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How To Save A Life

Haikyuu Krankenhaus AU RairPairs on the Run
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Ihr fragt euch sicher ”Warum gabs im Februar kein Kapitel?“
Dafür gibt es 2 Antworten. Die Wahrheit und eine Ausrede.

Die Ausrede: Der Februar hat ja gar keinen 30ten und bisher hab ich außer Jos (falsch platziertem) Geburtstagskapitel immer am 30ten geliefert.

Die Wahrheit: Ich hab’s einfach nicht geschrieben bekommen. Dafür gibt es heute pünktlich zum 30ten das neue Kapitel.

Was ich noch erwähnen möchte: Wer es noch nicht gemerkt hat, so ganz halte ich mich ja nicht an das Alter bei den Charakteren. Also ich mische hier bunt durch. Zwar sind Kenma und Teru im gleichen Jahrgang und somit gleichalt, aber ich hab ja auch Tsukki, Kageyama und Yachi zB ins selbe Jahr gesteckt. Und habe Suna und Sakusa, die eigentlich auch gleichalt wie Kenma sind „viel“ älter gemacht indem ich ihnen die Rollen als Oberärzte gegeben hab. Also echt alles durcheinander und trotzdem hab ich mich manchmal dran gehalten wie bei Kuroo und Kenma, die ein Jahr auseinander sind. Das sind reine Änderungen zur Einfachheit dieser Geschichte. Ich hoffe, das stört nicht zu sehr.

Und jetzt wünsch ich gute Unterhaltung mit der fünften Phase der Trauer: Acceptance

TW: Tod, Selbstmord Komplett anzeigen

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Acceptance

Herbst

Die Blätter fallen, fallen wie von weit,

als welkten in den Himmeln ferne Gärten;

sie fallen mit verneinender Gebärde.

Und in den Nächten fällt die schwere Erde

aus allen Sternen in die Einsamkeit.

Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.

Und sieh dir andre an: es ist in allen.

Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen

unendlich sanft in seinen Händen hält.

(Rainer Maria Rilke, 1875-1926, österreichischer Dichter, Schriftsteller)
 

Ein langer Herbst, so sagt man, verspricht einen harten aber kurzen Winter. Viel Nebel im November, sagt einen schneereichen Dezember voraus. Wenn rote Blätter spät aber dann schnell fallen, erwartet das neue Jahr, so sagt man, ein Unglück noch in der ersten Hälfte.
 

Bauernregeln. Sogesagtes. Humbug. Erfahrung. Hokuspokus und Aberglaube. Man nenne es, wie man mochte. Ein bisschen Wahres ist an allem dran. Manchmal. Nicht immer. Fakt ist: Nach dem Herbst folgt der Winter. Regen wird zu Schnee, wenn die Temperaturen fallen. Und auf das alte Jahr folgt das neue.
 

***
 

Der eisige Wind veranlasste nicht nur Kenma, den Kragen der Jacke hochzustellen und den Hals vor der Witterung zu schützen. Kuroo neben ihm sah damit aber viel cooler aus. Verwegen gar.
 

„War ne harte Nachtschicht, hmm?“, fragte der Ältere. Kenma nickte nur. So recht hat er das auch noch gar nicht verarbeitet. Auch die Straße hat das nicht. Da waren immer noch die Markierungen von der Polizei. Officer Sasaya hat sie aufgesprüht. Grüne Linien für den stehengebliebenen LKW sowie dessen Fahrbahn, weiters den Verlauf von Kaedes Weg über die Straße in den Graben in gelb.
 

Direkt bei der Bushaltestelle am gestürzten Ahorn erkannten sie eine der älteren Assistenzärzte. “Eri?”, fragte Kuroo überrascht, aber sie rührte sich nicht. Sie sah starr auf den Baum. Die Blätter waren sogar im November noch rot und waren erst jetzt gefallen. Dafür alle auf einmal.

Für Kenma spielte sich der gesamte Unfall wie in Zeitlupe noch einmal vor seinem geistigen Auge ab. Am liebsten hätte er vergessen, was er gesehen hat. So schnell hat sein Herz noch nie geschlagen und so eng hat er sich noch nie um den Hals einer anderen Person geschlungen, wie um den von Terushima.
 

“Ich vergeb dir! Es ist alles wieder gut!”, hat er ihn angebrüllt. “Nur mach sowas nie wieder", er hat am ganzen Leib gezittert, weil er plötzlich eine unheimliche Angst um seinen Mitbewohner gehabt hatte. Jedes noch so kleine Restgefühl der Verärgerung wegen diesem Kuss von damals war wie in Luft verpufft.

Terushima war der Schock selbst noch so tief gestanden, dass er nicht einmal etwas Unangebrachtes gesagt hat. Nur eine Entschuldigung.
 

Die restliche Nachtschicht war wie in Trance vergangen. Die Zeit lief neben ihm vorbei, genauso wie die anderen Ärzte. Kenma wusste nicht einmal aus erster Hand, wie es um Kaede stand oder Dr. Iwaizumi. Terushima war dann auch so schnell weggelaufen. Nicht auf die Straße, den anderen Ärzten nach.

Erst Kuroo hat sich ein genaues Bild gemacht und den Stand der Dinge geklärt. Aber Kenma hat es nicht aufnehmen können.

Er konnte jetzt auch nicht mit Eri umgehen, die wegen einem Baum zu weinen schien.
 

„Ich mach dir daheim nen Tee und dann schläfst du mal richtig“, sagte Kuroo im Bus zu ihm. Im Bus. Kenma konnte sich nicht erinnern eingestiegen zu sein. Er konnte sich auch nicht daran erinnern, dass Kuroo seinen Arm tröstend um Eri gelegt hatte und, dass sie dadurch noch heftiger weinte.
 

Erst in der WG angekommen kamen kurze Bilder bei ihm an. Mit einem heißen Kamillentee saß er auf der Couch und starrte auf den schwarzen Bildschirm des Fernsehers. Seine Finger wärmten sich angenehm und der Geruch wirkte auch bereits beruhigend. Kuroo setzte sich neben ihn und bot ihm eine Decke an, doch Kenma lehnte sie ab.

„Was ist mit Eri los?“, fragte er mit müder Stimme. Kuroo stellte sein Glas Wasser nach einem ersten Schluck auf den Tisch. „Eri hat ihren Verlobten verloren… Ist schon ein paar Monate her, aber an dem Baum, also eigentlich beim Bus haben sie sich kennengelernt. Chigaya war Pathologe, aber glaub mir, ganz anders als Matsukawa. Der war fröhlich und man hat ihm nicht angesehen, dass er den ganzen Tag mit Leichen arbeitet, das merkt man bei Matsukawa schon. Hast du den schonmal reden gehört? Hat auch nen super seltsamen Humor“, begann Kuroo zu erzählen. „Du schweifst ab“, mahnte Kenma. Er war sich aber gar nicht sicher, ob er das alles überhaupt wissen wollte. Immerhin reichte es ihm zu wissen, dass Eri wohl trauerte. Aber er hatte bereits gestartet. Kein Abwürgen möglich, außerdem fehlte ihm die Energie, aufzustehen und sich fürs Bett zu richten.
 

„Sorry, sorry. Also ja, Chigaya war Pathologe und Eri hatte ihre Praxis zum Studium im Haikyuu Medical Hospital. Sie war also noch so ne richtig unverdorbene Studentin und Chigaya war mit seiner positiven Energie auch noch so richtig grün hinter den Ohren. Eigentlich kein Wunder, dass die zwei zueinander gefunden haben. Wie genau das gelaufen ist, hat sie nie erzählt, ich hab sie ja erst vor anderthalb Jahren kennengelernt seit unserer Assistenzarztzeit halt. Aber er hat ihr wohl am ersten Tag schon den Weg im Krankenhaus gezeigt und beim Bus haben sie sich richtig unterhalten. War ein verregneter Tag – ja, das weiß ich noch genau, weil das total romantisch ist – und deswegen ist der Bus lange nicht gekommen. Glaub, da war ne Verkehrsbehinderung. Der Grund ist ja egal, weil die zwei sich da unter dem alten Ahorn untergestellt und sich so richtig ineinander verliebt haben. Wie Schicksal, was sagst du?“, fragte Kuroo. Kenma schüttelte den Kopf. Schicksal war doch Schwachsinn. „Naja… auf jeden Fall sind die zwei zusammengekommen und Eri ist natürlich für ihre Chirurgenausbildung auch ins Haikyuu Medical gegangen, so wie ich. Am ersten Tag hätte ich es auch schon bei ihr versucht, aber ja, sie war nunmal vergeben, daher weiß ich das nämlich“ Kenma seufzte. War ja klar, dass Kuroo sich nicht aus reinster Nächstenliebe für Eris Geschichte interessiert hatte.

Es stand vollkommen außer Frage, dass Kuroo ein aufmerksamer Mensch war, der ehrliches Interesse an anderen hatte, aber das wäre wohl eine Spur zu viel des Guten gewesen.
 

