Veränderungen
8. Veränderungen
Langsam besserte sich das Wetter und das stürmische grau-grün wich einem grau-weißem Marmor-Ton. Hier und da brachen auch schon ein paar Sonnenstrahlen durch die Wokendecke. Jetzt konnte sie losfahren. Sie machte sich gerade fertig, als ihre Mutter nach Hause kam.
„Wo willst du denn hin, Sa-chan?“
„Ich muss zum Arzt und mir eine Bescheinigung für den Schwimmunterricht holen. Außerdem brauche ich ein paar neue Klamotten, ich krieg die meisten Hosen nicht mehr zu. Wann nimmt dieses stetige Zunehmen ein Ende?“
Es war wirklich ein Fehler gewesen mit dem Sport aufzuhören, egal um welche Sportart es sich dabei handelte. Aber das würde sich wieder einrenken sobald er wieder da war und sie nicht mehr die Einzige war, die auf dieses Kind aufpassen musste. Unpassender ging es nämlich wirklich nicht. Ausgerechnet jetzt musste er quer durch das Land reisen um seinem Traum nachzueifern. Zu Anfang war sie ja noch stolz auf ihn gewesen, das war sie eigentlich immer noch, aber hätte er nicht ein Jahr später aufbrechen können? Sie konnte so gut wie nie weg und wunderte sich wie sie ihre Mutter überhaupt noch zur Schule gehen ließ.
„Es tut kleinen Kindern nicht gut alleine gelassen zu werden. Du warst bis zum Alter von acht Jahren nie alleine zu Hause.“, pflegte sie immer dann zu sagen, wenn ihre Tochter sich mal wieder über die Last der Verpflichtung beschwerte. Während sie sich weiter über diesen und jenen Umstand in Gedanken aufregte, holte sie ihr Fahrrad, setzte sich drauf und fuhr los. Der Wind rauschte an ihren Ohren vorbei, blies ihr ins Gesicht und ließ ihre, nun nachtschwarzen, mit blauen Strähnchen durchzogenen Haare flattern. Ein herrliches Gefühl war das wieder unterwegs zu sein und ein bisschen die Freiheit der Stadt zu fühlen. Nein, man konnte die Großstadt nicht mit dem Land vergleichen, das war einfach unmöglich. Wie gerne würde sie zurück, aber das ging im Moment ja nicht. In ein paar Jahren würde es erst wieder soweit sein. Dann endlich würde sie wieder in den ausgefallensten Klamotten durch die Straßen gehen und es würde kaum auffallen. Und das war nur eins der vielen Dinge, die sie an der Stadt liebte. Ihre Gedanken schweiften in weite Ferne und blieben eine ganze Weile lang dort bis sie eine Siluette vor sich auf der Straße rumtorkeln sah. Ein Betrunkener um diese Uhrzeit? Sehr ungewöhnlich vor allem für diese Gegend. Sie kam näher und erkannte, dass die Haare dieses Mannes (inzwischen war sie sich sicher, dass die Person vor ihr männlich war) seltsam vom Kopf abstanden, teilweise sehr kurz, teilweise auch sehr lang waren und ein seltsames Gemisch von Farben hatten. Auf die Entfernung schienen es Braun, Rot und Schwarz zu sein. Seine Klamotten sahen auch relativ mitgenommen aus. Ein Obdachloser? Oder vielleicht sogar ein Punk? Wirklich sehr seltsam. Solche Leute hatte sie hier noch nicht gesehen und schließlich wohnte sie bereits ein Jahr in diesem Nest. In der Großstadt sah man so was ständig. Da war sie wieder bei diesem leidigen Thema angekommen. Aber jetzt musste sie erstmal an diesem komischen Typen vorbei. Klar, sie war zwar diejenige, die auf dem Fahrrad fuhr aber wer konnte schon wissen, was so jemand alles tun könnte? Während sie immer näher an ihn heran fuhr, schwankte er bedrohlich hin und her, so als wäre er ein Schiff auf hoher See, das seine Segel trotz heftigen Sturms gesetzt hatte. Sie war nur noch wenige Meter von ihm entfernt, als er sich umdrehte. Ihre Augen trafen sich, er schwankte ein letztes Mal und kippte dann zur Seite weg. Ihr entfuhr ein Aufschrei, sie bremste sehr abrupt ab, stieg von ihrem Fahrrad, ließ es ins Gras fallen und rannte zu dem Unbekannten. Er war völlig mitgenommen. Seine eigentlich braunen Haare sahen nur deshalb schwarz aus und waren so kurz, weil sie angesengt waren und das Rot stammt e von einer klaffenden Wunde auf seiner Stirn – das Blut trocknete nur langsam also musste die Wunde ziemlich frisch sein. Seine Kleidung war dreckig, teils zerfetzt und obwohl er einen mehr als bemitleidenswerten, sogar fürchterlichen Anblick bot, konnte sie nicht umhin zu bemerken, dass er gut aussah, dass er unwahrscheinlich gut aussah. Doch sie musste sich erstmal darum kümmern, dass er wieder zu Bewusstsein kam, denn dass war er eindeutig nicht.
