Zum Inhalt der Seite

Fürst der Finsternis

Zweiter Platz Herbst-Winter-FF Wettbewerb 2003
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Aster - 1: Erbe

Hauptteil 1: Aster
 

Kapitel 1: Erbe
 

"Was zum Geier mach ich eigentlich hier?"

Tao Ren ließ seine schwere Reisetasche in das feuchte Laub fallen. Auf dem Weg vom Flughafen hatte es geregnet, und natürlich war es ihm nicht möglich gewesen, ein Taxi aufzutreiben. Anscheinend gab es in dieser verschlafenen Gegend um Mitternacht niemanden mehr, der noch arbeitete. Also war er den ganzen Weg hinaus gelaufen und hatte über das Wetter geschimpft - und natürlich über sich selbst. Wie war seine Schwester nur auf die hirnrissige Idee gekommen, ihn hierher nach Japan zu schicken? Ja, wie war es eigentlich dazu gekommen, dass er ihr sogar noch zugestimmt hatte?

Über diese und andere Fragen hatte er die letzten Stunden ausführlich nachgedacht und war zu dem Standpunkt gekommen, dass er total übergeschnappt gewesen sein musste, als er vor nicht einmal einem halben Tag ein Flugzeug in China bestieg und hier her flog. Ganz einfach so. Ohne jemandem bescheid zu geben. Ohne überhaupt erst einmal nachzufragen, ob er denn erwünscht war, ob er hier einfach so hereinschneien und übernachten durfte - und das noch für zwei Wochen!

"Ich bin so ein Volltrottel!"

Gelbe Augen blitzten wütend, während er seiner Tasche einen Tritt verpasste. Es war mitten in der Nacht und Yoh und Anna wollten bestimmt einfach nur in Ruhe ihre Herbstferien verbringen. Nun gut, sie hatten die letzten Monate während des Shaman Fights Seite an Seite gekämpft, aber das hatte sie allerhöchstens zu Teampartnern gemacht, nicht wahr? Bestimmt wollten die zwei erst einmal ausspannen von all den Anstrengungen und nicht gleich wieder an all die Kämpfe erinnert werden. Besonders an den allerletzten Kampf, der ihnen beinahe das Leben kostete - und Hao zerstörte.

"Ich hab schließlich nicht den Stand von Manta-kun."

Nein, den hatte er nicht. Genauso wenig, wie er Oyasuda Mantas offenes Wesen besaß. Er war einfach nur ein Teampartner gewesen. Und nur, weil Yoh freundlich gewesen und in seiner Gegenwart gelächelt hatte, glaubte nun Jun gleich, dass er, Tao Ren, Freunde gefunden hätte.

Hah! Dabei grinst Yoh doch immer so dämlich!

Trotzdem hatte Ren sich überzeugen lassen und stand nun vor dem Haus der Asakuras - und damit ziemlich tief in der Patsche. Er hatte keine Ahnung, wie er da wieder herauskommen sollte.

"Was mach ich hier?" wiederholte er seine Frage und verdrehte genervt seine Augen, als Bason, sein Geist, sich gähnend aus der Totentafel, die er unter seinem Mantel trug, materialisierte.

>Wenn du mich fragst, würde ich an deiner Stelle einfach anklopfen und schauen, wie sie reagieren. Ansonsten...< Der Geist, der weder Regen noch Kälte spüren konnte, lächelte schelmisch. >... ansonsten kannst du ja immer noch die Stunden bis zum Flughafen zurück waten und dir dort ein Hotelzimmer suchen.<

Ein eisiger Wind fuhr durch die Bäume, ließ Ren gegen seinen Willen erschaudern. Allein die Aussicht auf einen weiteren Marsch brachte seine Stimmung schnurstracks in den tiefsten Keller. Rabenschwarze Haare klebten in seinem bleichen Gesicht und da er nichts anderes zu tun wusste, gab er seiner Tasche einen weiteren Kick.

>Nicht! Du zerstörst sonst das Gastgeschenk!< warnte ihn der chinesische Krieger, worauf er nur verständnislose Blicke erntete.

"Gastgeschenk?" Mit einem Mal war Ren in Panik. "Das liegt noch zu Hause auf meinem Bett!"

>Aber du bist doch extra noch mal zurück gerannt. Ich dachte...<

"Ach, halt die Klappe!" Obwohl sein restlicher Körper vor Kälte zitterte, spürte er, wie sich sein Gesicht unangenehm erhitzte. Oh, wie er es hasste zu erröten! Aber eher würde er sterben, als Bason zu sagen, dass er nur wegen seines Kuscheltieres zurück gerannt war und dabei das Gastgeschenk total übersehen hatte.

Das Gastgeschenk!

Was soll ich zu Yoh sagen?

Die Panik breitete sich in seinem Körper aus wie die lodernden Flammen auf einem Scheiterhaufen.

Was soll ich Anna sagen?!

"Am besten, ich geh wieder. War eh ne totale Scheißidee." Grummelte Ren und schulterte seine Tasche wieder. Irgendwie wog sie viel mehr als noch wenige Minuten zuvor. War er etwa schon so müde? Ren runzelte die Stirn und blickte zu Boden, nur, um entnervt aufzustöhnen. Unter dem Laub hatte sich eine tiefe Pfütze versteckt. Folglich waren seine Kleidungsstücke nun mit dreckigem Regenwasser vollgesogen und wogen deshalb schwer. Außerdem waren sie nass, verdreckt - und somit vollkommen unbrauchbar für ihn.

"Na fabelhaft! Geht denn heute alles schief?!"

Wütend schleuderte er die Tasche gegen die Eingangspforte, wo sie mit einem klatschenden Geräusch auf den Boden fiel. Nach weiteren Fußtritten auf das unschuldige Opfer, die seine Situation aber nicht besserten, setzte er sich schließlich zornig darauf.

"Warum ich?" zischte er zwischen zusammen gepressten Zähnen und lehnte sich gegen das hölzerne Eingangsportal. "Warum ich?!"

Was sollte er jetzt tun? Einfach hier sitzen bleiben? Nein, dafür wurde es zu kalt. Schließlich hatte er nicht umsonst Herbst- und keine Sommerferien. Die Wälder färbten sich bunt, die Nächte wurden immer härter, der erste Frost war nicht mehr weit entfernt. Wenn er jetzt im Freien blieb, konnte er sich ernsthaft erkälten. Besonders in seinen nassen Schuhen.

Wenigstens hat die Jacke, die mir Jun zum letzten Geburtstag geschenkt hat, das Wasser abhalten.

Sein Gesicht hellte sich bei dem Gedanken an seine Schwester ein wenig auf, um gleich wieder zusammen zu fallen. Wie hatte er nur so blöd sein und hier her kommen können? Sicher hatte Jun es nur gut gemeint, aber sie kannte Yoh doch gar nicht!

Kenn ich ihn überhaupt?

Er war sich nicht sicher, aber er wusste, dass er weder hier draußen bleiben, noch anklopfen konnte. Nein, wie ein totaler Volltrottel wollte er sich nicht aufführen. Einfach so bei Leuten reinschneien, die ihn vielleicht gar nicht haben wollten - und das dann gleich für ganze zwei Wochen!

"Verdammt!"

Ren schlug seine geballte Faust gegen das Tor, das darauf hin nachgab. Der Junge verlor seinen Halt und fiel rücklings... in eine unglaublich tiefe Pfütze. Er spürte deutlich, wie ihm die eiskalte Brühe in seinen Kragen und seine Ärmel lief, sich somit einen Weg zu seinem noch trocknen Pullover bahnte. Hektisch strampelte er umher, hatte schon Angst, im Vorgarten zu Yohs Haus ertrinken zu müssen, bis er schließlich auf seine Knie kam und einfach nur für einige Momente inmitten der Pfütze hocken blieb. Es machte ja doch keinen Unterschied mehr. Jetzt war er völlig nass.

Ein erneuter Windstoß fuhr durch die Bäume, die das Grundstück säumten, und dieses Mal musste Ren niesen. Bason erschien vor ihm und an seinem verkniffenen Grinsen konnte Ren sich vorstellen, welches Bild er wohl gerade abgab.

"Kein. Wort. Bason." schnappte er und schlug, da er glaubte, dass es ihm nun auch nicht mehr schaden konnte, mit beiden Fäusten wütend in die Pfütze. "So! Eine! Scheiße!" fluchte er laut.

Egal, wie gut es seine Schwester auch gemeint hatte, das alles entwickelte sich allmählich zu einem Alptraum.

Allmählich?

Allmählich?!?!

In dem Moment wurde eine Tür aufgestoßen und grelles Licht erhellte die regnerische Nacht. Ren kniff geblendete seine Augen zusammen, konnte nur einen Schatten erkennen, der sich ihm langsam näherte.

"Wer ist da?" hörte er eine ihm nur all zu bekannte Stimme und hatte nur noch den Wunsch, sich in Luft auflösen zu können. Es war eindeutig Yoh, der sich ihm näherte. Ein sehr verschlafen klingender Yoh, der ihn, den ehemals gefürchtesten Schamanen in ganz China, gleich entdecken würde - wie er in einer Pfütze, in der Mitte in der Nacht ein Bad ohne Mondschein nahm.

Er wird mich einliefern. Bestimmt.

"Ren? Bist du das?" Yohs Stimme klang ungläubig und Ren stöhnte leise auf. Wenn jetzt jemand eine Kamera holte, er würde damit jeden >Trottel-des-Jahres<-Wettbewerb gewinnen.

Er wird mich einliefern!

Ein weiterer eiskalter Windstoß ließ Ren fröstelnd zusammen fahren und er entschied, dass die Zellen in einer Anstalt wenigstens weich und vor allen Dingen wunderbar warm waren. Erst recht diese weißen Jacken...

Bevor er jedoch seinen trüben Gedankengang beenden konnte, wurde Ren plötzlich von dem Schatten umarmt und ganz fest gedrückt. Für einen Moment hatte Ren das Wort >Knuddelanfall< im Sinn, das seine Schwester immer als Ausrede benutzt hatte, dann aber schnappte er nach Luft, denn beide verloren sie das Gleichgewicht und Ren machte erneute Bekanntschaft mit dem kalten Regenwasser.

"Ren! Du bist es wirklich! Das ist echt obercool!"

Die Augen des jungen Chinesen gewöhnten sich langsam an das Licht und er konnte das Grinsen neben sich sehen, das er überall auf der Welt als das >Yoh-Grinsen< wiedererkannt hätte. Yoh kniete neben ihm im Schlamm und schien das gar nicht zu bemerken. Statt dessen lachte er herzhaft, nicht im Leisesten daran denkend, den anderen Jungen wieder los zu lassen.

"Supi! Ich hab heute erst grünes Licht von Anna bekommen und wollte dich morgen anrufen, ob du Lust hast, die Herbstferien hier zu verbringen. Aber ich sehe, da bist du mir wohl zuvor gekommen." Yoh deutete auf die Reisetasche, die nun im Licht der Lampe noch dreckiger aussah, und schüttelte glücklich, wenn auch ein wenig ungläubig seinen Kopf. "Du willst doch für die Herbstferien hier bleiben, oder?"

Ren, der sich aus der Umarmung des anderen Jungen befreien wollte, nickte nur und wurde gleich wieder zurück in die Pfütze gezerrt, als Yoh einen Freudentanz aufführte. Natürlich wieder, ohne sein Opfer los zu lassen.

"Das ist ja einfach nur genial! Da können wir ins Kino gehen! Und das neu eröffnete McDoof erkunden! Außerdem kommen Horo Horo und Ryu nächste Woche. Wir wollen Drachensteigen gehen! Und außerdem können wir..."

"Und außerdem könnt ihr zwei jetzt erst einmal baden gehen!"

Beide, Asakura Yoh und Tao Ren, das Opfer in seinen Armen, zuckten schuldbewusst zusammen, als sie die strenge Stimme von Kyoyama Anna, Yohs Verlobter, vernahmen. Beide drehten sich zur offenen Haustür und sahen besagtes Mädchen, das langsam zu ihnen hinüber schlenderte. Anna betrachtete Rens Reisetasche nur mit hochgezogenen Augenbrauen, dann schaute sie Yoh und Ren skeptisch an.

