Zum Inhalt der Seite

Leid, leiden, leid tun

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

III

„Also…“, fing Tai an, „jetzt lass uns mal reden, Davis. Das haben wir viel zu lange nicht mehr.“

„Ich dachte, das haben wir vor fünf Minuten erst getan, unten. Du weißt schon, in meinem Restaurant“, erwiderte Davis, während er seinen Kopf in den Kühlschrank steckte, um das Bier zu holen. Der kurze Weg über die Hintertreppe des Restaurants in seine kleine Wohnung hatte ihm keinen wirklichen Aufschub gegeben.

„Wir haben geredet. Du hast… ich würde es mal moderieren nennen.“

Mit einem Zischen öffnete er erst die eine, dann die andere Flasche und schob eine davon Tai hin.

„Außerdem hast du gelogen.“ Erschrocken sah Davis Tai direkt in die Augen. Was meinte er damit?

„Äh… was?!“

„Du hast kein großes Probekochen gemacht und du hast nichts gegessen.“

„Tai…“

„Nein, Davis“, unterbrach sein Freund ihn direkt. „Ich kenne dich. Auch wenn ich zugeben muss, dass wir uns wirklich viel zu lange nicht mehr gesehen haben. Trotzdem kenne ich dich und weiß, dass du nichts gegessen hast.“

„Okay, okay,“ Davis hob abwehrend die Hände, „du hast recht. Ich habe nichts gekocht, aber ich hatte wirklich keinen Hunger, okay?“

„Das glaube ich dir auch. Aber Davis, es tut mir leid.“

„Ich wiederhole mich, aber… was?!“ Ungläubig sah er Tai an. Wofür entschuldigte dieser sich?

„Ich war dir ein schlechter Freund.“ Zum ersten Mal senkte Tai den Blick und betrachtete ausgiebig seine Bierflasche. „Was für ein Freund meldet sich nicht und ist nur mit sich selbst beschäftigt? Das tut mir wirklich leid.“

„Tai“, Davis musste sich räuspern, der Kloß im Hals war groß geworden. „Ich habe wirklich keine Ahnung, was du meinst. Du bist ein guter Freund, du warst heute hier, du bist jetzt hier.“

„Nein. Das stimmt nicht. Als ich dich vorhin gesehen habe, Davis… ich habe zwar nach dir gerufen, aber ich war im ersten Moment, ich war geschockt, okay? Ich stand da und habe dich kaum erkannt.“

Unruhig zupfte Tai am Etikett der Flasche, während Davis einfach still und stocksteif an seiner Küchenzeile lehnte, die eigene Flasche vergessen neben ihm.

„Das stimmt“, mischte sich jetzt auch Veemon ein. „Tai stand nur da und hat dich angestarrt. Das war echt seltsam.“

Agumon nickte heftig und zustimmend.

„Da hast du recht, Veemon, ich war seltsam, aber Davis hat sich so verändert.“ Tai lächelte die Digimon schwach an. „Du fragst dich jetzt sicher, was ich meine, aber… wir haben uns so lange nicht mehr gesehen, Davis. Ich sehe den Unterschied. Du nicht.“

„Er ist richtig dünn geworden, oder Tai?“

„Nicht nur das, Agumon. Sieh ihn dir genau an. Davis, früher warst du so… anstrengend mit deinem Enthusiasmus und deiner schier grenzenlosen Energie. Das meine ich nicht böse, aber es war nicht leicht, mit dir mitzuhalten, Kumpel. Du warst so groß und strahlend und einfach immer da. Heute habe ich dich gesehen und du warst blass, klein, in dich zusammengesunken. Aber Agumon hat recht, du bist auch unglaublich dünn geworden. Was ist nur passiert? Davis, ich bitte dich als dein Freund, bitte, bitte, sag mir, was los ist. Bitte lüg mich nicht an, bitte keine Ausreden. Ich will dir helfen, ich will dir zuhören. Ich will wieder gut machen, was ich alles falsch gemacht habe. Also bitte, Davis, bitte sprich mit mir.“ Tais Stimme war ganz dünn geworden, leise, er musste häufig schlucken. Seine Augen flehten Davis genauso wie seine Worte an und er konnte das nicht ertragen. Mit einem erstickten Schluchzer glitt er an der Küchenzeile entlang auf den Boden, die Knie dicht an seinen Oberkörper gezogen.

