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Mit genug Glitzer wird alles zum Weihnachtsbaum

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Mit genug Glitzer wird alles zum Weihnachtsbaum

“Ich sollte ihn an deine Katzen verfüttern.”

Takashi blickte von dem roten, mit Glitzersternen beklebten Keramiktopf und dem Nadelbaum, der darin steckte, auf. Vor seinem inneren Auge tanzten die Sterne weiter. Er blinzelte sie fort. “Huh?”

Statt seinen Blick zu erwidern, starrte Adam an ihn vorbei zu einer Gruppe eng aneinander gereihter Douglasien. Die Hände unter die Achseln geklemmt und die Lippen aufeinander gepresst, sah er aus, als sei er nicht auf der Suche nach einem Weihnachtsbaum, sondern nach einem guten Brandbeschleuniger. 

“Adam?”, fragte Takashi behutsam. “Wen?”

Er hoffte inständig, dass die Antwort nicht “Iverson” lautete. Und das nicht nur, weil selbiger nicht in ihre Katzen passte.

“Den Thunfisch.”

Takashi runzelte die Stirn. “Wolltest du nicht Tuna Tataki machen?”

Jetzt blickte Adam doch zu ihm. Vornehmlich, um die Augen zu verdrehen. “Du bist dir bewusst, dass der Thunfisch dabei innen roh bleibt, ja?”

“Ähm, ja? Das ist doch der Sinn des-” Er stockte. “Oh.”

“Ja”, stimmte Adam ihm zu. “Oh.”

Einen Augenblick lang schwiegen sie beide, unterbrochen nur vom Jaulen, das aus den alten Lautsprechern des Baumverkaufs dröhnte. Aus Jingle Bells wurde Last Christmas und mischte sich mit der Frage, wann Adam auf dem Fischmarkt gewesen war.

“Du hast ihn doch kühl gestellt. Oder?”

“Damit ich ihn heute nach Feierabend zubereiten kann, ja.” 

Takashi warf einen Blick auf seine Uhr. Es war längst nach Feierabend. Sicher hatte Adam erwartet, um diese Zeit längst auf Shiros Sofa zu liegen. Satt, zufrieden und begraben unter einer Katze oder fünfen.

Eigentlich hatten sie das beide.

Stattdessen standen sie zwischen zu kleinen Douglasfichten und krummen Balsamtannen. Langsam wurde es dunkel. Und kalt. Takashi konnte förmlich spüren, wie die sinkenden Temperaturen Adams Laune gefrieren ließen. 

Er seufzte, doch es war Adam, der schließlich das Wort ergriff.

“Tut mir leid”, sagte er. “Es ist nur … Ich dachte, wir hätten uns darauf geeinigt, dass du ‘Ja’ sagst, wenn dein befehlshabender Offizier dich fragt, ob du schon etwas vorhast.”

“Haben wir.”

“Aber?”

“Er hat vor mir schon Tucker, da Silva und Chatfield gefragt.”

“Und die hatten besseres vor, nehme ich an.”

“Ja?”

Adam seufzte schwer. Er ließ die Hände sinken, wenn auch nur, um sie in den Taschen seiner Uniform zu vergraben. “Ich hätte die Akkus aufladen sollen.” 

“Akkus? Wofür?”, fragte Takashi wider besseres Wissen. Er ahnte Dummes. 

Und tatsächlich – der Blick, den Adam ihm zuwarf, war Antwort genug. Mit hochgezogenen Augenbrauen blickte er an ihm hinab. In seinen Mundwinkel spielte ein flüchtiges Lächeln. Als er schließlich wieder aufsah, schimmerte die Gewissheit in seinen Augen, dass seine Antwort Takashi die Schamesröte in die Ohren treiben würde.

Takashi schluckte. Mit jeder Sekunde, die Adam schwieg, spürte er, wie ihm die Hitze weiter in den Nacken kroch. Vermutlich spürte selbst Adam sie–

Der spitze Kommentar blieb aus. Stattdessen klopfte Adam ihm gegen die Brust. Lachend. “Komm schon, du Musterknabe. Wie groß muss dieser verdammte Baum noch einmal sein?”