„Und warum weint sie dann jetzt am Baum?“, fragte Kenma. Der Tee hatte inzwischen Trinktemperatur und wärmte von Innen wohlig, dass das mentale Toben der Nachtschicht langsam nachließ.

„Er ist gestorben. Herzstillstand. Einfach so. Hat einfach aufgehört zu schlagen“, sagte Kuroo. Kenma stockte der Atem. Er konnte den Schmerz, den die ältere Assistenzärztin durchgemacht haben muss, zwar nicht nachfühlen. Genauso wenig wie den von Dr. Sakusa. Aber mit all dem Tod, mit dem er in seinem ersten Jahr bisher konfrontiert war, bedrückte ihn das Thema. Mit seinem Beruf kam es unweigerlich näher an ihn heran und eigentlich hätte er gedacht, dass es ihm nicht passieren würde. Und dennoch hing es nun wie ein schwerer Mantel auf seinen Schultern.
 

„Am alten Ahorn hat er ihr den Heiratsantrag gemacht. Hat das Verkehrsamt kontaktiert und die haben einen Bus mit der Aufschrift ‘Willst du mich heiraten?‘ geschickt. Super kitschig, viele vom Krankenhaus waren da und er ist unter dem Baum gestanden mit dem Ring als Eri das gelesen hat“, erzählte Kuroo weiter. Kenma wurde unwohler im Magen. „Warum denn bei der Bushaltestelle?“, fragte er. Von Romantik verstand er zwar sehr wenig und interessierte sich auch nicht dafür. „Gott Kenma, weil das ihr Ort ist und es ist weniger die Haltestelle und vielmehr der Baum. Der Baum, Kenma, wo alles für sie begonnen hat und jetzt ist dieser Baum umgefallen und kaputt und Eri hat auch das verloren und deswegen sitzt sie jetzt bei dem Baum und weint“
 

Und dann waltete Stille. Kenma starrte in seine Tasse und folgte gedankenverloren den kleinen Bläschen, die sich gebildeten hatten, schon als das kochende Wasser über den Teebeutel gegossen wurde.

Kuroo lehnte sich nach vorne, nahm sein Wasserglas vom Tisch und trank es aus. „Ich geh ins Bett, war eindeutig lang genug“, sagte er und brachte das Glas in die Küche. „Geh dann auch schlafen, okay?“, bat er Kenma und verschwand nach einem sanften Streichen über Kenmas Schulter und Oberarm im Badezimmer. Kenma neigte den Kopf zur Seite und berührte mit der Wange die Stelle, wo gerade noch Kuroos warme Hand war. Ja, er würde bestimmt auch gleich zu Bett gehen.
 

***
 

"Heute spiel ich Zelda, du kannst zuhören, ich erzähl dir auch was davon. Aber am wichtigsten ist, dass du weißt, dass der Held nicht Zelda heißt. Er heißt Link und die Prinzessin heißt Zelda und sie muss nicht gerettet werden. Sie braucht nur manchmal etwas Hilfe und die bekommt sie auch. Vielen fällt es echt schwer, nach Hilfe zu fragen. Kaede zum Beispiel. Sie nimmt nicht gerne Hilfe an und sie fragt auch nicht danach, aber davon hat dir Teru bestimmt schon erzählt. Er hat sie echt gerne und ich glaube, sie ist einer der wenigen Menschen, die er wirklich ehrlich mag.

Aber Prinzessin Zelda kann Hilfe annehmen und sie fragt auch danach, wenn es notwendig ist. Wie Yachi eigentlich. Hmm… Irgendwie ist das alles hier, the Legend of Yachi, wir unterstützen sie dabei, für dich da zu sein. Naja, wir Ärzte, du nicht, du bist eher wie das schlafende Königreich in Breath of the Wild..."
 

Kenma saß ein weiteres Mal bei Kawanishi. Seine übliche Tagschicht war vorbei und er hat mit Yachi zu ihrer Nachtschicht abgetauscht.

Als er an diesem Morgen mit dem Bus angekommen war, war der alte Ahorn weg, über den er mit Kuroo vor ein paar Nächten gesprochen hatte. Auch Eri war nicht mehr dort und hat somit auch nicht an der Bushaltestelle geweint. Aber sie war ihm im Krankenhaus über den Weg gelaufen. Mit ihrem üblichen Lächeln. Sie hat es Hana geschenkt und ihr gesagt, es würde alles gut werden. Worum es gegangen war, hat Kenma nicht mitbekommen und er hat sich auch nicht darum erkundigt. Eri schien es gut zu gehen und auch, wenn er sie nicht besonders gut kannte, wirkte es eine Art der Erleichterung auf ihn.
 

„Hast du eigentlich vor, demnächst mal aufzuwachen?“, fragte Kenma. Der Spielsoundtrack füllte seine Redepause, genauso wie die Aktionstöne, wenn er einen Gegenstand aufhob, eine Schatztruhe öffnete, einen Gegner bekämpfte oder einfach nur das Gras zerschnitt oder Tontöpfe für Rubine zerschlug. Kawanishi antwortete natürlich nicht und so sprach Kenma weiter.

„Keine Ahnung, wie lange es gut ist, dass Yachi so leidet. Es ist schon komisch, dass sie sich so verbunden zu dir fühlt, obwohl du die ganze Zeit nur im Koma liegst. Muss ein guter erster Eindruck gewesen sein“, sagte er und sah hinüber zu dem schlafenden jungen Mann. Besonders sah er für ihn nicht gerade aus. Das rötliche Haar war eindeutig etwas Unübliches und Kenma wusste von Kuroo, dass man einer Haarfarbe besonders zugeneigt sein konnte. Kuroo mochte zum Beispiel helle Haare gerne, was er ihm erst gesagt hat, als Kenma seine während dem Studium blondieren hat lassen. Dass er allerdings auch mal bei Eri hatte landen wollen, deutete darauf hin, dass das mit der Haarfarbe nicht so ein starkes Kriterium sein konnte.

Ob es die Augen waren? Kenma hatte die von Kawanishi nie gesehen. Aber er hat sich selbst schon einmal in einem Paar Augen so verloren, dass ihm anders wurde. Dazu kam aber auch ein Lächeln, das seine Welt auf den Kopf gestellt hat und so fand er sich nun in der Realisierung, dass er seine freie Zeit vielleicht auch an Iizunas Bett verbracht hätte.

Iizuna, dessen Nummer noch immer nur auf einem Stück Papier stand, das irgendwo in seinem Spind lag und dort seine Ewigkeit erleben zu dürfen schien.

Kenma seufzte. Okay. Er verstand Yachi nun ein Stückchen mehr. Sich selbst aber etwas weniger. Denn so etwas war ihm noch nie passiert.
 

„Wenn du dann irgendwann aufwachst, nenn sie doch Hitoka. Ihr ist mal dein Vorname rausgerutscht und ich glaube, es würde ihr gut tun. Vermutlich aber hörst du kein einziges unserer Worte. Also hören tust du sie bestimmt, aber du verstehst sie nicht. Nur die Schwingungen sind da. Deswegen hat Teru gesagt, ich soll lächeln, wenn ich mit dir spreche, weil man das spürt. Aber mir tuts leid, ich lächle nicht. Das ist nicht so mein Ding, also musst du mit der Spielmusik leben“, sprach Kenma weiter und hoffte wirklich instendig, dass Kawanishi das tun würde: Leben.
 

Leben sollte auch Kaede, denn nicht allen war dies gegönnt. Das wurde Kenma bei einer Operation mit Dr. Sakusa noch einmal mehr aufgetischt. Sein Mentor war wie ausgetauscht. Zwar war der Neurochirurg nie ein Sonnenschein gewesen, der sein Herz auf der Zunge trug – das war etwas, das Kenma ja sehr an ihm schätzte – aber seit Atsumu gestorben ist, war Dr. Sakusa noch mehr in sich gekehrt. Er sagte bei den Operationen nur das Nötigste und übernahm sofort, wenn Kenma zu hadern drohte.
 

Es herrschte eine Eiseskälte im Operationssaal, mehr als sonst schon, weil es dort nie besonders warm sein sollte. Zwischen 19 und 26 Grad Celsius herrschten üblicherweise in einem Operationssaal und Dr. Sakusa bestand immer auf die niedrigste Einstellung, da sich Keime bei Wärme verbreiteten. Für ihn galt somit: Je kühler, desto besser.

Für Kenma war es genau richtig, weil er lange Ärmel unter dem Chirurgengewand trug und es nicht gerne mochte, wenn es zu warm war. Aber die kalte Stimmung erschütterte ihn. Auch die anderen im Raum und vermutlich sogar die Beobachter in der Galerie schienen es zu merken und zu spüren, denn es war totenstill. Da konnte sich Kenma nicht einmal richtig freuen, dass er nach dem Öffnen des Patienten (Kengo Nanasawa, 24 Jahre alt, hatte neurologische Beschwerden, die auf einen auf das Rückenmark drückenden Tumors zurückzuführen waren) nun auch die ersten Gewebestränge schneiden durfte, die zur Herausnahme des Tumors abzutrennen waren.