"Neues Hobby, Yoh? Um Mitternacht in einer Pfütze baden?" Sie gähnte unterdrückt und schüttelte ihren Kopf. Ein amüsiertes Lächeln konnte sie jedoch nicht zurück halten. "Lass ihn los, Yoh, bring seine Tasche ins Haus und kümmere dich um das Badewasser. Denn so ein Dreckschwein will ich nicht im Haus haben."

Yoh blinzelte, und blinzelte erneut. Dann wurde ihm erst bewusst, dass er Ren mit seiner Umarmung fast erwürgte. Mit einem weiteren seiner typischen >Yoh-Grinsen< gab er den jungen Chinesen endlich frei und kletterte aus der Pfütze.

"Stell sie gleich in den Waschraum. Ich hab morgen eh deine Hemden zu sortieren." Ordnete Anna in ihrer typischen Stimme an, der niemand zu widersprechen wagte. Nicht einmal Ren, der die von ihr dargebotene Hand ergriff und sich aus dem Schlamm helfen ließ. Bason hatte sich wieder in seiner Totentafel versteckt, Ren würde ihn später einen Feigling schimpfen.

"Willkommen zurück, Ren-kun." Sie lächelte ihn sanft an und er hatte das Gefühl, dass sie etwas anderes hatte sagen wollen.

"Arigatou, Anna-san." Ren verbeugte sich und errötete tief, als sich ein Dreckbatzen von seinem Haar löste und direkt auf ihre Hausschuhe fiel. "Gomen..."

Sie zuckte jedoch nur mit den Schultern und ging zurück zum Haus. Wie immer stellte sie keine weiteren Fragen. Das hatte sie nie getan. Selbst die verrücktesten Situationen konnten sie nicht aus der Fassung bringen - solange es Yoh dabei gut ging.

"Lass es aber nicht zur Gewohnheit werden, Ren-kun. Ein Verrückter reicht mir." Vor der Haustür streifte sie ihre Hausschuhe ab und ließ den jungen Chinesen herein.

Die Bedeutung ihrer letzten Worte würde Ren erst Wochen später begreifen.
 

***
 

"Es geht doch nichts über ein Mitternachtsbad." Yoh lehnte sich in dem warmen Wasser zurück und schloss genüsslich seine Augen. Der Regen hatte vor zehn Minuten aufgehört und nachdem sie sich unter der Dusche gesäubert hatten, stand nichts mehr einem erquicklichen Bad im hauseigenen Pool im Wege. Wenn jetzt noch die Wolkendecke aufriss und die Sterne preis gab, dann wäre es perfekt.

"Besonders, wenn man am nächsten Morgen keine Schule hat." Yoh klatschte glücklich in seine Hände. "Zwei Wochen ausschlafen. Juchhu!"

"Musst du denn nicht trainieren?" Ren glitt neben ihm in das klare Wasser und seufzte wohlig auf, als die Wärme langsam in seinen kalten Körper zurück kehrte. Ihm war gar nicht bewusst gewesen, wie sehr er wirklich in dem Regen gefroren hatte.

"Aber doch nicht vierzehn Tage lang!" protestierte Yoh. "Vielleicht morgen ein wenig und übermorgen, dann geht's aber auf ins Vergnügen! Ins Kino will Anna ja auch mit und Drachensteigen mag sie ebenfalls. An den Tagen hab ich auf alle Fälle frei!"

"Kann ich mit trainieren kommen?" Ren fragte sich für einen winzigen Augenblick, wo diese offene Frage her kam, die so gar nicht seinem Charakter entsprach, verwarf seine Verwunderung dann aber mit der Begründung, dass dies Yohs Ausstrahlung war.

"Na klar. Das wäre super!" Der junge Japaner öffnete seine Augen und strahlte ihn fröhlich an. "Lass dir nur von Anna keine Gewichte aufhalsen."

"Ich werd mich in Acht nehmen."

Für einige Augenblicke saßen beide mit geschlossenen Augen in dem warmen Wasser und genossen die Stille. Bason und Amidamaru nahmen am anderen Ende des Pools Platz, verhielten sich aber ebenfalls leise. Gut, beide waren Geister, aber das bedeutete ja nicht, auf allen Luxus zu verzichten. Vielleicht konnten sie das warme Wasser nicht mehr spüren, besaßen wohl aber noch genügend Erinnerungen daran.

"Kann ich euch zwei Kindsköpfe allein lassen oder braucht ihr noch etwas?" Eine Tür wurde aufgeschoben und Ren rutschte bis zum Hals ins Wasser, als Anna das Badehaus betrat. Normalerweise wäre das Mädchen nicht einfach so in ein Jungenbad eingedrungen. Aber normalerweise wälzte sich ihr Verlobter und ein guter Bekannter nicht im Schlamm.

Ein guter Bekannter? Ist es das, was ich bin?

Oder gar ein guter Freund?

Ich, Taro Ren, ein guter Freund?

"Alles ok, Anna. Arigatou. Du kannst dann ins Bett gehen." Antwortete Yoh und duckte sich, als sie sein Handtuch ergriff und damit durch seine noch feuchten Haare rubbelte.

"Gut, mach aber nicht mehr all zu lange. Du bist morgen schließlich mit dem Frühstück dran." Sie grinste Yoh diabolisch an und Ren versank nun bis zur Nasenspitze im Wasser. Anna konnte ihm manchmal richtig Angst machen.

"Und ich möchte ein Frühstück mit allem drum und dran. Im Bett! Und verschütte dieses Mal nicht den Kaffee!" Ein weiteres diabolisches Grinsen und damit war sie auch schon wieder verschwunden.

Das minutenlange Schweigen, das folgte, wurde schließlich von Yoh unterbrochen, der Ren verlegen angrinste.

"Kannst du Kaffee kochen?"

"Ja, wieso?"

"Meine Rettung! Ich verschütte immer den Kaffee, damit sie nicht mitbekommt, was für schlimmes Zeug ich da zusammen braue." Yoh grinste noch schiefer.

"Du bist mir schon einer." Ren schüttelte seinen Kopf, bevor er ebenfalls leise kichern musste. "Weck mich einfach rechtzeitig."

"Ich muss dich aber vorwarnen. Ich bin ein fürchterlicher Morgenmuffel." Der junge Japaner streckte sich wieder in dem warmen Wasser aus und legte seinen Kopf auf den Beckenrand. Dann betrachtete er den wolkenverhangenen Himmel mit der Hoffnung auf einen Stern oder sogar eine Sternschnuppe.

"Kein Problem, ich bin ein Ganztagsmuffel." Entgegnete Ren ein wenig zynischer als beabsichtigt. Sofort erhielt er auch die Aussage von Yoh, der seinen Blick vom Himmel nicht abwandte in einem Ton, der keinen Widerspruch zu ließ.

"Gar nicht wahr!"

Ren, der die Ausdrücke in den Gesichtern von Yohs Freunden oft genug während der vergangenen Monate gesehen hatte, widersprach ihm innerlich, sagte laut jedoch nichts dazu. Yoh hatte ein sehr offenes Wesen, kam mit jedem Menschen zurecht. Aber bei bestimmten Themen wurde er sehr ernst und da war es klüger, nicht mit ihm zu streiten. Besonders nicht, wenn man mitten in der Nacht unangemeldet auftauchte, das Bad besetzte und außerdem eine Tasche voll dreckiger Kleidung in die Waschkammer stellte.

Weitere zehn Minuten saßen sie so im warmen Wasser und Ren war sich nicht sicher, ob er bereits eingenickt war, als er plötzlich Yohs Stimme neben sich vernahm.

"Wir sollten besser rausgehen, bevor wir noch verschrumpeln."

Als der junge Chinese seine Augen öffnete, sah er Yoh, der eingehend seine Finger begutachtete und schließlich aus dem Wasser stieg. Fröstelnd lief er über die kalten Steine und hüllte sich schließlich in seinen Morgenmantel.

"Hier." Einen zweiten hielt er Ren entgegen, der umständlich aus dem Pool kletterte. Sein Körper war doch müder, als er sich das eingestehen wollte. Ein wenig Leben kehrte wieder in ihn zurück, als er die eisige Kälte der Herbstnacht spürte, aber er wusste, dass er besser ins Bett kroch - oder besser, auf einen Futon. So etwas benutzten ja Anna und Yoh noch als traditionsbewusste Japaner. Was auch immer, Hauptsache, er konnte sich hinlegen und schlafen. Deshalb trocknete er sich nur halbherzig ab und war bereits im Begriff, in den Schlafanzug zu steigen, den Anna ihm hingelegt hatte, als Yoh ihn zurück hielt.

"Sag mir nicht, dass du mit klatschnassen Haaren ins Bett willst. Du wirst dir den Tod holen."

Den Tod holen...

Für einen Moment starrten sie einander an und Ren erinnerte sich noch sehr gut , dass Yoh einmal im Scherz gesagt hatte, dass der junge Chinese ihm bei ihrer ersten Begegnung wie der Tod persönlich vorgekommen war, wie er auf seinem Ross thronte, ganz in Schwarz gehüllt, mit einer blitzenden Sense in der Hand. Ja, Yoh hatte es scherzend gesagt, aber seine Augen waren ernst geblieben. So als habe er ihn stumm gebeten, nie wieder so hartherzig zu sein wie damals vor über einem Jahr, wo er auf Yoh traf und diesen als seinen Rivalen im Shaman Fight sofort umbringen wollte.

"Ach, das geht schon." Antwortete Ren, schob die Erinnerung an sein anderes Ich, an ein anderes Leben entscheiden beiseite. Dies waren seine Herbstferien, er konnte später noch lang genug den trüben Gedanken nachhängen, wenn er wieder in China und dort wieder bei seinen ach so tollen Privatlehrern war.

"Im Schlamm baden ist cool, das ist's nicht." Yohs Miene wurde für einen Moment ernst, dann grinste er wieder frech und drückte Ren auf einen Schemel neben sich, den man normalerweise benutzte, um sich vor dem japanischen Bad mit Hilfe eines Kübels zu säubern. Der Junge griff aber nicht nach einem Eimer, sondern nach einem weichen Handtuch, mit dem er durch Yohs Haare fuhr.

"Autsch! Ich will noch keine Glatze haben!" Ren wollte sich der rauen Behandlung entziehen, aber Yohs presste ihn zurück auf den Schemel.

"Dann hättest du nie wieder nasse Haare." Kicherte der junge Japaner und führte seine Folter weiter. Bei jedem anderen wäre Ren wohl aufgesprungen und hätte ihn fürchterlich angeschrieen. Aber irgendwie konnte er das bei Yoh nicht, und das lag bestimmt nicht daran, dass es dieser geschafft hatte, ihn zwei Mal zu besiegen und ihm das Leben zu retten, wusste der Teufel wie oft schon. So brummelte er nur etwas Unverständliches vor sich hin und kniff die Augen zusammen. Nach einer endlosen Minute war die Quälerei vorbei - und trotzdem durfte Ren nicht aufstehen.

"Wenn du die jetzt nicht kämmst, hast du morgen den schönsten Fitz drin."

"Na und?"

"Willst du wirklich morgen rumlaufen wie ein explodiertes Kopfkissen?"

"Ich will ins Bett!"

"Ach, halt einfach still." Yohs Stimme verriet sein Lächeln. Vermutlich stellte er sich das Kopfkissen gerade bildlich vor, was Ren nicht sonderlich erheiterte. Aber er war viel zu müde, um noch zu argumentieren, dass er mit Sicherheit keinerlei Ähnlichkeit zu einem Couch-Accessoire hatte. So seufzte er nur, als Yoh den Kamm ergriff und stellte sich auf das Schlimmste ein. Seine Haare waren zwar recht kurz, aber wenn das Abtrocknen schon so schmerzhaft gewesen war, würde das Kämmen erst recht zur Tortur werden.

Yoh fuhr durch pechschwarze Strähnen - und die Pein blieb aus. Überrascht öffnete Ren seine Augen, aber auch beim nächsten Versuch verlor er kein einziges Haar.

"Ein Glück, ich werde doch nicht glatzköpfig."

"Ich kann nicht besonders gut Haare abtrocknen."

"Hab ich bemerkt."

"Sei still und halt still, sonst flecht ich dir kleine Zöpfchen."