„Davis!“ Drei erschrockene Ausrufe ertönten fast gleichzeitig. Veemon eilte an seine Seite, Agumon schaute unsicher auf die Szene. Da war auch Tai, der sich neben ihn setzte, eine Hand zögerlich auf Davis Knie.

„Denken… denken…“

„Ja, Matt und TK geht es so wie mir.“

„Hast du das kurze Holz gezogen?“ Bitter war seine Stimme, bitter war die Frage, aber Davis musste die Antwort darauf wissen. Egal wie sie ausfiel.

„Nein“, erwiderte Tai mit fester Stimme. „Nein. Ich wollte es, TK wollte mit dir reden und Matt hätte dich am liebsten direkt konfrontiert. Ich habe mich nur durchgesetzt. Ich dachte dir, mit deinem alten Rivalen redest du wohl nicht so gern über Gefühle. Und mit seinem Bruder auch nicht. Wobei ich der Bruder deiner Jugendliebe bin, also bin ich vielleicht auch nicht der richtige?!“

Ein ersticktes Lachen bahnt sich den Weg aus Davis‘ Kehle. Seine Liebe zu Kari war alles gewesen, nur keine echte Liebe. Er war eher wie ein eifersüchtiger Hund, der seinem Besitzer gefallen wollte. Kari war hübsch und sie war so, so nett gewesen.

„Du weißt, dass ich nie richtig in sie verliebt war?“

„Was?“

„Ich dachte, ich wäre es, aber glaub mir, ich habe später gelernt, das war keine Liebe, kein Verliebtsein, es war nur der Wunsch danach.“

„Wow“, erwiderte Tai. „Ich… wow.“

„Du wolltest über Gefühle reden.“

„Ja, das war aber nicht das, an was ich dachte, Kumpel. Aber wow. Das kam echt unerwartet. Du warst seit Kari doch eigentlich gar nicht…“

„Ja, unerwiderte Liebe ist hart. Sowohl die eingebildete als auch die echte.“

„Kenne ich die Frau, die dir das Herz gestohlen hat?“

„Nein“, erwiderte Davis leichten Herzens. „Vielleicht kennst du den Mann, der mir… das Herz gestohlen hat.“

„Davis!“

„Tai?“

„Du bist schwul?“

„Du doch auch!“

„Ja, aber… warum hast du nicht früher was gesagt?“

Schweigend ließ Davis seine Wange auf seinem Knie ruhen. Er musste dringend mal wieder den kleinen Schrank abwischen, da hatten sich Flecken angesammelt.

„Wir haben nie gefragt“, beantwortete Tai nach einigen Minuten Schweigen seine eigene Frage. „Fuck, wir waren echt beschissene Freunde.“

„Es ist okay, Tai, ihr hatte euer eigenes Leben. Es war einfach… nicht so wichtig“, tat Davis es mit einem Schulterzucken ab. Mit Tais heftiger Reaktion hatte er nicht gerechnet, doch innerhalb eines Bruchteils eines Augenblicks war dessen Gesicht nur Zentimeter von seinem eigenen entfernt und seine Schultern waren im Klammergriff von großen, warmen Händen gefangen.

„Sag das nicht, Davis. Das möchte ich nie wieder hören, okay? Du bist wichtig, deine Gefühle sind wichtig. Verstehst du, ich möchte hören, wenn du dich verliebst, ich möchte es wissen, wenn du unglücklich bist, ich muss es wissen, wenn du einsam bist. Ich werde dir wieder der Freund sein, den du verdienst. Du hörst mir zu, du bist da, wenn einer von uns dich braucht. Was wir getan haben, ist unverzeihlich, okay? Du. Bist. Wichtig.“ Schwer atmend sah Tai ihn an, verzweifelt, wütend und entschlossen. Davis war gefesselt von seinem Blick und seinen Worten. Wurde nicht früher schon immer abgetan, wenn er etwas zu sagen hatte? Wie oft wurde er ignorier und ausgelacht und als kindisch bezeichnet? Jetzt sollte er doch reden und Tai würde ihm zuhören?

„Davis“, Agumon umarmte ihn jetzt auch. Tai vor ihm, die beiden Digimon an seine Seiten gedrängt, er wusste nicht, ob er diese Wärme genießen sollte oder doch überfordert war. „Tai hat recht. Wir waren keine guten Freunde, auch für dich nicht, Veemon. Mir tut es auch leid.“

„Ich…“ Davis war sprachlos und er wusste nicht, was er erwidern sollte. „Ich…“



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück