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Das Schicksal nimmt seinen Lauf...

von

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Schachmatt

Die Zeit verging, doch sie fanden nichts. Keine seltsame Firma, kein kurioses Firmengebäude.

Die Laune der Agenten, die zusammen mit Shinichi und Hugh in Telefonbüchern und Verzeichnissen stöberten, wandte sich langsam einem Tiefpunkt zu.

Unauffällig beobachtete Jason seinen ständigen Begleiter, mit dem er seit neustem nun auch ein Zimmer teilte.

Der Engländer war ihm nicht ganz geheuer. Hugh war ein netter Kerl, doch die Art, wie er mit ihm umging, löste in Shinichis Kopf Warnsignale der seltsamen Art aus. Deshalb nahm sich der Detektiv in Acht und liess den gestylten Typen nicht aus den Augen.

„Jason, hast du etwas gefunden?“

Der Angesprochene schüttelte den Kopf. Sie sassen vor ihren Computern und suchten immer noch nach Indizien. „Wie steht’s mit dir?“, fragte er wenig glücklich.

„Sagt dir die Abkürzung >RSA< etwas?“

Erstaunt drehte Shinichi den Kopf. Mit so einer Antwort hatte er nicht gerechnet.

„Kryptologie?“, fragte er vorsichtig.

Hugh nickte. „Wie viel weisst du darüber?“

„Nicht viel. Ich interessiere mich eher für Codes, die ich auch mit meinem Verstand lösen kann. >RSA< ist für Detektive nicht besonders interessant.“

Der Brite grinste und seine grünen Augen funkelten unternehmungslustig. „Das ist ja auch der Grund, weshalb die Erfinder ihr Verschlüsselungsprogramm patentiert haben.“ Er tippte auf seinen Bildschirm. „In der Mathematik gehören Primzahlen zu den meist erforschten Gebieten und trotzdem hat man diese lieben Zahlen nicht im Griff. Mann muss nur zwei genügend grosse Primzahlen nehmen, diese multiplizieren und man hat – zumindest für einige Zeit – ein sicheres Codierungssystem.“

„Ich kenne RSA. Es ist ein äusserst einfaches Verfahren und trotzdem brauchen auch modernste Computer zu lange um den Code herauszufinden. Aber warum erwähnst du jetzt diese Verschlüsselungsmethode?“

Sein Nachbar fuhr sich durch die roten Haare, wobei die Armreife an seinem Handgelenk klirrten.

Nicht zum ersten Mal fiel Shinichi auf, wie seltsam sein ‚Aufpasser’ doch war. Er hatte äusserst androgyne Gesichtszüge, dünne und zerbrechliche Hände, die er auch irgendwie seltsam bewegte.

Er schüttelte den Kopf.

„Was ist los?“

„Wie?“

Grüne Augen. Besorgter Gesichtsausdruck. Hugh sah ihn an, seine Nasenspitze berührte beinahe seine eigene. Erschrocken rutschte Shinichi zurück.

„N-nichts. Also, wie kommst du darauf?“ Der FBI-Agent kaute auf seiner Lippe und irgendwie schien er mit sich oder Shinichis Antwort nicht besonders zufrieden zu sein. Nach einer Weile kam er zögerlich zur Sache.

„Die Firma, welche RSA verkauft, hat als einzige auf der Welt das Recht, diese Art der Codierung zu benutzen. Banken und andere Gesellschaften zahlen grosse Beträge, damit RSA ihnen auf höchstem Niveau die Daten sichert.“ Eine theatralische Pause folgte, in der Hugh erneut auf den Bildschirm tippte. „Hier ist eine Firma, die Millionen für ein Sicherheitssystem vom feinsten ausgegeben hat! Dabei handelt es sich um eine ganz gewöhnliche Treuhand-Agentur.“

„Wie bist du an die Daten herangekommen? Wohl nicht auf der firmeneigenen Homepage, oder?“

„NSA.“

Shinichi blinzelte. „Sag das nochmals, die NSA? Ich dachte, du wärst Brite?!“

Hugh streckte frech die Zunge raus. „Ich bin zwar im Süden Englands geboren, arbeite aber schon lange fürs FBI und habe daher meine Verbindungen zur NSA.“

„Die National Security Agency!”

„Ich dachte, RSA interessiert dich nicht?“, fragte Hugh neckisch. Er wartete den Kommentar nicht ab. „Die NSA hat sich wieder einmal selbst ins Fleisch geschnitten. Ein Kryptologe in Crypto City hat dasselbe Verfahren schon Jahre vor Rivest, Shamir und Adleman entwickelt, durfte aber seine Entdeckung nicht an die Öffentlichkeit bringen. Die NSA wollte das neue System selbst nutzen, um ihre Daten zu sichern. Leider kamen bald darauf diese drei und gründeten ihre Firma, die mit dem RSA Verfahren ihre Gewinne erzielte.“

„Und trotzdem sammelt man Daten über Firmen und ihre Aufträge an die RSA?“, fragte Shinichi. „Sie hätten doch eigentlich gar nicht das Recht dazu?“

Hugh nickte. „Die NSA ist nicht nur auf nationaler Ebene tätig. E-mails, Telefonleitung und anderes wird ständig überwacht – auch das Netz in Europa steht unter heimlicher Überwachung.“

Conan dachte nach. Da gab es also eine Treuhand-Gruppe, die für das höchstmögliche Sicherheitssystem Geld ausgegeben hatte. Für eine Agentur dieser Art ungewöhnlich.

„Kuronichi & Son“, las er, wie sich die Firma nannte.

„Genau!“, stimmte ihm Hugh zu. „Auf jeden Fall ein Hinweis, bei dem sich eine Kontrolle lohnt, nicht wahr?“

Shinichi nickte. „Ausserdem enthält der Name bereits einen Bestandteil, der auf die Männer in Schwarz hinweisen könnte.“

Der Engländer blickte ihn verwirrt an. Obwohl er nun schon einige Wochen im Land der aufgehenden Sonne befand, waren seine Kenntnisse was die Sprache betraf, dürftig.

„Der erste Teil bedeutet auf Japanisch Schwarz“, fügte Jason hinzu. „Wieso bist du eigentlich nach Japan gekommen?“

Zum ersten Mal seit er Hugh kannte, kroch ein trauriger Schatten über seine sonst so fröhlichen Züge.

„Ich brauchte einen Neuanfang...“ Er warf einen undeutbaren Blick auf Jason, dann fuhr er fort: „Mein Freund hat mich betrogen und ich konnte nicht mehr dort leben, wo ich zuvor gewesen bin.

Ich wollte ein völlig neues Leben beginnen, in einem ganz anderen Land. So bin ich in dieses Projekt gekommen.“

Jason blinzelte. „Ich verstehe, was du meinst.“

„Also, dann lass uns unsere Entdeckung dem Chef mitteilen!“

Der fröhliche Hugh war wieder da und man hatte beinahe den Eindruck, als wäre es nie anders gewesen.
 

***
 

Der Hinweis wurde dankbar angenommen und verfolgt, da es praktisch das Einzige war, was sie in der Hand hatten.

Eine Firma, die so viel Geld für ein Sicherheitssystem der Extraklasse ausgab, wo ein normaler Safe gereicht hätte, war äusserst mysteriös.

Gleich sofort wurden einige Agenten in Zivil losgeschickt um diese Agentur genauer unter die Lupe zu nehmen.

„Du bleibst hier.“ Unsanft wurde Shinichi aus dem Auto gezogen. Shuichi Akai kümmerte sich nicht um die Blicke, die der Kleine ihm wütend zuwarf.

„Befehl vom Chef. Wenn dich jemand beobachtet und erkennt, ist unsere ganze Arbeit für nichts. Also tu mir den Gefallen und bleib hier.“ Er gab Hugh einen Wink, sodass dieser den Jungen festhielt. Die beiden FBI-Fahrzeuge fuhren davon und verschwanden um die Ecke.
 

„Und was machen wir jetzt?“ Shinichis genervte Kinderstimme erklang plötzlich auf der Strasse.