Nur einen Moment des Überlegens hat er sich genommen um bestmöglich weiter zuschneiden, da hat ihn Dr. Sakusa gebeten, zur Seite zu gehen.
 

„Dr. Sakusa, sind Sie nicht etwas überstreng? Dr. Kozume hat sicherlich nur den Winkel neu überdacht“, hat sich Dr. Irihata, der Chefarzt der gesamten Chirurgie, eingemischt, weil der Neurospezialist nach seiner Rückkehr noch unter Beobachtung stand.

„Haben Sie das auch bei Dr. Romero hinterfragt, bevor Atsumus Herz versagt hat?“, entgegnete Dr. Sakusa. Er hat dafür nicht einmal die Augen von der Stelle genommen, wo er das Skalpell als nächstes anzusetzen hatte und beendete darauf den Eingriff, ohne weiter ein Wort zu sagen.

„Ich erwarte Sie danach in meinem Büro, Dr. Sakusa“, kam es wie zu erwarten happig von Dr. Irihata. Der Abteilungschef hatte die Arme vor der Brust verschränkt und wartete.
 

Kenma ging die Antwort noch einmal durch den Kopf. Der Verlust von Atsumu hat seinem Mentor noch so viel mehr genommen. Das Vertrauen in sich selbst wohl und auch das in seine Kollegen. Vor allem das in seine Kollegen. Dr. Romero kam als Landesweiter Spezialist zwar gut drum herum, aber Dr. Suna, eigentlich Dr. Sakusas guter Freund, spürte die Stimmung des Oberarztes fast täglich. Wie hatte Dr. Matsukawa gesagt? “Die Toten nehmen immer was von uns mit und es ist oft unsere Contenance“ Die Beherrschung hat Dr. Sakusa wieder gefunden, aber er hat seine Menschlichkeit abgegeben.
 

Nach Operationen war es für Dr. Sakusa eigentlich üblich, als Erster zu gehen und als Erster die Hände zu waschen, während Kenma immer der Letzte war, weil er dann seine Ruhe hatte. Aber diesmal ließ sich auch der Chefarzt Zeit und so stand Kenma nun neben ihm. Nur das Wasser schlug geräuschvoll in der Blechwanne auf. Die Seife wurde abgelegt, neu aufgenommen, wieder abgelegt. Ein Paar Hände war bereits ganz rot.
 

„Dr. Sakusa?“, fragte Kenma und drehte auf seiner Seite den Wasserhahn ab.

„Atsumu ist tot“, sagte der Chefarzt abwesend und ließ die Hände kraftlos sinken. Seine Stimme war schwach und klang ungläubig. „Atsumu ist tot“, wiederholte er etwas fester, als sagte er es sich selbst. Das Stück Seife fiel ihm aus den Fingern und kam mit einem dumpfen Aufprall im Waschbecken auf. Kenma setzte zum Reden an, aber blieb stumm, denn er wusste nicht, was er sagen sollten. Jedes Wort hätte sich falsch angefühlt. Selbst zu atmen wirkte, als wäre es zu viel. Der Raum war bereits wie voll.

„Atsumu ist tot.“ Ein letztes Mal. Diesmal sehr bestimmend und als kam es gerade erst bewusst an. Unweigerlich. Dr. Sakusa drehte das Wasser ab und wandte sein Gesicht zu Kenma. „Es ist, als hätte man mir das Herz herausgerissen“, sagte er. Seine Finger tippten nervös über das Blech. Dann nahm er die Seife hoch, wandte den Blick ins Becken und drehte das Wasser wieder auf ums sich ein letztes Mal die Hände zu waschen.
 

„Kann ich… etwas für Sie tun?“, fragte Kenma mehr aus Höflichkeit, denn er hätte nicht gewusst, was er wirklich hätte machen können. Außerdem fühlte er sich unwohl in die Situation. Dr. Sakusa schüttelte den Kopf. Seine Augen waren glasig, aber er zwang sich zu einem Lächeln, was ihm nur im Ansatz gelang. „Nein“, sagte er und ging.
 

***
 

„Nein“, hat Kenma im Laufe der Woche auch zu Terushima gesagt, als der fragte, ob sie nicht eine Weihnachtsfeier in der WG haben konnten. „Nur ganz wenige?“ – „Gar niemand, wenn’s dir so wichtig ist, feier wo anders“, schlug Kenma den Wunsch ein zweites Mal ab.

„Aber ich will dich auch dabei haben“, sagte Terushima mit diesem schrecklichen Hundeblick, dem man nicht widerstehen konnte. Selbst für Kenma war es schwer, der Hunde doch eigentlich gar nicht mochte. „Warum?“, fragte er und verzog das Gesicht dabei.

„Weil man Weihnachten mit seinen Liebsten feiert“ – Kenmas Gesichtsmuskeln verzogen sich weiter in eine schier von Unverständnis geprägte Grimasse. „Hast du keine Familie?“, fragte er und merkte in dem Moment, dass er rein gar nichts über seinen Kollegen wusste. Allgemein: Er wusste außer über Kuroo über niemanden mehr als das Notwendige und das Notwendige war eventuell der Name und wichtiger, ob man ihm seinen Platz als Dr. Sakusas Lieblingsassistenzarzt streitig machen konnte – denn ja, das war er in der Zwischenzeit allemal. Niemand durfte dem Oberarzt so oft assistieren wie Kenma, da war es ihm auch nebensächlich, dass Shirabu bei Chefarzt Nekomata diesen Rang bekleidete. Er fand Dr. Sakusa sowieso besser, genialer und er war ihm ähnlicher. Nun ja, bis zu dem Moment, wo er sich von Atsumus Verlust so auffressen hat lassen.
 

„Pff… meine Schwestern sind in Europa und Amerika, mit meinem Vater sprech ich nicht und meine Mom ist nicht mehr. Also seid ihr das Nächste, was ich zu einer Familie hab“, erklärte Terushima und Kenma seufzte. „Wir? Kuroo und ich?“, fragte er und erhielt ein wildes Kopfschütteln. „Nicht nur, auch die anderen, Yamaguchi zum Beispiel und natürlich Kaede“, sagte er mit einem freudigen Lächeln.

„Warum feierst du dann nicht im Krankenhaus? Kaede kommt hier doch eh nicht weg.“ Kenma meinte es gar nicht böse, es war einfach eine Tatsache. Für Kaede bedeutete das Näherkommen von Weihnachten danach noch einen letzten Monat hier im Krankenhaus zu verbringen, ehe sie nach Hause durfte.
 

„Wie geht es ihr eigentlich?“, fragte Kenma, obwohl es ihn nicht recht interessierte, aber er wollte das Thema wechseln, bevor Terushima wilde Überlegungen über eine Krankenhausparty machen konnte. Da hätte er in jedem Fall gepasst.

„Kaede? Naja… Mal so, mal so. Sie kommt richtig schwer mit der Situation zurecht. Die letzte Woche war alles andere als leicht. Wir haben viel gesprochen und es tut mir so weh, sie so zu sehen. Willst du sie nicht auch einmal besuchen? Ihr habt euch doch ganz gut verstanden, oder?“ Terushimas Mimik nahm etwas an, das sie selten hatte. Der blonde Assistenzarzt war noch nie traurig oder bedrückt gewesen. Zumindest hat er es nie gezeigt. Nicht einmal die Information, dass seine Mutter bereits gestorben war und er im Grunde kaum Kontakt zu seiner Familie hatte, hat ihn so betroffen gemacht wie Kaedes Zustand und Situation.

Kenma schüttelte den Kopf. „Nein, ich will sie nicht sehen“, sagte er und wandte den Blick ab. „Warum nicht?“ Terushima verstand die knappe Geste nicht. „Weil sie das Leben mit Füßen tritt“, platzte es dann aus Kenma heraus. Der Blickkontakt wurde wieder aufgenommen und nun war in Kenmas Gesicht etwas zu sehen, was da selten herrschte: Wut und Zorn.
 

„Wie kommst du denn jetzt darauf? Hast du ne Ahnung, was sie durchgemacht hat?“, fragte Terushima, darauf hatte Kenma sofort etwas zu erwidern. „Ja, hab ich. Ich war dabei! Ich war dabei, als sie hier rein kam. Ich war dabei, als Schwester Kaori ihr die kalte Schulter gezeigt hat und ich war dabei, als du wegen ihr auf die Straße gelaufen bist. Aber ich war auch dabei, als Dr. Sakusa zusammengebrochen ist, weil Atsumu das Leben verloren hat. Das Leben, das Kaede noch hat und in dem sie mit dieser Aktion auf Atsumu herum springt und auf jedem anderen. Sie schätzt das Leben nicht und ihr wurde es geschenkt, während es anderen genommen wird. Ich kapier das nicht!“ Er zitterte am ganzen Körper. Das würde er nie verstehen, warum ein Mensch die Entscheidung traf, sich das Leben zu nehmen. Niemals. Aber auch Terushima begann nun zu beben.
 

