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Die Kronen des Kriegers

Die Vorgeschichte zu den Ereignissen in der Zeit der Echidna
von

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Der letzte Abend

Am westlichsten Ende der Stadt führte eine gewundene Treppe an einem Hügelhang empor. Die Treppe bestand aus einfachem grauen Stein, und oben war ein kleines Plateau, auf dem ein kleiner Schrein stand. Er bestand nur aus sieben Säulen auf einer siebeneckigen Grundfläche, die ein ebenfalls siebeneckiges Dach stützten, und einem Mosaik auf der hintersten Wand des Schreins, das etwa einen halben Meter hoch und einen Meter breit war und damit etwa auf Kopfhöhe die gesamte Wandbreite bedeckte. Es zeigte ein igelähnliches Wesen, das strahlte und funkelte, als wäre es aus Kristall, vor einem Hintergrund aus Gewitterwolken.

Nachdenklich stand Selina vor diesem Mosaik und betrachtete es, während sie mit ihren Gedanken ganz woanders war. Sie kam oft hierher, einfach wegen der Ruhe dieses Ortes. Man hatte einen wunderschönen Blick auf den Sonnenuntergang über der rauen Gegend im Westen, wo dünne Wälder und felsige Hügelhänge sich am Fuße einer hohen Felswand abwechselten abwechselten, oder konnte morgens die Sonne auf der anderen Seite der Stadt aufgehen sehen. Beides hatte sie schon oft getan.

Sie hörte Schritte auf der Treppe, die auf das Plateau heraufführte und die durch die Stille, die hier oben abgesehen von einige zirpenden Grillen in den Büschen auf dem Plateau herrschte, weithin hörbar waren. Sie warf einen Blick über die Schulter und erkannte Huascar, der eine kleine Stoffrolle in einer Hand hielt.

Ihr Ausbilder kam zu ihr hinüber und lächelte. "Ich hatte noch keine Gelegenheit, dir zu gratulieren", sagte er. "Du hast wirklich großartig gekämpft."

"Dank Eurer Hilfe", erwiderte Selina und blickte verlegen zu Boden. "Ohne Eure Ausbildung hätte ich es nie soweit gebracht."

Huascar zuckte mit den Schultern, ging aber nicht näher darauf ein. "Zögerst du immer noch, die Echidna zu verlassen und dir neue Herausforderungen zu suchen?", fragte er statt dessen. Selina hob überrascht den Kopf, sagte aber nichts, was Huascar mit einem Kopfschütteln quittierte. "Du hast heute besser gekämpft als so manche Soldaten mit viel mehr Erfahrung als du", sagte er, "und du hast noch Potenzial, aber hier bei den Echidna kannst du nichts mehr dazulernen. Worauf wartest du?"

"Ich... weiß es auch nicht", murmelte Selina und blickte ihren Ausbilder direkt an. "Ich habe Angst vor diesem Schritt, aber diese Angst wird durch Aussitzen auch nicht verschwinden. Und", sie schwieg kurz, als schäme sie sich, das einzugestehen, "und ich habe Angst um Malinche. Sie ist gerade erst dreizehn... und irgendetwas an diesen Verhandlungen kommt mir sehr seltsam vor."

Huascar nickte. "Wenn es dich beruhigt", meinte er, "Aztic hat sich der Delegation angeschlossen und wird ein Auge auf deine Schwester haben."

Selina war zwar überrascht, aber auch erleichtert. Auf Aztic war Verlass.

"Und was deine Bedenken zu den Verhandlungen angeht", ergänzte der alte Krieger und wurde plötzlich viel ernster, "mir geht es genauso wie dir."

Jetzt konnte Selina ihre Überraschung nicht mehr verbergen und blickte Huascar mir unverhohlenem Staunen an.

"Ich weiß, dass das Turnier nicht als Feier zum Abschied geplant war", begann Huascar zu erklären. "Es diente vorrangig dazu, um die Igel vom Gedanken, Krieg gegen die Echidna zu führen, abzuschrecken. Diesen Zweck hat es vielleicht erreicht - aber warum ist eine solche Abschreckung überhaupt nötig, wenn doch beide Seiten Frieden wollen? Vielleicht, weil eine Seite gar nicht am Frieden interessiert ist... oder?"