Der Rothaarige grinste: „Wir haben einen Tag frei bekommen. Nachdem wir tagelang vor dem Computer gesessen haben, dürften wir uns ein wenig vergnügen.“

„Und wie bitte?“ Der Kleine war wenig begeistert. Viel lieber wäre er den Autos gefolgt und hätte Nachforschungen angestellt, doch solange ihm der seltsame Engländer auf den Fersen war, was an so ein Unternehmen nicht zu denken.

„Wie wäre es, wenn du mir deine Heimatstadt ein wenig zeigen würdest? Seit ich hier in Tokyo bin, habe ich bis auf die U-Bahn von der Arbeit nach Hause nichts gesehen.“

Ein skeptischer Blick, dann ein Schmunzeln. „Das verlangt in der Tat nach einem Rundgang in der Hauptstadt. Eine Schande, dass du bisher nur sowenig gesehen hast, aber das werden wir morgen gleich ändern.“

Er wusste nicht weshalb, aber dieser Typ nahm ihm ein bisschen von seiner Verbitterung ab.
 

Am nächsten Tag standen die beiden ungleichen Menschen früh auf, damit sie auch ja nichts verpassten. Geschickt umgingen sie die Hauptknotenpunkte, die um diese Uhrzeit nur so von Pendlern wimmelten und landeten in Beika, dem Quartier, in dem Shinichi aufgewachsen war.

„Eine ruhige Gegend, aber was machen wir hier?“

„Ich habe hier ziemlich lange gelebt, aber das ist nicht der Grund. Einige Strassen von hier entfernt gibt es ein Restaurant mit fabelhaftem jap. Essen. Wir werden nachher viel herumrennen, daher schlage ich vor, dass wir zuerst reichlich frühstücken.“

Hugh nickte und sie betraten das freundlich wirkende Lokal. Der Engländer hatte seinen kleinen Freund gebeten, dass sie heute nur japanische Dinge essen würden und er war gespannt auf das Frühstück.

Sogleich kam ein eifriger Kellner und führte sie an einen Tisch in der Ecke, nachdem sie ihre Schuhe am Eingang zurückgelassen hatten.

Shinichi bestellte und beobachtete grinsend, wie Hugh die unbequeme Lage auf den Tatami einnahm.

„Das brauchst du nicht zu tun.“

„Warum nicht? Die Frau dort im Kimono sitzt auch so auf den Knien.“

Der Kleine lächelte. „Männer sitzen im Schneidersitz.“ Er deutete auf sich. „Frauen sitzen auf den Knien, zumindest am Anfang. Nach einer Weile ändern sie meistens ihre Lage ein bisschen.“

Hugh sagte nicht mehr, aber er war erleichtert, dass er in den Schneidersitz wechseln konnte.

Der Lärm der Strasse drang nur undeutlich durch, klang weit entfernt. Der ganze Raum war in blassen Farben gehalten und man fühlte sich gleich geborgen.
 

An den Wänden hingen weisse Schriftrollen mit Weisheiten und Zen Sprüchen, zwischendurch sah man Ikebanakunstwerke zwischen zwei Tischen.

Dann kam das Essen. Verdattert starrte der Europäer auf das Tablett vor ihm. „Das… ist euer Frühstück?“

Conan nickte. „Ich esse eigentlich immer Toast, aber so ein Frühstück nach alter Tradition ist zwischendurch auch ganz lecker.“ Die Miso-Suppe dampfte vor sich hin, der Reis strahlte weiss in seiner Schüssel. Mit Heisshunger sagte er: „Ittadakimasu“ und legte los.

Der Englänger packte vorsichtig die Stäbchen, an deren Gebrauch er sich immer noch nicht richtig hatte gewöhnen können. Dann zielte er ein Stückchen Fisch an.

„Pass auf, die haben viele Gräte“, sagte Shinichi, der sich gerade etwas Gemüse in den Mund stopfte.

Hugh ass vorsichtig und musste zugeben, dass das Essen gar nicht einmal so übel schmeckte. Nur die Kirschen, die in der Mitte des Tisches in einer Schale lagen, waren ihm eindeutig zu sauer.

Conan wartete geduldig, bis sein Kollege auch das letzte Reiskorn noch mühsam aus der Schüssel gefischt hatte, dann bezahlte er und die beiden verliessen das Lokal.
 

***
 

„Hallo Takagi, was treibst du denn hier?“, wollte der Gefängniswärter am Empfang wissen.

Der Polizist zeigte ihm sein Schreiben und Ken Nakamura starrte erstaunt auf das Papier. „Was willst du denn bei der? Der Fall ist doch schon längst abgeschlossen...“ Wataru Takagi schüttelte seine Hände abwehrend. „Es gibt ein paar Ungereimtheiten in der Akte, die ich überprüfen muss. Nichts Schlimmes also.“

Der Wärter nickte. „Dann komm mal mit.“ Er führte den Gast durch verschieden Gänge, eine Treppe hinauf, die andere wieder hinab, dann wieder drei Stationen mit dem Lift. Takagi wusste bereits nach kurzer Zeit nicht mehr, wo der Weg zurück entlang gegangen wäre.

Dann landeten sie in einem grossen Raum, der von einer Glasscheibe in zwei Hälften geteilt wurde. In der Mitte stand ein Tisch mit entsprechender Öffnung im Glas, damit man mit den Insassen auch sprechen konnte.

Takagi setzte sich geduldig auf den Stuhl auf seiner Seite und wartete. Nach ein paar Minuten öffnete sich die Tür am anderen Ende des Saales und eine hübsche Frau in grauer Kleidung trat ein. Der Eingang hinter ihr verschloss sich sofort. Als sie seinen verdatterten Blick bemerkte, kam sie mit einem Lächeln näher.

„Sie sind alt geworden, mein lieber Kommissar.“

‚Sie..sie sieht noch genau gleich aus wie auf dem Bild von der Festnahme. Wie ist das möglich?’

Chris Vineyard setzte anmutig sich auf den Stuhl und blickte ihn keck an. „Hat es Ihnen die Sprache verschlagen?“

‚Wataru, nimmt dich zusammen!’, schalt er sich selbst. „Um ehrlich zu sein: Ja.“

„Dabei sind sie doch Cool Guy bereits über den Weg gelaufen, sonst wären sie nie hier her gekommen.“

Eigentlich hatte er ihr ja Fragen stellen wollen um seinen bereits schon riesigen Berg an ungeklärten Tatsachen zu mindern. Doch wie so oft spielte ihm das Schicksal einen Streich und diese Frau verlängerte die Liste.

„Wie...woher wissen Sie das?“

Chris grinste und zog einen leichten Schmollmund. „Selbst ich darf hier Zeitung lesen. Er ist zurück nach Japan gekommen und kurz darauf tauchen sie bei mir auf, nachdem sich die Polizei Jahre lang nicht um mich gekümmert hat? Ein Zusammenhang liegt da nicht weit.“

Stimmt, sie hatte Recht. In diesem Fall war eine Schlussfolgerung nicht schwer zu ziehen.

„Also, worum geht es?“

Takagi zögerte. „Ich wollte ein paar Informationen über die Organisation. Sie scheint wieder aufgetaucht zu sein.“ Dann fügte er hinzu: „Gab es damals Mitglieder, die nicht geschnappt wurden und die sie kannten?“

Chris lächelte. „Klar gab es die.“
 

***
 

„Sag mal, Jason, hattest du schon Sex?“

Der Junge neben ihm verschluckte sich und begann zu husten. „Hey,hey…“ Hugh schlug ihm vorsichtig auf den Rücken und nahm ihm die Dose mit Zitronentee aus der Hand. Sie sassen auf einer kleinen Bank in der Nähe des Tokyo-Towers, den Hugh unbedingt hatte sehen wollen.

„Was sollte diese Frage?“, wollte Jason wissen und starrte auf den Rothaarigen neben sich.

Dieser verzog keine Miene. „Es war eine einfache Frage.“

„Das geht dich nichts an.“

„Warum nicht?“

„Weil das meine Privatsphäre ist. Auch wenn wir vielleicht zusammen in einer Wohnung leben, gibt es bestimmte Bereiche aus meinem Leben, die niemanden etwas angehen.“ Nach einer Weile fügte er hinzu: „Wie kommst du überhaupt auf so etwas?“

Hugh zuckte mit den Schultern und gönnte sich einen Schluck Cola aus der Dose.