„Hallo? Können Sie mich hören?“, fragte sie, als sie a ihm rüttelte. „Bitte wachen Sie auf!“
Als hätte er ihre Worte verstanden, öffnete er seine Augen einen Spalt breit, sah sie an, murmelte ihr unverständliche Worte.
„Ich verstehe Sie nicht, was wollten Sie sagen?“, sagte sie und beugte sich noch weiter zu ihm hinunter um ihn besser verstehen zu können. Und tatsächlich – sie verstand nur wenig aber ... Dass konnte nicht sein ... Hatte er gerade wirklich etwas geflüstert, dass sich wie „Sa-chan“ angehört hat? Sie starrte ihn einfach nur an. Seine Augen schlossen sich erneut und er verlor wieder das Bewusstsein – diesmal endgültig.
„Oh verdammt, nun wach doch wieder auf!“, flehte sie verzweifelt und ließ dabei jede Höflichkeit außer Acht. „Komm schon, ich kann dich doch nicht tragen! Wenn du nur nicht so gut aussehen würdest, hätte ich einen klaren Kopf ...“
Das letzte hatte sie viel mehr zu sich selbst als zu ihm gesagt. Tatsächlich wusste sie nicht, was sie tun sollte. Sie konnte ihn nicht hier zurücklassen und auf der Landstraße war weit und breit niemand zu sehen. Wie zum Teufel sollte sie denn jetzt Hilfe holen? Ihr Handy! Wozu hatte sie das Ding sonst, wenn nicht für Notfälle? Schnell kramte sie es aus ihrem Rucksack heraus und wählte die Notrufnummer.
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Und wieder lief sie alleine durch die Straßen dieser, ihr größtenteils noch unbekannten Stadt. Der Himmel war klar, die Sonne schien freudig auf die Menschen herab und erkündete, dass dies ein wunderbarer Junitag werden würde. Sie teilte diese Freude nut zum Teil. Natürlich war es ein schöner Tag aber das Geschehene nahm sie doch immer noch sehr mit. An dem Tag vor einem Monat , als sie eigentlich mit all ihren Freunden am Hauptbahnhof von Tokyo auf Tai warten sollte, saß sie im Wagen und fuhr hierher – nach Nagasaki. An jenem Tag entgleiste der Zug, in dem Tai saß, anschließend fuhr noch ein entgegenfahrender Güterzug hinein. Es war ein großes Unglück, bei dem es viele Verletzte und mehrere Tote gab. Einige Insassen wurden immer noch vermisst – so auch Tai. Natürlich wurde nach ihm und den anderen gesucht – bis jetzt ohne Erfolg. Zu Beginn hatten die Medien im großen Stil darüber berichtet, jetzt musste sie schon nach neuen Informationen suchen um zu erfahren wie es um zu erfahren wie es um die Vermissten stand. Als sie von Kari von diesem Unglück erfahren hatte, war sie geschockt und die nächsten Tage kaum ansprechbar gewesen. Jetzt hatte sich das Ganze etwas gelegt, irgendetwas gab ihr das Gefühl, dass Tai lebte. Vielleicht hatte sie durch das Baby eine engere Verbindung zu ihm. Sie wusste es nicht, aber sie hoffte sehnlichst dass dieses Gefühl sie nicht täuschte. Außerdem durfte sie sich keinen Stress machen, das durfte sie ihrem Baby nicht antun. Es war gar nicht mal so wichtig, dass der Stress ihr schadete, für das Kind war das noch viel schlimmer. Für ihr gemeinsames Kind war es schlimmer. Das war so ziemlich das Einzige, an was sie denken konnte und es war entschieden besser als sich immer