 
 

~ * ~

 

Die Baumverkaufsstände wurden kleiner, die Tannen mickriger. Dort, wo sich der erste Stand noch über den Hof eines Blumenhändlers ausgebreitet hatte, quetschten sich die übrigen Verkaufsstände zwischen Einkaufsstraßen, garantiert echten, deutschen Weihnachtsmärkten und Last Christmas. Ihre Auswahl pendelte sich zunehmend zwischen “für Ein-Zimmer-Wohnungen” und “ausverkauft” ein.

Als sie Baumverkauf Nummer fünf hinter sich ließen, sank auch Takashis Laune langsam Richtung Gefrierpunkt – und das nicht nur, weil die Aussicht auf Tuna Tataki in immer weitere Ferne rückte. Mittlerweile schätzte er selbst die Wahrscheinlichkeit, Adam dazu zu überreden, den Thunfisch durchzubraten und in einen Nudelsalat zu werfen, als höher ein, als einen Baum zu finden, der auch nur ansatzweise Iversons Ansprüchen entsprach. Zwei Meter hoch. Nicht zu schlank, damit er in dem großen Raum nicht unterging, aber auch nicht so breit, dass er die Tische behinderte. Dichte, grüne Äste. Bloß keine Balsamtanne, aus welchen Gründen auch immer.

Und Adam hasste Nudelsalat.

“Vielleicht sollten wir es doch beim Costco versuchen.”

Zur Antwort trat Adam neben ihm nach einem weggeworfenen Styroporbecher. Dunkle Tropfen stoben in alle Richtungen, während der Becher zurück zum Glühweinstand eierte, zu dem er gehörte. Neben dem übervollen Mülleimer blieb er liegen. 

“Am Wochenende vor Weihnachten?”, murrte er. “Da treten sie uns tot.”

“Aber sie verkaufen Weihnachtsbäume”, warf Takashi ein, wenn auch ohne viel Enthusiasmus.

“Aus Plastik.”

Takashi zuckte mit den Achseln. “Zumindest wär das keine Balsamtanne?”

Zur Antwort warf Adam ihm einen langen Blick zu. Statt etwas zu sagen, zog er eine Augenbraue hoch.

Seufzend ließ Takashi den Kopf hängen. Wenn er ehrlich war, sah er nur noch Grünzeug. Dabei half auch nicht, dass er keinerlei Erfahrungen mit Weihnachtsbäumen hatte. Balsamtannen, Douglasien, Blaufichten – eigentlich war das für ihn alles eins. Grün, mit Nadeln dran. Roch nach Baum. Konnte mit Kugeln behangen werden und sah spätestens nach zwei Wochen im Zimmer aus, wie die Wiedergeburt des Klimawandels. 

Er war halt ein Pilot, kein Botaniker – und zu Hause sah er die Dinger in der Regel nur fertig geschmückt in irgendwelchen Einkaufspassagen.

Und das hier war keine Einkaufspassage. Es war eine Straße, in die man einen dieser “Weihnachtsmärkte” gequetscht hatte: Zwei Buden mit Schweinehachsen und Bretzeln, fünf Stände mit Glühwein, ein fliegender Händler mit Mützen und Schals und eben den Baumverkauf mit seinen verkümmerten Tannen.

Neben Takashi leuchtete das Display eines Smartphones auf.

“In der Madison Street gibt es noch einen Verkauf”, sagte Adam nach einer Weile des Wischens und Tippens. Er stockte. “Halt, nein, vergiss es. Der hat seit einer halben Stunde zu.”

“Mist.” Takashi warf einen Blick auf das Display, doch außer den Öffnungszeiten war nicht viel zu sehen. “Gibt es noch einen?”

Einen Augenblick lang strich Adam auf dem Display herum, bis die Straßenkarte erschien. Eine Reihe von Markern zeigten andere Baumverkaufsstände der Gegend. Die meisten Namen kamen Takashi vage bekannt vor. 

Mit einem Seufzen steckte Adam das Smartphone zurück in seine Uniformtasche. “Den Costco.”

“Also den Costco.”

Neben dem Mützenhändler blieb Adam stehen. Missmutig ließ er seinen Blick über bunten Pudelmützen und dunkle Schirmmützen wandern. Auf einem der Ständer hatte der Verkäufer Mützen mit lustigen Tiergesichtern ausgestellt. Egal ob Bär, Rentier oder Katze – jede Mütze besaß zwei lange, plüschige Arme, die in ebenso plüschigen Pfoten endeten. Zielgerichtet griff Adam nach der Pfote eines Plüsch-Einhorns. 

