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Die Frage, die ich dir nie gestellt habe

von

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~ Samstag, 08. April, Friedhof Laubheim ~
 

Ist das wirklich… Er? Warum jetzt, nach so langer Funkstille? Ausgerechnet heute? Wie hat er davon erfahren? Und was zum Teufel will er von mir? Nachdem er mich zuvor so billig losgeworden war? Ich halte den Atem an, schiele zu Martha neben mir, die ebenfalls überrascht scheint. Also ist sie nicht diejenige, die ihn kontaktiert und zum Kommen überredet hat. Plötzlich klingelt ihr Handy, sie entschuldigt sich und entfernt sich und nimmt den Anruf entgegen. So ist es immer mit ihr. Sie ist eine wunderbare Tante und Gesprächspartner, aber die Zeit mit ihr ist immer viel zu kurz und meistens ruft die Pflicht immer dann, wenn man es am wenigsten gebrauchen kann.
 

„Dominique“, begrüße ich im Näherkommen meinen Ex, der an der Pforte steht, schnippe meinen Zigarettenstummel weg und richte meinen Blick auf den leger gekleideten jungen Mann, der mir einst so vertraut war. Sein Kleidungsstil hat sich nicht verändert, aber ich sehe ihm seine Bemühungen an, sich von Kopf bis Fuß in Schwarz zu hüllen. So wie ich normalerweise gekleidet bin, nur an einem Tag wie heute etwas förmlicher, denn zur Beerdigung meines Vaters kann ich schlecht in den löchrigen Jeans aufkreuzen, die ich bevorzuge.

„Hallo Sandro“, begrüßt er mich, als wäre nie irgendetwas vorgefallen.

„Ich dachte, ich komme auch zur Beerdigung. Ich kannte Siegfried ja auch.“

„Mhh“, mache ich nur. Ob er ahnt, dass ich am liebsten gar nicht erschienen wäre? Und Martha auch eher spontan einen Last-Minute-Flug gebucht hat?

„Wenn auch nicht gut so wie du“, nimmt er mir die Worte aus den Mund.
 

Mehr als ein Jahr ist vergangen, seit ich Dominique das letzte Mal gesehen habe. Ich weiß nicht mal mehr, wer von uns beiden Schluss gemacht hat. Wobei es weniger Schlussmachen im eigentlichen Sinne, sondern ein stilles, leises Ausklingen gewesen war zwischen uns, wie der letzte verhallende Ton einer Gitarre, der irgendwann nicht mehr hörbar ist. Mir wäre es lieber, er würde einfach wieder dorthin verschwinden, wo er hergekommen war, nach Berlin, oder auch nach Paris, ganz egal, nur weit weg von hier, diesem Friedhof, dieser Stadt! Ich hatte nämlich keine Lust auf Erklärungen meiner Familie gegenüber, die gleich aufkreuzen würden.

„Ich glaube kaum, dass Vater auf deine Anwesenheit Wert gelegt hätte“, sage ich ehrlich. Die beiden waren nie ganz warm miteinander geworden. Zwar hatte ich mich letztendlich vor ihm geoutet, aber dass ich mit Dominique zusammen war, das hatte ich nicht erwähnt, sollte er es sich eben zusammenreimen. Als ob ich ihm da ein Mitspracherecht eingeräumt hätte oder gar um seinen Segen gebeten hätte!

„Eigentlich wollte ich auch nur wissen, wie es dir geht, Sandro.“ Weiße Blütenblätter des Kirschbaumes rieseln, von einer Windbö erfasst, wie Schnee über unsere Köpfe hinweg. Jetzt bloß nicht sentimental werden. „Ha. Da musstest du dir ausgerechnet diesen Tag aussuchen?“

„Ich habe mich bei dir gemeldet…“ Ja. Zu meinem Dreißigsten. Eine lausige SMS! Ich schnaube hörbar. Er verzieht das Gesicht, sein attraktives Gesicht, die Frisur steht ihm gut. „Vielleicht nicht unbedingt der beste Tag…aber der, an dem du mich bestimmt brauchst, Sandro.“