„Du faszinierst mich einfach.“

Jason erstarrte und blickte verdattert zu seinem Kameraden hinüber. „Wie soll ich das bitte verstehen?“

Hugh seufzte. „Ist das so schwer? Ich mag dich und will verstehen, wie du dich fühlst.“

Der Junge blinzelte. „Und.. um mich zu verstehen stellst du mir solche Fragen?“

Der Engländer wurde etwas rot und trank wieder einen Schluck.

„Tut mir Leid, war vielleicht nicht der richtige Einstieg.“

Shinichi schwieg, er hatte keine Lust irgendetwas über sich zum Besten zu geben. Er betrachtete die Leute, die an ihnen vorbeigingen. Pärchen, die sich zärtlich bei der Hand nahmen oder Gruppen von Mädchen, die kichern nebeneinander her gingen. Irgendwie hatte er das Gefühl in einer riesigen Luftblase festzustecken, währenddem die Welt um ihn herum alterte und ihren Lauf nahm. Die Zeit in ihm blieb stehen, während sie die anderen Menschen weiterzog.

Hugh seufzte. „Obwohl ich nun schon einige Wochen mit dir zusammen arbeite, hast du noch kaum etwas gesagt oder von dir erzählt. Warum bist du so verschlossen? Nur wegen deiner Grösse?“

Ein ernster Blick folgte: „Nicht nur. Ich habe vor kurzem erst den wichtigsten Menschen in meinem Leben verloren und zwar wegen der Organisation.“

„Irgendwann braucht man aber einen Neuanfang und vielleicht könnten wir beide…“ Hugh seuftze: „Hast du etwas gegen Homos?“

Er wollte endlich wissen, ob Jasons distanzierte Haltung daher rührte.

Der Junge zog die Augenbraue kraus. „Ich habe nichts gegen Homosexualität, nicht im Geringsten. Wir Japaner sind da nicht so streng wie gewisse westliche Kulturen…“ Jason kratzte sich am Kopf. „Zumindest sieht ein grosser Teil der Japaner es nicht so eng.“

Hugh blinzelte und der Kleine fuhr betrübt fort: „Aber du wirst für mich immer nur ein Freund bleiben, Hugh.“

Der Engländer biss sich auf die Lippen. Jason blickte ihn traurig an. „Ich würde dir gerne helfen, aber ich kann nicht. Ich liebe eine Frau und daran wird sich nie etwas ändern. Falls du aber irgendetwas brauchst oder mit jemandem reden willst, kannst du mich jederzeit rufen. Sofern ich etwas tun kann, musst du es mir sagen.“

Hugh wandte sich ab. Der Engländer erhob sich schweigend, warf die leere Dose in den nächsten Eimer und schritt davon. „Ich seh’ mich ein bisschen um.“ Bevor Jason auch nur etwas sagen konnte, was sein Arbeitskollege zwischen den Menschenmassen verschwunden.

Der Kleine fluchte leise, aber er meinte es nicht wirklich so.
 

„Du faszinierst mich einfach.“

„Ich mag dich…“
 

Was sollte er machen?

„Hugh…!“ Keine Antwort, die namenlose Masse glitt an ihm vorüber. Einige Augenpaare wanderten zu ihm, er kümmerte sich nicht um die mitleidsvollen Blicke.

‚Wieso machte ich immer alles falsch? Ich hätte doch nie gedacht, dass er in mich…’

Er rannte zwischen den Beinen hindurch. In seinem Kopf dröhnte es.
 

„Wenn es um Liebe geht, schaltet er wie ein Nashorn…“
 

Sonoko hatte durchaus Recht gehabt. Zu spät erkannte er die langen Beine vor sich.

Ein kurzer Schrei, er spürte weiche Haut unter sich und Stoff. „Kannst du nicht aufp-…“ Die Stimmte stoppte ihren Zornausbruch, wurde sanft.

„Hast du dir weh gemacht, Kleiner?“ Vorsichtig bewegte er sich und er erkannte, in wen er gerannt war.

Es war eine hübsche Frau um die 25 Jahre, wie er schätzte. Sie hatte gefärbtes, blondes Haar und schien aus einer reichen Familie zu stammen, denn ihre Accessoires stammten allesamt aus bekannten Modehäusern.

Jason schüttelte den Kopf, dann kratzte er mit der Hand verlegen seinen Hinterkopf. „Tut mir Leid, ich habe nicht aufgepasst.“ Die Gesichtszüge der Dame entgleisten. „Conan…“ Sie hatte geflüstert, doch er hatte es sehr wohl verstanden.

Das war jemand, den er kannte!

Er lachte so kindlich wie möglich. „Ich heisse nicht Conan, sondern Takehiko! Wie kommst du auf so einen seltsamen Namen?“ Schritte erklangen.

„Sonoko, wo hast du solange gesteckt? Ich habe auf dich gewartet!“

‚Sonoko…?’ Verdattert starrte Jason von der Frau zu dem Herren, der auf sie zukam. Auf der Stirn, oberhalb des rechten Auges, hatte er ein Pflaster.

Makoto.

„Tut mir Leid, ich bin mit diesem Kleinen hier zusammengestossen.“ Sonoko war anscheinend zur Überzeugung gelangt, dass ihr erster Eindruck nicht stimmen konnte. Schliesslich musste Conan jetzt etwa zwanzig Jahre alt sein. Makoto half ihr und dem Jungen auf, Dabei fiel etwas zu Boden, silbern und glänzend und Jason bemerkte, dass der Zusammenstoss ihm wohl das Armband vom Handgelenk gerissen hatte.

Hastig griff er danach. Als er das kühle Metall auf seiner Haut spürte, erstarrte er.

Er blickte auf seine linke Hand. Ein Bild schob sich über seine Hand, Feuerszungen und unglaubliche Hitze. In all den Flammen eine Hand, doch sie passte nicht auf seine, war nicht kongruent.

Weil es eine rechte Hand war.

Im wurde unglaublich heiss.

„Junge, ist alles in Ordnung?“ Makotos Stimme riss ihn aus seinen Grübeleien. Er nickte vorsichtig, entschuldigte sich nochmals für seine Unvorsichtigkeit und verabschiedete sich dann von ihnen.

Die rechte Hand in der Feuersbrunst konnte nicht die Rans gewesen sein, denn sie hatten abgemacht, ihr Armband nur an der linken Hand zu tragen.

Ein Hoffnungskeim bildete sich in seinem leergefegten Herzen.

‚Die Tatsache, dass diese Leiche das Armband rechts trug, zeigt, dass jemand anderes als Ran aus irgendeinem Grund das Band geöffnet hatte.

Die erste Möglichkeit wäre, dass das Band abgefallen ist wie bei mir zuvor und der Täter wollte es einfach wieder an den richtigen Ort hängen. Ist allerdings unwahrscheinlich, denn bei brennender Umgebung denkt man nicht an solche Details.

Es scheint also wichtig gewesen zu sein, dass diese Leiche das Armband anhatte.’

Traurig blieb Jason vor einem Geschäft stehen.

‚Die zweite Möglichkeit wäre also, dass man mir zeigen wollte, dass es sich bei der Leiche um Ran handelt. Ich sollte sehen, dass sie tot ist. Es durfte keine Hoffnung für mich geben.’ Er seufzte und ging weiter. Ran war nicht einfach in den Flammen umgekommen. Es hatte einen Täter gegeben, der sich versichert hatte, dass das kleine Mädchen auch mit Sicherheit tot war.’

Er wurde wütend, weil ihm dieser Sachverhalt nicht schon früher aufgefallen war. Es änderte zwar nichts an der Tatsache, dass seine Ran tot war und doch wurde sein Zorn auf die Organisation noch gesteigert.

‚Und was, wenn man dich nur glauben lassen wollte, dass dieser Arm dort Rans ist?’, sagte seine innere Stimme. Er schüttelte den Kopf. Unmöglich, er machte sich nur wieder unnötig Hoffnungen.
 