"Mit der Länge?"

"Anna hat sogar in Mantas Haare Zöpfe gekriegt - und hat's mir beigebracht."

Ren stellte sich sein Ebenbild im Spiegel vor mit lauter Zöpfen, die ihm vom Kopf standen wie die Stachel vom Igel, und entschied sich für das Ruhighalten. Ergeben schloss er seine Augen und ließ Yoh sich um seine Haare kümmern. So ungeschickt der junge Japaner mit dem Handtuch umging, so sanft war er mit dem Kamm. Bald entspannte sich Ren völlig, musste unwillkürlich an seine ältere Schwester denken. Als er noch ein ganz kleiner Junge gewesen war, hatte sie ihm immer die Haare gewaschen und hinterher genauso liebevoll gekämmt. Damals war er so ein Ekel zu ihr gewesen, und sie hatte immer zu ihm gestanden. Manchmal hatte sie geweint, wenn er sie wieder beschimpft und mit der Seife und dem Handtuch beworfen hatte, aber sie hatte sich nie vor ihrer Aufgabe als große Schwester gedrückt. Was immer er auch tat, um sie loszuwerden, sie blieb immer bei ihm.

Ren fragte sich, ob er je all das wieder gut machen würde, was er ihr während seiner Kindheit antat. Aber nun war sein Vater besiegt, er selbst hatte seine eigenen Fehler erkannt. Jetzt hatte er genug Zeit seiner Schwester zu zeigen, was sie ihm wirklich bedeutete und dass all das vergangene Taten eines irrgeleiteten Kindes gewesen waren, die er nie wirklich ernst gemeint hatte.

"Wenn ich dir jetzt hinter den Ohren kraule, fängst du dann auch an zu schnurren?" Yohs Kichern drang nur langsam in Rens zähflüssige Gedanken. Müde öffnete er seine Augen und stellte fest, dass er sich gegen den jungen Japaner gelehnt hatte und nicht weit vom Traumland entfernt war.

"Stichel mich morgen weiter, wenn ich wach bin." Ren erhob sich schwerfällig und trottete müde hinter Yoh her. Bason folgte ihm, wobei der Geist fast noch müder aussah als er, obwohl die Toten keinen wirklichen Schlaf mehr brauchten. Vermutlich war die Erinnerung an ein schön heißes Bad zu anstrengend gewesen.

Damit werd ich ihn morgen aufziehen.

Ren grinste müde und wäre beinahe gegen Yoh geprallt, der plötzlich anhielt und die Papiertür aufschob. Der junge Chinese erkannte das Zimmer, in dem er schon einmal übernachtet hatte - gemeinsam mit einem schnarchenden Ryu und einem im Schlaf sprechenden Horo Horo, eher auf einer unfreiwilligen Basis natürlich.

Ist das jetzt freiwilliger?

Wie auch immer, darüber würde er morgen nachdenken.

Ren rieb sich die schläfrig Augen und tapste in die angenehme Dunkelheit des Zimmers. Anna hatte bereits den Futon ausgebreitet und Ren ließ sich erschöpft darauf fallen. Mit letzter Kraft zerrte er die Decke über seinen Körper und drehte sich gähnend auf die Seite, eine Stellung, in der er immer schlief.

"Nacht, Ren. Falls etwas sein sollte, weck uns. Wir sind gleich nebenan."

"Ok. Nacht, Yoh-kun."

"Ren?"

"Hm?"

"Schön, dass du da bist."

Leise wurde die leichte Tür wieder vorgeschoben und Ren schlief mit einem Lächeln ein.
 

***
 

Japan war so ganz anders als China. Die Menschen grüßten einander freundlich auf der Straße, Kinder, die ihre Ferien genossen, rannten laut lachend über die Spielplätze und hier und dort hörte man einen Hund bellen. Hier spielte sich das Leben vieler Leute ab, während Ren aus seiner Heimat nur Stille gewöhnt war. Seine Familie bewohnte nun schon seit Jahrhunderten den altehrwürdigen Palast inmitten hoher Berge, dort gab es keine Supermärkte, keine Autos und auch kaum andere Menschen, als die Bediensteten, die an den besten Tagen seines Vaters zu fast hundert Prozent aus Untoten bestanden hatten.

Das Klima jedoch war beinahe das gleiche. Die Bäume waren mit bunten Blättern überzogen, Laub, das langsam in der Morgensonne trocknete, wirbelte lustig durch den angenehmen Herbstwind. Ja, wenn Ren seine Augen schloss, konnte er wieder den Garten im Schlosspark sehen, wo seine Schwester immer unter einem der mächtigen Bäume saß und irgendetwas strickte. Meist entwickelte sich dieses Etwas zu einem seiner Weihnachtsgeschenke, die er immer sehr skeptisch ansah, dann aber doch so lange trug, bis ihm diese Kleider buchstäblich vom Leib fielen.

Jun...

Ren runzelte seine Stirn, während er seinen Atem ein wenig beschleunigte, um mit Yoh Schritt halten zu können. Was war nur mit ihm los? Seit er China verlassen hatte, wollte ihm seine Schwester nicht aus dem Kopf! War er etwa so ein Baby , dass er sie bereits nach einem Tag vermisste? Schließlich war es doch ihre Idee gewesen, dass er nach Japan ging, um hier seine Herbstferien zu verbringen. Sie wollte bestimmt auch einmal allein sein, allein mit ihrem Li, ohne, dass ihr kleiner Bruder ständig um sie herum tanzte. Jun hatte zwar nie gesagt, dass sie ihren Zombie so sehr mochte, aber Ren war ja nicht blind.

"Noch eine Stunde."

Ren blinzelte, als eine fröhliche Stimme ihn aus seinen trüben Gedanken riss. Yoh grinste freudig, während er für einen Moment anhielt und die Gewichte an seinen Hand- und Fußgelenken korrigierte. Der junge Chinese bewunderte ihn für seine gute Laune. Wenn er an die zehn Kilo zusätzlich hätte schleppen dürfen, würde er nun sicherlich mit einer Gewitterwolke über seinem Kopf durch die Stadt traben. Yoh jedoch schien das allmorgendliche Training gar nichts auszumachen. Seitdem er, Ren, für Anna einen genießbaren Kaffee zubereitet hatte, war Yoh in so guter Laune, dass sich der junge Chinese wunderte, ob Yoh die Bedeutung des Wortes >Morgenmuffel< überhaupt kannte. Er jedenfalls war mit keinem bisschen muffelig oder gar griesgrämig.

"Dann können wir gleich Manta von der Schule abholen." Yoh schob sich die orangefarbenen Kopfhörer tiefer in seine Haare und rannte weiter. Ren hatte keinerlei Schwierigkeiten, ihm zu folgen, aber er trug ja auch keine Eisenringe am Körper.

Manta. Der Ärmste ging zur Abendschule und lernte viel. Ren konnte sich nicht erinnern, den Jungen jemals ohne ein Buch oder seinen geliebten Computer unterm Arm gesehen zu haben. Da die Schule, auf die Manta ging, sehr streng war, musste er am ersten Ferientag einen schwierigen Test schreiben. Gewiss wollte Yoh ihn aufmuntern, so wie er das immer tat, wenn Manta über eine viel zu harte Arbeit klagte, die er am Ende dann doch mit Bravour bestand.

"Hach, ist das schön!" Yoh sprang mit einer Leichtigkeit, die seine wahre Körperkraft erahnen ließ, über die brüchige Mauer und lief den gewundenen Pfad empor. Ren erkannte den Ort sofort, es war der Friedhof, auf dem er Manta das erste Mal getroffen hatte. Im nächsten Moment stand der junge Japaner auf dem Dach einer Gruft und sah zum Firmament hinauf. Die Wolken hatten sich abgeregnet, der Himmel war azurblau, es versprach ein sonniger Tag zu werden.

"Hier kann ich stundenlang stehen und einfach nur hinauf starren." Yoh grinste breit und Ren verstand ihn sofort. Hier, in dieser kleinen Oase inmitten der Stadt, konnte man kaum den Autolärm vernehmen. Die alten Bäume wogen sanft im lauen Morgenwind, bildeten unter ihnen ein Meer aus rot-goldenen Wellen. Hier und da lugte ein Grabstein heraus, der aber nicht bedrohlich, sondern einfach nur friedlich wirkte.

"Von hier kann man die besten Sterne sehen." Yohs Grinsen wurde eine Spur schelmischer. "Oder von unserem Haus, wenn man die Straßenlaternen ausschaltet. Erzähl's aber nicht Anna, sie wäre nur böse auf mich."

Ren wollte erwidern, dass man nirgendwo die Sterne so gut sehen konnte wie vom Dach seines Palastes in China, verkniff sich dann aber einen entsprechenden Kommentar.

Ich werde mit Jun sprechen und Yoh und Anna im Winter zu uns einladen. Dann kann ich ihnen zeigen, was richtige Sterne sind.

Zufrieden mit diesem Gedanken folgte er Yoh, der weiter joggte. Kurze Pausen waren erlaubt, aber Anna bekam heraus, wenn sich ihr Verlobter einfach auf eine Parkbank setzte und die Trainingszeit vergeudete. Yoh hatte bis heute nicht in Erfahrung bringen können, wie sie das anstellte, aber ihre Strafen konnten unmenschlich sein, also lief er lieber weiter, bevor er den Rest des Tages das Bad putzte.

Rasch verließen sie den Friedhof wieder und bogen in eine belebte Passage ein. Hier befanden sich zu beiden Seiten kleine Geschäfte, die hauptsächlich Souvenirs und anderen Kitsch, wie Anna es immer bezeichnete, verkauften. An der Ecke gab es einen Supermarkt, in dem Manta manchmal einkaufte, wenn Yoh das Essen angebrannt hatte und Anna mit knurrendem Magen und blitzenden Augen durch das Haus tigerte. Nein, Yoh war wirklich kein Wunderkoch, das hatte Ren heute morgen erfahren. Normalerweise hatte sich immer Manta um die Mahlzeiten gekümmert, deshalb hatte der junge Chinese nicht gewusst, wie unbegabt Yoh tatsächlich war. Ren kümmerte sich nicht nur um den Kaffe, er rettet auch den Reis vorm Verbrennen und verhinderte, dass der junge Japaner die Soße hoffnungslos versalzte.

Ohne Anna und Manta würde er verhungern.

Ren lächelte in sich hinein, als sein Blick plötzlich an etwas Glitzerndem hängen blieben. Er drehte seinen Kopf und schaute auf eine Haarspange, die aus Gold bestand. Ein Diamant zierte das Auge eines Drachens, der sich auf der Spange aalte.

Das würde Jun sicherlich gefallen...

"Ren?" Yoh tauchte so plötzlich neben ihm auf, dass der junge Chinese leicht zusammen zuckte. Ihm war gar nicht bewusst gewesen, dass er stehen geblieben war. Yoh betrachtete kurz die Schaufensterware, dann verstand er.

"Du willst deiner Schwester was kaufen? Da wird sie sich bestimmt freuen." Der junge Japaner grinste, als der Junge neben ihm bis zum Haaransatz errötete. "Na, dann lass uns reingehen, wir haben nur noch fünfzehn Minuten."

"W... warte..." Rens Gesichtfarbe ähnelte nun mehr einer Tomate denn einem sonst eher blassen Jungen. Er wollte Yoh erklären, dass er sich lieber einen anderen Laden suchte, um etwas für seine Schwester zu kaufen, denn in diesem verkauften die Inhaber neben Schmuck auch Dessous, aber Yoh hatte ihn bereits durch die Tür direkt zur Theke gezogen. Umwerfend strahlte er die junge Frau hinter der Kasse an, die auch sofort zu den beiden Jungen herüber kam. Ren versuchte, sich so klein wie möglich zu machen, aber erneut klappte der Trick nicht, er wurde nicht unsichtbar.

"Kann ich euch helfen?"

"Ja, wir hätten gern die Spange da draußen im Schaufenster. Die mit dem Drachen. Stimmt doch, oder, Ren?"