Ach ja? Ich – ihn brauchen? Nimmt er das tatsächlich an? Ich komme ganz gut ohne ihn klar, doch ich habe nicht die geringste Lust, das jetzt mit ihm auszudiskutieren, weil das jedes Mal ausufert. Er konnte sich sowieso nie kurz fassen... Stattdessen öffne ich einfach das gusseiserne Friedhofstor mit einem Quietschen und er folgt mir hindurch. Vor vier Jahren waren wir erste Mal gemeinsm auf diesem Friedhof gewesen, weil ich ihm etwas zeigen wollte. Das Grab meines Bruders. Um ihm zu demonstrieren, wie kaputt ich innerlich war. Mich öffnen, wie man doch so schön sagt. Damit er die Chance bekam, es zu beenden, bevor es richtig begann mit uns. Aber ich bewirkte damit das genaue Gegenteil. Kein Wunder: neunzehn Jahre alt, geboren mit einem Helfersyndrom, als Zivi in einem Altenheim tätig, und irgendwie das gewisse Etwas, das mich gegen meinen Willen zu ihm hinzog, trotz aller Bedenken …
 

~
 

Das Leben ist wie eine Wurst, von der man sich jeden Tag eine Scheibe abschneidet.

Diesen Spruch hat Vater mal losgelassen. Dieser Tag, diese Beerdigung, das ist wie ein verdammtes Déja-vu… Fast der gleiche schwarz lackierte Eichensarg – der Deckel zum Glück geschlossen – die gleichen traurigen Blumen und die gleichen nichtssagenden Gesichtsausdrücke. Nur, dass viel weniger Leute erschienen sind als damals bei Mario, wo es nach der Zeremonie einen unangenehmen, und sehr emotionalen Zickenkrieg zweier Verflossener von ihm gegeben hatte.

Heute aber waren nur ich, Dominique, Jessy und ihr Verlobter da; Kevin, ihr zehnjähriger Sohn und mein Neffe; Vaters uralte Nachbarin, und ein Schulfreund von ihm, der einzige, den er nicht vergrault hat. Tante Martha natürlich auch, sie war schließlich seine Schwester. Und nicht zu vergessen: meine Mutter, diese schon seit langem gebrochene, zurückgezogen lebende Frau, nur ein Schatten ihrer selbst, ihre Haare nicht einmal versucht in Form zu bringen.

Anders waren bloß meine gemischten Gefühle. Und Dominiques Anwesenheit. Wie ein Elefant im Raum. Die anderen haben es registriert, aber nichts gesagt. Er sitzt neben mir, als wäre er nie woanders gewesen. Als wären wir immer noch das Vorzeigepärchen, die zwei Verliebten, deren Liebe sogar ein Auslandssemester überlebt hatte. Als würde er zur Familie gehören…!
 

Andächtig sitzt er neben mir auf der Kirchbank und lauscht tapfer der Traurede des Priesters mit seiner einschläfernden Stimme. Seine Hand ruht neben seinem Bein auf der Bank, falls ich denn das Verlangen hätte, sie zu ergreifen. Auf meiner anderen Seite sitzt seufzend Martha; und dieses Seufzen kenne ich nur zu gut, immer dann wenn sie etwas ertragen muss, wovor sie sich am liebsten drücken würde. Jetzt checkt sie unauffällig ihr Smartphone unter der Kirchenbank wie eine aufmüpfige Schülerin. Unverbesserlich. Neben ihr meine Mutter, die Finger so fest ineinander verschränkt, dass die Knöchel weiß werden. Dass ausgerechnet diese beiden nebeneinander sitzen, die sich am wenigsten zu sagen haben und unterschiedlicher nicht sein könnten…
 

Dominique zieht Aufmerksamkeit auf sich, ob er will oder nicht. Ich spüre Jessys Blick schon die ganze Zeit auf meinem Hinterkopf und drehe mich zu ihr um, frage mich ob sie mehr weiß als ich. Doch sie und Dominique haben sich nur selten getroffen und ganz sicher keinen Kontakt zueinander. Sie hat zur Zeit kaum etwas anders als die Hochzeit im Kopf und ihren unübersehbaren Kugelbauch. Mir hat sie verraten, es würde dieses Mal ein Mädchen werden. Ausbildung beendet, Hochzeit im Juni, schwanger. Jessy ist das Paradebeispiel davon, dass das Leben nach dem Tod weitergeht. Hochzeit... Alles schwappt wieder hoch. Wie war eigentlich alles soweit gekommen, wie es jetzt ist?
 