***
 

Sie blickte nachdenklich auf die Stelle, an der der Kleine im Gewühl verschwunden war.

„Was ist los?“ Makoto trat hinter sie, stützte sein Kinn auf ihre Schultern und sie rieb ihr Gesicht an seinem.

„Der Junge war seltsam.“

„Findest du?“ Er runzelte die Stirn, versuchte seine Erinnerung zurückzurufen. „Ich fand ihn normal.“

Sonoko schüttelte den Kopf. „Ich weiss nicht, was es ist, doch irgendwie wirkte er zu erwachsen.“

Makoto schob seine Brille zurecht. Nun, die Kleider waren schon etwas seltsam. Und er hatte extreme Ähnlichkeit mit diesem Jungen, der bei deiner besten Freundin gelebt hat und immer dabei war…“

„Conan.“

Selten hatte er sie so nachdenklich erlebt. Ihr Mund war ein Strich, ihre Augen starrten immer noch verwirrt in die Menge.

„Vielleicht war es nur ein Zufall. Es gibt ja Eltern, die ihre Kinder in Samurai-Kleidung stecken, um Traditionen zu bewahren.“ Er wusste, sein Einfall klang nicht besonders überzeugend, doch etwas Besseres fiel ihm so auf die Schnelle nicht ein.

Schliesslich wandte sich Sonoko ab. „Komm, wir gehen.“ Sie setzte eine fröhliche Miene auf, doch ihr Freund kannte sie genug um zu wissen, dass sie besorgt war.
 

***
 

Nachdem er Hugh über eine Stunde lang gesucht hatte oder versucht hatte ihn per Mobiltelefon zu erreichen, gab er auf. Er hoffte einfach, dass sich der Engländer nicht in der Grossstadt verlief, denn in der U-Bahn war es gar nicht so leicht sich zurechtzufinden, wenn man die Zeichen nicht lesen konnte. Jason beschloss selbst ein bisschen durch die Strassen zu wandern und er merkte, wie sehr im Japan gefehlt hatte. Er war lange fort gewesen.

Er schlenderte von Geschäft zu Geschäft und liess seine Gedanken kreisen. Waren seine Überlegungen, was das Armband betraf, richtig gewesen?

Ein CD-Shop fiel ihm auf und er betrat den geräumigen Laden. Es gab nicht nur japanische und amerikanische Musik, sondern man fand auch Alben von Koreaner, Chinesen oder anderen Asiaten.

Jason wusste nicht, weshalb er jetzt eigentlich hier hineingekommen war. Singen konnte er immer noch nicht und was so toll daran war den ganzen Tag mit den Kopfhörern im Ohr herumzumarschieren, konnte er auch nicht verstehen. Und doch…

Er schlenderte zwischen den Gestellen hindurch und versuchte, die Titel der CDs zu lesen. Wie so oft ärgerte er sich über seine nicht vorhandene Grösse.

Dann stutzte er. War das da oben nicht die CD, die Anchee so gemocht hatte? Er versuchte sie zu erreichen, doch gewöhnlich kam er nicht heran.

„Kleiner, kann ich dir helfen?“, fragte neben ihm eine freundliche Stimme. Der Verkäufer sah auf ihn herunter und lächelte. Jason liess das Kind in sich heraus: „Ja, Onkel! Ich möchte meiner Schwester diese CD kaufen, aber ich komm nicht heran!“

„So?“ Er holte sie herunter und reichte sie ihm. „Kannst du sie dir denn leisten? Importprodukte sind nicht gerade billig und dieser Sänger stammt aus Taiwan.“

Mit Unschuldsmiene antwortete Jason: „Ich glaube schon, ich habe lange gespart.“ In seinem Innern grinste er. Wenn der wüsste, dass er mit seinen Fällen schon lange sein eigenes Geld verdienen konnte. Auch wenn er nicht so aussah – arm war er sicherlich nicht.

„Na dann, brauchst du sonst noch etwas?“ Jason schüttelte den Kopf und folgte dem Verkäufer. Mit dieser CD wollte er sich etwas kaufen, dass ihn an die Lins erinnerte. Die CD war gar nicht so teuer, er bezahlte und verliess mit seiner neuen Errungenschaft das Musikgeschäft.

In einem Park holte er die frisch gekaufte CD aus der Tüte und betrachtete skeptisch den jungen Mann auf dem Bild. Er trug einen purpurnen Anzug und eine weisse Krawatte, sein Blick ging in die Ferne. Im Hintergrund stand ein grosser Flügel in Schwarz und eine seltsame Kulisse aus einer vergangenen Zeit. Vögel schwebten als schwarze Schatten in der Luft. Er drehte die CD um, ein anderes Bild. Derselbe Mann, nun in glänzendem graubraunen Anzug und wieder dieser abwesende Blick. Jason musste schmunzeln, als er den Hintergrund erkannte. Eine der vielen schmalen Kanäle Venedigs lag im Schatten, der Sänger stand in einer der typischen Gondeln.

Er warf nochmals einen Blick auf das vordere Bild. ‚Piazza San Marco’, dachte er und stopfte die CD zurück in die Tasche.

Ihm kam da eine Idee…
 

***
 

Er war wütend, und zwar auf sich selbst. Wie konnte er so blöd sein? Klar, dass Jason so seltsam auf seine Fragen reagierte. Die Leute um ihn herum warfen sich heimliche Blicke zu, als er an ihnen vorbei schritt, junge Schülerinnen kicherten. Ihm war es egal, er fühlte sich trotz der grossen Menschenanzahl einsam. Überall standen Kanji und Kana, die er doch kaum lesen konnte, Autos rauschten vorbei.

‚Tom, was soll ich tun, hm?’ Wie so oft begann er in Gedanken mit seinem besten Freund zu sprechen. Nein, nicht sein bester Freund, seine grosse Liebe.

Er war der Grund, weshalb er sich hatte nach Japan versetzen lassen. Tom war tot, Selbstmord. Es war zwar schon ein Jahr her, doch Hugh sah immer noch den Leichnam vor sich.

Doch das erste Mal seit langem verblasste die Erinnerung an die blinden Augen, die ihn fragend und vorwurfsvoll anstarrten. An die Stelle trat das Gesicht eines Kindes. Eher bleiche Haut, dunkles Haar und aufmerksame, blaue Augen.

‚Hugh, das kannst du nicht machen, das ist…’ War es wirklich schlimm, wenn er Jason liebte? Klar, äusserlich war der Japaner ein Kind, doch innerlich… Vielleicht konnte er ihm helfen, über seinen Verlust hinweg zu kommen?

Er schüttelte traurig den Kopf. Die Abfuhr vorhin war eindeutig gewesen.
 

Hugh hatte vor einer Woche bemerkt, dass ihm dieser kleine Junge nicht mehr aus dem Kopf ging.

Es war ihm peinlich, aber oft war er extra im Flur herumspaziert nur in der Hoffnung Jason kurz zu begegnen. Wenn dies dann der Fall war, grinste er danach für eine Stunde herum und brachte diese dämliche Grimasse nicht mehr von seinem Gesicht.

Er freute sich, wenn sie zusammenarbeiteten. Er war glücklich, wenn sie abends in ihrer Wohnung noch ein bisschen miteinander sprachen.

Wenn er nur schon den Namen Jason hörte, spürte er, wie sein Herz anfing zu rasen.

War das normal?
 

Schon vor Jahren hatte er akzeptiert, dass er war wie er war. Es hatte lange gebraucht, doch er kämpfte nun nicht mehr gegen sich an. Er liebte Männer, da konnte er nichts ändern.

Am Anfang hatte er es ja versucht und sich gezwungen eine Freundin zu haben. Doch irgendwie hatte er sich dabei nie wohl gefühlt. Frauen waren für ihn gute Freundinnen, mit denen man sich über Kleidung und Mode oder Musik unterhalten konnte. Aber er war nicht fähig eine von ihnen zu lieben – es wäre einer festen Freundin gegenüber auch nicht fair, da er ihr nur etwas vormachen würde.

Und nun verliebte er sich in diesen Jungen, der keiner war und trotzdem…
 

Verzweifelt liess er sich auf einer Bank in der Nähe des Tokyo-Tower nieder. Der rote Eisenklotz erhob sich gross übern den Häusern.