Der junge Chinese wunderte sich für einen Moment, woher Yoh wissen konnte, welches Schmuckstück er genau wollte, nickte dann aber nur ergeben. Er war froh, dass wenigstens Bason nicht hier war und Zeuge seiner Schmach wurde. Da sich der Geist nicht sonderlich für Joggen interessierte, hatte Ren die Totentafel auf seinem Futon liegen gelassen. Sicherlich unterhielt sich der chinesische Krieger gerade angeregt mit einem japanischen Samurai.

Nach mehrmaligem Auffordern reichte Ren der jungen Verkäuferin schließlich seine Kreditkarte und versuchte, nicht auf die BHs zu starren, die direkt hinter ihr an der Wand hingen.

Ist das peinlich!

Eine Minute später standen sie beide wieder auf der Strasse - Ren mit einem Tütchen in der Hand, das nicht nur pink, sondern über und über mit goldenen Schleifen versehen war.

Ist das superpeinlich!

Er wollte es in seine Hosentasche stecken, aber natürlich war diese zu klein. Aber er konnte es doch nicht den ganzen Weg zurück tragen. Das würde er nicht überleben!

Ich hoffe, Jun weiß dieses Opfer zu würdigen!

In dem Moment traf ihn ein Schneeball. Mitten im Herbst, im strahlenden Sonnenschein. Rens glühendes Gesicht verwandelte sich in eine Maske des Zorns und im nächsten Moment hielt er seine Sense in der Hand. Im Gegensatz zu der Totentafel mit dem nervenden Krieger war sie ein Gegenstand, den er ständig mit sich trug, selbst wenn er gerade in einen von Yohs Trainingsanzügen steckte, da seine Kleidung fröhlich in Annas Waschmaschine vor sich hin schleuderte.

"Das wirst du bereuen!"

Der andere Junge, der nur wenige Meter von ihm entfernt stand, rückte sein Stirnband zurecht und zeigte ihm frech eine lange Nase.

"Steck dein Brotmesser weg, sonst machst du noch dieses niedliche Täschlein kaputt." Horo Horo feixte, bevor er einen weiteren Schneeball in seinen Händen erschuf. Dieses Mal war Ren jedoch vorbereitet. Geschickt sprang er zur Seite und landete direkt neben dem dämlich grinsenden Ainu. Horo Horo wollte nach seinem Snowboard greifen, das hinter ihm an einem Laternenmast lehnte, aber Ren war schneller. Der junge Chinese war schon immer schneller gewesen. Der einzige Schamane, der ihn jemals besiegt hatte, war Yoh gewesen, Horo Horo hatte keine Chance gegen ihn, und das wusste dieser auch. Der Junge erbleichte, als er Rens Sense auf sich zurasen sah. Er duckte sich ein wenig und kniff seine Augen zusammen, öffnete sie jedoch wieder, als nichts geschah.

Nani?

Ren hatte sich keinen einzigen Zentimeter bewegt, seine gelben Augen starrten Horo Horo unverwandt an, ein überlegenes Lächeln lag auf seinem erröteten Gesicht.

"Da muss gerade der Richtige reden." Spöttelte der junge Chinese und Horo Horo konnte einen himmelblauen Beutel sehen, der an der Spitze der Sense im Wind leicht hin und her schaukelte. Er war nicht beschädigt, Ren verstand es ausgezeichnet, mit seinem Werkzeug umzugehen.

Waffe des Todes.

Für einen Moment starrte Horo Horo direkt in Rens Gesicht, erinnerte sich wieder an jene Zeiten, in denen Ren versucht hatte, jeden seiner Gegner zu töten. Damals hatte er seine Sense so bezeichnet, mit Sicherheit nicht ohne Grund.

Er hätte mich töten können, und ich wäre nicht einmal in der Lage gewesen, mich zu wehren...

Horo Horo schluckte schwer, besann sich dann aber auf die Beute des jungen Chinesen. Wie auch immer Ren seine Sense einst bezeichnete, was er auch immer mit dem scharfen Stahl einmal angestellt hatte, es war vorbei. Der Junge, vor dem sich einst alle gefürchtet, den alle gehasst hatten außer Yoh, den gab es nicht mehr. Rens Vergangenheit sollte ihn nicht mehr interessieren, schließlich vertraute Yoh ihm, und Horo Horo würde Yoh überall hin folgen.

Stahl leuchtete eisig im warmen Sonnenleicht.

Dennoch...

"Hey, das ist meins!" schrie Horo Horo empört auf und schob seine Zweifel weit zurück. Yoh stand nur wenige Meter entfernt und hielt sich vor Lachen den Bauch. Was immer Yoh von ihm verlangte, Horo Horo würde es tun, auch wenn das bedeutete, mit dieser >Ekelkakerlake<, wie er Ren insgeheim zu beschimpfen pflegte, auszukommen.

"Babyblau, was für eine schöne Farbe." Höhnte Ren und sprang auf die nächste Parkbank, so dass Horo Horo das Objekt seines Bemühens nur knapp verfehlte.

"Hah! Das musst gerade du sagen! Barbierosa! Na, ob das zu deinen dunklen Klamotten passt?"

Vielleicht sollte er einfach mal etwas anderes anziehen, dann würde er vermutlich nicht mehr so bedrohlich wirken.

Horo Horo hüpfte verzweifelt in die Höhe, aber Ren zog jedes Mal die Sense im letzten Moment zurück.

Tao Ren in weißer Kleidung? Noch schlimmer...

"Spuck keine großen Töne. Was machst du überhaupt hier?" Rens Augen blitzten und er wechselte auf den Rand eines Papierkorbes. Yoh beobachtete die Szene amüsiert. Er würde nicht eingreifen, nicht in ihre >kleinen Freundschaftsstreitereien<, wie er sie immer zu bezeichnen pflegte. Ren war sich aber sehr sicher, dass Horo Horo eher gestorben wäre, als ihn als einen seiner Freunde anzuerkennen.

"Dasselbe könnte ich dich fragen!"

"Ich mache hier Ferien."

"Das mache ich auch. Yoh hat mich eingeladen."

"Na klasse! Dein Gebrabbel hat mich schon das letzte Mal genervt!"

"Dann kauf dir doch Ohrenstöpsel!"

"Schneeidiot!"

"Chinesischer Trottel!"

"Arg!"

"Puh!"

Beide starrten sich feindselig an, bevor sie das Männlichste taten, was ihnen einfiel: Sie streckten einander die Zunge heraus.

"Das wirst du bitter bereuen!" Ren warf die Sense fort und stürzte sich auf Horo Horo. Vor einem Jahr noch hätte er seine Todeswaffe ohne zu zögern benutzt, oder versucht, den anderen Jungen zu erwürgen. Nun aber setzte er jene Technik ein, die weitaus mehr bewirken konnte als alle Dolche dieser Welt, ohne aber den Gegner gleich zu töten.

"NEIN!!!" Horo Horo zappelte panisch, als Ren seine Seiten fand und ihn umbarmherzig auskitzelte. Im nächsten Moment, der junge Ainu wusste nicht, sich anders zu helfen, wurden beide aus heiterem Himmel unter einer Schneelawine begraben.

"Ihr zwei seid klasse."

Yoh bog sich vor Lachen. Schließlich hatte er sich so weit unter Kontrolle, dass er Rens Sense und die zwei Taschen aufhob. Er brauchte nicht in die blaue zu schauen, er wusste auch so, dass sie ein Geschenk für Horo Horos kleine Schwester enthielt. Bestimmt hatte sie ihm den strengen Auftrag gegeben, ihr etwas Wunderschönes mitzubringen und deswegen war der junge Ainu einen Tag eher als verabredet aufgebrochen, um diese Kostbarkeit als Allererstes zu erstehen.

Es muss schön sein, ein Bruder zu sein...

Yohs Lachen brach ein wenig in sich zusammen.

"Yoh-kun?"

Der junge Japaner brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, dass Manta, sein bester Freund, hinter ihm stand und mit großen Augen auf den riesigen Schneeball starrte, der mitten an einem warmen Herbsttag die Einkaufspassage zierte.

"Was macht Horo Horo da?" Natürlich wusste Manta davon, dass einige ihrer Freunde über die Herbstferien kommen würden. Zumindest die Freunde aus Japan, da die Amerikaner und Engländer mit der Schule später begannen und folglich erst zu Weihachten die nächste Auszeit genießen durften. Nun, vielleicht würde er ja dann Chocolove und Lyserg wieder sehen.

"Sie balgen mal wieder." Kicherte Yoh, bevor er Manta zwei Tüten in die Hand drückte und hinüber zu dem weißen Haufen trat, der leicht zitterte. "Aber ich denke, das reicht jetzt." Yoh griff zielstrebig in die kalte Masse und zog erst einen blauen, dann einen rabenschwarzen Schopf heraus.

"Schön zu sehen, dass ihr noch immer so gute Freunde seid." Grinste Yoh und schien die verständnislosen Blicke nicht zu sehen, die ihm Horo Horo und Ren zu warfen.

Freunde?

Wohl eher nicht!

"Du bist einen Tag zu früh dran." Manta kam zu Horo Horo hinüber und schüttelte ihm fröhlich die Hand, eine Geste, die er sich in der Zeit des Shaman Fights in Amerika angewöhnt hatte und die er viel angenehmer fand, als das ständige Sich-Verbeugen, bei dem er sich bei seiner kleinen Körpergröße noch winziger vorkam. "Das ist aber gut, dann kannst du heute Abend die Fenster putzen."

"Weißt du was, Manta? Du verbringst zu viel freie Zeit mit Anna."

"Ich weiß."

Beide lächelten sich an, ehrlich, ohne jeglichen Hintergedanken. Sie würden nicht übereinander herfallen. Nicht nur, weil Manta kein Schamane war, sondern, weil sie einfach während der letzten Monate Freunde wurden.

Freunde...

"Du hast auch Ferien? Ist ja super!"

Bevor Ren reagieren konnte, wurde auch seine Hand schwungvoll geschüttelt. Mantas Grinsen zeigte ihm, dass Manta nicht nur sehr viel Zeit mit Anna, sondern auch mit seinem besten Freund Yoh verbrachte.

"Äh... ja..."

"Ok." Yoh klatschte in seine Hände und förderte einen kleinen Zettel zu Tage. Dass er noch immer die schweren Eisenringe trug, schien er gar nicht zu bemerken. "Dann sollten wir besser mal einkaufen gehen. Anna hat mir nämlich aufgetragen, dass ich heute das Abendbrot kochen soll, weil sie mit der Wäsche beschäftigt ist."

Horo Horo, Manta und Ren wechselten stille Blicke. Was auch immer für Streitigkeiten zwischen ihnen liegen mochten, in diesem Punkt waren sie sich einig.

"Wir helfen dir." Sagten sie alle drei einstimmig.
 

***
 

"Wie war dein Test, Manta?"

Yoh schob den Einkaufswagen, in dem bis jetzt nur die Schultasche des kleinen Japaners thronte, lässig vor sich her, während er die Regale studierte. Es war nicht so, als würden Anna und er am Hungertuch nagen, aber wenn er auf die Sonderangebote achtete, konnte er sich von dem gesparten Geld einen Manga kaufen, ohne, dass Anna es erfuhr.

"Furchterregend. Niederschmetternd. Einfach nur grauenhaft." Murmelte Manta niedergeschlagen und warf gleich drei große Tüten Reis in den Wagen. Schließlich hatten sie Gäste und niemand hungerte gern.

"Ach, so wie ich dich kenne, wirst du ihn bestimmt mit Bravour gemeistert haben." Ermunterte ihn sein bester Freund, Manta schüttelte aber nur mit dem Kopf.

"Ich hätte mit dir auf die andere Schule wechseln sollen." Seufzte er leise. "Dort ist alles einfacher."

"Da hättest du dich nur gelangweilt, Manta. Jemand mit deinem Köpfchen sollte was draus machen. Für mich als Schamane reicht eine normale Schule, du bist schon richtig an der schweren, wo du bist. Du willst doch mal studieren, oder? Bestimmt wirst du mal ein ganz schlauer Professor."

Manta lächelte ob des Lobs ein wenig verlegen und griff erneut in das Regal, um mehrere Dosen mit Sojabohnen auf den Reis zu legen.

"Yoh-kun?"

"Hai?"

"Ich freu mich ja riesig auf die paar Tage Freizeit, aber..."

"Du hast Hausaufgaben auf?"

"Nicht so viele, als dass ich sie nicht abends beim Fernsehen schaffen würde."