„Ja! Und du kannst gehen! Du kannst dich alleine waschen und alles, was du willst. Keade muss sich von einer Frau herumschubsen lassen, die sie nicht leiden kann und die sie auch nicht mag und dann ist da Dr. Iwaizumi und was da mit Schwester Kaori ist… war… wie auch immer und sie sieht uns alle rumlaufen und da fällt es mir auch schwer, vor ihr nicht zu springen, weil ich bei einer coolen OP assistieren darf, aber du denkst einfach nicht so weit, dass wir ihr alle vorzeigen, was sie nicht mehr kann. Für dich ist es selbstverständlich, dass du alles tun kannst, was du willst, nur dass du eben nicht viel willst und das ist dein Problem. Aber Keade will das und in Wirklichkeit springst du auf ihr herum”, blaffte Terushima Kenma an, dass dieser einen Schritt zurückging. „Du solltest nicht über andere urteilen, wenn du keinen Plan hast, was eigentlich abgeht!“ Terushima ging den Schritt nach. Er war wütend, weil Kenma absolut keine Empathie an den Tag legte.

„Ich versteh ja, dass dir das mit Atsumu irgendwie nahe geht, tuts mir doch auch. Mann, der Kerl war super cool und er hats echt nicht verdient, zu sterben, aber so ist das Leben nun einmal. Da kann man nichts machen und man darf es nicht an anderen auslassen. Man kann es sich nur zu Herzen nehmen und selbst die besten Entscheidungen treffen, mit dem was wir lernen und was uns gegönnt ist und glaub mir, Kaede weiß, dass sie noch eine Chance bekommen hat und sie wird das rumdrehen und sie wird das toll machen und wenn sie hier raus darf, wirst du noch Augen machen und dich vor ihr verneigen, weil ich ihr helfe! Und Dr. Iwaizumi, und du kannst ihr auch helfen, indem du da bist, verdammt. Sei da!“
 

Und dann war Kenma da. Irgendwie. Es hat ihn überrascht, wie Terushima mit ihm gesprochen hat und wie erwachsen er geworden ist, seit Kaede hier war. Wie viel erwachsener er war, seit ihrem Selbstmordversuch. Er verstand es immer noch nicht, musste er auch nicht. Jeder Mensch traf in seinem Leben seine eigenen Entscheidungen und damit musste er umgehen. Kaedes Aktionen hatten keinen Einfluss auf Atsumu gehabt, hatte auch keinen auf Dr. Sakusa und somit seine Ausbildung. Nur auf sie und ihr direktes Umfeld. Auf Dr. Iwaizumi zum Beispiel, dessen Verhältnis zur Kaori sich gewendet hatte aber auch sehr auf Terushima, der seine Prioritäten anders setzte. Er war sogar eine halbe Stunde mit ihr bei seinem Motorrad am Parkplatz gesessen und hat darüber gesprochen, dass er im Frühjahr wieder fahren wollte. „Neues Jahr, neuer Yuuji, neue Kaede“

Das war zu Weihnachten.

Kenma hat sich verabschiedet, weil er nicht mit den anderen feiern wollte. Es waren einfach zu viele Menschen. Zuhause hatte er auch nicht gefeiert, weil Kuroo den Abend auf der Pädiatrie verbrachte.

„Ewig schade, dass Dr. Sawamura so eine große Familie und somit keine Zeit für ein Weihnachts-Date hat“, hat er schadenfroh gelacht und war mit Eierlikör aufgebrochen. Ob ihm klar war, dass Eierlikör nicht vegan war? Den Gedanken hat Kenma aber schnell wieder beiseite geschoben, weil er ihn nicht betraf. In der WG hat er eines Tages selbst für richtige Milch gesorgt, die nun ganz ihm gehörte, denn Terushima war irgendwie auf den Zug der Hafermilch angesprungen „Die schmeckt total geil im Abgang“, hat er gesagt und lobte damit genau das, was Kenma hasste.
 

***
 

Für den Jahreswechsel konnte er sich nicht mehr rausreden und so stand er nun neben Dr. Tendou, der einem Metronom gleich mit den Fingern von links nach rechts und wieder zurück wippte und dazu schnalzende Geräusche mit der Zunge machte. „Die Ersten kommen ab acht, das sind die Teenies, die das erste Mal mit Böllern spielen. Also die Dummen“, lachte er schräg. „Du wirst nicht glauben, was wir hier schon alles gesehen haben. Aber nichts, was wir nicht wieder richten könnten. Dafür ist Dr. Wakatoshi hier. Er muss oft richtig krasse Knochenbrüche bearbeiten und für den Feinschliff haben wir Dr. Toruu“, summte er vor sich hin und lobte damit auch die Expertise seiner Kollegen. Dass Dr. Tendou die meisten seiner Kollegen mit dem Vornamen ansprach, war für Kenma auch nichts Neues. Der Unfallchirurg mochte auch Spitznamen und hat für Kenma Kuroos Dr. KenKen übernommen und irgendwie störte es ihn nicht. Vermutlich, weil es keine Sonderbehandlung war und er damit nicht herausstach.
 

„Aber sag mal, Dr. KenKen, ihr habt doch auch Spitznamen, oder? Erzähl mir mal davon“, forderte Dr. Tendou und neigte seinen Kopf mit Schwung zu Kenma hinüber und auch etwas hinunter. Gruselig, wie Kenma immer wieder fand. Die Physik dieses Mannes sollte eigentlich nicht funktionieren. Und dieser Gedanke kam von ihm, der mit seiner PSP von Zeit zu Zeit Positionen auf der Couch oder auf seinem Bett einnahm, bei denen Kuroo etwas blass im Gesicht wurde und ihn in der Vergangenheit nicht nur einmal gefragt hat, ob er in Ordnung war oder Hilfe brauchte. Es hat irgendwann aufgehört und irgendwann hat es wieder angefangen, nur dass Terushima ihm diese Fragen stellte. Beim ersten Mal hat er nicht einmal ein Wort herausgebracht, es war nur ein erschrockener Ton. Dabei sollte ein Arzt doch wissen, was der menschliche Körper fähig war zu bewerkstelligen.

Tja und Dr. Tendous Körper zeigte Kenma ganz neue Grenzen auf.
 

„Die meisten kommen von Terushima“, erwiderte Kenma höflich ablehnend. Dr. Tendou lachte auf. „Oh, das ist Dr. Vollidiot nicht wahr? Von dem hab ich schon gehört. Scheint fest in der Scheiße zu stecken“, gluckste er. Kenma zog die Augenbrauen hoch. Auf die Frage hin, was gemeint war, schnalzte Dr. Tendous Kopf Haltung wieder in eine Aufrechte, ein bitterböses Grinsen blieb auf seinen Lippen. „Ach, ich würde dir nur den ganzen Spaß verderben“, sagte er und winkte ab. „Aber mach dich mal lieber nützlich und schau, ob der da noch lebt“ Mit einer scheuchenden Handgeste wurde Kenma zu einem der Betten geschickt, wo vor zehn Minuten der neue Kantinenbursche zusammengebrochen war, weil er sich mit dem neuen scharfen Küchenmesser so tief in die Handfläche geschnitten hat.
 

„Yamamoto?“, fragte Kenma. Eine Hand wurde aufs Handgelenkt gelegt, den Puls zu fühlen, der Hals hätte es auch getan, aber da fasste Kenma ungerne hin. Die Lider zuckten etwas, auch die Lippen wollten sich öffnen, etwas zu sagen.

„Lebt noch“, sagte er trocken und wandte sich ab. Der Puls war in Ordnung, auch die Farbe im Gesicht war wieder satter. Nichts zu befürchten außer der Langeweile, die aufkommen wollte, weil keine Operationen angesetzt waren und auch auf der Notaufnahme kaum Patientenverkehr war.

„Gut so, der geht nicht auf unsere Kappe“, kicherte Dr. Tendou über Kenmas Schulter hinweg, dass es diesen komplett verschreckte, dann ging sein Pager auch noch los und hätte ihn fast in Dr. Tendous Arme hüpfen lassen. Stattdessen aber schnellte seine Hand an das Gerät und führte es hoch, zu lesen.

Dr. Tendou wusste zwar um die Bedeutung von Privatsphäre, aber er handhabte es ganz ähnlich wie der Arzt, von dem der Notruf ausging.
 

911 im Orthotrakt
 

„Ach geh schon, hier läuft dir nichts weg, noch nicht, schon gar nicht der da“, schickte ihn der Oberarzt weiter und Kenma beeile sich, in den Trakt der Orthopädischen Chirurgie zu kommen.
 