"Was wollt Ihr damit sagen?", fragte Selina. "Dass die Igel geplant haben, uns anzugreifen, und der König sie so abschrecken will?"

"Wohl kaum", schnaubte Huascar. "Ich denke eher, dass der König sie abschrecken will, um sie, falls wir sie angreifen, vom Gedanken an Widerstand abzubringen. Denn falls sie sich auf ihrem Land wehren würden, hätten wir keine Chance gegen sie. Sie kennen Orte, die sich für Hinterhalte eignen, sie kennen mögliche Schlachtfelder, wichtige strategische Punkte - selbst Atahualpa könnte gegen sie mit all seinem strategischen Können nicht bestehen. Wir würden uns schnell zurückziehen müssen, und eine Armee, die sich zurückzieht, ist leicht zu schlagen - sie könnten uns in den Rücken fallen und uns schlagen, dann auch auf unserem Gebiet. Um das zu vermeiden und die Moral der Igel zu untergraben, hat das Turnier heute stattgefunden, zu keinem anderen Zweck."

"Und was hat das mit unseren Gesandten zu tun?", bohrte Selina nach.

"Die müssen entweder den Schein des Friedens aufrecht erhalten, was zu ihrer sicheren Gefangennahme führen würde, oder abziehen, was die Igel warnen würde", antwortete Huascar düster. "Du hast also durchaus Recht, wenn du irgendetwas spürst, was dich stört."

Selina furchte die Stirn. "Schön und gut", meinte sie, "aber was, wenn die Igel wirklich Feindseligkeiten gegen uns planen?"

"Dann hat das Turnier fürs erste zu ihrer Abschreckung geführt, aber dann würden sie unsere Unterhändler vermutlich gefangen nehmen, sobald sie sich bereit glauben, und als Geiseln gegen uns einsetzen, wenn unser Heer auszieht, um sie zu befreien", murmelte Huascar. "Das läuft auf das gleiche hinaus. Auf jeden Fall ist diese Verhandlung ziemlich gefährlich, für alle Beteiligten. Der kleinste Fehler kann schwerwiegende Folgen haben."

"Und Malinche führt unsere Gesandten", fügte Selina besorgt hinzu. "Weiß sie, worauf sie sich da eingelassen hat?"

"Mit Sicherheit", meinte Huascar. "Deine Schwester ist sehr schlau, und ich wüsste niemanden, der für dieses Unternehmen besser geeignet wäre. Ihr Verhandlungsgeschick ist beachtlich - man erzählt sich sogar, dass sie es geschafft habe, auf dem Markt einige Artikel zu einem Viertel des Originalpreises zu erhalten, nur durch Verhandeln." Er musste grinsen, als er das erzählte. "Mach dir mal um sie keine Sorgen. Sie wird schon darauf achten, dass sie nicht überrumpelt und als Geisel festgehalten wird - und wenn nicht sie, dann wird es Aztic tun.

Aber ich bin eigentlich nicht hier, um mit dir über Politik zu reden", sagte er plötzlich. "Eigentlich wollte ich dir etwas geben." Damit drückte er Selina die Stoffrolle in die Hand und blickte sie direkt an. "Bei mir kannst du nichts mehr lernen, wie du ja heute gesehen hast. Du hast für das hier mehr Verwendung als ich - vor allem, wenn du dich endlich dazu entschließen solltest, neue Herausforderungen zu suchen." Er wartete Selinas Antwort gar nicht erst ab, sondern drehte sich um und ging die Treppe hinab.

Verwirrt und verunsichert blickte Selina ihrem alten Meister nach. Auch er hatte also das Gefühl, dass an diesen Verhandlungen irgendetwas faul war... aber das verunsicherte sie nur noch mehr, wenn sie an die Gefahr für ihre kleine Schwester dachte. Auch wenn sie selbst erst fünfzehn war, wünschte sie für einen Moment, Malinche zu begleiten und sie zu beschützen, obwohl sie sie bei den Verhandlungen sowieso nicht unterstützen konnte und sie bei Aztic in allerbesten Händen sein würde

Ihr Blick fiel auf die Stoffrolle, die ihr Huascar in die Hand gedrückt hatte. Sie war ungewöhnlich schwer für eine einfache Stoffrolle, sodass sie sich fragte, was in ihr sein mochte, was Huascar ihr unbedingt unter vier Augen hatte geben wollen.