Meine Gedanken schweifen ab, in die Vergangenheit, ich nehme die Worte des Redners am Altar nur noch am Rande wahr, während ich Dominiques Gesicht im Seitenprofil betrachte.
 

~
 

Ich hatte gehofft, der Tag seiner Abreise würde niemals kommen. Doch sein Auslandssemester in Paris stand fest, noch ehe er sich an der Uni eingeschrieben hatte.
 

„Weihnachten kommst du mich besuchen, dann feiern wir wieder bei Martha, ja?“, erwähnte er meine Tante, die wir vor vier Jahren dort besucht hatten – als es noch ganz frisch war mit uns beiden – ich hatte ihn nicht drängen wollen, aber es mir so sehr gewünscht… Hals über Kopf war er zum Zug gerannt in letzter Sekunde, und mein Herz hatte sich überschlagen vor Glücksgefühl, bei unserer Umarmung am Gleis. Bevor ich Dominique kennenlernte, fühlte ich mich wie von der Dunkelheit umarmt. Eine ziemlich lange Zeit meines Lebens sogar, die ihren Ursprung aber schon lange vor dem tödlichen Unfall meines Bruders hatte. Nicht umsonst hatte ich mir in einem Musikforum den Nicknamen EmbracedByDarkness verpasst… was meinen ersten Ex auf mich aufmerksam werden ließ, mit dem ich später eine Fernbeziehung führte. Ein anderer Verdammter. Lang war es her.
 

Dominiques allererste Umarmung damals brachte das Licht in mein Leben zurück und damit die Hoffnung. Als er sich ganz unbedarft selbst zu mir nach Hause eingeladen hatte, den ersten Schwulen, den er jemals besuchte, und im Laufe des Abends dann irgendwann in meinem Schlafzimmer stand. Diese Umarmung, diesen Kuss den ich nie vergessen werde, während sein Herz flatterte wie ein panischer Vogel. Ich hatte vergessen, wie es sich anfühlte, sich auf morgen zu freuen. Doch er gab mir diese Freude zurück. Ich wurde regelrecht süchtig nach seiner Gesellschaft.

Weihnachten wollte ich nicht unbedingt alleine mit Tante Martha in Paris verbringen, nicht solange der Hauch einer Chance bestand, dass Dominique mich begleitete! Tat er dann, und wir blieben bis Neujahr, das bot sich einfach an. Nicht, dass das Weihnachtsfest der ursprüngliche Anlass gewesen wäre oder wir drei viel von solchen Bräuchen halten würden… Es wurde trotzdem das beste Weihnachten seit sehr langer Zeit. Auch für ihn. Martha nahm ihn unter ihre Fittiche und gab ihm einen Schubs in die richtige Richtung, denn er war nach dem Abi etwas orientierungslos und ohne Ehrgeiz oder Überblick bei all den Möglichkeiten, die ihn überforderten.

Kaum wieder zu Hause, begann sein Aktionismus quasi über Nacht, jeder Tag zählte, er wollte sich bereits für das Sommersemester an der Uni einschreiben und sein FSJ früher als geplant beenden. Diese Tage in Paris hatten seinem Leben endlich einen Sinn verliehen, erklärte er mir. Etwas werden, genau wie seine Kumpels, die bereits studierten. Er wisse nun endlich, wo es für ihn hingehen sollte. Nichts Geringeres als Psychologie sollte es sein!
 