Die wildesten Gedanken machten sich Raum in seinem Kopf. Allem voran stand natürlich das Unbehagen, dass er gerade in diese Abteilung gerufen wurde. Denn das alles andere als sein Fachgebiet. Er würde es nie wählen und er stand auch erst einmal neben Dr. Ushijima und hat ihm assistiert. Die Stunden in der Galerie, wenn Chefarzt Washijo operierte, konnte Kenma auf seinen zehn Fingern abzählen. Da bemühten sich andere Ärzte darum. Dr. Saeko zum Beispiel, die Stationsärztin. Aber sie war an diesem Abend nicht hier. Kenma hat sie mit einem kleinen brünetten Mädchen auf dem Arm nach draußen gehen gesehen. Das Kind konnte nicht älter als drei Jahre alt gewesen sein und hat die Schicht der Mutter – wie er vermutete – in der Kindertagesstätte des Krankenhauses verbracht. Er hat nicht viel Aufmerksamkeit darauf gelegt, aber ganz schön markante Augen hatte dieses Kind. Sie haben ihn an jemanden erinnert, doch das fehlende Interesse an Kindern und deren mutmaßlichen Eltern hat ihn den Gedanken verdrängen lassen.
 

Kenma fragte sich auch, warum Dr. Ushijima nicht gerufen wurde. Nun gut, vielleicht war der auch bereits am Weg. Im Lift traf er jedenfalls nicht auf den Schrank von einem Arzt.

Während die Etagenzahl höher kletterte, ging Kenma in Gedanken ihre aktuellen Ortho-Patienten durch. Da lag einerseits wieder einmal Hinata mit einer ausgekugelten Schulter, die einfach nicht mehr zurück poppen wollte und deswegen am ersten Nachmittag des neuen Jahres operativ korrigiert wurde – Kageyama aus der Gruppe von Dr. Iwaizumi hatte ein ungewohntes Interesse an der Operation bekundet und so sollte er dem Chefarzt gemeinsam mit Dr. Yaku zur Seite stehen. Da sollte nichts sein, außer jemand hätte ihm den Arm ausgerissen und das hielt er für unwahrscheinlich.

Auch von dem Meniskuspatienten erwartete er sich keine ausgefallene Situationsveränderung. Dann war da noch Dr. Nishinoyas Großvater, dessen neue Hüfte vor einer Woche durch eine Prothese ersetzt wurde. Zwar wirkte der alte Mann mit dem Aufwachen bereits so fit wie sein Enkel, doch er war dadurch auch ungeduldig und wollte die zehn Tage nicht abwarten, bis die Klammern und Fäden entfernt wurden. Am liebsten hätte er umgehend mit der Physiotherapie begonnen. Das lag auch sehr im Interesse der beiden Assistenzärzte Nishinoya und Tanaka, denn die hatte bereits eingerichtet, dass Opa Noya, wie Terushima ihn nannte, von Dr. Shimizu betreut wurde.
 

„Ich kann kaum erwarten, ihn zu ihr zu bringen, ich darf doch, oder?", hat sich Dr. Tanaka gefreut und sein Kumpel hat ihm das Selbstverständnis entgegengebracht.

Also war die Überlegung, ob dem Großväterchen etwas passiert war. Kenma hielt es aber für ausgeschlossen, dass dann gerade er gerufen wurde. Immerhin waren Dr. Nishinoya und Dr. Tanaka auf Bereitschaft und hatten ausdrücklich verlangt, dass sie gepaged wurden, wäre etwas mit dem Senior.
 

Und somit blieb nur noch Kaede und ein unwohles Gefühl übrig. Ein kalter Schauer lief Kenma über den Rücken, weil er seine Auseinandersetzung mit Terushima noch so deutlich vor sich hatte. Aus dem Aufzug ausgestiegen wurden seine Schritte schneller und er musste bei jedem einzelnen daran denken, dass Kaede ihn nicht machen konnte. Dass sie ihn darum beneidete und dass es für ihn eine Selbstverständlichkeit war, zwei gesunde Beine zu haben, die ihren Zweck und mehr erfüllten.
 

Als er aber am Ziel ankam, sah es absolut nicht nach Notfall aus. Am Ende des Ganges saß Kaede in ihrem Rollstuhl. Von Neid, Argwohn oder gar selbstvernichtenden Gedanken war für Kenma nichts zu sehen. Auch nicht als er näher kam und Terushima ihn mit einem breiten Lachen empfing.
 

„Yo! Kenma! Wir machen ein Rollstuhlrennen“, sagte der Assistenzarzt und ließ sich in dem Rollstuhl neben Kaede nieder. Kaede selbst saß aufrecht in ihrem. Sie hatte ein freundliches Lächeln auf den Lippen und strahlte eine ähnliche Energie aus wie Terushima.

Kenma musste gestehen, er erkannte sie kaum wieder. In ihren Augen war so viel Leben, wie er es noch nie bei ihr gesehen hat. Ihre Haut hatte eine gesunde Farbe und im Vergleich zu ihrem letzten Aufeinandertreffen hatte sie wieder etwas Fleisch an den Knochen und nicht nur Haut. Bei dem Anblick erkannte Kenma auch, dass Kaede zurecht noch eine Chance bekommen hatte. Er erkannte aber auch die Worte seines Kollegen wieder. Das Leben hat dieser jungen Frau so vieles genommen. Selbst die Lust zu leben, die Freude daran und hat sie zu einem so radikalen Schritt geführt. Ein Glück, dass sie die Vernunft in Dr. Iwaizumis Armen gefunden zu haben schien, als dieser sie von der Unfallstelle getragen hat.

Kaede hat endlich Hilfe angenommen.

Viel, wie es schien. Von dem Stationsarzt, Terushima, Dr. Ennoshita in der Physio und natürlich von ihrer Familie, die nach Terushimas Aussagen regelmäßig hier waren. Ein schöner Anblick, wie Kenma gestehen musste. Aber kein guter Ausblick!
 

„Ich mache sicher nicht bei einem Rollstuhlrennen mit“, sagte er laut und deutlich und drehte auch gleich wieder um. War ja klar, dass so ein Notruf von Terushima nur Blödsinn sein konnte.

Terushima sprang auch sogleich aus seinem Rollstuhl und lief Kenma die wenigen Schritte nach. „Hey“ Kenma spürte eine Hand an seinem Arm und einen sanften Ruck, der ihn zum Umdrehen zwang. „Du sollst doch nicht mitmachen, nur Schiedsrichter sein“, sagte Terushima und reichte ihm eine Trillerpfeife. Kenma sah von der einen Pfeife zur anderen und blieb in Terushimas aufgeregten Augen hängen. Im Hintergrund vernahm er weitere Schritte, konnte an ihnen regelrecht erkennen, dass auch Akaashi und Yamaguchi zu diesem Event eingeladen wurden.
 

„Und wozu hast du die beiden dann hier?“, fragte er ob des Offensichtlichen, dass er mehr als nur einen Schiedsrichterkandidaten hatte.

„Ich dachte nicht, dass du kommst“, nuschelte Terushima. Kenma schüttelte den Kopf. „Du hast einen Notfall gepaged. Natürlich komm ich da sofort“, sagte er und motivierte Terushima zu einem entzückten Seufzen.
 

„Ihr seid wirklich herzallerliebst, aber könnten wir uns nun bitte auf das Wesentliche konzentrieren?“, mischte sich Kaede ein, sie war mit dem Rollstuhl herangefahren und hatte nun einen erwartungsvollen Blick auf dem Gesicht.

„Sie hat recht. Zumindest stimme ich soweit zu, dass wir diese Sache schnell hinter uns bringen sollten, bevor wir Probleme bekommen“, sagte Akaashi, der die Situation wohl bereits soweit für sich abgeklärt hatte, dass ihm bewusst war: Widerstand war zwecklos und weder Terushima noch Kaede waren von ihren Plänen abzubringen. Yamaguchi hatte die Schultern hochgezogen, schon seit dem Moment, als ihm bewusst wurde, was sich abspielte.
 

„Kluger Mann“, sagte Terushima und deutete mit bestätigenden Fingerpistolen auf Akaashi, der daraufhin angespannt Luft ausstieß. Er bereute seine Entscheidungen, die ihn in diese Situation gebracht haben. Nun gut, bestimmt nicht jede einzelne, denn er hatte seinen Dienst heute mit Kageyama getauscht, um der unangenehmen Situation zu entkommen, sich entscheiden zu müssen, ob er Silvester mit Konoha oder mit Bokuto verbrachte. Er wusste allerdings nicht, dass Terushima heute auch hier war, denn eingeteilt war er nicht. Der war wohl wirklich nur wegen Kaede hier oder weil nun ja, weil seine Familie hier war.
 

Aber da standen sie jetzt. Drei von ihnen. Terushima und Kaede saßen in den Rollstühlen, bereit, das Rennen ihres Lebens zu fahren. Doch zuerst!