"Was gibt's dann, Manta?"

Der kleine Japaner drehte sich um und deutete verlegen auf die zwei Jungen, die einen Meter hinter ihnen liefen und sich absichtlich ignorierten, während Blitze deutlich zwischen ihren Köpfen hin und her sprühten.

"Was machen wir mit diesen Streithähnen?"

Yoh wandte ebenfalls seinen Kopf Richtung Horo Horo und Ren und lächelte glücklich.

"Ins Kino schleifen, Drachen steigen lassen und mit Reisbällchen füttern."

"Ich wusste es..."

Manta schüttelte seinen Kopf und studierte eingehend die Fruchtsäfte neben sich. Der Orangensaft von letzter Woche war scheußlich gewesen, den würde er nicht noch einmal kaufen.

Hm... vielleicht Multivitamin? Da kann man eigentlich nichts falsch machen.

Der kleine Japaner hielt die grüne Glasflasche gegen das Licht der Neonlampe und runzelte leicht seine Stirn.

Ja, das hatte ich bei dem Orangensaft auch gedacht...

"Nein, das ist nicht wahr! Du willst mir nicht weiß machen, dass der Erbe der Tao Dynastie kochen kann!"

Manta hörte die gereizte Stimme neben sich und verdrehte seine Augen. Noch bevor er um die Ecke bog, wusste er bereits, was für ein Bild sich ihm bieten würde: Horo Horo mit einem Schneeball in der Hand, vor dem nur wenige Zentimeter entfernt eine leuchtende Sense in der Luft schwebte.

Der kleine Japaner irrte sich nicht.

"Sagt mal, Jungs, das wird langsam nervig." Grummelte er und trat auf die Streithähne zu, die sich wieder mit ihren Blicken durchbohren wollten. "Was gibt es dieses Mal?"

"Er hat behauptet, dass er chinesische Frühlingsrollen zubereiten kann." Horo Horo schwenkte den Schneeball gefährlich und Manta fragte sich, wann es wohl so weit war und sie alle Hausverbot bekamen.

"Ich habe nur gesagt, dass chinesische Frühlingsrollen besser schmecken als japanische."

"Immer beleidigst du meine Kultur!"

"Ich habe lediglich die Wahrheit gesagt!"

Manta stöhnte genervt und griff nach Rens Sense, um sie ein wenig zu senken. Vor noch einem Jahr hätte er sich dem jungen Chinesen nicht einmal auf hundert Meter genähert, aber viel war passiert in den vergangen Monaten. Genauso viel, wie in den letzten drei Stunden während seines Tests geschehen war. Manta war müde, er hatte die letzte Nacht durchgelernt, und wollte einfach nur zum Anwesen der Asakuras, um dort seine Ferien zu genießen. Er würde sich dieses kostbare Quäntchen an Freizeit von niemandem verderben lassen, egal, wie mächtig dieser Jemand als Schamane auch sein konnte. Er legte sich besser nicht mit einem übernächtigten Mittelschüler nach einer einfach nur grässlichen Klausur an!

"Welche Zutaten braucht man für chinesische Frühlingsrollen?" knurrte er und sein Blick bewirkte, dass Horo Horo seinen Schneeball lieber in einer Tiefkühltruhe als auf seinen Gegner warf. Auch Ren klappte seine Sense zusammen und verbarg sie wieder unter seinem Mantel. Seine Mimik verriet jedoch, dass er sie jederzeit wieder hervorholen und benutzen konnte. Der junge Ainu sollte das ja nicht vergessen!

"Na ja, auf jeden Fall frische Sojabohnen und..."

"Gut, dann holt ihr jetzt die Zutaten und heute Abend essen wir eben chinesische Frühlingsrolle und können uns alle überzeugen, ob die besser als japanische ist oder nicht!" Manta schüttelte seinen Kopf. "Kindsköpfe!" knurrte er, bevor er sich umdrehte und zurück zu seinem verlassenen Einkaufswagen stiefelte. Yoh hatte sich die ganze Zeit nicht vom Schokoladenregal fortbewegt, verträumt starrte er die leckeren Tafeln an, schien von all dem nichts bemerkt zu haben.

Für einen Moment standen Horo Horo und Ren bewegungslos im Gang.

"Tao-kun?"

"Ja?"

"Er ist kein Schamane, oder?"

"Nicht, dass ich wüsste."

"Manchmal ist er für einen Menschen viel zu unheimlich."

Ren nickte nur, dann machte er sich daran, die Zutaten für die Frühlingsrollen zu besorgen. Horo Horo, der ihm helfen sollte, versuchte natürlich, ihn die gesamte Zeit zu behindern, wofür er von dem jungen Chinesen durch die Gänge geschupst wurde.

"Manta, das werden einfach nur Superferien." Yoh schichtete gleich vier Tafeln seiner Lieblingsschokolade in den Einkaufswagen. Im Moment erschienen sie ihm verlockender als jeder Manga, und besonders schmackhafter.

Der kleine Japaner, der zwei Schatten durch die Gänge huschen hörte, hob nur skeptisch seine Augenbrauen, bevor er seinen Taschenrechner hervor zog und die Preise eintippte.

"Hoffentlich behältst du Recht, Yoh-kun."
 

***
 

Yoh und Amidamaru saßen im Speisezimmer und schauten durch die offene Tür in die Küche, wo drei Gestalten zwischen Kühlschrank und Herd hin und her wanderten.

"Und ihr seid euch sicher, dass ich euch nicht helfen kann?" fragte der junge Japaner zweifelnd und genehmigte sich heimlich ein weiteres Stück Schokolade, die er unter dem Tisch verbarg.

Horo Horo, Ren und Manta verharrten für einen Moment in ihrer Tätigkeit, dann drehten sie sich entschieden zu ihm um.

"Nein."

"Oh, na gut." Yoh grinste, bevor er sich zurück lehnte. Die Metallringe hatte er vor einigen Stunden ablegen können, als sie nach Hause kamen, und er liebte einfach diese Momente des Nichtstun. Anna befand sich im Waschraum, also bestand keine Gefahr für ihn, doch noch in eine unangenehme Tätigkeit eingespannt zu werden.

"Dieser Teil des Tisch ist mein! Wehe, jemand fasst auch nur ein was an." Grollte Ren und griff nach der Schürze, die neben dem Herd hing. Normalerweise hätte er sich eher steinigen lassen, als so etwas Erniedrigendes anzuziehen, aber normalerweise trug er auch nicht einen von Yohs Trainingsanzügen, den Anna waschen musste, wenn er etwas drauf kleckerte. Als er mit dem Binden fertig war und sich umdrehte, war der Tisch jedoch schon völlig mit Reis und anderen Zutaten zugeschüttet. Manta, der angestrengt in einem Kochbuch las, schien seine drohenden Worte nicht gehört zu haben, dafür aber Horo Horo, der vor Lachen beinahe platzte.

"Der Erbe der Tao Dynastie in einer Schürze." Kicherte er hysterisch, während er sich darüber machte, die Büchsen mit den Sojabohnen zu öffnen. "Dass ich das noch erleben darf!"

Ren biss seine Zähne aufeinander, dann ergriff er den Beutel mit seinen Zutaten, ein Brett und ein scharfes Messer. Vor einem Jahr noch hätte er dieses ohne zu zögern in Horo Horos blödes Grinsen gebohrt, heute aber hob er nur seinen Kopf und stolzierte würdevoll an ihm vorbei.

"Mach nur so weiter und du kriegst keine Frühlingsrolle ab." Meinte er und verschwand im Esszimmer, als dem jungen Ainu vor Lachen die Tränen über die Wangen rollten.

"In einer Schürze..." japste er und nahm sich vor, dass er, sobald er die Büchsen besiegt hatte, seinen Photoapparat holen würde. Und wenn er dafür drauf ging, so ein Photo musste er einfach haben!

Idiot!

Rens gelbe Augen verzogen sich zu Schlitzen, als er vor dem niedrigen Tisch im Esszimmer Platz nahm und ärgerlich das Gemüse zu schneiden begann. Rasch vergaß er jedoch seinen Zorn, als er in seiner Tätigkeit fort fuhr. Wieder hörte er das angenehm helle Lachen in seinem Kopf, das ihm gelehrt hatte, wie man ein Messer zum Gemüseschneiden hielt und das eine Karotte kein gefährlicher Dämon war, den es zu erdolchen galt.

"Du machst das gut, Ren." Yoh hatte seine Augen wieder geöffnet und ihn eine Weile lang schweigend betrachtete. Ein wenig Wehmut lag in seiner Stimme. Vermutlich würde er weniger Schimpfe von Anna erhalten, wenn er ebenfalls so gut kochen könnte. "Woher kannst du das?"

Der junge Chinese blinzelte, bevor er auf sah. Ein stolzes Lächeln umspielte seine Lippen, als er eine zweite Karotte zuerst schälte und dann in dünne Streifen schnitt.

"Jun hat es mir beigebracht."

Obwohl ich sie am Anfang dafür gehasst habe. Wozu sollte der Erbe der Tao Dynastie auch das Kochen erlernen? Dennoch hat sie nie aufgeben, es mir zu zeigen. So wie sie nie aufgegeben hat, an mich zu glauben...

Yoh lächelte und stibitze sich eine Möhre. Im Gegenzug bot er Ren ein Stück Schokolade an, was dieser dankend ablehnte. Er hatte sich noch nie viel aus Süßigkeiten gemacht.

"Das ist schön, dass ihr zwei euch so gut versteht." Der junge Japaner lehnte sich wieder zurück und schloss erneut seine Augen, lauschte dem gleichmäßigen Geräusch von Metall, das auf Holz schlug. Ren war dankbar dafür, denn er spürte erneut die unangenehme Hitze in seine Wangen steigen. Nichts war ihm peinlicher, als wenn er errötete. Und das tat er fast ständig, wenn von seiner Schwester die Rede war.

Vorsichtig breitete er den bereits gekneteten Teig aus und begann, die Frühlingsrollen zu füllen. Dabei musste er an seine Schwester denken, wie sie ihm das Rollen von Teig wieder und wieder gezeigt hatte, bis er die Mahlzeiten nicht mehr wütend an die nächste Wand warf oder unter seinen Stiefeln zertrat.

Heute war es eine seiner Lieblingstätigkeiten, mit ihr zu kochen. Erbe hin oder her, er konnte es kaum erwarten, mit ihr Weihnachtsplätzchen auszustechen und ihr helles Lachen durch den Palast klingen zu hören.

Ja, es ist schön.
 

***
 

Schweigen herrschte im großen Wohnzimmer im vorderen Bereich des Hauses. Still saßen sie um den gedeckten Tisch. Ja, nicht einmal die Geister wagten es, sich zu bewegen. Alle starrten sie auf Anna, die nacheinander die Speisen probierte, ohne auch nur ansatzweise ihr Gesicht zu verziehen. Schließlich wandte sie sich zu den Jungs um, die sie erwartungsvoll ansahen, und nickte zufrieden.

"Nicht schlecht." Meinte sie und alle entspannten sich merklich. "Hundertmal besser, als wenn Yoh allein kocht. Vielleicht solltet ihr mal öfter kommen, da hat Manta-kun nicht so viel zu tun."

Sprichwörtliche Schweißtropfen bildeten sich an den Köpfen der angesprochenen Personen, dann ergriff aber jeder seine Schüssel und verhalf sich zu einem leckeren Abendbrot. Für die nächsten fünf Minuten herrschte gefräßige Stille. Erst, als der erste Hunger gestillt war, stellten sich gesellige Gespräche wieder ein.

"Ryu sollte morgen eintreffen." Erzählte Yoh zwischen zwei Reisbällchen und lächelte satt und zufrieden. "Muss ich dann immer noch jeden früh trainieren, Anna? Ich mein, wenn wir doch Gäste haben." Hoffnungsvoll blickte Yoh seine Verlobte an, die nur eine Augenbraue hob und ihre Teetasse nicht absetzte.

"Vielleicht wollen deine Gäste ja auch ein wenig trainieren, um nicht aus der Übung zu kommen?" fragte sie schließlich und nahm sich eine weitere Frühlingsrolle. Jegliches Kauen hörte augenblicklich auf und mehrere Augenpaare starrten sie fassungslos an. Genüsslich aß Anna die Frühlingsrolle und tupfte ihre Mundwinkel mit einer Serviette ab.