Nun, es gab einen einfachen Weg, das herauszufinden.

Sie zog an der Kordel, die die Stoffrolle in ihrer Form hielt. Die Schnur, die zu einer Schleife gebunden gewesen war, löste sich leicht, und Selina ließ sie durch ihre Finger gleiten, bevor sie sie festhielt. Sie war aus seltsam feinen Fäden gedreht, und die dunkelrote Farbe wurde hier und da von einem Goldfaden unterbrochen. Allein dieses Band war sehr wertvoll, wie Selina sofort erkannte. Was mochte da in der Rolle drinstecken?

Vorsichtig entrollte Selina die Stoffrolle. Lage um Lage des Stoffes ließ sie abrollen, Lage um Lage des Stoffes legte sich auf den Boden, bis Selina schließlich sah, was die Rolle enthalten hatte und vor Überraschung und Erstaunen den Atem anhielt.

In ihrer Hand hielt sie zwei Messerscheiden aus rotem Holz, die kunstvoll mit dünnen Goldlinien verziert waren und glänzten, als wären sie soeben frisch hergestellt worden. Das dünne Seil, an dem diese Messerscheiden befestigt wurden, hielt sie vermutlich gerade in der anderen Hand. Von der Farbe und der Verzierung passte es jedenfalls zusammen. Die Griffe, die zu sehen waren, waren mit Leder umwickelt, das vermutlich einst rot gewesen war, sich aber im Lauf der Zeit fast schwarz verfärbt hatte. Vorsichtig zog Selina eine der Waffen und lauschte andächtig auf das kaum wahrnehmbare Kratzen des Metalls auf dem Holz. Das Messer selbst war eine gerade, zweischneidige Waffe, die etwa so lang war wie einer ihrer Unterarme und im Licht der untergehenden Sonne blitzte und funkelte. Beide Schneiden liefen geradezu unheimlich in einer Spitze zusammen, die selbst aus nächster Nähe nicht zu erkennen war. Probeweise spreizte Selina den Daumen der Hand ab, mit der sie die Scheiden hielt, und setzte das Messer an - aber sie brauchte nicht einmal bewusst zu schneiden. Schon beim Ansetzen schnitt das Messer durch ihre Haut, als sei sie gar nicht vorhanden, und ließ an ihrem Finger ein dünnes Blutrinnsal hinablaufen.

Und das zweite Messer war bestimmt genauso beschaffen.

Selina musste schlucken. Diese Waffen waren ganz sicher ein Vermögen wert. Sie waren sogar noch ein wenig leichter als die hölzernen Übungswaffen, aber so scharf und spitz, dass die kleinste Berührung verletzte. Echidnaschmiede brachten so ein Meisterwerk gar nicht fertig - die Messer, die sie in der Stadt gesehen hatte, waren alle deutlich plumper, unförmiger, schwerer und auch bei weitem nicht so scharf gewesen. Nein... diese Messer mussten aus der Schmiede der Chamäleons stammen, jener Wesen, deren Existenz nicht einmal gesichert war, denen man aber nachsagte, dass sie die schärfsten und gefährlichsten Waffen der Welt herstellten.

Und obwohl Huascar sie oftmals benutzt haben musste, wie das angelaufene Leder am Griff bewies, waren diese Waffen immer noch so gefährlich wie damals, als sie gerade erst geschmiedet worden waren. Nicht eine Scharte war zu sehen, kein noch so kleiner Rostfleck verdeckte das makellose Blitzen der Klinge. Diese Waffe war schön, so schön, wie Selina noch keine Waffe gesehen hatte... und unglaublich gefährlich.

Huascar musste wirklich verrückt sein, dachte sie, als sie die dünne Kordel durch die dafür vorgesehenen Schlaufen zog und sie sich um die Hüfte band, sodass sie beide Messer mit beiden Händen erreichen konnte. Er hätte mit dem Verkauf dieser Messer der reichste Mann der Stadt werden können - aber statt dessen verschenkte er diese Schätze einfach an seine Schülerin. Es war zwar Brauch, dass Ausbilder ihren Schülern, wenn sie glaubten, dass sie ihnen nichts mehr beibringen konnten, ihre ersten Waffen schenkten als Zeichen ihrer Reife, aber solche Waffen hätte sie niemals erwartet.