Kaede stieß Terushima mit dem Ellenbogen gegen den Oberarm. Der Blick, der folgte, war einer, der zu verstehen gab, dass sie noch etwas von ihm erwartete. Terushima stockte einen Moment, dann setzte er wieder sein verschmitztes Grinsen auf. „Und wer gibt mir jetzt nen Glückskuss? Kaede ist immerhin schon voll der Pro, da brauch ich ne Menge Glück“, sagte er und ließ seinen Blick von einem seiner Kollegen zum nächsten wandern. Kenma und Akaashi machten gleichzeitig einen Schritt zurück, um außer Reichweite zu stehen. Yamaguchi zuckte hoch. Aber Terushimas Augen nahmen ihn soweit gefangen, dass er es den beiden anderen nicht nachmachen konnte. Er wollte auch gar nicht und das war kaum zu verstecken.

Akaashi öffnete bereits den Mund, das Ganze zu beschleunigen, aber Kaede hob die Hand um ihn zur Geduld zu bitten, da beugte sich Yamaguchi auch schon zu Terushima hinunter, der in freudiger Erwartung die Augen schloss und die Lippen spitzte. Yamaguchi drückte ihm aber nur einen Kuss auf die Wange und hob sich ganz schnell wieder zurück. Mit hochrotem Kopf.
 

„Jetzt kann ich ja nur gewinnen“, jubelte Terushima und grinste nun Kaede an. Seine Wingwoman in dieser Operation.

„Gut, dann… Kenma? Du machst den Schiedsrichter vorne. Jemand muss das Startzeichen hier geben und dann rauschen wir an ihm vorbei“, teilte Terushima gleich ein. „Oh und sollte nicht jemand aufpassen, dass auch niemand kommt?“, fragte Yamaguchi nervös.
 

„Mensch Jungs, wenn ihr so weiter macht und herum diskutiert, was wir alles machen müssen, erwischt man uns bestimmt. Es ist fast so, als würde jemand Zeit schinden wollen, weil er Angst vor einer Niederlage hat“, unterstellte Kaede. Ihre Lippen zogen sich spottend zusammen und ihre Augen funkelten gefährlich. „Niemals! Ich hab keine Angst“, japste Terushima und winkte die drei weiter. Kenma schlenderte somit mit Yamaguchi zum anderen Ende des Ganges, während Akaashi bei den Teilnehmenden zurückblieb und ihnen die Regeln erklärte.

Er wollte bis drei zählen und dann “los” sagen. Es gab kein Ablenken, kein Reingreifen in das Momentum des Gegners, kein Austreten – das ging vor allem an Terushima – und sie sollten natürlich fair sein, wer auch immer gewann.
 

„Möge die bessere gewinnen“, jubelte Kaede und wartete aufgeregt wie auch Terushima auf das Startzeichen. Kenma stand bereits an seiner Position und Yamaguchi hatte den Seitengang im Blick.
 

Eins… Zwei… Drei… Los!“, sagte Akaashi mit leicht erhobener Stimme. Nicht viel lauter als sonst. Dafür preschten die beiden Rollstühle mit quietschenden und qualmenden Reifen los – zumindest in den Köpfen der beiden Rennfahrer. Kaede hatte von Anfang an die Zehenspitzen vorne. Ihre Fahrt war sauber, sehr geradlinig, während Terushima schon nach zwei passierten Zimmertüren so wirkte, als hätte ihn die Startkraft verlassen. Aber er ließ nicht locker, holte sogar auf, aber Kaede fuhr ihm mit einem herzhaften Lachen davon. Terushima konnte es zwar nur hören, aber Kenma sah im Gesicht seines Kollegen ganz genau, dass er des lauten Lachens wegen genau wusste, wie unbekümmert Kaede gerade in diesem Moment war.

Kenma machte einen Schritt zurück und zur Seite, um nicht jeden Moment Ziel von Terushimas Rollstuhl zu werden, der nicht annähernd so perfekt gerade fuhr wie der von Kaede und da stolperte er urplötzlich gegen etwas. Jemanden!. Ein Japsen war etwas weiter weg von Yamaguchi zu hören, aber die Stimme, die direkt hinter ihm ertönte, war eine andere. Eine feste und tiefe und eine, die noch vor dem ersten Wort dafür sorgte, dass die Bremsen quietschten.
 

„Sagt einmal habt ihr sie noch alle?“, grollte Dr. Iwaizumi über Kenma hinweg direkt an Terushima und Kaede, die beide ihre Köpfe einzogen und diesen Blick drauf hatten, den auch Kinder an den Tag legten, wenn sie etwas ausgefressen hat. Nun gut, die beiden hier waren ja auch nicht gerade Unschuldslämmchen. Anders als Kenma es eigentlich wäre, der sich ganz schnell an Dr. Iwaizumis an die Hüfte gestemmten Arm davon machen wollte. „Moment“, hielt ihn dieser am Arztkittel zurück. Yamaguchi stand schon bereit, seine Strafe aufzunehmen, auf der anderen Seite. Kenma verdrehte die Augen. Er wäre wohl der Einzige gewesen, der hätte fliehen können, denn auch Akaashi war vom Startpunkt langsam nachgegangen und stand nun ertappt in der Mitte des Ganges, den er nur an Dr. Iwaizumi vorbei verlassen konnte. Sich in einem Patientenzimmer zu verstecken, war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich.
 

„Warum überrascht es mich nicht, dass ich Dr. Komoris Team hier beisammen habe, hmm?“, Dr. Iwaizumi seufzte. Enttäuscht sah er Kaede an, aber auch Akaashi. „Von Ihnen hätte ich mir sowas am wenigsten erwartet“, sagte er zu dem Arzt mit der Minimalmimik. Akaashi breitete seine offenen Handflächen vor sich aus und schob sie zur Seite.

„Tja, busted“, zischte Terushima leise. Beinahe so, als hätte er Akaashis Geste synchronisiert. „Das wird ne Menge Arbeit bedeuten. Keine Operationen nächste Woche, Klinikdienst und ihr macht den Papierkram von-“ aber Dr. Iwaizumi wurde unterbrochen. Kaede hat ihre Hand auf seinen Unterarm gelegt und seine Aufmerksamkeit umgehend auf sich gezogen. Kenma erkannte von der Seite die zuckenden Mundwinkel, als wolle er seine Strenge behalten, aber etwas an der Interaktion mit Kaede ließ diese schnell abbröckeln als wäre sie nur eine Fassade.

„Das ist alles meine Schuld. Es war meine Idee. Ich hab mir das gewünscht und Teru.. Dr. Terushima hat mir nur diesen Wunsch erfüllt. Die Jungs… Ärzte sollten dafür nicht bestraft werden. Sie haben nur für mein Strahlen gesorgt“, sagte sie und besänftigte damit den Stationsarzt. Dr. Iwaizumi atmete einmal tief ein und langsam wieder aus.
 

„Kaede…“, er seufzte und sah die anderen an. Kenma hielt das Intervenieren der Patientin für einen sehr guten Zug. Yamaguchi auf der anderen Seite war einem Ohnmachtsanfall nahe. Für ihn schien das Urteil bereits gefallen zu sein. Akaashi wartete ähnlich ruhig wie Kenma ab. Sie konnten gerade ja sowieso nichts tun. Wenn Kenma nun gesagt hätte, dass er nur da gewesen wäre, weil Terushima ihn gerufen hatte, dann hätte er seinen Kollegen und Mitbewohner unter die Räder geworfen. Aber nicht die von einem Rollstuhl. Akaashi war ebenso ein Ehrenmann. Mitgehangen, mitgefangen, egal wie tief man in der Sache drinnen war. Und wenn die vier eines gelernt hatten, dann dass sie ein Team waren und zusammenhalten sollten. Was sie nun auch taten. Nun gut, und sie ließen das Mädchen die Sache klären.
 

„Das war verantwortungslos. Keiner der vier hätte das unterstützen dürfen. Was, wenn etwas passiert wäre?“, fragte er. Sorge war in seiner Stimme zu hören, genauso wie die eigentliche Frage: “Was, wenn dir etwas passiert wäre“. Er hob auch hervor, dass aus den Zimmern Patienten hätten kommen können, ein Notfall eingerufen hätte werden können oder dass sich jemand verletzen hätte können. Im schlimmsten Fall eben Kaede. „Aber es ist nichts passiert“, sagte sie mit beruhigender Stimme und zog Dr. Iwaizumi am Arm etwas zur Seite. Sie verwickelte ihn in ein Gespräch und so nutzte es Terushima, aus dem Rollstuhl zu steigen und wie auch Akaashi an Dr. Iwaizumi vorbei zu schleichen. Die vier eilten sich nach einer knappen Verneigung zu Kaede, die auch nur diese sehen konnte, zum Lift.

„Ich werde Dr. Komori von Ihren Veranstaltungen unterrichten!“, rief ihnen der Stationsarzt nach, denn so leicht ließ er sich natürlich nicht ablenken und was er ausgesprochen hatte, war für ihn ebenso fixiert: Keine Operationen für eine Woche. Klinikdienst und die Dokumentationen für sein Team würden sie also übernehmen.
 

Während Terushima Yamaguchi wiederholt angelobt hatte, dass er das Rennen dank seinen Kuss gewonnen hätte – hätte er nicht – hat Kenma den Moment genutzt und sich mit Akaashi aus dem Staub gemacht.
 