Es war angenehm ruhig in diesem Park. Spazierwege schlängelten sich durch das Gelände und Bäume standen schützend daneben.

Lachend ging ein Ehepaar mit den zwei Kindern an ihm vorbei. Hugh wurde wieder nachdenklich.

Tom hatte sich erschossen. Und nun konnte er nicht mit Jason zusammen sein.

Was machte er falsch? Bei anderen klappte es doch auch?
 

***
 

Vor lauter Hugh und Tokyo hatte er doch glatt vergessen, was seine eigentlichen Pläne gewesen waren.

Grinsend hüpfte er von der Bank und begab sich zum Ausgang des Parks.

Er war seinen Bodyguard los.

Shinichi wusste, dass es gemein war so zu denken. Er hatte Hugh einen Korb verpasst und dachte jetzt nur an die Organisation. Doch er hatte sein Menschenmöglichstes getan um den rothaarigen FBI-Agenten wieder zu finden, ohne Erfolg.

Er lenkte seine Schritte in Richtung der U-Bahn. Die Züge ins Firmenviertel waren kaum besetzt und er konnte sogar einen Sitzplatz erhaschen.

Wie weit war das FBI wohl schon gekommen? Hatte es sich bei der seltsamen Treuhand AG um einen Treffer gehandelt?

Conan hoffte es. Er wäre der erste Hinweis seit Langem und würde die Suche nach Schwachpunkten der Organisation entscheidend vorantreiben.

Allerdings war er immer noch der Meinung, dass er sich fangen lassen musste. Ihm gefiel es nicht, dass so viele Mitglieder in der letzten Zeit ins Netz gingen, nachdem Jahre lang einfach nichts passiert war.

Und die Sache mit Ran… Irgendjemand spielte mit anderen Karten. Wieso sonst hätte man ihn aus dem lodernden Feuer gerettet?

Es machte keinen Sinn.
 

Seine Station wurde ausgerufen und er stieg aus. Nachdenklich schlenderte er durch den Bahnhof. Dann traf ihn halb der Schlag.

‚Anwaltskanzlei Kisaki & Detektei Môri…’, dachte er verblüfft. Die beiden hatten also hier, am anderen Ende von Beika, zusammen ein Büro belegt.

‚Wenigstens bei ihnen hat das Schicksal seine guten Seiten gezeigt’, dachte er und blieb einige Augenblicke nachdenklich vor dem freundlich wirkenden Haus stehen. Die Fenster waren hell erleuchtet, das Gebäude war sauber verputzt und stand in einer ruhigeren Gegend von Beika und dennoch war es mit den öffentlichen Verkehrmitteln leicht zu erreichen.

„Shinichi…?“ Er drehte sich überrascht um. Da stand Eri, mit Einkaufstüten in der Hand und sah ihn an. Sie war älter geworden und trotzdem immer noch eine Schönheit. Sie strahlte Stärke aus, Selbstbewusstsein und eine Weisheit, die ihn sprachlos machte.

„Was machst du hier?“ Sie stellte ihre Last ab, ohne ihn aus den Augen zu lassen.

Er erwiderte ihren Blick. „Ich bin zufällig vorbeigekommen und habe dann die Namen dort oben gesehen.“

Eri nickte. Auf den zweiten Blick wirkte sie müde und erschöpft. Sie suchte den Hausschlüssel in ihrer Handtasche und schloss die Tür auf. „Willst du mit hinauf kommen?“

Diese Frage erstaunte ihn, er nickte langsam. Sie drückte ihm eine Tasche mit Milch und Gemüse in die Hände, nahm den Rest und begab sich in die Wohnung. Shinichi folgte. Er war verunsichert.

Eri hatte ihn zwar nicht extrem freundlich begrüsst, doch ihre Frage hatte ihn doch verblüfft. Er wackelte mit seiner Einkaufstüte in die Küche, wo er Eris schlanke Gestalt sehen konnte. „Stell es hier auf den Tisch.“

Vorsichtig hievte er seine Ladung auf die hochgelegene Platte, wobei er sich zum x-ten Mal fragte, warum Küchentische immer so kinderunfreundlich gebaut wurden.

„Danke dir!“ Er wandte sich um, Rans Mutter packte geschickt die gekauften Dinge in die jeweiligen Schränke. Es war eine grosse, neue Küche mit unglaublich viel Platz. Alles glitzerte und war sauber geputzt.

In Shinichis Vorstellung hörte er Ran lachen, er sah sie in dieser Küche herumtanzen. Die Geräusche von einem Messer drangen an sein Ohr, mit dem Ran Gemüse zerschnitt.

Er schüttelte den Kopf und verdrängte die Gedanken.

„Schöne Küche…“, meinte er leise und Eri sah auf. Sie hatte schon fast alles verstaut.

„Du scheinst erstaunt zu sein, dass ich dich hoch gebeten habe…“, sagte sie und blickte ihn nicht unfreundlich an. Er nickte, bei Rans Mutter hatte er keine Chance irgendwie seine Gedanken zu verbergen.

„Schon…“ Nach einer Weile fügte er hinzu: „Es tut mir Leid, was…mit Ran passiert ist. Ich hätte besser…“

Eri unterbrach ihn. „Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Sowohl Kogoro als auch ich wissen, wie viel Ran dir bedeutet hat. Ihr Tod schmerzt uns und am Anfang war ich sehr zornig auf dich, doch ich hatte genug Zeit um nachzudenken…“

Sie machte eine Pause, sah ihn aufrichtig an und ging in die Knie. „Ich finde, dass zumindest wir drei wieder miteinander reden sollten, wenn du schon mit deinen Eltern Probleme hast.“

Shinichi fiel aus allen Wolken.

Um ehrlich zu sein, hatte er gar nicht darüber nachgedacht, wie Rans Eltern ihm in Zukunft entgegentreten würden. Automatisch hatte er ihnen dasselbe Verhalten zugeteilt, dass er schon bei seinen eigenen Eltern gesehen hatte.

Eri schien zu spüren, wie es ihm ging. „Es ist sonst schon schlimm genug, wenn man einen geliebten Menschen verliert. Ich möchte dann zumindest mit dir ein gutes Verhältnis haben, sodass wir normal miteinander sprechen können. Immerhin warst du der letzte, der noch bei Ran war und mit dir wollte sie leben…“

Er blinzelte, dann huschte ein kleines Lächeln über sein Gesicht.

„Danke.“

Eri lächelte. „Willst du Fotos von Ran sehen? Sie hat sich in den zehn Jahren deiner Abwesenheit sehr verändert.“ Er nickte und folgte Rans Mutter ins Wohnzimmer.

Eri hatte einen guten Geschmack und Shinichi wusste, woher Ran ihren Stil hatte. Die Möbel waren modisch, die ganze Wohnung hell und freundlich dekoriert. Trotzdem entging ihm ein leichter Duft nach Tabak nicht. Kogoro rauchte also immer noch.

„Du kannst dich auf das Sofa setzen, ich hole die Alben.“
 

Wenige Augenblicke später sass er zusammen mit Eri auf dem Sofa und erlebte Stück für Stück Rans Leben mit. Der Abschlussball an der Oberschule, die Uni-Zeit, Urlaubsfotos und der Einzug in einer Wohngemeinschaft. Er sah wie sie richtig erwachsen wurde und selbstständig ihr Leben meisterte.

Es tauchten auch Fotos auf, auf denen sie neben Männern in die Kamera strahlte.

„Sie hatte auch zwei feste Freunde. Wusstest du das?“

Shinichi nickte stumm. „Sie hat es mir erzählt. Ich mache ihr keinen Vorwurf, immerhin hielt sie mich ja für tot. Es wundert mich eher, dass eine Schönheit wie sie nur so wenigen Männern den Kopf verdreht hat.“ Ein verlegenes Lächeln erschien auf seinem Gesicht.

„Nun, es hat auch sehr lange gedauert, bis sie überhaupt jemanden an sich ran gelassen hat“, meinte Eri leise.