"Andererseits..." Yoh hing förmlich an ihren Worten, genauso wie Amidamaru und Horo Horo. Lediglich Ren blitzte sie mit seinen gelben Augen an, ohne auch nur den kleinsten Hauch eines Gefühls von sich preis zu geben. "Eine kleine Auszeit würde uns allen gut tun." Hörbares Ausatmen und leiser Jubel folgte. Rens einzige Reaktion bestand daraus, seine Stäbchen wieder aufzunehmen und weiter zu essen. Anders als Horo Horo und Yoh hätte er sich gegen ein weiteres Training nicht gesträubt, sondern wäre wohl jeden früh ohne zu murren quer durch die halbe Stadt gejoggt.

Vermutlich ist unser Training harmlos im Vergleich zu den Übungen, die ihm wohl sein Vater während seiner Kindheit auferlegt hatte...

Anna schauderte es ein wenig und sie zog die Decke wärmend über ihre Beine.

"..andererseits solltest du mich als deine Verlobte ins Kino einladen." Beendete sie ihren Satz und konnte an Yohs Gesichtsausdruck sehen, dass er sich gerade innerlich von diversen Mangas verabschiedete.

"Darf ich dann den Film bestimmen?"

"Von mir aus." Als sei das Thema für sie beendet, aß sie ihre Schüssel leer und griff nach der Teekanne. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Horo Horo und Yoh sich siegesbewusst angrinsten. Mit Sicherheit wussten sie bereits, in welchen Film sie gehen würden, gewiss irgend so ein Actionfilm. Aber Anna war das Recht, solange es sich nicht um irgend eine langweile Schnulze handelte.

"Wie hast du den Reis zubereitet, Manta-kun?" Anna lehnte sich leicht vor, als der kleine Japaner es ihr erklärte. Von all den Kindsköpfen um sie herum, schien er der Gescheiteste zu sein. Nun, vielleicht war unglaubliche Blödheit auch einfach nur ein Merkmal von männlichen Schamanen, er war ja schließlich ein Mensch. Wenn auch ein außergewöhnlicher Mensch, der Geister sehen konnte, was sonst eigentlich nur Schamanen vorbehalten blieb. Schamanen wie Ren und Horo Horo, die sich wieder giftig anstarrten. Anna seufzte leise und ignorierte, wie der junge Ainu sich eine der köstlich duftenden Frühlingsrollen nahm und diese nach einem Biss mit angeekeltem Gesicht vom Teller schubste.

Ren jedoch konnte diese Geste nicht so einfach übersehen.

"Was sollte das?" verlangte er zu wissen.

"Na, wonach sieht das aus? Mir schmeckt dieses chinesische Zeugs nicht!"

"Dann schmier es nicht quer über den Tisch!"

"Ich habe es nicht quer über den Tisch geschmiert! Ich habe dieses Zeugs lediglich von meinem Teller genommen, weil ich davon noch etwas essen will."

"Du hast die Frühlingsrolle voller Verachtung runtergeworfen!"

"Ja, und? Wenn's nun mal ekelig ist!"

"Deine Geschmacksknospen sind wohl verkümmert!"

"Du arroganter Schnösel! Nur weil das Zeug aus China kommt, heißt das noch lange nicht, dass es lecker ist. Es ist scheußlich!"

"Das ist kein Zeug, sondern Frühlingsrollen!"

"Pah, japanische Frühlingsrollen sind was anderes, das hier ist nur Zeugs."

"Es sind chinesische Frühlingsrollen."

Rens Augen verzogen sich zu Schlitzen und auch Horo Horos rechte Hand zuckte gefährlich, so, als wäre er bereit, jeden Moment einen Schneeball zu erzeugen und Ren darunter zu begraben. Möglichst für immer.

"Das >Zeugs< ist einfach nur ungenießbar. Wer immer dir dieses Rezept aufgeschwatzt hat, der war ein totales Rindvieh."

Noch während Horo Horo diese Worte sprach, wusste er, dass er einen unverzeihlichen Fehler begangen hatte. Rens Augen begannen förmlich zu glühen, während sein Gesicht jegliche Farbe verlor. Dann geschah alles blitzschnell. Noch bevor der junge Ainu überhaupt die Gelegenheit hatte, einen Schneeball zu erzeugen oder sich anderweitig zu verteidigen, war Ren auf den Tisch gesprungen und hatte ihn am Kragen seines hellen Pullovers gepackt. Während dieser Bewegung zog er seine Sense, die golden leuchtete.

Er ist ein Tier!

Horo Horo wollte um Hilfe schreien, aber jeglicher Laut erstarb in seiner Kehle, als er in zornige Augen blickte, in denen sich sein erschrockenes Gesicht spiegelte. Ansonsten fand er nichts in ihnen als sein bleiches Ebenbild. Kein Funken Verstand, keine Seele, nur einen beinahe animalischen Trieb. Ein Ungeheuer, das ihn töten konnte und es auch würde. Genau jetzt, in diesem Moment.

NEIN!

Horo Horo zuckte heftig zusammen, als sich Finger kräftiger um seinen Hals schlossen und langsam zu zu drücken begannen. Jeglicher Atem wurde aus seinen Lungen gepresst und die Welt verschwamm vor seinen Augen. Verzweifelt schlug er um sich, aber Ren schien seine schwache Gegenwehr nicht einmal zu bemerken. Höhnisch grinste er und seine Finger gruben sich regelrecht in Horo Horos Haut.

Nein...

Im nächsten Moment tauchte ein Schatten auf, versperrte dem jungen Ainu die Sicht auf seinen Angreifer. Sein Hals kam frei und keuchend beugte er sich vor, heftig nach Luft ringend.

"Ren!" Yohs Stimme war leise. Obwohl Amidamaru alarmiert über dem Tisch schwebte, benutzte der junge Japaner sein Schwert nicht. Vielmehr benötigte er beide Hände, um die Sense zurück zu halten, die nun gefährlich über seinem Kopf schwebte. "Ren! Komm zu dir!" Yoh klang flehend, gar nicht mehr so locker, wie sonst immer. Das Grinsen war von seinen Lippen verschwunden. Nein, er wollte keinen Kampf beginnen, aber er würde auch nicht zulassen, dass Ren in seiner Wut zu weit ging. "Ren, bitte!"

Der junge Chinese umgriff lediglich seine Sense stärker und wandte seinen Blick von Horo Horo auf den jungen Japaner vor sich. Seine eiskalten Augen musterten ihn gefühllos und der junge Ainu befürchtete, dass er wirklich einen Kampf provozieren würde. Einen Kampf auf Leben und Tod, wie damals vor einem Jahr, als Yoh gewann und auf Rens Tod verzichtete. Was würde Ren machen, wenn er gewann? Wenn er heute gewann?

"Von wegen verändert!" hustete Horo Horo und tastete nach seinem Hals, der fürchterlich schmerzte. Jeder Atemzug stach wie tausend Nadeln und er fragte sich, wie stark Ren wirklich war. "Schaut ihn euch doch an! Steht da wie der Tod persönlich! Also mir könnt ihr nicht weismachen, dass der sich irgendwie gebessert hätte!" Der junge Ainu öffnete seinen Pullover und rang weiterhin japsend nach Luft. Ren hatte nicht im Spaß zugedrückt. Horo Horo zweifelte nicht, dass Ren ihm mit voller Absicht das Genick gebrochen hätte, wäre Yoh nicht eingesprungen.

"Einmal Killermaschine, immer Killermaschine!" fast spuckte er die Worte aus.

Killermaschine...

Nur langsam drangen die Worte in die pechschwarze Stille, die Ren umgab. Er blinzelte. Einmal. Zweimal. Seine Augen, die eben noch tief in den Höhlen gelegen hatten, fokussierten sich auf den Jungen vor ihm und das letzte bisschen Blut verschwand aus seinem Gesicht, als er Yoh sah, der mit aller Macht seine Sense davon abhielt, auf einen halb wütend, halb verängstigt drein blickenden Horo Horo herab zu fahren und ihn zu töten.

Killermaschine...

"Ren, bitte! Wach auf!" Yohs Stimme war sanft und im Gegensatz zu dem jungen Ainu wirkte er besorgt.

Was mach ich hier?

Ren trat einen Schritt zurück, Teller zerbrachen unter seinen Stiefeln. Die Gefühllosigkeit in seinem Wesen wurde von Entsetzen, Schock und Ekel vor sich selbst verdrängt. Seine Hände zitterten, als er auf die Sense starrte, die er noch immer umklammert hielt. Sie leuchtete golden. Golden, nicht blau, wie sie die letzten Monate während der Shaman Fights geglänzt hatte.

Golden, bereit zum Töten.

Der junge Chinese schluckte sichtbar und mit einem leisen Surren faltete sich die Waffe zusammen. Er vermochte nicht, sie weiterhin zu halten. Mit einem lauten Knall fiel sie auf den Tisch, woraufhin sich chinesische Frühlingsrollen quer im Wohnzimmer verteilten.

Was hätte ich beinahe getan?

Ren blickte kurz auf und sah direkt in schreckgeweitete Augen Mantas. Der Junge hielt seinen Teller schützend vor seinem Oberkörper, so als habe auch er einen Angriff erwartet. Eine lange Perlenkette raschelte leise in Annas Händen, ihre Augen waren ausdruckslos auf den jungen Chinesen gerichtet.

"Gott sei dank!" murmelte Yoh und Ren bemerkte nicht einmal, wie sich der junge Japaner bückte und die Sense in seinen Besitz nahm. Alles, was er sah, war das befreite Lächeln auf Yohs Gesicht, das mehr schmerzte als all die erschrockenen Blicke der anderen.

Was hab ich getan?

Ren taumelte weitere Schritte zurück, bevor er vom Tisch sprang und die nächste Papiertür aufzerrte, die ihn aus dem Haus führen würde, das ihm mit einem Mal zu eng erschien.

Killermaschine...
 

***
 

"Der ist doch nicht mehr ganz dicht!" röchelte Horo Horo nach einigen Momenten geschockten Schweigens. Anna erhob sich und putzte sich einige Reiskörner vom Rock. Dann trat sie neben den jungen Ainu und befühlte seinen Hals. Horo Horo zuckte schmerzlich zurück, ließ sie aber gewähren.

"Du bist aber auch ganz schön provozierend." Meinte sie und zog ihre Stirn in Falten. "Erzeug ein wenig Eis, Horo-kun, sonst schwillt dein Hals zu."

"Es war doch nur eine Frühlingsrolle." Hustete der junge Ainu und tat, wie ihm geheißen. Manta reichte Anna wortlos ein Handtuch, in das sie das weiße Material hüllte und vorsichtig um Horo Horos schmerzenden Hals legte.

"Das war's eben nicht, Horo-kun. Es ging die ganze Zeit um etwas ganz anderes." Murmelte Anna und nickte, als Yoh die Sense neben ihr auf den Boden legte und raschen Schrittes das Zimmer verließ. Manta machte sich daran, die Scherben einzusammeln, während Anna den junge Ainu auf den Boden drückte und ihn ein Kissen unter den Rücken schob.

"Einfach so liegen bleiben, Horo-kun, bis es ein wenig abklingt."

Horo Horo blickte sie an und nickte schließlich.

"Worum ging es dann?" krächzte er, als sie sich erhob und das Chaos im Wohnzimmer in Augenschein nahm.

"Du hast seine Familie beleidigt." Anna betrachtete einen zerbrochenen Teller kummervoll und warf ihn schließlich in Mantas Eimer, wo es noch einmal heftig klirrte. "Was glaubst du wohl, wer ihm das Rezept gegeben hat, Horo-kun? Wird ja wohl seine Schwester gewesen sein, oder?"

"Aber... deswegen macht man doch nicht..."

Anna verabschiedete sich von einem anderen Geschirrstück und wandte sich zu dem jungen Ainu um. Nachdenklich sah sie ihn an und er zog es vor, seine Augen zu schließen und regelmäßig zu atmen. Hoffentlich wirkte das Eis so, wie sie sich das vorstellte, denn er hatte keine Lust, heute noch den Notarzt zu besuchen.

