Ich will nicht, dass du einsam endest. Du bist jung und verdienst das Glück. Ich steh dir auch bei und halte Händchen.“

„Bloß nicht.“ Akai verzog das Gesicht. Einen Zuhörer konnte er nicht gebrauchen. Aber vielleicht würde er Jodie tatsächlich anrufen.



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