„Dieser junge Mann hier, Tetsuo Furukawa, ist Anwalt. Mit ihm war sie ein halbes Jahr zusammen, dann wollte sie nicht mehr.“

„Wieso nicht?“

Eri musste lachen, als Conan sie mit grossen Kinderaugen ansah. „Er war ihr zu langweilig. Ich erinnere mich noch an ihre Worte:“
 

Mama, Tetsuo ist zwar ein netter Kerl, aber er ist mir einfach zu normal. Ausserdem ist es ihm gegenüber nicht gerecht, weil ich ihn immer noch mit Shinichi vergleiche.
 

„Bei Michiko Takeda war es dasselbe. Ran hat einmal einen Detektiv geliebt und kam nicht mehr davon los.“

Dann schwiegen sie eine Weile und Foto um Foto wurde interessiert von Shinichi betrachtet.

Nun kannte er zumindest einen kleinen Teil von Ran Vergangenheit, Rans Erzählungen und diese Fotos hier.

Schliesslich waren die Alben durchgesehen und Eri stellte sie zurück ins Regal. Shinichi folgte ihr mit seinem Blick. Auf dem Regal stand ein Bilderrahmen mit einem weiteren Foto darin. Neugierig hopste er vom Sofa und trat näher.

Verblüfft starrte er auf die Fotografie. Sie zeigte zwei Kinder im Alter von sieben oder sechs Jahren. Der Junge hatte dunkles zerzausten Haar und blaue Augen. Irgendwie sah er nicht besonders kindlich aus, die Emotionen in seinem Gesicht wirkten zu erfahren, zu erwachsen.

Neben ihm auf einer Parkbank sass ein hübsches Mädchen mit langen braunen Haaren und einen fröhlichen Gesichtsausdruck. Sie trug ein blassrosa Kleid und strahlte zu ihrem Liebsten herüber, genau wie auch er zu ihr hinlächelte. Auch das Mädchen wirkte älter und erwachsener.

„Ihr habt ein Foto von mir und ihr hier, als wir beide geschrumpft waren?“ Shinichi konnte es immer noch nicht glauben. Das Foto war vom Professor aufgenommen worden, als sie einen Tagesauflug zu den Kirschblüten gemacht hatten. Es war einer der schönsten Tage gewesen, die er mit ihr zusammen verbracht hatte.

„Ran war damals mit dir am glücklichsten. Nur mit dir hat sie so gelacht.“ Eri strich ihm über den Kopf. „Ich bin erleichtert, dass sie dich gefunden hat und nochmals für ein paar Monate glücklich sein konnte.“
 

Die Berührung am Kopf war seltsam. Normalweise hasste er es so behandelt zu werden, weil es ihn nur noch mehr an seinen Kinderkörper erinnerte.

Doch irgendwie war es schön, dass jemand ihn auch so akzeptierte. Von Eri hatte er so ein Verhalten nicht erwartet. Er hatte Ran auf dem Gewissen, man hatte sie umgebracht, weil er damals im Tropicalland zu neugierig gewesen war.

Eri nahm ihn an wie ihren Schwiegersohn, nahm ihn als Teil der Familie auf und schien auch die letzten Abneigungen gegen ihn abgeschafft zu haben.
 

Schritte auf der Treppe erklangen und kamen näher. Die Tür öffnete sich und ein sichtlich müder Kogoro schleppte sich in die Wohnung.

„Mensch, war das ein Theater heu-…“ Als er Conan sah, verstummte er. Es verging eine Weile, in der sich die beiden Männer anstarrten.

Kogoro sah gut aus. Zumindest war er rasiert und trug saubere Kleidung. Man sah zwar, dass er in letzter Zeit nicht viel geschlafen hatte, doch die Zeit mit Eri tat ihm sichtlich gut.

„Ah, du bist wieder da…“, sagte er schliesslich und schloss die Tür hinter sich. „Freut mich, dass es dir besser geht.“

Shinichi nickte leicht. Er war erstaunt, wie freundlich Kogoro zu ihm war. Andererseits hatte er ausser kleinen Streitereien keine grossen Probleme mehr mit dem ehemaligen Polizisten gehabt, nachdem die ganze Sache damals aufgeflogen war.

„Wie läuft es mit der Detektei?“, fragte er und schaute sich dabei erneut im grossen Wohnzimmer um. Rans Vater grinste. „Die Frage hatte ich erwartet. Es läuft gut, deine Tipps von damals haben mir geholfen.“

Eri lächelte. „Er trinkt nicht mehr soviel wie früher, nur noch ein Gläschen Wein oder Sake zwischendurch.“

Shinichi nickte anerkennend. Er freute sich, dass es den Môris so gut ging.

„Und wie geht es dir, Kudô?“ Kogoros Gesicht war ernst, als er diese Frage aussprach. „Wir haben uns Sorgen gemacht, als du plötzlich aus dem Krankenhaus verschwunden warst. Und deine Eltern auch.“

Der Junge steckte gedankenverloren die Hände in die Hosentaschen. „Mir geht es soweit etwas besser, ich arbeite beim FBI.“ Dem zweiten Teil von Kogoros Bemerkung liess er bewusst keinen Kommentar folgen.

Eri und ihr Mann beliessen es dabei, machten keine weiteren Aussagen über seine Eltern.

Er schätzte dies sehr. Rans Vater hatte etwas gesagt und nun überliess er den Rest Shinichi.

Schliesslich war der Junge alt genug um zu entscheiden, wie er weiterfahren wollte.
 

***
 

Takagi liess sich erschöpft ins Auto fallen. In seinem Kopf donnerte ein schweres Gewitter, er brachte diese vielen Informationen einfach nicht so zusammen, so dass sie Sinn machten. Oder anders formuliert: Er konnte die Puzzleteile nicht so anordnen, dass ein logisches Gesamtbild entstand.

Er wusste nicht einmal, ob er überhaupt schon alle Stücke beisammen hatte.

Und wie er an andere Lösungsteile kommen sollte.

Chris Vineyard hatte ihm einige Dinge über die frühere Organisation erzählt, allerdings hatte sie als Gefängnismitglied nicht viel über die neue Organisation gewusst. Nur ein paar Namen hatte sie erwähnt, die er sich hastig notiert hatte.

Aber was brachten Namen von damals, die heute niemand mehr kannte?

Identitäten liessen sich abstreifen wie eine alte, enge Schlangenhaut.

Wataru begann sich zu fragen, ob sie überhaupt eine Chance hatten diese Organisation auszuheben. Sie arbeiteten Tag und Nacht, suchten Spuren und doch waren am Ende immer die auf der Seite des Bösen im Vorteil.

Er seufzte, dachte an Miwako. Immer wieder wiederholte sich die Szene in seinem Kopf, doch er wollte jetzt nicht an sie denken.

Er startete den Wagen und fuhr los. Es war später Nachmittag, der Verkehr hielt sich in Grenzen. Takagi lenkte den Infini sicher durch die Strassen und dachte nach. Eine Ausfahrtstafel kam in Sichtweite. ‚Beika?’, dachte der Polizist und folgte einer Eingebung folgend dem Pfeil.
 

***
 

In seiner Hosentaschen begann sich etwas zu drehen und zu wenden und wie wild zu leuchten. Schnell holte er das nervig piepende Handy hervor, warf einen entschuldigenden Blick zum Ehepaar ihm gegenüber und drückte darauf den Abnahmeknopf.

„Ähm.. hallo?“

Ein Schnauben war zu hören.

„Hugh?“, hakte Shinichi nach.

„Mach keinen Blödsinn, Jason, oder ich verliere meinen Job.“

Shinichi brauchte einen Augenblick um zu begreifen, von was sein Bodyguard sprach.

„Wo steckst du? Ich komme dorthin so schnell wie ich kann.“ Shinichi ging auf, dass Hughs Zorn nicht ihm galt sondern sich selbst. Hugh war wütend auf sich, weil er Shinichi aus den Augen verloren hatte.