“Soll ich ehrlich sein?”, fragte er, während er die Pfote drückte, woraufhin das Einhorn eines seiner Ohren hob.

“Du willst Iverson einen Finger zeigen, oder?”

“Einen?” Adam griff nun auch nach der anderen Pfote, woraufhin das Einhorn mit beiden Ohren wackelte. Sie leuchteten dabei. Er warf Takashi einen knappen Blick zu. “Ich habe zwei Hände.”

Takashi prustete. “Adam. Du bist furchtbar.”

“Das ist mein zweiter Vorname.” Sie tauschten ein Grinsen. “Aber ernsthaft? Ich glaube langsam, dass wir eher einen Kaktus finden, der Iversons Vorstellungen entspricht, bevor eine dieser Krüppelfichten es tut.”

Einen–

“Adam.” Takashi bemühte sich um einen möglichst besonnenen Tonfall, doch in seinem Hinterkopf schrillten die Alarmsirenen. Er konnte der fixen Idee förmlich dabei zusehen, wie sie sich hinter Adams Stirn zu einem handfesten Plan zusammensetzte. “Wir können doch keinen Kaktus in den Aufenthaltsraum stellen.”

Herausfordernd reckte Adam das Kinn. “Warum nicht?”

“Es ist ein Kaktus?”

“Grün. Hat Nadeln. Kriegen wir garantiert in einer Größe von zwei Metern. Die Dinger gibt es da draußen wie Sand am Meer.”

Takashi verschränkte die Arme vor der Brust. “Ein Kaktus ist kein Weihnachtsbaum, Adam.”

“Ach quatsch. Mit genug Glitzer wird alles zum Weihnachtsbaum.”

“Adam.”

“Was?” Er ließ die Einhornmütze los, um anschließend demonstrativ mit den Achseln zu zucken. “Wenn er einen christlichen Weihnachtsbaum will, hätte Iverson einfach ein paar Christen schicken sollen. Ach halt. Die haben ja heute Abend schon etwas vor.”

Den Seitenhieb kommentierte Takashi mit einem Schnauben. Er hatte halt angenommen, dass die ganze Sache kaum mehr als eine halbe Stunde in Anspruch nehmen würde. Zum nächsten Baumverkauf fahren, einen Baum aussuchen und ihn zurück zur Garrison bringen. Aufstellen. Drei Kugeln dranhängen. Fertig. Hätte er gewusst, dass sich Iversons Sonderauftrag zu einer endlosen Geschichte entwickeln würde, er wäre auch gerannt.

Zugeben würde Takashi das jetzt jedoch nicht. Mit Pech würde jedes Wort, das er diesbezüglich verlor, Adams Entschlossenheit nur noch mehr befeuern. 

“Ich denke, selbst ich weiß, wie ein Weihnachtsbaum aussehen muss.”

“Du”, Adam stupste mit dem Zeigefinger gegen seine Brust, “denkst bei Weihnachten an Netflix’n’Chill und Kentucky Fried Chicken.”

Wie, um Adams Worte zu unterstreichen, knurrte Takashis Magen, der elende Verräter. Er seufzte. “Also, eigentlich denke ich an Tuna Tataki.”

 
 

~ * ~

 

Bereits während er die Kettensäge wegbrachte, bereute Takashi es. 

Alles. 

Er bereute es, Iversons Sonderauftrag angenommen zu haben. Er bereute es, mit Adam in die Wüste gefahren zu sein. Er bereute es, das Monster, das sich Adam dort ausgesucht hatte, bis zur Garrison und in den Aufenthaltsraum geschleppt zu haben. 

Vor allem aber bereute er es, Adam mit dem Monster allein gelassen zu haben.

Zu Recht.

Takashi konnte kaum länger als zehn Minuten fort gewesen sein, doch diese zehn Minuten hatten gereicht. Als er den Aufenthaltsraum betrat, war der Kaktus nicht mehr grün. 

Das hieß: Er war auch grün. Grün und gelb und rot–

Gerade streute Adam lilafarbenes Puder über einen der Kaktusarme und komplettierte damit den Regenbogen.