Alles lief soweit gut, in seinem Studium und mit uns. Er blieb erstmal in der Stadt, studierte und jobbte. Und war mit mir zusammen. Ihm war es von Anfang an ein Anliegen, dass wir immer über unsere Gefühle sprachen und nichts in uns hineinfraßen. Das hatte ich ihm versprochen. Für mich eine ganz neue Erfahrung, da musste ich erst hineinwachsen, das kannte icch nicht. Um darüber zu sprechen, musste man sich ihnen erst einmal bewusst sein, das war leichter gesagt als getan. Es fiel mir leichter, sie in Musik zu packen oder in einen Songtext. Doch Dominique blieb geduldig mit mir. Wir erarbeiteten uns eine Strategie, einen Kompromiss… entwickelten unsere eigenen Rituale. Wir verbrachten viel Zeit miteinander, erlebten so vieles zusammen. Das Leben war endlich mal wieder schön und wertvoll.
 

Dann kam diese Zäsur: das verfluchte Auslandssemester in Paris, an das zu denken mir Magenschmerzen bereitete. Das war das Einzige, das ich nicht ansprach. Denn ich wollte ihn nicht mal auf den Gedanken bringen, es meinetwegen abzublasen.
 

Der Tag des Abschieds kam dann auch gnadenlos schnell. Statt die Wochenenden bei mir zu verbringen, oder auch unter der Woche mal spontan vorbeizuschneien, war er von heute auf morgen in einem anderen Land. Eine Fernbeziehung! Schon wieder. Die mit Frank damals war schlimm für mich gewesen, scheiße ausgegangen, und ich hatte mir geschworen, nie wieder. Selber schuld. Für Dominique, einen jungen Mann zwischen allen Stühlen, war es nur eine Frage der Zeit, bis er der Stadt den Rücken kehrte. Und trotzdem hatte ich mich auf ihn eingelassen. Da musste ich nun durch.

Es war ja bloß für ein Semester, das würde schnell herumgehen… sagten sie alle.

Die Videochats waren unsere Rituale, trösteten über die Entfernung hinweg, Internet sei Dank. Aber eine Umarmung oder einen Kuss ersetzten sie natürlich nicht. Er erzählte mir von seinem Tag. Schickte mir Selfies von seinen Lieblingsecken in der Stadt. Erzählte mir von seinen Kommilitonen, seinen Dozenten und seinen Mitbewohnern, zeigte mir Fotos. Aber das mulmige Gefühl blieb bestehen. Er, der junge, bisexuelle Mann in grenzenloser Freiheit in einem fremden Land, das für seine Verlockungen berühmt ist… und ich, zurückgelassen in meinem Leben, meiner leeren Wohnung, jetzt, da mein Mitbewohner Tilmann für einen Job nach Bremen umgezogen war. Es war nicht so, dass ich so naiv war, an Monogamie festzuhalten. Oder ihm irgendetwas verboten hätte. Im Gegenteil! Ergibt sich mal eine Gelegenheit, dann nutze sie. Lieber das, als der verpassten Chance nachzutrauern. Man ist nur einmal jung und in Paris, kümmere dich nicht um mich. Sag es mir einfach nur, hinterher. Er lehnte ab, nein, so nötig hätte er es bestimmt nicht! Trotzdem schickte ich ihm eine Postkarte mit einem dazu passenden Zitat von Oscar Wilde.
 

Ausgerechnet beim Geburtstag von Tante Martha im November, mit Wein, Skat und ihren Professoren-Freunden, den Gelehrten der schönen Künste, Literaturwissenschaftlern, Kunsthistorikern und Philosophen; Existenzialisten und Metaphysikern… passierte etwas. Betrat jener Frédéric aus Marseille die Bühne, der das Blatt wenden sollte. Ein neuer Arbeitskollege von Martha, sein Fachgebiet ebenfalls die Philosophie. Knappe zwanzig Jahre älter als Dominique. Ihre Anziehung war nicht körperlicher Art, sondern rein geistiger. Platonisch. Was mich fast noch mehr beunruhigte. Jemand, der, wie er es mir schilderte, seinen Horizont erweitern würde wie sonst niemand zuvor. Ich erinnere mich noch genau an einen Videocall mit ihm, bei dem er konfuse Sachen redete. Dass da etwas existierte, von dessen Existenz er nie etwas geahnt hätte. So in etwa, als läge da neben Sauerstoff, Stickstoff, Kohlendioxid noch ein unbekanntes, von keinem Forscher jemals erforschtes Teilchen in der Luft... doch Frédéric aus Marseille nahm plötzlich ein Messgerät aus der Tasche und bewies damit deren Existenz. So versuchte er es mir zu erklären, und ich war verwirrt. Redest du von Liebe?, hakte ich nach, doch er beschwichtigte mich. Nein, Sandro, etwas viel größeres, umfassenderes.