Sie wandte den Blick zur untergehenden Sonne, die jetzt, bevor sie endgültig verschwinden und die Nacht hereinbrechen lassen würde, den Himmel blutrot färbte, und eine einzige Träne der Wehmut lief ihr aus dem Auge, aber sie achtete nicht darauf, sondern genoss die Ruhe dieses Momentes an ihrem Lieblingsort. Vermutlich, dachte sie, würde sie ihn nicht allzu bald wiedersehen. Jetzt, mit diesen Waffen, konnte sie unmöglich noch länger zögern. Jetzt gab es wirklich keinen Grund mehr für sie, noch länger im Reich der Echidna zu bleiben. Sie würde gehen, würde die Echidna verlassen und sich die Welt draußen ansehen. Hier konnte sie jedenfalls nichts mehr lernen.
 

Doch obwohl sie diesen Entschluss gefasst hatte, obwohl sie sich eigentlich ganz sicher war, so ging ihr doch etwas nicht aus dem Kopf, als sie die Treppe vom Aussichtspunkt wieder hinabstieg und sich durch die Straßen, die jetzt, zur Abendessenszeit, wie leergefegt waren, nach Hause begab. Sie machte sich immer noch Sorgen um ihre kleine Schwester. Auch wenn Malinche wusste, worauf sie sich da eingelassen hatte - und sie wusste es, dessen war Selina sich ganz sicher - so war es immer noch ein unverhältnismäßig gefährlicher Auftrag für eine Dreizehnjährige. Sie musste unbedingt mit ihr darüber reden, dachte sie, als sie den Platz vor dem Palast überquerte. Die Tribüne war bereits wieder abgebaut worden, und der große Platz war jetzt wie ausgestorben. Unter den Palmen, die um den Teich in der Mitte herumstanden, saß niemand, und außer ihr war niemand zu sehen.

Die breiten, von Palmen gesäumten Alleen, die am Palastgelände entlang führten und an denen sich, gegenüber des Palastgartens, auf der anderen Straßenseite, die Villen der Reichen und Einflussreichen befanden, waren ebenso ausgestorben. Aus den Häusern war lediglich hin und wieder das Klappern von Geschirr zu hören, typische Geräusche, die beim Essen nun einmal ständig entstanden.

Selina folgte der Prachtstraße aber nicht allzu weit, sondern blieb schon nach wenigen Häusern stehen, vor einem Haus, das sogar noch größer war als die Villen, die direkt daneben standen. An der Straße führte hinter einem hohen Metallzaun ein mit Kies gepflasterter Weg zwischen Blumenbeeten und einem großen Obst- und Gemüsegarten, der von den Dienern bestellt wurde, hindurch, zu einem einstöckigen Haus, das aus einem großen Raum und einigen kleineren Räumen, die immer direkt an den großen Raum angeschlossen waren, bestand. Der große Raum hatte in der Mitte ein kleines Wasserbecken, das nicht überdacht war, sodass der Raum tagsüber immer hell erleuchtet war. Die kleinen Räume waren zum großen Teil Schlafzimmer, sowohl für Selinas Eltern als auch für sie selbst und ihre Schwester sowie für die Diener, deren Zimmer etwas kleiner und mit mehr Personen belegt waren.

Selina schüttelte unwillkürlich den Kopf, als sie das Tor im Zaun öffnete und über den Weg zur Haustür ging. Wie sie diese erzwungene, vornehme Ruhe doch hasste, die hier in Palastnähe und inmitten eines Viertels voller träger, fauler und meistens alter Echidna zu herrschen hatte...
 