Mit genug Glitzer wird alles zum Weihnachtsbaum, hatte er gesagt.

Vermutlich war es töricht, an das Besonnene in ihm zu glauben, doch bis eben hatte Takashi angenommen, dass Adam seine Worte metaphorisch meinte. Er rieb sich die Schläfen. Einen Augenblick lang beobachtete Takashi ihn noch beim Streuen, dann trat er zu ihm.

“Wo hast du den Glitzer her?”, fragte er, während er nach einer Lichterkette griff.

Adam zuckte mit den Achseln. “Ich bin Lehrer.”

Skeptisch zog Takashi eine Augenbraue hoch. “Du unterrichtest einen Flugsimulatorkurs für Freshmen, keine Bastelgruppe.”

“Und?”, fragte Adam und drehte sich ihm zu. Takashi hörte sein Grinsen, bevor er es sah. “Die Grenzen sind überraschend fließend.”

Sie tauschten einen Blick. Takashi öffnete den Mund, um ihm zu widersprechen, ihn daran zu erinnern, dass in den Simulatoren nicht einmal Staub erlaubt war, schüttelte dann aber nur den Kopf. Darauf bedacht, die Stacheln nicht zu berühren – ihm hingen vom Transport immer noch genügend in der Uniform – drappierte er die Lichterkette über einem orange funkelnden Kaktusarm. Von dort zog er ihn Kreis weiter. Überall dort, wo der Kunststoff der Lichterkette den Kaktus berührte, blieb Glitzer hängen, erst in Orange, dann in Gelb und Grün.

“Du weißt”, sagte er, als er Lichterkette schließlich losließ, “dass Iverson mir dafür morgen den Kopf abreißen wird?”

“Wird er nicht”, antwortete Adam. Er klang erschreckend selbstsicher.

“Ach, nicht?”

“Nein. Du-” Adam tippte gegen ihm gegen die Nase. Die Berührung war warm und verhieß Glitzer. “-bist kein Kadett mehr und kannst dein Smartphone über das Wochenende stumm stellen. Also wird er der frühestens Montag den Kopf abreißen.”

“Hahaha.”

Takashi wischte sich über die Nase. Als er den Arm wieder senkte, glitzerte seine Hand lila und rot. “Du bist furchtbar.”

“Ich weiß”, antworte er ihm grinsend. “Aber sieh es so: Ich hab Frühschicht. Mich erwischt er vor dir.”

Sie tauschten einen Blick.

“Du wirst es abstreiten, oder?”

“Natürlich.” Adam hob die Arme und besah sich seine Uniform. “Denkst du, ich krieg das Zeug bis dahin raus?”

“Nein.” Diesmal war es Takashi, der sich ein Grinsen gönnte. “Aber ich hab da was für dich, das noch nicht glitzert.”

Damit hatte er Adams Aufmerksamkeit. Ohne den Glitzer weiter zu beachten, ließ selbiger die Arme sinken und trat um den Kaktus herum. 

Takashi indes ließ sich Zeit. Umständlich fischte er in seiner Umhängetasche herum und genoss die neugierigen Blicke, mit denen Adam jeder seiner Bewegungen folgte. Schließlich schlossen sich seine Finger um ausgesprochen plüschigen Stoff. Er zog daran.

Ohne auf etwaigen Protest zu warten, setzte er Adam die Mütze auf.

Sie tauschten einen Blick.

“Das Einhorn?”, fragte Adam. Er klang entrüstet, doch Takashi konnte den Schalk in seinen Augen funkeln sehen.

“Das Einhorn”, bestätigte Takashi. 

“Shirogane”, sagte er gedehnt, aber mit perfekter japanischer Aussprache. “Erinnere mich daran, warum ich mit dir ausgehe?”

Ungerührt drückte Takashi die Pfoten. Plüschige Einhornohren hoben und senkten sich. “Weil du die Akkus nicht aufgeladen hast?”

Adam stemmte die Arme in die Hüften. “Hör auf, meine eigenen Worte gegen mich zu verwenden!”

Als Antwort zog Takashi an den Pfoten der Mütze, bis sie einander so nah waren, dass sich ihre Nasen beinahe berührten. Er grinste. “Warum?”



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