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Leid, leiden, leid tun

von

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I

„Es tut mir leid… >_<“ Wieder und wieder las Davis die Nachricht von seinem eigentlich besten Freund. Seit Wochen versuchte er, Ken auf ein Abendessen einzuladen, sich mal wieder zu treffen, und jedes einzelne Mal kam eine solche Nachricht. Es tat Ken leid, eins der Kinder war krank, Yolei war krank, Yolei war nicht da, Ken musste auf die Kinder aufpassen, ein Date mit Yolei, seine Arbeitskollegen hatte ihn schon eingeladen, eine Schulveranstaltung der Kinder. Aber es tat Ken leid. Nur nicht so leid, dass er sich mal bei Davis melden würde.

„Schon gut. Ein anderes Mal dann“, antwortete er schließlich auf die Nachricht. Es würde kein anderes Mal geben. Er hatte es so oft versucht, er konnte einfach nicht mehr.

„Ja, ein anderes Mal“, flüsterte er leise vor sich her. Es war nicht so, dass Davis sonst keine Freunde hatte, aber Ken… Ken war einfach Ken. Seit ihren Abenteuern in der Digiwelt, seit sie die Welt gerettet hatte, seit er Kens Herzschlag zum ersten Mal gespürt hatte, seitdem war es klar, dass Ken nicht zu ersetzen war. Er hatte einen besonderen Platz in Davis‘ Leben. Doch scheinbar war es umgekehrt nicht das gleiche. Sie waren auseinandergedriftet, sie alle, die Digiritter der zweiten Generation. Früher waren sie unzertrennlich, doch heute… heute war alles anders. Jeder lebte in seiner eigenen Welt. Na ja, außer TK und Kari. Oder Kari und Tai, TK und Matt, Yolei und Ken, Mimi und Joey, Yolei und Kari, Tai und Matt. Die Paare und Geschwister ihrer Gruppe trafen sich auch noch auf gemeinsame Dates. Aber der Rest hatte sich verloren. Ein paar vereinzelte Nachrichten hier und da und dort, oberflächlicher Smalltalk, Glückwünsche. Die Freunde, die ihm immer noch so wichtig waren, gab es so nicht mehr.

Seufzend ließ Davis sich auf sein schmales Einzelbett fallen. Ein Einzelbett, eine kleine Wohnung, jede Menge Zeit für sich. Er war erfolgreich in seinem Job. Alle liebten seine Nudelsuppe. Er hätte sich mehr leisten können, doch wofür? Ob er in diesem winzigen Apartment oder einer größeren Wohnung allein lebte, machte keine großen Unterschied.

„Davis?“

„Veemon?“, erwiderte er und sah auf die Konstante in seinem Leben, das Einzige, was ihm noch wichtiger war als Ken… und die anderen.

„Geht es dir nicht gut?“ Das blaue Digimon betrachtete ihn prüfend.

„Ich…weiß es nicht, Veemon.“ Das war die Wahrheit, die ungewollt seinen Mund verließ. Dabei war Aufrichtigkeit doch die Sache von Mimi und Yolei.

„Heißt das, wir sehen Wormmon und Ken nicht?“ Manchmal war sein Freund erschreckend hellsichtig.

„Genau das heißt es. Ken hat abgesagt.“

„Oh.“

Nicht nur Davis hatte sich auf ein Treffen gefreut, auch Veemon vermisste seinen Freund. Vielleicht sogar noch mehr als Davis Ken, immerhin waren die zwei Digimon auf einer Ebene verbunden, die so intensiv war, dass er es sich nicht mehr vorstellen konnte.

„Es tut mir leid.“ Ein schwacher Trost, aber Davis war zu müde, um seinem Freund mehr bieten zu können.

Die Matratze senkte sich leicht ab, als Veemon sich neben ihm hochzog.

„Mir auch“, erwiderte sein Digimon ungewohnt leise. Sie hatten sich in den letzten Jahren beide verändert. „Was machen wir jetzt?“

Das war eine gute Frage, auf die Davis keine Antwort hatte. Weitermachen wie bisher? Arbeiten bis zum Umfallen, in die leere Wohnung kommen und dann einfach schlafen, bis es wieder Zeit zum Arbeiten war? Bei Ken aufkreuzen und ihn zur Rede stellen? Allen Digirittern eine Nachricht schreiben und fragen, was mit ihnen passiert war?