Als sie die Tür öffnete und den Innenraum betrat, richteten sich die Blicke der Anwesenden auf sie. Ihre Mutter und ihre Schwester, ja selbst ihr Vater saßen bereits am Tisch, dicht am kleinen Teich, und blickten überrascht zu ihr hinüber, während die Bediensteten sich an ihren Tischen im Hintergrund wieder ihren Gesprächen untereinander zuwandten, als sei nichts gewesen. "Wo bist du gewesen?", fragte Malinche und brach sich ein Stück vom frischen Fladenbrot ab, bevor sie es in die Suppe aus Tomatensaft mit Maiskörnern und viel Pfeffer - eine Spezialität ihrer Mutter - tauchte, die sich in ihrer tönerne Schale befand, und hineinbiss.

Selina antwortete nicht, sondern ging um den Tisch herum, setzte sich neben ihre Schwester und griff nach der letzten freien Schale, deren Inhalt bereits abgekühlt war.

"Warum antwortest du Malinche nicht?", fragte ihre Mutter missbilligend. "Du weißt doch, dass sie uns morgen schon verlässt. Warum also ignorierst du sie?"

"Wo könnte ich schon gewesen sein?", gab Selina leise zurück, griff nach der Vase mit Wasser und schüttete sich ihren Becher voll.

Malinche nickte und aß weiter, als sei nichts geschehen.

"Deine Schwester hat dich etwas gefragt", knurrte ihr Vater sie an.

Malinche wollte sich einschalten, wollte vermutlich sagen, dass sich ihre Frage geklärt hatte, dass sie jetzt wusste, wo Selina gewesen war, aber ihre Schwester war schneller. "Nur weil du als Berater des Königs total unter Stress stehst, brauchst du mich nicht so anzufahren", gab sie zurück und griff nach der Kelle im Suppentopf, um sich ihre Schale mit Suppe zu füllen. "Es geht dich gar nichts an, wo ich mich aufhalte und was ich mit meiner Zeit anfange."

"Es geht mich etwas an, wenn du unserer ganzen Familie Schande bringst", gab ihr Vater zurück. "Es gehört sich einfach nicht für ein junges Mädchen, sich mit der Kunst des Kampfes zu befassen."

Selina blickte ihren Vater nicht an, als sie antwortete, aber ihrer Stimme war deutlich anzumerken, dass sie wütend war. "Es kommt mir nicht wie Schande vor, eine Tochter zu haben, die ihre Zeit lieber an den Messern als am Spinnrad oder am Herd verbringt, vor allem dann nicht, wenn diese Tochter eben erst das Kampfturnier gewonnen hat."

"Glück", meinte ihr Vater geringschätzig. "Glück und die Tatsache, dass dich deine Gegner unterschätzt haben. Schon der erste Gegner hätte dich unter normalen Umständen aus dem Ring werfen müssen." Er riss sich ebenfalls einen neuen Streifen vom Brot ab, bevor er weitersprach. "Mädchen wie du gehören eben nicht an die Waffen, sondern viel eher an den Herd oder ans Spinnrad - oder an die Seite eines starken Mannes." Hierbei wanderte sein Blick kurz zu Malinche, und er lächelte, bevor er sich wieder seiner älteren Tochter zuwandte und sein Blick wieder härter wurde. "Wenn du dir nicht langsam über deine Rolle klar wirst, dann wirst du niemals einen Mann abkriegen."

"Mir egal", gab Selina zurück, biss einmal kräftig in ihr Brot und genoss den kräftigen, scharfen Geschmack der Suppe, die sich im Brot gesammelt hatte.

Ihr Vater blickte sie kalt und fast mitleidig an. "Du bist verrückt, und eigentlich müsste ich dich mit ein paar saftigen Schlägen zur Vernunft bringen."

Selina schluckte ihr Brot hinunter und blickte ihren Vater voll Verachtung an. "Versuch es", meinte sie ebenso kalt wie er. "Aber ich garantiere dir, ich werde mich wehren."

Jetzt griff ihre Mutter ein. Sie legte sanft ihre Hand auf Selinas Arm. "Du solltest wirklich nicht so mit deinem Vater reden", sagte sie beschwichtigend. "Er meint es doch nur gut mit dir. Und er hat doch Recht - du wirst niemals heiraten und niemals Kinder haben, wenn du nicht endlich Vernunft annimmst."