„Und du traust dich Konoha nicht sagen, dass du auch mit Bokuto ausgehst?“, fragte Kenma, weil er der Tatsache, dass Akaashi die Schicht getauscht hatte, dennoch sehr überrascht war.
 

„Nein, so ist es nicht. Er weiß, dass ich ihn treffe und so, also nicht und so. Ich bin nicht wie Terushima. Aber nun ja, es sind keine einfachen Treffen. Bokuto ist so faszinierend. Er sprüht vor Lebensenergie und er reißt sogar auf der Straße jeden mit sich mit, wenn er erzählt. Die Blicke sind immer auf ihn gerichtet. Alle. Aber er schenkt seine Aufmerksamkeit nur mir und das ist richtig schön“, erzählte Akaashi mit einem zarten Hauch von rosa auf den Wangen.

„Hmm… Bokuto ist sehr einnehmend“, bestätigte Kenma, aber Akaashi schnaubte das mit einem sanften schmunzeln weg. „Er ist nicht nur einnehmend. Weißt du, er könnte jeden haben, jede. Aber er ist nur an mir interessiert.“ Akaashi schien es selbst nicht zu glauben.

Kenma besah ihn von der Seite. „Und Konoha?“

Darauf seufzte Akaashi angespannt. „Der hat gefühlt jeden gehabt…“ Kenma blinzelte irritiert und drehte den Kopf nun ganz zu Akaashi. „Wie meinst du das?“, fragte er und dann erzählte Akaashi von dem Gespräch, das man wohl in jeder Beziehung einmal hatte, das über die Verflossenen.
 

An dem Gerücht, dass in der Anästhesie alle etwas miteinander hatten – Kenma erinnerte sich an Shirabus Ausbruch vor ein paar Monaten – schien etwas dran zu sein. Denn Konoha hatte nicht nur etwas mit Semi gehabt, als sie im Haikyuu Medical Hospital angefangen haben, sondern auch mit einem Kollegen, der das Krankenhaus in der Zwischenzeit gewechselt hat. Von Dr. Romero wusste Kenma nach Akaashi Triade vor einiger Zeit bereits. Es schien ein Fling gewesen zu sein, der auf einem Wortwitz im Operationssaal folgte. Noch viel früher, während seinem Studium hatte er etwas mit einem älteren Studenten, der nun Kenmas Mentor war.

„Nicht dein ernst!“ So hatte es sogar Kenma wieder eine außergewöhnlich aussagende Mimik ins Gesicht getrieben. „Mhm… Dr. Sakusa ist nur einer der Vielen“, seufzte Akaashi und erzählte weiter, dass Konoha sich über irgendeine Trennung letztes Jahr mit Dr. Futakuchi getröstet hatte und auch, dass Dr. Romero einen Sohn hatte, der sehr an Konoha klebte, wenn dieser in der Stadt war. Was Akaashi dem Jungen nicht verübeln konnte. Konoha war wundervoll, er war sehr einfühlsam und liebevoll. Er hatte Humor und strahlte eine Ruhe aus, die sogar Akaashi voll einnahm. Somit war also auch Konoha sehr einnehmend, auf eine wundervolle sanfte Weise.
 

„Er hat sogar Washio von der Rettung rumgekriegt und der soll ziemlich hetero sein. Was ja kein Problem ist, er soll seinen Spaß gehabt haben, aber… naja…“ Akaashi verstummte. Seine Augen wurden traurig.

„Du fühlst dich nicht besonders?“, fragte Kenma, weil er an den Kuss mit Terushima dachte. Terushima, der von Konohas Liste auch was abhaken konnte. Akaashi schüttelte den Kopf. „Nein, er lässt mich sehr besonders fühlen, weil er, nun ja, mich eben noch nicht so rumgekriegt hat. Aber ich fühle mich so, als wäre ich ihm so weit hinten nach, verstehst du? Ich hab während der Schule gelernt und mich für Clubs engagiert und während dem Studium hab ich viele Zusatzcurricula genommen und hab bei Projekten mitgemacht, ich hatte keine Zeit für eine Beziehung oder viele Dates. Das blieb ziemlich auf der Strecke und manchmal hab ich das Gefühl, jeder hier sieht mir das an der Nasenspitze an“, nuschelte Akaashi immer mehr und sah Kenma schlussendlich gar nicht mehr an. Der zuckte dafür nur mit den Schultern.
 

„Ich seh das Problem nicht. Sowas ist nicht lebensnotwendig. Meinen ersten Kuss hatte ich auch erst vor kurzem mit Teru und auf einem Date war ich noch nie“, sagte er als wäre es etwas ganz Belangloses, doch da blieb sogar Akaashi überrascht stehen. „Teru? Wie in… Terushima unser Kollege?“, fragte er. Kenma blieb nun auch stehen und drehte sich zu Akaashi um. „Ja, war nichts Besonderes“, log er so ein bisschen, denn natürlich war sein erster Kuss etwas Besonderes. Er würde sich immer daran erinnern, selbst wenn es nicht geplant war und er keine Gefühle für Terushima hatte, eher für Yamaguchi und das waren Schuldgefühle.
 

„Und davor hattest du sowas nicht? Entschuldige bitte, wenn ich zu direkt bin“, fragte Akaashi und revidierte sofort wieder, aber Kenma wollte darauf eingehen. „Nein, naja… nur fast. Kuro hat mal, hmm… das war anders. Ich mag ihn sehr gerne und ich mochte ihn früher noch mehr, aber Kuro ist bei Beziehungen ähnlich wie Konoha. Er hat schon viel gesehen und mir wäre es recht, wenn ich das alles nicht sehen müsste. Wir hatten mal so einen Moment, aber ich bin ausgewichen, weil es sinnlos ist.“ Kenma war etwas über sich selbst überrascht, aber bei Akaashi fiel es ihm leicht, sowas auszusprechen. Vermutlich, weil er jetzt wusste, dass sie sich vielleicht gar nicht so unähnlich waren. „Also stehst du auf ihn?“ Kenma schüttelte den Kopf. „Nicht mehr, nicht so und ja, nicht mehr. Ich hab ihn lieber als meinen besten Freund. Das ist besser und schöner“, sagte Kenma bestimmt und sprach damit die absolute Wahrheit aus und dann gingen ihre beiden Pager los, die sie in die Notfallaufnahme riefen.

„Danke für das Gespräch, Kozume. Das hat mir geholfen“, sagte Akaashi. Kenma verstand zwar nicht wie, aber er war froh, dass er ihm diese Dinge nicht ganz sinnlos anvertraut hatte.
 

Unter dem Kommando von Dr. Tendou verarzteten sie eine Hand eines Teenagers, der sich, wie der Unfallchirurg vorhergesagt hat, mit einem Knallkörper verletzt hat. Platzwunden standen and er Tagesordnung genauso wie gesplitterte Finger, Verbrennungen an den unkonventionellsten Stellen sowie eine gebrochene Nase, weil ein Müllcontainer explodiert ist und ein großes Stück das Gesicht eines der Jungs mit viel Schwung getroffen hatte.

Die Hälfte konnten sie gleich verarzten, ein Teil ging weiter zu Dr. Oikawa und Dr. Ushijima hatte die Nase außerhalb seiner Zuständigkeit einfach mit einem gut gesetzten Ruck wieder gerade gesetzt und Kenma damit dazu getrieben, sich auf der Toilette Erleichterung zu suchen. Das war für diese Uhrzeit eine Spur zu viel gewesen.
 

***
 

Erleichterung suchte Mitte Januar auch Schwester Hana auf der Toilette und stand danach schwer atmend neben Inunaki, der mit einem Fall gekommen war, vor dem Kenma sich gerade nur so weit wie möglich entfernen wollte. Ein Sexunfall, mit dem er nichts zu tun und zu schaffen haben wollte. Deswegen wich er aus und kam in der Nähe der Schwester und dem Rettungssanitäter zum Stehen. Hinter einer Säule, dass ihn Dr. Ukai Junior nicht herbeirufen konnte.
 

„Seiji hat sich getrennt von mir. Die übliche Leia… Haben mal wieder gestritten, weil ihm meine Dienste nicht passen und er versteht nicht, dass ich meinen Job liebe, auch wenn er mich Tag ein Tag aus fordert. Er hat gesagt, ich soll mich entscheiden. Zwischen ihm und dem Krankenhaus und naja… Er hats mir wohl angesehen, dass ich mich fürs Krankenhaus entscheiden würde, aber ich hab ja nicht gedacht, dass er dann wirklich gleich Schluss machen würde. Hat er. Er ist auch mit so einem Notfallköfferchen abgehauen, als hätte er das schon geplant… Aber eigentlich glaube ich, dass er nur vorbereitet auf alles war… wie immer. Sehr vorausschauend und ich… ich bin auch abgehauen und hab mich volllaufen lassen, hab den Erstbesten genommen und ich weiß nicht mal, ob wir n Gummi verwendet haben. Das war im Oktober letztes Jahr“, erzählte Schwester Hana vom größten Fehltritt ihres Lebens.
 