Die Stimme des Engländers nahm besorgte Nuancen an. „Bitte Jason, sag nicht, dass du zum Firmengebäude gegangen bist.“

„Das wollte ich zuerst“, gab der kleine Detektiv ehrlich zu. „Nachdem ich dich stundenlang gesucht habe, wollte ich eigentlich dorthin fahren. Allerdings…“ Ein erneutes Schnauben erklang vom anderen Ende der Leitung. „… ich bin zwei Freunden aus meiner Vergangenheit begegnet. Ich bin bei ihnen im vierten Block des Beika Viertels.“ Eine genaue Beschreibung der U-Bahnstationen folgte und Hugh legte zufrieden auf.

„Wer war das?“, wollte Kogoro wissen. Shinichi entschuldigte sich erneut für die Unterbrechung. „Das war Hugh, mein Bodyguard sozusagen.“

Er setzte sich auf das Sofa, von welchem er sich während des Telefonats entfernt hatte, und begann wieder mit seinen Ausführungen.

„Ich sagte vorhin, dass ich beim FBI arbeite…“ Jason konnte nicht verhindern, dass eine Prise seiner negativen Gefühle bei diesen Worten mitschwang. Eri und Kogoro blieb dies nicht verborgen.

Rans Vater runzelte die Stirn. „Inwiefern … arbeiten?“

Shinichi seufzte. „Ich helfe im Team mit. Wir untersuchen Telefonbücher und das Internet um seltsame Gebäude, kuriose Firmen und boykottierende Politiker ausfindig zu machen.“

Kogoro blickte ihn an. „Du klingst nicht gerade zufrieden. Habt ihr etwas gefunden und du durftest nicht mit?“

‚Woher weiss er das?’, fragte sich Shinichi.

Ihm schien die Verwirrung ins Gesicht geschrieben zu sein, denn Kogoro lächelte leicht. „Du solltest mich nicht unterschätzen, Shinichi. Ich kenne dich langsam gut genug um zu wissen, dass du es nicht ertragen kannst, wenn dir die Hände gebunden sind.“ Seine Miene wurde ernst. „Ausserdem haben auch wir uns einige Gedanken über den Brand in New York und dein Auftauchen gemacht. Akai hat dich im Krankenhaus beobachtet und sollte sicherstellen, dass du in Sicherheit bist.“

Eri erzählte weiter: „Daher mussten wir davon ausgehen, dass du immer noch in Gefahr bist. Als du geflüchtet bist, hatten wir alle unglaubliche Angst. Akai war zornig auf sich selbst, Yukiko weinte.“

„Die Erleichterung kam, als Agasa uns alle anrief um zu sagen, dass du für kurze Zeit bei ihm gewesen bist und anschliessend von Black und Akai abgeholt wurdest.“ Kogoro nahm einen Schluck von seinem Tee, dann fuhr er fort: „Dass das FBI dich so sehr schützen wollte, zeigte uns nur noch mehr, dass du in Gefahr warst und es immer noch bist. Ansonsten würden sie dir nicht einen Bodyguard vor die Nase setzen.“

Shinichi grinste schief. „Meine Arbeit beim FBI hat verschiedene Gründe. Wir wissen nicht, ob die Organisation immer noch hinter mir her ist oder nicht. Black ist der Meinung, dass die Männer in Schwarz das Interesse an mir verloren hätten, da ich nicht mehr der einzige bin, der um ihre Existenz weiss.

„Mein Bodyguard soll eher verhindern, dass ich meine eigenen Pläne verfolge und mich dadurch unnötig in Gefahr begebe. Ich habe vorgeschlagen wieder als Lockvogel zu arbeiten, was er jedoch abgelehnt hat.“

Eri sah ihn erstaunt an. „Black will dich also vor dir selbst schützen?“

„Exakt“, sagte Shinichi. „Deshalb war Hugh auch so besorgt, ich hätte unsere neuste Spur verfolgt.“

„Du bist ausgebüchst?“ Eri lächelte und auch Shinichi musste schmunzeln. „Könnte man so nennen…“

Dann wurde er wieder ernst: „Egal ob jetzt Bedrohung von aussen oder durch mich: Black will niemanden im Weg haben und mich auch keiner Gefahr aussetzen.“

„Du solltest ihn verstehen, Shinichi.“ Der kleine Detektiv sah auf in Eris hübsches und mütterliches Gesicht. „Er mag dich und will nicht, dass du aus Rache die Risiken nicht mehr einschätzen kannst. Sobald Gefühle den Verstand zu sehr lenken, ist man nicht mehr fähig die Folgen richtig abzuschätzen. Deshalb halten sich gute Anwälte und Richter auch aus Fällen raus, die sie persönlich irgendwie betreffen.“
 

Shinichi blickte sie stumm an. Er wusste, dass Emotionen den Verstand zu sehr kontrollieren konnten und er hatte auch über diese ganze Sache mehr als genug nachgedacht.

Er war mit seiner momentanen Lage nicht zufrieden, soweit er überhaupt zufrieden sein konnte ohne Ran.

Ohne sie fühlte er sich einfach nicht ganz. Wie Grossvater Lin es ausdrücken würde: Die Harmonie fehlte, seine Seele war aus der Balance gefallen, weil sein Gegenstück, das Yin, abhanden gekommen war.

Shinichi hatte seine Situation verflucht. Er hasste es nichts tun zu können und er verabscheute es ständig observiert zu werden.

Doch andererseits: War es nicht das schlichte Gegenteil von seinem Amerika-Leben?

Hier gab es Leute, die sich um ihn sorgten. Es war nicht nur die Organisation, die sich um ihn kümmerte, sondern auch viele andere Menschen.

Und selbst wenn seine Aufgabe eine lausige und langweilige war: Er hatte etwas zu tun!

Er war wütend auf Black gewesen, weil dieser ihn bewusst in diese unangenehme Position verlegt hatte. Aber Eri hatte recht: Black handelte nicht aus Rache wie er, sondern es war seine Arbeit die Menschen vor der Organisation zu schützen und dabei das Leben seiner Leute – ihn eingeschlossen – nicht zu gefärden.
 

Eri und Kogoro konnten beobachten, wie sich auf Shinichis Gesicht ein verständnisvolles Lächeln bildete.

„Ich danke euch für diesen Denkanstoss…“, sagte er.

Es läutete an der Tür und Kogoro erhob sich. „Das wird Hugh sein!“, rief der kleine Junge und er folgte, wohl wissend, dass Hugh nicht in der Lage sein würde mit Kogoro in Japanisch zu sprechen.

Die Tür öffnete sich, doch sie offenbarte nicht den erwarteten Gast.

Überraschte Schreie erklangen.

„Der Junge!“

Shinichi kniff die Augen zusammen. Vor ihm standen Sonoko und Makoto, die beiden Leute, die er vor kurzer Zeit in der Nähe des Tokyo Towers angetroffen hatte.

Er verzog den Mund zu einer Grimasse. Jetzt konnte er sich mit dem Takehiko-Modus nicht rausreden – sein Besuch hier bei Rans Eltern legte sämtliche seiner Schauspielkünste schachmatt.
 

***
 

Sie sah ihm an, was er dachte. In diesem wissenden Grinsen stand seine Niederlage geschrieben: Kudô musste

sich zu erkennen geben. Sonoko lächelte: „Du weißt genau, dass ich dir die Kind-Nummer nicht noch einmal glauben würde, nicht wahr, Kudô-kun?“

„In der Tat.“ Er sprach wie ein Erwachsener und blickte sie an, wie sie es von Shinichi gewohnt war.

Trotzdem jagte ihr dieser Anblick einen eiskalten Schauer durch den Rücken.

„Sonoko, war redest du da?“ Makoto stellte eine reine Allegorie der Verwirrung dar. Seine Augen huschten zwischen seiner Freundin und dem kleinen Jungen hin und her, die Augenbrauen waren chaotisch hochgezogen und der Mund zu einer Frage halb geöffnet.

„Kommt mal herein, ihr beiden…“, sagte Kogoro und hielt die Tür einladend auf, sodass die beiden Besucher die Wohnung betreten konnten.