Aha. Hast du also die Erleuchtung gefunden, oder was?

Ich konnte ihm nicht folgen, konnte nicht der Aufforderung nachkommen, mich meines eigenen Verstandes zu bedienen, weil es diesen überstieg. Ich war kein Akademiker; hatte mein Philosophie-Studium nach zwei Semestern hingeschmissen und eine Ausbildung als Physiotherapeut begonnen. Vom Geist zum Körper, von den Theorien in die Praxis. Aber Dominique studierte nicht Philosophie, sondern Psychologie! Wieso also philosophierte er mit diesem älteren Frédéric aus Marseille über Gott und die Welt? Ich fühlte mich von ihm verraten und entfremdet. Nicht nur räumlich entfernt, sondern auch geistig. Statt Erklärungen erntete ich immer öfter Lachen.

Ob er gay war, dieser Frédéric?

Was für eine Frage! Das ist doch überhaupt nicht von Belang, Sandro, er ist von seiner Frau geschieden, aber es geht um etwas völlig anderes. Dieser verdammte Frédéric aus Marseille wurde zu einem geflügelten Wort und zur Gestalt meiner Alpträume, ein Arschloch mit zwei accent aigu, der mir Dominique ausspannte, rein platonisch. Ich googelte ihn, fand sein Foto auf der Website der Sorbonne. Eine graue Maus mit schlechtem Modegeschmack.
 

Heute Abend hab ich keine Zeit, ich treffe Frédéric, wir hören uns morgen! Diese Nachrichten häuften sich immer mehr. Das Rennen um seine Aufmerksamkeit gegen einen Mittvierziger zu verlieren, tat meinem Ego alles andere als gut. Dominique und Frédéric, das reimte sich… das passte bereits vom Klang so gut zusammen. Wie konnte man es so nötig haben, einem zwanzig Jahre Jüngerem etwas beweisen zu wollen? Midlifecrisis? Meine Eifersucht überspielte ich mit Spötteleien und vulgären Witzen. Ganz klar die falsche Taktik. Wohingegen Frédéric ihn dort abholte, wo er stand, nämlich zwischen allen Stühlen, verlassen und orientierungslos, und sich alle Zeit der Welt nahm, sich auf ihn einzulassen und ihm etwas beizubringen über die Welt und alles zwischen Himmel und Erde, ach, verdammt, hör auf. Der fickte ihn, fickte seinen Verstand und Dominique bemerkte es noch nicht mal!
 

Heute glaube ich, dass es dieser Zwist war, die ihn in die Pariser Nachtclubs trieb. Wo er zum ersten Mal LSD ausprobierte. Angeblich ohne Frédéric. Neue Erkenntnisse gewinnen; transzendente Erfahrungen machen, sich selbst noch besser kennenzulernen und… um irgendwo auf seinem Trip, die Lösung für die Probleme der Menschheit finden würde. Oder speziell, wie er und ich wieder zueinander finden konnten, damit es wieder wie früher war zwischen uns. Hätte er es mir besser nie gebeichtet. Denn das entfernte uns noch mehr voneinander. Ich war tödlich sauer auf ihn, und verdammt enttäuscht. Er sollte mich eigentlich besser kennen! Ich musste wieder an all die Scheiße denken, die ich mit Flo durchgemacht hatte, mit seinen Drogenexzessen, die ihn letztendlich in die Entzugsklinik gebracht hatten. Von einem Partner, der Substanzen missbrauchte, war ich für mein Leben bedient! Wenn einem selbst nichts anderes übrig blieb, als hilflos zuzuschauen wie der geliebte Mensch sich selbst kaputt machte… Paris tat Dominique eindeutig nicht gut!
 