Sorgen um Tai zu machen und sich die schrecklichsten Dinge auszumalen. Sie war sowieso schon immer ein eher optimistischer Mensch gewesen und versuchte den Dingen immer etwas positives abzugewinnen. So wollte sie auch bleiben – das Bestmögliche aus einer Situation heraus holen. Und das, was sie im Moment tat, war nichts anderes als diese Ablenkungsmethode. Sie tat genau das, was Frauen immer tun, wenn sie feststellen, das sich ihre Figur verändert: Shoppen gehen! Und im sechsten Monat reichte es einfach nicht mehr, sich bloß Hosen zu kaufen, die zwei Nummern größer waren, nein – jetzt musste Umstandskleidung her. Als sie noch in Tokyo war hatte sie sich insgeheim sehr auf diesen Teil ihrer Schwangerschaft gefreut, schon wesentlich früher war ihr eine Hand voll kleiner Läden mit eben jener Ausstattung gefunden. Aber jetzt hatte sie ja viel Zeit um sich darum zu kümmern.
Er lag nun schon eine Weile lang in diesem Bett. Weich war es. Weich und warm. Das war es schon immer gewesen. Solange er denken konnte war es so. Doch wie lange konnte er schon denken? Er wusste es nicht. Fünf Jahre? Fünfzehn? Oder vielleicht sogar Fünfzig? Er wusste es nicht. Er spürte nur wenig und immer wieder das Selbe. Er konnte nichts an seinem Körper bewegen. Gar nichts. Er konnte seine Augen nicht einmal einen Spaltbreit öffnen. Er wusste nicht warum. Sein Körper schien in einer Art Dauerschlaf zu sein und nur sein Bewusstsein war in der Lang hin und wieder aus diesem Zustand zu entfliehen. Wenigstens hörte er etwas. Aber nur selten und meistens auch nichts sinnvolles. Die Leute um ihn herum schienen Ärzte und Schwestern zu sein. Aber er wusste es nicht. Er lag wohl im Koma. Seltsam. Müsste er dann nicht überhaupt nichts wahrnehmen? Er verstand es nicht und konnte auch niemanden fragen, da ihm alle Möglichkeiten zu kommunizieren genommen waren. Aber da war jemand anders. Ein Mädchen. Sie schien oft hier zu sein, hier bei ihm. Dann redete sie mit ihm. Fragte ihn nach seiner Meinung, erzählte von ihrem Leben und ihren Problemen. Sie war so oft da und sprach so unbefangen mit ihm, als ob er wach wäre und sie sich schon lange kennen würden. Aber kannten sie sich? Er wusste es nicht. Ihre Stimme war ihm so vollkommen fremd – so wie alles was er wahrnehmen und woran er sich erinnern konnte ...
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Hey Leute!! *winks*
Jetzt bin ich auch mit dem achten Kapitel fertig und würde sagen, dass das jetzt so ca. 2/3 der gesamten Story sind ... Aber nehmt das nicht genau, wer weiß was mein Hirn als nächstes fabriziert ...
In diesem Kapitel taucht das erste Mal eine Art „neue Handhabung der Zeit“ auf. Sonst hab ich die Zeitsprünge in den Ereignissen immer zwischen den Kapiteln gesetzt – jetzt ist der Sprung mitten drin. Ich hab ihn durch die fünf Minuse gekennzeichnet [- - - - -]. Das wird im nächsten Kapi noch mal vorkommen, viel weiter bin ich noch nicht mit der Planung. Also bitte nicht wundern, ich hab da nichts durcheinander gebracht!! ^.~
Hoffe auf ein paar Kommis ... *liebguck*
See ya Redny