Stattdessen holte Davis sein Handy raus und hob es so, dass auch Veemon einen Blick darauf werfen konnte. Doomscrolling auf Instagram war angesagt. Zumindest da blieb er auf dem Laufenden, was mit seinen alten Freunden passierte. Da war Mimi, mal wieder in einem angesagten Outfit irgendwo unterwegs, wahrscheinlich in einem Club. Sie liebte Instagram und Instagram liebte sie. Manchmal konnte Davis so auch etwas von Joey sehen. Kari postete liebend gerne ihre Bilder, Natur, Essen und natürlich ihr Ehemann, TK. Heute hatten die beiden wohl ein Date gehabt, wenn er die Kerzen auf dem Tisch richtig deutete. Jepp, definitiv, da war ein Selfie von dem grinsenden Tai mit einem schlafenden Matt und jeder Menge Kinderspielzeug im Hintergrund. Dann hatten die zwei wohl die Kids gehütet. Als Nächstes ein Bild von Yolei mit… war das ein Ultraschallbilld? Und ein Bauch? Oh. Ja. Yolei war definitiv sehr schwanger.

„Davis?“ Veemon schmiegte sich an ihn. „Bekommt Yolei wieder ein Baby?“

„Ja, scheint so.“

Die Kommentare darunter waren alle von seinen Freunden.

„Verratet ihr jetzt endlich, was es wird?“. Der Post kam von Mimi.

„Yolei, du strahlst einfach wunderschön.“ Kari.

„Die Schwangerschaft steht dir ;).“ Tai.

„Tai! Aber ja, du hast recht. Wir freuen uns für euch.“ Matts Antwort.

„Ich freue mich schon auf die Babyparty“, kam es von Sora.

Izzy hatte einen Daumen hoch gesendet.

„Was steht da?“ Davis las seinem Partner alle Kommentare vor. Die anderen Digiritter wussten scheinbar schon bescheid, oder? Konnte es sein, dass Yolei und Ken es den anderen erzählt hatten? Die einzigen, die nichts gepostet hatten, waren Cody und Joey, aber beide hatten kein Instagram. Joey wusste es garantiert von Mimi. Aber dass Ken es ihm nicht erzählt hatte… das tat weh. Fast so sehr wie… Es tat weh.

„Was machen wir jetzt, Veemon? Sie haben uns scheinbar vergessen, oder?“

Achtlos ließ Davis das Handy neben dem Bett auf den Boden fallen. Er schloss die Augen, doch konnte er das Bild von der lächelnden Yolei und dem Ultraschallbild nicht vergessen. Schweigend lagen Veemon und er nebeneinander.

„Davis! Wir müssen etwas tun! Wir müssen alle zu uns ins das Restaurant einladen.“ Veemon richtete sich auf und schlug ihm unsanft auf den Oberarm. „Wir stehen doch für Mut und Freundschaft. Wir können nicht einfach so dasitzen. Lass uns das tun.“

Durch ein leicht geöffnetes Augenlid sah Davis müde, wie entschlossen Veemon war. Das Digimon hatte seinen kämpferischen Blick aufgesetzt und sah ihn herausfordernd an. Freundschaft, Mut, das waren damals die beiden Digi-Eier gewesen, die Davis bekommen hat. Aber war er heute noch so wie damals?

„Komm schon, Davis, steh auf, schreibe an alle und lade sie ein.“ Noch ein Schlag gegen den Arm. Widerwillig öffnete der junge Mann seine Augen. „Jetzt!“

„Ist ja schon gut“, murmelte er, als Veemon ein weiteres Mal zu einem Schlag ansetzte. Zwar stand er nicht auf, aber tastete auf dem Boden nach seinem Smartphone. Ah, da war es ja, schon halb unter seinem Bett, aber noch greifbar. Er öffnete ihre Chatgruppe und musst feststellen, dass die letzte Nachricht darin von ihm war. Schon fünf Monate alt. Was sollte er schreiben?

Schlicht und kurz, so wurde es dann: „Hey Leute, wenn ihr Lust habt, könnten wir uns mal wieder treffen. Ich lade euch ein, nächsten Donnerstag bei mir im Restaurant, gegen 20 Uhr. Würde mich freuen.“

Bevor er es sich anders überlegte, klickt er auf Senden. Erledigt. Was für ein Unterschied zu dem alten Davis das war. Früher hätte er alle angerufen und sie lautstark eingeladen, sie bedrängt. Aber die Jahre hatten ihn gemäßigt, zu oft war er enttäuscht worden. Die anderen waren alle ohne ihn weitergegangen, nur er stand noch hier und dachte an die Vergangenheit, so erschien es ihm zumindest.



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