"Nein, deswegen sollte sich niemand so aufführen..."
 

***
 

Ren lief fort.

Er war sich dessen durchaus bewusst, als er raschen Schrittes der Strasse folgte, die ihn auf direktem Weg in die Stadt und zum Flughafen führen würde. Genauso, wie ihm klar war, dass er nicht nur seine Sense, sondern auch seine anderen Sachen dort zurück gelassen hatte. Bason würde ihm nicht folgen können, die Totentafel lag im Wohnzimmer noch auf dem Fußboden, gleich neben seinem Sitzkissen.

In dem Wohnzimmer, das er in Schutt und Asche gelegt hatte.

Killermaschine...

Horo Horos Worte klangen noch immer in seinen Ohren und so sehr er den jungen Ainu dafür auch verabscheute, er wusste, das dieser Recht hatte. Einmal Killermaschine, immer Killermaschine. Nein, er hatte sich nicht geändert, kein bisschen. Wenn sein Instinkt mit ihm durch ging, dann war er unberechenbar, würde jeden um sich herum ohne zu zögern töten. Würde sogar Yoh und Anna töten...

Deswegen konnte er nicht zurück. Nein, er würde das nächste Flugzeug nach China nehmen und nie wieder zurück kehren. Er hatte hier keine Freunde, die er besuchen konnte. Jemand wie er verdiente keine Freunde, die er bedrohte, ja sogar erwürgen wollte!

Jun ist zu gutmütig zu glauben, dass sich ein Mensch ändern kann.

Ren kämpfte erfolgreich gegen den Kloß in seinem Hals und vergrub seine geballten Fäuste tief in den Hosentaschen des Trainingsanzuges. Yohs Trainingsanzuges!

Ich bin der Erbe der Tao Dynastie. Ich bin der nächste Fürst. Egal, was ich auch versuche, ich werde dieses dunkle Schicksal niemals los...

Der junge Chinese schluckte hart, denn genau deshalb war es besser für ihn, wenn er so rasch wie möglich verschwand. Wenn er in seinen alten, verrotteten Palast ging und diesen nie mehr verließ!

Was wird Jun von mir denken, wenn sie von diesem Vorfall erfährt? Sie wird so enttäuscht sein!

Vermutlich würde sie ihn sogar hassen. So sehr, wie er sich selbst hasste!

"Ren?"

Wie aus dem Nichts tauchte plötzlich ein Schatten vor ihm auf. Der junge Chinese wunderte sich nicht, wie es Yoh gelungen war, ihn innerhalb kürzester Zeit einzuholen, aber er konnte sich nicht erklären, warum der Junge ihm gefolgt war. Waren sie denn nicht alle froh, ihn endlich los zu sein? Ihn, die Killermaschine, über die niemand wirklich Kontrolle besaß? Nicht einmal der mächtigste aller Schamanen, Asakura Yoh?

"Lass mich in Ruhe!" knurrte Ren und versuchte, an Yoh vorbei zu gehen, aber Yohs Hand schnellte hervor und umklammerte Rens rechte Schulter in einem so eisigen Griff, dass der junge Chinese wusste, dass er keine Chance hatte. Yoh hatte seine Killerinstinkte nie kontrollieren, ihn dafür aber mehrfach besiegen können.

"Lass mich los!"

"Erst wenn du mit mir geredet hast, Ren!" Yohs dunkle Augen blitzten energisch in der Dunkelheit. Nein, er würde ihn nicht gehen lassen, bis er den Vorfall geklärt hatte. Als ob Ren darauf auch nur irgend eine Antwort wüsste!

"Und?" Rens Stimme klang genervt, aber es fiel ihm schwer, das Beben darin zu unterdrücken. Er wollte nicht daran denken, was er beinahe getan hatte. Was er beinahe wieder getan hatte. Wie so oft zuvor in seinem Leben.

Killermaschine.

"Warum hast du so reagiert, Ren?" Yohs Stimme war wieder so sanft, es machte den jungen Chinesen fast wahnsinnig. Wie viel einfacher wäre ein Streitgespräch, wenn Yoh nicht so verdammt nett klingen würde! Ren wusste aber, dass er keine Chance auf Wut oder Zorn hatte, als er leicht seinen Kopf drehte und in ein liebevoll lächelndes Gesicht blickte. Dunkle Augen sahen ihn traurig, aber auch verständnisvoll an.

"Was war plötzlich los, Ren?"

Der junge Chinese seufzte und ließ seine Schultern hängen.

"Ich weiß es nicht, Yoh-kun. Er hat so schlecht über meine Schwester geredet..."

"Aber er hat nicht sie gemeint. Er wusste gar nicht, dass du das Rezept von ihr hast. Er wollte dich einfach nur mit seinem Verhalten ärgern, das ist alles."

Ren schluckte hart und ballte seine Fäuste noch fester in seinen Hosentaschen.

"... ich hätte ihn beinahe umgebracht..." flüsterte er tonlos und schluckte hart. Ren spürte, wie sein ganzer Körper zu zittern begann, aber er konnte nichts dagegen unternehmen. So wie er vor nicht einmal einer Stunde nichts gegen die Mordlust hatte unternehmen können, die plötzlich von seinem Geist Besitz ergriff und ihn beinahe einen von seinen Freunden hatte töten lassen.

Freunde?

Na, jetzt sicher nicht mehr!

Stille entstand zwischen ihnen, die nur von dem leisen Donnern eines fernen Zuges unterbrochen wurde. Ren erwartete, dass Yoh ihn nach diesem Geständnis angeekelt in Ruhe lassen würde, aber der junge Japaner verstärkte nur seinen Griff.

"Du hast Horo Horo aber nicht getötet." antwortete Yoh ebenso leise.

"Weil du da warst und es verhindert hast."

"Dann werde ich immer da sein."

Ein Vogel brach aus dem nahen Geäst, Wind pfiff kalt über die verlassene Strasse, wirbelte totes Laub auf. Ren glaubte erst, sich verhört zu haben. Seine gelben Augen weiteten sich, als er den Sinn des Satzes verstand.

"Das... das..." Nicht zum ersten Mal an diesem Abend fehlten dem jungen Chinesen die Worte. Zweifelnd starrte er Yoh an, aber dessen Mimik war zu ernst, er stand zu seiner Aussage.

"Ich habe dir vor einem Jahr gesagt, dass ich an dich glaube, und das tu ich heute immer noch, Ren. Als ich deinen Vater kennen lernte, ahnte ich schon, dass es nicht einfach werden würde. Auch hat mir Jun-kun so einiges über dich erzählt, weil sie wollte, dass ich weiß, wen ich manchmal bei mir zu Hause beherberge." Yoh lächelte leicht, obwohl seine Augen ernst blieben. "Sie nannte dich die seltsamsten Namen, redete von irgendeinem dummen Fürstenquatsch. Aber für mich bist du nicht >der große Erbe der Tao Dynastie<, Ren. Für mich bist du Tao Ren, ein verdammt guter Freund."

Ren blickte ihn befremdlich an und wollte seinen Ohren nicht trauen. Er hatte gerade versucht, Horo Horo umzubringen. Er hatte Yoh mit seiner Sense ernsthaft verletzen wollen. Er war keinen Deut besser als dieser Schurke Hao!

Und dennoch... dennoch hatte Yoh ihn gerade einen guten Freund genannt...

"Ich glaube nicht nur an dich, Ren, ich weiß, dass du mehr bist als dieser dumme Titel, den dein Vater dir aufzwingen wollte." Yoh hob seine freie Hand und fuhr sanft über Rens Wange. Der junge Chinese war viel zu verwundert, um irgendwie zu reagieren, um zurück zu zucken. Erst später wurde ihm bewusst, dass Yoh eine Träne fortgewischt hatte.

"Ich gebe dich nicht auf, Ren, hörst du? Egal, was für Mist du in Zukunft auch bauen wirst. Dann werde ich eben einfach da sein und diesen Mist verhindern!"

Ren schluckte sichtbar, dann schüttelte er leicht seinen Kopf, ohne aber die Hand fortzujagen, die so wunderbar wärmend auf seiner eisigen Haut lag.

"Du... kannst doch nicht..."

"Ach, ich bin mittlerweile Schamane, Schüler, verhinderter Koch, Putze und Verlobter. Warum soll ich dann nicht auch noch ein Babysitter für chinesische Erben sein?"

Für diesen Satz hätte Ren Yoh vor einem Jahr noch getötet, heute kämpfte er lediglich gegen seine Tränen an.

Als Ren nicht reagierte, grinste Yoh sein typisches >Yoh-Grinsen< und ließ die Schulter des jungen Chinesen los, um ihm freundschaftlich auf die Schulter zu klopfen.

"Komm, lass uns zurück gehen."

"Und Horo Horo?"

"Er wird's schon überstehen. Mach dich aber darauf gefasst, dass du innerhalb der nächsten Tage mehr als nur einmal mit Schnee eingeseift wirst." Yoh verschränkte seine Arme hinter seinem Kopf und lief langsam voraus. "Und ich glaube, dass du Annas Geschirr ersetzen musst. Wird dich teuer zu stehen kommen, sie wollte das nächste Mal nämlich echtes Porzellan haben."

Ren holte zitternd Luft. Das Porzellan interessierte ihn herzlich wenig. Er lebte normalerweise in einem Palast, Geld spielte für ihn keine Rolle. Wenn Anna als Wiedergutmachung Teller aus purem Gold wollte, so würde er sie für die junge Japanerin ohne zu zögern kaufen. Was war aber, wenn sie ihn nur mit einem eisigen Blick strafte und nie mehr mit ihm sprechen würde? Was war, wenn ihn alle nun nur noch auf Yohs Bitte hin duldeten? Was war, wenn ihn alle hassen würden?

Obwohl er wusste, dass er es nicht anders verdient hatte, so würde er es nicht ertragen, wieder der Außenseiter zu sein, vor dem sich jeder fürchtete, den jeder verabscheute. Der Außenseiter, den er sein ganzes Leben gewesen war, bis er vor einem Jahr Yoh kennen lernte.

"... und morgen gehen wir ins Kino und danach zu McDoof, da brauchen wir nicht zu kochen...." plapperte Yoh fröhlich weiter, als wäre nichts geschehen. Amidamaru materialisierte sich aus seiner Totentafel und wachte über seinen Herrn. So wie Yoh wohl von nun an über Ren wachen würde.

"... obwohl ich noch nicht weiß, was ich probieren soll..."

Ren seufzte leise, dann folgte er dem jungen Japaner.
 

***
 

Horo Horo hielt seine Augen geschlossen, aber er schlief nicht. Das verrieten seine Hände, die an dem kühlenden Umschlag um seinen Hals nestelten und hier und da das Eis ein wenig auffüllten. Kororo saß auf seinem Kopfkissen und starrte Ren ängstlich an, als dieser das Zimmer betrat, das sie sich die kommenden Nächte teilen würden. Anna hatte neben Horo Horos Futon noch einen dritten herein gelegt. Vermutlich war sie auch der Ansicht, dass es klüger war, wenn Yoh bei ihnen blieb. Manta war in der Zwischenzeit nach Hause gegangen, würde aber bestimmt im Morgengrauen wieder da sein. Mit frischen Brötchen, wie Yoh hoffend verkündete. Ren fühlte sich jedoch mit dem Gedanken an Essen noch elender, obwohl dies kaum mehr möglich war.

"Horo-kun?"

Unsicher blieb er vor dem Futon stehen und verzog sein Gesicht, als er die blauen Flecken sah, die sich auf Horo Horos Haut unter dem Umschlag abzeichneten. Die hatten exakt die Form seiner Finger.

"Verpiss dich!" krächzte der junge Ainu und drehte ihm den Rücken zu.

"Ich..."

"Da Yoh-kun dir immer noch vertraut, werd ich dich wohl weiterhin ertragen müssen. Das heißt aber noch lange nicht, dass ich deswegen auch mit dir reden muss." Horo Horo holte röchelnd Luft und hustete. Anna hatte zwar Recht und die Schwellung nahm ab, dennoch fühlte er sich elend. "Also halt deine Klappe und verpiss dich."

"Es tut mir leid, Horo-kun."