„Im Oktober? Mensch, Hana! Wir haben Januar! Warum erfahre ich erst jetzt davon?“, fragte Inunaki aufgebracht und Hana schenkte ihm ein schiefes Lächeln. „Denk doch mal nach, wer letztes Jahr zu der Zeit auch seine Problemchen hatte, hm? Da wollte ich dich damit nicht auch noch belasten, aber keine Sorge, ich hab mit jemanden darüber gesprochen“, sagte die Oberschwester ruhig und Kenma dachte an den Tag, wo er Eri hat sagen hören, dass alles gut werden würde.
 

„Touché… Aber ehrlich, Hana, du hättest was sagen können“, nuschelte der Sanitäter herum. „Ich weiß, trotzdem.“ Hana schenkte ihm einen aufmunternden Blick, als wäre er nun derjenige, der Trost brauchte, dabei schien dieser seit seiner Trennung regelrecht aufzublühen wie eine Zimmerpflanze, die endlich ihren richtigen Platz mit den passenden Bedingungen gefunden hatte.
 

„Und… wer war der Kerl? Kennt man ihn?“, fragte Inunaki neugierig nach. Hana seufzte langezogen. „Dr. Unverantwortlich oder wie sie den Vollidioten nennen“, sagte sie. Kenma klappte der Mund auf. Er kannte zwar niemanden, den Terushima Dr. Unverantwortlich nannte, auch sonst keiner von ihnen, aber er kannte jemanden, der ein Vollidiot war.
 

***
 

Kenma hat Terushima nicht auf das belauschte Gespräch angesprochen. Ein guter Monat war seitdem vergangen und auch Hanai hatte wohl noch keine Anstalten gemacht, dem Assistenzarzt von ihrer Misere zu erzählen, denn der hat ihm vor ein paar Tagen vollkommen außer sich vor Freude erzählt, dass Yamaguchi zu einem Date zugesagt hatte. Zu einem Richtigen. Mit Essen gehen, Wein trinken und einem Spaziergang im Anschluss. So wie man das aus Film und Serie kannte. So, wie Terushima es normalerweise nicht machte und genau deswegen war Kenma der Überzeugung, dass er recht gehabt hat. Auch Kaede hatte Recht behalten, denn sie hatte Terushima nicht nur einmal übertragen dazu getreten, endlich um dieses Date zu fragen. Selbst bei ihrer Entlassung im Januar war ein Teil ihrer letzten Worte an Terushima in diese Richtung gegangen.
 

Und dann geschah für Kenma etwas Unvorhergesehenes. Etwas schier Unmögliches gar. Er fand sich in einer Situation, wo auch er bald von einem Date sprechen konnte, denn er hatte einen vollends freien Tag vor sich. Keine Schicht, kein neues Spiel, keine Verabredung mit seinen Eltern und keine Unternehmung mit Kuroo.
 

“Dann gehen Sie bitte mit mir aus, wenn Sie mal Zeit haben“
 

Iizunas Worte an dessen letzten Tag im Krankenhaus hallten in seinem Kopf wieder. Es war schon sehr lange her, aber so ganz hat sich der Patient nicht aus seinen Gedanken verbannen lassen. Immer wieder hier und da war Kenma abgeschweift oder Terushima hat ihn darauf angesprochen oder der Zettel mit der Handynummer war ihm aus dem Spind gefallen. Irgendwann hat er ihn zerknüllt und zurückgeworfen. Nie hatte er sie eingespeichert und so suchte er nun aufgebracht nach diesem Zettel, wurde das Gefühl aber nicht los, dass er sich zu lange Zeit gelassen hatte und dass der Zettel einfach weg war. Dass er verloren gegangen war, an diesem Dreizehnten Februar.
 

“Wärst du ne Frau, würd ich dich fragen, ob du zu spät bist und nen Schwangerschaftstest suchst, aber da dem ja nicht so ist… was suchst du bitte?”, fragte Terushima plötzlich neben ihm. Für einen Augenblick war Kenma starr vor Schreck, kramte dann aber weiter.

“Iizunas Nummer”, sagte er und schob dabei alles aus seinem Spind hervor. Terushima fiel dabei ein schwarzes Schächtelchen ganz deutlich auf.

“Und du setzt direkt alles auf eine Karte?”, fragte er und hielt Kenma diese Schachtel hin. Der verstand aber nicht, weil seine Aufmerksamkeit in den Tiefen des eigentlich gar nicht so geräumigen Schränkchens versank. “Was?”, fragte er nur und fischte leider nur eine alte Quittung hervor. Von dieser fiel sein Blick auf die Schachtel. “Hey! Der gehört Dr. Sakusa”, sagte Kenma, nahm ihm die Box rasch ab. “Wie bitte?”, empörte sich Terushima und sah Kenma mit einem berechtigt verwirrten Blick “Er hat ihn mir gegeben”, klärte ihn Kenma auf. Nicht ausreichend, den geweiteten Augen. “Und du trägst ihn nicht? Hast du ja gesagt? Und… hast du jetzt was mit beiden?”
 

“Was? Nein! Ich hab mir gar niemandem was. Er hat ihn mir doch nicht deswegen gegeben!”, sagte Kenma und begann ihn dann endlich entsprechend aufzuklären.
 

“Wow… sag das doch gleich, ich dachte hier schon, ich muss mich drauf vorbereiten, Trauzeuge zu werden. Wär schon n bisschen akward, nachdem ich den einen Bräutigam geküsst habe und den anderen… nun ja, reden wir nicht darüber”, Terushima wurde gegen Ende hin etwas nervöser. Nicht, dass es Kenma interessierte, was damals im Bereitschaftsraum passiert war.

“Was lässt dich glauben, dass du Trauzeuge wärst? Ist das zwischen dir und Dr. Sakusa wieder besser?”, fragte Kenma, weil für ihn außer Frage stand, dass Terushima gemeint haben könnte, sein Trauzeuge zu sein. Das wäre in jedem Universum Kuroo gewesen. Außer natürlich in einem, in dem Kenma vor Jahren auf Kuroos Avancen eingegangen wäre und sie sich ineinander verliebt hätten und Kuroo diesen Schritt mit ihm hätte gehen wollen. Aber in diesem Universum waren sie nicht. Der Ring wurde in der Schachtel wieder zurück in den Spind gestellt, wo Kenma direkt wieder auf Tauch- und Suchgang ging.
 

Sie waren in dem Universum, in dem Kenma verzweifelt nach einer Nummer von einem Mann suchte, der ihm mit seinem schönen Lächeln den Kopf verdreht hat.

„Ehehe… ne, ist nicht so pralle, aber zum Glück will ich mich ja nicht in Neuro spezialisieren“, winkte Terushima ab und lehnte sich über Kenma in den Spind hinein. „Suchst du das da?“, fragte er und griff tatsächlich nach dem gesuchten Gut.

„Teru! Du hast es gefunden! Danke!“ Der Zettel war schnell aus den Fingern des Anderen geschnappt, wie auch der Schrank versperrt wurde und Kenma mit seinem Handy nach draußen eilte. Terushima blieb zurück.
 

Tuuuut~

Klick klack

„Sie haben die Mailbox der Nummer-”

Tut Tut Tut
 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Tja… hier musste der ein oder andere noch ein bisschen was akzeptieren und was ihr, meine lieben Leserinnen und Leser, leider akzeptieren müsst, ist ein Cliffhänger und dass sich langsam aber doch das ein oder andere Kind im Krankenhaus tummelt. Wer hats geahnt? Also, dass es Kinder geben wird? Und wer hat vermutet, dass Terushima den Jackpot knackt?

Oh und was sagt ihr zu Eris Geschichte? Dem Grund, warum sie ihr Herz abhört und checkt, ob sie einen Herzschlag hört? Mir ging die Idee zu ihrer Hintergrundgeschichte schon ziemlich lange im Kopf herum, deswegen konnte ich das mit dem Abhorchen schon vorab einbauen und irgendwie finde ich, dass Eikichi Chigaya zumindest optisch ganz gut zu ihr passen könnte, denn ja, er ist halt schon ein krasser Nebencharakter, aber er kennt den Weg ;) Er war ja beim Trainingslager derjenige, der Kageyama den Weg gewiesen hat. Soviel konnte ich dann noch übernehmen.

So Charaktere für kleine Rollen zu finden, ist gar nicht leicht. Ich muss mir da auch echt gut überlegen, was ich mit denen dann noch mache. Ja gut, Chigaya ist leider ziemlich abgeschlossen, aber kommen wir einfach mal zu Hanas Ex-Freund, die musste ich zumindest kurzfristig an die Seite des ehemaligen Johzenji Kapitän haften nur um dann das absolute Chaos auszulösen. Ob er nochmal wieder kommt? Mit nem richtigen Auftritt? Lasst euch überraschen ;) Komplett anzeigen

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