Unwirsch zog Selina ihren Arm weg. "Das will ich auch gar nicht", gab sie genervt zurück, und ihre Stimme zitterte vor Zorn, als sie weitersprach. "Diese Belehrungen habe ich jetzt schon unzählige Male gehört, und sie liefen immer auf das gleiche hinaus. Und langsam habe ich wirklich genug davon. Ich habe es satt, mir tagaus, tagein eure endlosen Litaneien darüber anzuhören, was sich für jemanden wie mich gehört. Ich habe es satt, von euch immer wieder aufs Neue gesagt zu bekommen, was ich zu tun und zu lassen habe, obwohl ihr doch längst wissen solltet, dass ich mich sowieso nicht dran halte. Lasst mich einfach in Ruhe. Zumindest für heute. Morgen verschwinde ich. Dann muss ich mir euer endloses Gerede wenigstens nicht mehr länger antun."

Die Wirkung dieser Worte auf ihre Familienmitglieder war erstaunlich. Ihr Vater prustete ins Essen und begann zu husten. Ihre Mutter zuckte zusammen, wie von einem Peitschenhieb getroffen, sprang auf und eilte in Richtung ihres Schlafzimmers, dicht an Selina vorbei, und Selina war sich sicher, in ihrem Auge Tränen glitzern zu sehen. Malinche hingegen sah sie zwar zunächst ungläubig an, aber dann lächelte sie. "Also hast du dich endlich entschieden", meinte sie.

Selina nickte. Jetzt, wo sie es gesagt hatte, wo sie es vor ihrer Familie gesagt hatte, fühlte sie eine große Erleichterung - ein Gefühl, das freilich nicht allzu lange währte, als ihr Blick auf ihren Vater fiel. Er starrte sie zitternd vor Wut an. Dann, urplötzlich, sprang er auf und holte zu einer Ohrfeige, quer über den Tisch, aus.

Sein Hieb wurde allerdings von einem Unterarm abgewehrt, auf den er mit dem Handgelenk schlug. Blitzschnell hatte Selina ihren Arm gehoben, um den Schlag abzuwehren, und dabei beiläufig noch einen Schluck Wasser getrunken. Jetzt setzte sie den Becher ab und stand langsam auf. "Ich habe dir gesagt, ich werde mich wehren", sagte sie leise, aber doch im ganzen Raum vernehmbar, denn auch die Diener hatten ihre Gespräche eingestellt, als ihr Herr wie von Sinnen aufgesprungen war. Der Knall, als Selina ansatzlos mit einem ebensolchen Schlag ins Gesicht antwortete, wie sie ihn hatte erhalten sollen, war im ganzen Haus zu hören. Der ältere Echidna taumelte, mehr überrascht als wirklich verletzt, einige Schritte zurück und hielt sich die Wange. "Dafür wirst du büßen", zischte er und verschwand in Richtung des Schlafzimmers von ihm und seiner Frau, in das diese zuvor verschwunden war.

Malinche stand auf und ging langsam zu Selina hinüber. "Ich glaube, er meinte das ernst", warnte sie.

Selina schnaubte verächtlich. "Sollte mir das etwa Angst machen?", fragte sie und schüttelte den Kopf. "Was auch immer er vorhaben mag, er müsste es heute Abend oder heute Nacht tun. Und ich weiß mich durchaus zu verteidigen. Mach dir mal keine Sorgen. Das kannst du dir für die Zeit aufheben, in der du dich bei den Igeln aufhältst."

Malinche nickte. "Willst du nicht mitkommen?", fragte sie. "Du kannst dich doch uns anschließen, wenn du doch sowieso von hier weg willst."

"Das habe ich mir auch überlegt", meinte Selina. "Aber wenn ich wirklich für mich Erfahrungen sammeln will, habe ich nichts davon, mich einer größeren Gesellschaft anzuschließen. Es ist besser, wenn ich mir die Welt da draußen allein ansehe." Malinche senkte traurig den Kopf, sodass sie sich beeilte, hinzuzufügen: "Aber trotzdem kann ich ja vielleicht mal bei euch vorbeischauen, wenn ich zufällig in der Gegend bin. Wie lange werden die Verhandlungen andauern?"

Die jüngere Echidna zuckte mit den Schultern. "Keine Ahnung", murmelte sie. "Aber es könnten durchaus einige Jahre werden. Du hast also genug Zeit, um mich zu besuchen."