Rens Stimme war leise und er biss hart seine Zähne aufeinander, als Horo Horo nur ein undefinierbares Geräusch machte und sich die Decke über den Kopf zog. Kororo kroch neben ihm unter den weichen Stoff und ignorierte den jungen Chinesen ebenfalls komplett.

Gut, er hat mich nicht rausgeworfen.

Obwohl Ren ein wütender Horo Horo lieber gewesen wäre, dann würde er sich vielleicht nicht mehr ganz so schlecht fühlen.

Schlecht fühlen? Du bist schlecht!

Ren schleppte sich auf seinen Futon, die eindringlichen Blicke Basons nicht wahrnehmend. Das letzte, was er jetzt wollte, war, mit einem toten chinesischen Krieger zu sprechen, der ihn sowieso nicht verstehen konnte.

Müde schlüpfte er unter seine Decke und schloss seine brennenden Augen. All die Freude, die er noch vor vierundzwanzig Stunden empfunden hatte, als Yoh und Anna ihn so lieb aufgenommen hatte, war verflogen. An ihre Stelle war ein unbändiger Hass auf sich selbst getreten. Nur einen Tag war er hier - und hatte bereits alles versaut!

Ach, Jun, was würdest du wohl denken?

In Gedanken an seine Schwester fiel er in einen traumlosen Schlaf.
 

***
 

Ich werde ihn in einen Eisblock verwandeln!

Horo Horo richtete sich langsam auf und kroch über die kalten Dielen, die leise unter ihm knarrten. Kurz verharrte er, aber die anderen Gestalten bewegten sich nicht unter ihren warmen Decken, schliefen weiter den Schlaf der Gerechten.

Ich werde aus ihm einen Schneemann machen! Hoffentlich erfrieren seine verdammten Füße und tun ihm genauso weh, wie mein Hals!

Der junge Ainu verharrte vor dem Futon und betrachtete seinen größten Feind im Licht des Mondes, der ab und an durch die Wolken und somit auch durch das Fenster schien. Rens Augen waren geschlossen, seine Atmung regelmäßig. Ganz offensichtlich schlief er tief und fest.

Ich werde dir ein für alle Mal zeigen, was es heißt, sich mit mir anzulegen!

Horo Horo hob seine Hände und rasch füllten sich diese mit Schnee. Ja, er würde ihn unter einer großen Lawine begraben, aus der ihn nicht einmal der beste Bernhardiner würde wieder befreien können!

In dem Augenblick richtete sich Ren auf. Der junge Ainu sprang erschrocken einen Schritt zur Seite, aber der erwartete Angriff blieb aus. Statt dessen gähnte der junge Chinese nur und wühlte, ohne dabei die Augen zu öffnen, unter seinem Kopfkissen umher. Ein zufriedenes Lächeln erschien auf seinem Gesicht, als der das gesuchte Objekt fand. Mit einem weiteren Gähnen legte er sich zurück auf den Futon und schlief weiter.

Und der beschwert sich, dass ich im Schlaf rede!

Horo Horo schlich auf Zehenspitzen wieder näher an seinen Erzfeind heran und wischte sich die vom geschmolzenen Eis nassen Hände an der Pyjamahose ab. Dann konzentrierte er sich, um erneut einen Schneeball zu erschaffen, der jedoch wirkungslos auf seine Füße fiel, als er das Objekt sah, das der junge Chinese nun in seinen Armen hielt.

Nani?

Der junge Ainu kniff seine Augen zusammen, aber die braunen Wuschelöhrchen verschwanden nicht. Genauso wenig, wie das kuschelige Gesicht mit zwei riesigen Knopfaugen.

Moment!

Horo Horo beugte sich über Ren, den mächtigen Erben der uralten Tao Dynastie, und zog vorsichtig an den Ohren. Der junge Chinese gab ein wenig nach und plötzlich hielt der junge Ainu einen Teddybären in der Hand, der schon viele Jahre auf den Buckel zu haben schien. Anstrengende Jahre, denn er war schon mehrfach genäht wurden. Besonders oft schien der Kopf an den restlichen Rumpf angenäht worden zu sein, denn er wackelte leicht, als Horo Horo das Stofftier in seinen Händen hin und her drehte. Aber es veränderte sich nicht im fahlen Licht des Mondes.

Ein Kuscheltier?

Eine Killermaschine hat ein Kuscheltier?

Horo Horo machte ein Gesicht, als würde er gleich in Tränen und in hysterisches Lachen zugleich ausbrechen, während er den Teddy kurz an sich drückte. Es war eine schutzsuchende Geste.

Das glaubt mir niemand!

Erst wollte er sich umdrehen und seinen Photoapparat herauskramen, den Ren beinahe zerstört hatte, als er ihn in der Küche mit einer Schürze erwischte und photographierte, dann entschied er sich jedoch anders. Vorsichtig legte er den Teddy wieder zurück auf das Kopfkissen. Gerade noch rechtzeitig, denn sein Besitzer schien den Verlust bemerkt zu haben. Erneut tasteten Rens Finger suchend umher und mit einem wohligen Seufzer schloss der junge Chinese das Stofftier in seine Arme und kuschelte sich ganz fest an ihn.

Er sieht beinahe aus wie ein kleiner Junge...

Horo Horo griff sich an den schmerzenden Hals, sah erneut die gelben Augen, die ihn so hasserfüllt angestarrt hatten. Es gelang ihm jedoch nicht, das Bild von dem Jungen, der ihn beinahe erwürgt hatte, mit dem des schlafenden Jungen vor sich in Einklang zu bringen.

Das ist doch total bescheuert! Warum führt er sich in dem einen Moment so auf, dass man ihn am liebsten im ewigen Eis einsperren will, und sieht im nächsten so unschuldig aus, dass man ihm statt dessen ein Schokoladeneis spendieren möchte?

Das ergibt doch überhaupt keinen Sinn!

Horo Horo schüttelte hilflos seinen Kopf und kroch zurück zu seinem Futon. Er versuchte sich einzureden, dass er nur den Teddy verschonen wollte, Ren würde er dann morgen mit Schnee überschütten - oder ihn mit dem Wissen um sein Stofftier bloß stellen! Vor allen Leuten! Vor der ganzen Welt! Vor dem ganzen Universum! Und das wäre noch nett!

Wie auch immer, Yoh vertraut ihm, also werde ich ihn erdulden müssen.

Horo Horo seufzte tief und vergrub sich tief in seine Decken. Kororo kuschelte sich sofort an seine Schulter und schnarchte leise in sein Ohr.

Erdulden. Er wollte seine Freunde nicht erdulden! Aber er wusste auch nicht, wie er jemanden einen Freund nennen sollte, der seine Kontrolle verlor und ihn zu erwürgen versuchte!

Ren ist ein Rätsel, das ich wohl niemals lösen werde...

Auf der anderen Seite des Zimmers schob sich Asakura Yoh die Kopfhörer wieder über die Ohren, um seiner fröhlichen Musik zu lauschen. Er lächelte zufrieden.
 

***
 

Helles Sonnenlicht durchflutete einen sonst eher düsteren Raum. Die Vorhänge waren aufgezogen worden, boten einen ungehinderten Blick auf die hohen Berge. In dem Zimmer stand nicht viel: Nur ein großes Bett und ein kleiner Tisch. Auf diesem Tisch befand sich ein kleines Gefäß mit heller Flüssigkeit. Flüssigkeit, die soeben von geschickten Händen in eine Spritze umgefüllt wurde.

"Seid Ihr Euch wirklich sicher? Noch wäre genug Zeit, um ihn zu Euch zu holen." Blaue Augen sahen fragend zu der Gestalt, die in dem Bett unter dünnen, leichten Decken lag und leise, ach so leise atmete. Tiefe Augenringe verrieten, dass sie in den letzten Nächten wenig geschlafen hatte, obwohl sie sehr erschöpft war.

"Ja." Flüsterte die junge Frau und versuchte sich aufzurichten. Sofort war ein mächtiger Schatten zu ihrer Seite und half ihr, richtete das Kissen in ihrem Rücken. "Es ist besser so. Ich will nicht, dass er mich so sieht."

Der junge Mann verharrte in Gedanken, schien zu überlegen. Dann blickte er hinüber zu der Krankenschwester, die gerade frisch aufgekochtes Wasser zur Tür hinein trug und nickte schließlich.

"Wenn dies Euer Wunsch ist, Tao-san, so soll es heute so sein. Aber Ihr werdet mich verstehen, dass ich jeden Tag fragen muss, immerhin bin ich Euer Arzt."

Sie nickte und streckte automatisch ihren linken Arm aus, als er an ihr Bett trat und die Spritze an ihre bleiche Haut setzte.

"Das wird jetzt ein wenig schmerzen."

"Macht nichts." Sie versuchte zu lächeln, es gelang ihr nicht wirklich. "An Schmerzen habe ich mich die letzten Wochen gewöhnt."

Der junge Mann runzelte seine Stirn, erwiderte jedoch nichts. Mit sanfter Professionalität spritzte er die Medizin in die Venen und rieb vorsichtig über die Einstichstelle, die leicht zu bluten begann. Erneut war der Schatten wieder an der Seite der jungen Frau, um ihr bei zu stehen in ihrer schwersten Stunde. Bis zum bitteren Ende.

Darüber war der Doktor froh. So recht konnte er die junge Frau nicht verstehen, warum sie ihre Familie belogen und fortgeschickt hatte, aber wenigstens würde sie nicht allein sein. Das war wichtig. Denn egal, was irgendwelche dummen Sprichwörter auch besagten, niemand sollte je allein sein, besonders nicht zu einer Zeit wie dieser.

"Ihr werdet für die nächsten Stunden schlafen können, Tao-san. Wenn etwas ist, dann lasst es mich wissen." Er stand auf und wandte sich direkt an den Schatten. "Ich bin im Nebenzimmer." Denn auch wenn der Doktor ein Schamane war, so brauchte er dennoch von Zeit zu Zeit ein wenig Ruhe.

Der Schatten nickte und der junge Mann drehte sich um, um zusammen mit seiner Krankenschwester den Raum zu verlassen.

"Faust?"

Er verharrte an der Tür, brachte es aber nicht über sich, sie noch einmal anzusehen.

"Ja?"

"Danke."

Nachdenklich starrte Dr. Faust VIII in den leeren Gang, nachdem er die Tür hinter sich ins Schloss gezogen hatte. Er wollte keinen Dank, hatte keinen verdient. Nicht, wenn er ihr nicht mehr helfen, ihre Schmerzen lediglich lindern konnte.
 

***



Fanfic-Anzeigeoptionen
Blättern mit der linken / rechten Pfeiltaste möglich
Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Schneizel
2007-07-15T10:36:13+00:00 15.07.2007 12:36
Geniales Kappi, ehrlich.
Rens Wutausbruch war vollkommen authentisch, und die Szene mit dem Teddyfand ich süß^^
Mir sind nur zwei Sachen aufgefallen:
1. Heißt Rens waffe nicht Hellebarde?
2. An einer Stelle nennt Yoh Jun "Jun-kun" - kun ist eine Anrede für Jungs >__<"
Ansonsten prima^^
Von:  elina
2004-12-09T19:03:42+00:00 09.12.2004 20:03
So, und nun ist das erste Kapitel deiner super toller ff auch vorbei! ^-^
Nein, ich bin wirklich froh, dass ich auf deine ff zugestoßen bin! *mal wieder dich lob* Jetzt kann ich das anime auch viel besser verstehen! *gestern noch eine Folge gesehn hat* Woh! Und ich halbe Stunde werde ich das nächste ansehen! Obwohl es eine englische Version ist, dazu noch russisch (was heißt, dass es gut wenn 2/3 übersetzt ist -.-') Ren ist da Len/Lenny gennnt und der Kerl, der Yoh ähnlich sieht - Zig oder so... Und Ren hatte seinen Onkel besiegt. Na ja, jetzt weiß ich ja wie es richtig ist!

Was mir am besten gefallen hat - diese Szenen, wo Yoh, Ren, Horo-Horo, Anna sich streiten *noch immer laut lach* Doch am meisten gefällt mir dein Stil ernste Situationen zu zeigen, z.B. als Yoh mit Ren redete.
Ok, mach's gut! Danke für deine ens! ^^
Bis zum nächsten Mal!
Ely


Zurück