Umso besser, dass Weihnachten vor der Tür stand, und ich ihn besuchen würde, und wir bei Martha eine nette Zeit verbringen würden. Es wurde auch wirklich eine schöne Zeit, Dominique war so liebenswürdig, fürsorglich, zugänglich, es war wie früher. Nein, sogar besser. Ein Ruhepol. Er war in sich selbst zuhause. War erwachsen geworde. Ssogar sein Körper etwas kantiger, denn er hatte in Paris das Fitnessstudio entdeckt, was ich ihm nie hatte schmackhaft machen können, seine Pariser Studienfreunde dafür umso mehr.
 

Ich hatte wirklich befürchtet, dass wir nur am Streiten sein würden, aber dem war nicht so. Vordergründig zumindest. Falls er wütend auf mich war, so ließ er es sich nicht anmerken, wahrscheinlich brodelten da ein paar Schichten tiefer die Emotionen, denke ich heute, im Nachhinein. Aber da er immer derjenige war, der alles von sich aus ansprach, über Gefühle sprach und sich mitteilte; die Kommunikation in Person war, dachte ich noch nicht einmal eine Sekunde daran, dass da etwas sein könnte, was er lieber für sich behielt. Und ich wollte keinen Streit, sondern Frieden und Harmonie diese wenigen Tage lang. Keinen Streit provozieren und Zeit vergeuden, sondern jede Sekunde genießen, weil sie zu kostbar dafür waren. Ihn nicht zu sehr mit meinen Problemen nerven, organisatorischen Kram. Zum Beispiel, dass meine Untermieterin bald ausziehen würde, eine etwas zu anhängliche Erstsemester-Studentin, die ich mir nach Tilmanns Auszug gesucht hatte, eine reine Zweck-WG um Miete zu sparen. Dann wäre die Wohnung frei für ihn. Für uns als Paar.

Eines Abends ergab sich doch die Gelegenheit ihn zu fragen: Möchtest du nach deinem Auslandssemester bei mir einziehen? Und Dominique willigte ein, er freute sich über dieses Angebot fast mehr als über sein Weihnachtsgeschenk, er lag in meinen Armen, und nie ging mir ein Liebesgeständnis leichter über die Lippen. Ein schöner Moment in unserer Beziehung.
 

Ich reiste mit gemischten Gefühlen ab. Zwar hatte er mir geschworen, von Drogen die Finger zu lassen. Aber Paris war groß und voller Verlockungen… ich konnte es kaum erwarten, dass dieses verdammte Semester endlich zu Ende war, doch ich musste mich noch fast drei Monate gedulden… und in drei Monaten konnte viel passieren. Weil ich so misstrauisch war, erkundigte ich mich öfters bei Martha, ob sie wusste, was er so trieb abends. Schließlich war sie seine selbsternannte Mentorin. Das bekam er natürlich mit. Er war gekränkt, dass ich ihm hinterher schnüffelte, aber er musste jetzt auch viel für die Uni tun und versprochene Telefonate wurden kurzfristig abgesagt. Geduld. Ich brauchte nur Geduld. Vertrauen in ihn. Etwas Ablenkung. Unsere Zeit würde kommen. Schon bald würden wir zusammen wohnen!
 

Meine neue Arbeitsstelle in der Praxis sollte im neuen Jahr eine Überraschung und Ablenkung für mich bereithalten. Eines Montags im Januar war er da, ein neuer Patient bei uns, gab mir einen Händedruck mit Nachdruck, stellte sich dabei als Adrial vor. Achtunddreißig war er, wie ich alsbald erfuhr, er sah jedoch deutlich jünger aus. So viel Charism! Er besaß Augen, die sich erst vorsichtig vorantasteten, und meine alsbald vereinnahmten. Die mich, was selten vorkam, überhaupt erst so richtig als Mensch wahrnahmen und nicht nur auf gute Beobachtungsgabe und ein gutes Gespür für Ästhetik schließen ließen, sondern ebenso auf einen scharfen Intellekt. Mein Gaydar schlug aus.



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