Selina warf einen Blick auf den Himmel, an dem sich bereits die ersten Sterne zeigten, die sie selbst durch den Lichtschein der Fackeln im Hof erkennen konnte. "Weck mich, wenn du morgen aufstehst", meinte sie zu ihrer Schwester. "Bis zum Ortsausgang haben wir den gleichen Weg."



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  Geist
2006-08-06T15:41:18+00:00 06.08.2006 17:41
Stimmt.......ein paar Absätze würden nicht schaden.....es würde den Text leserlicher machen, außerdem schalten die Freischalter die Kapitel schneller frei wenn genügend Absätze drinnen sind damit sie die Kapitel nur kurz überfliegen müssen.
*gg*

Wenn du Probleme mit Rechtschreibfehlern hast (die habe ich auch) solltest du dir vielleicht einen Beta-Leser zulegen.
(*heimlich die hand heb* Ich steh frei *gg* ;3)

Also zum Kapitel selbst:
Klasse, endlich hat Selina ihre genialen Waffen *~))
Wurde auch Zeit, ihre Waffen sind doch ihre zwei wichtigsten Begleiter im restlichen Verlauf der Gesichte (und wie es sich in unserem RPG zeigt hab ich recht, sie braucht die Waffen *gg* und sie weiß auch gut damit um zu gehen)

Die Verschwörungstheorien von Huascar waren gut zu ‚Papier’ gebracht, und auch für den Leser nachvollziehbar (gerade bei solchen Dingen machen die meisten Läute viele Logikfehler die der Leser nicht nachvollziehen kann, aber das Problem haben wir hier nicht ^______))!!!!)


Die Meinungsverschiedenheiten zwischen Selina und ihrem alten Herren fand ich auch recht spannend, sie ist richtig frech und lässt sich nichts gefallen, so ist es gut, das nenn ich eine richtige Kämpferin! *gg*
Und ihr Vater…ein richtiges %“&§$&)§“/ seine Vorstellungen von der richtige Tochter für ihn, püh….
Nyo, aber es gibt immer ein Schwarzes Schaf in der Familie *gg*
Btw. Deine Anspielung auf die Zeiten wo es noch üblich war das der Mann arbeitete, in den Krieg zog usw. und die Frau daheim blieb, fand ich recht passend ^_______))

Hehe, und die Reaktion ihres Vaters als sie ihm die Nachricht vermittelt hat das sie gehen würde, genial, einfach nur genial……


~Wüstenseele Sharie~
Von:  Kunoichi
2006-05-20T12:28:21+00:00 20.05.2006 14:28
Sehr schön und auch spannend geschrieben, muss ich sagen! ^^ Selina ist ja ganz schön frech zu ihrem Vater. *g* Aber er ist ja auch gemein zu ihr. Soll sie doch kämpfen, so viel sie will. Das mit den Männern kommt schon noch! O_o Nya... ansonsten fehlen wiedermal die Absätze. Mehr hab ich nicht zu meckern. ^.^
Von:  Ace_Kaiser
2006-03-20T13:09:08+00:00 20.03.2006 14:09
Alles in allem ist es gut geschrieben.
Dazu unterhaltsam.
Aber, ein paar mehr Absätze würden dem Text durchaus gut tun. Außerdem solltest Du noch mal drüber lesen. Es sind hier und da noch Fehler drin.
Der Text liest sich sehr flüssig, aber hier und da übererklärst Du. Du musst dem Leser nicht jedes Detail haarklein erklären.
Beispiel: Der Vater geht ins Schlafzimmer. Und Du erklärst, dass es ihm und der Mutter gehört, außerdem hat sie sich eben hinein geflüchtet.

Ansonsten, nun, Du hast Talent, wie ich hier mal feststellen möchte. Deine Story ist durchaus mehr Kommentare wert.
Von: abgemeldet
2006-01-03T08:54:30+00:00 03.01.2006 09:54
Echt super diese FF ^^
Von:  Fenrion
2005-12-31T00:27:51+00:00 31.12.2005 01:27
X333 Das haste mal wieder super gemacht ^^
..Is gleich am Anfang schon viel spannender als die vorherigen Kapitel finde ich ^^ Hast du gut erneuert !


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