Shinichi zauberte ein anerkennendes Lächeln auf sein Gesicht. „Ich hatte erwartet, dass dir die Sache nicht ganz koscher vorkommt, doch dass du mich so schnell erkannt hast, zeugt doch von einer schnellen Auffassungsgabe.“

Sonoko streckte ihm die Zunge raus. „Auch wenn du mich stets für beschränkt gehalten hast: Auch ich habe schon ein paar Fälle als Detektivin gelöst!“

Der Angesprochene warf Kogoro einen fragenden Blick zu. Dieser rollte mit den Augen und verzog den Mund zu einem Ausdruck, der dem einer schlafenden Person nah kam.

‚Sie weiss also nicht, dass ich die vielen Fälle damals in ihrem Namen gelöst habe…’, dachte Shinichi.

„Konkurrenz belebt das Geschäft…“, sagte er daraufhin mit einem süffisanten Lächeln.

Sonoko schnaubte, was den kleinen Detektiven sofort an das Telefonat mit Hugh erinnerte.

„Ausserdem…“, Sonoko sah ihn forschend an. „Du hast vorhin auch gar nicht versucht diesen bekannten Shinichi-Kudô-Blick von deinem Gesicht zu tilgen. Selbst mit Kindergesicht erkannte man dich sofort…“

„Ist dem so, ja?“ Eri und Kogoro nickten einstimmig, sodass Shinichi resignierend einlenkte.

Er musste wohl wieder etwas an der Kinderrolle feilen, sonst fiel gleich jedem Trottel auf, dass er kein Grundschüler mehr war.

Makoto meinte säuerlich: „Ich versteh immer noch Bahnhof.“ Sein von Vorwürfen gespickter Blick galt hauptsächlich Sonoko und Shinichi stellte amüsiert fest, dass der gute Makoto wohl etwas eifersüchtig war.

Er trat auf den für ihn hünenhaften Mann zu und bot ihm die Hand an.

„Gestatten, Kudô Shinichi. Meines Zeichens Detektiv.“ Er fügte hinzu: „Du wirst mich allerdings eher unter dem Namen Edogawa Conan kennen.“

Makotos Augen weiteten sich.

„Das ist ein Scherz, oder?“ Er starrte den Jungen vor sich an.

Dieser schüttelte den Kopf. „Ich bedaure, nein.“

„Aber, wie ist das möglich? Du…“ Er verstummte, begann von neuem: „Vor zehn Jahren hat doch Ran gesagt, ihr Freund Kudô Shinichi sei tot! Und diese beiden Kinder sind auch verschwunden…“

Sonoko flüsterte: „Dieses Mädchen damals… Sie war Ran, nicht wahr?“

Es war keine Frage, sondern eine Feststellung.

„Wie ist es möglich, dass du…“, fragte Makoto und ging in die Knie um auf einer Augenhöhe mit Shinichi zu sein. „Du bist doch eigentlich gleich alt wie wir…“

Ein gequältes Lächeln erschien auf Shinichis Gesicht. „Wäre ich, ja…“

Warum bereitete es ihm nach zehn Jahren immer noch Probleme darüber zu sprechen?

Immerhin hatte er ja Zeit gehabt damit fertig zu werden?
 

Er schalte sich selbst. ‚Sei ehrlich zu dir, Kudô. In Amerika hast du dich versteckt und deswegen bist du auch geflüchtet.

‚Aus Angst davor, dass alle aus deinem Umfeld plötzlich von deiner ewigen Schrumpfung erfahren. Du hattest Angst ständig darauf angesprochen zu werden, ständig daran erinnert zu werden…’
 

Es war seltsam für ihn, plötzlich so vielen alten Gesichtern aus der Vergangenheit zu begegnen.

Und das Ganze ohne Ran an seiner Seite.

Er schloss die Augen kurz. ‚Du stehst das durch…’, sprach er sich selbst Mut zu.

„Ich bin leider durch ein Gift dazu gezwungen worden, diese Gestalt anzunehmen. Leider ist es jetzt zu lange her und ich kann nicht mehr in meinen alten Körper zurück.“ Er sah auf.

Sonoko erbleichte. „Du bleibst…?“ Ihre unvollständige Frage wurde von einem bitteren Lächeln seinerseits

beantwortet.

Es blieb still. Die Anwesenden starrten auf nicht vorhandene Punkte, alle waren angespannt.

„Wollt-, wollt ihr etwas trinken?“, unterbrach schliesslich Eri die Stille.

Sowohl Sonoko als auch Makoto nickten dankbar und nahmen die Tasse mit Tee entgegen, die Rans Mutter ihnen anbot.

Shinichi wurde langsam unruhig, was Hugh betraf. Es waren schon über 40 Minuten seit dem Telefonat mit ihm vergangen und selbst mit Hughs Unfähigkeit sich im japanischen U-Bahn-System zurechtzufinden, müsste der Rothaarige langsam aber sicher eintreffen.

Shinichi hatte ihm genau erklärt, welche beiden Linien der Brite nehmen musste.

Er zupfte immer wieder sein Handy hervor, doch das Display blieb leer.

Kein Anruf, keine Nachricht.

„Shinichi?“ Sonoko kam auf ihn zu und ging wie Makoto zuvor in die Knie. Der kleine Detektiv schätzte diese Geste, weil er den Hals nicht immer so sehr recken musste.

„Ran ist dir doch gefolgt, nicht wahr?“

Er nickte. „Sie hat mich im Übrigen auch gefunden, wenn du das wissen willst.“

Die Millionärstochter nickte nun ebenfalls. „Es beruhigt mich, dass sie wenigstens dann noch einmal glücklich sein konnte, nachdem sie ihre ganze Jugend halb trauernd verbracht hat.“

Shinichi antwortete nicht. Er hatte plötzlich einen dicken Kloss im Hals.

Heute hatte er soviel von Ran erfahren und er fürchtete, dass langsam sein Pensum an Ertragbarem gefüllt war.

Es erschien ihm aber herzlos einfach davonzugehen.

„Wir waren glücklich, wir beide….“, flüsterte er. Dann zog er entschuldigend sein Handy hervor und rief Hugh an. Es nahm niemand ab. Endlos piepte der Anrufton, doch der Besitzer des Telefons hob nicht ab.

Er blickte auf die Uhr und beschloss, allein heim zu gehen.

Die Nachricht auf Hughs Anrufbeantworter war schnell gesprochen, dann wandte er sich den vier Personen im Wohnzimmer zu.

„Ich sollte langsam zurück. Nicht, dass Black noch ein Suchkommando nach mir ausschickt…“

Er fühlte sich müde.

Dieser Überfall von Niedergeschlagenheit und Erschöpfung kam langsam.

„Aber ich hatte noch…“

„Du siehst nicht gut aus, Shinichi…“, unterbrach Eri Sonoko.

Der Angesprochene schüttelte den Kopf. „Ich bin nur etwas müde, hatte einen langen Tag hinter mir. Wir werden uns sicher wieder sehen – das Gespräch heute war …“, er suchte nach dem richtigen Ausdruck, blieb dann doch bei einem schlichten Wort: „…schön…“ Sein Lächeln kam vom Herzen.

„Soll ich dich heimfahren?“, wollte Kogoro wissen.

Shinichi lehnte ab.

Er wollte allein sein, ausserdem würde die Reise per U-Bahn nicht lange dauern.

Er verabschiedete sich von allen, dann liess er diese Gemeinschaft aus der Vergangenheit hinter sich zurück.
 

***

„Wir sollten Yukiko und Yusaku anrufen. Sie sollen wissen, dass es ihm soweit gut geht und dass er hier in Tokyo weilt.“

Nachdem auch Sonoko und Makoto gegangen waren, sassen die Anwältin und der Detektiv auf dem Sofa. Sie lag in seinem Arm und nippte zwischendurch an einer heissen Tasse Tee, er spielte gedankenverloren mit einer ihrer Haarsträhnen.

„Bist du dir sicher, dass er das will?“, wollte Kogoro skeptisch von Eri wissen. Diese zuckte mit den Schultern.

„Zumindest…“, begann sie ohne ihre Gedanken weiter zu erläutern.

Kogoro nickte. „Ich verstehe, was du meinst. Sie sollen sich zumindest keine Sorgen machen müssen.“

Eri drückte ihrem Mann einen Grünteekuss auf die Wange. Dieser liess sich dies gerne gefallen und lächelte.

Nach einer Weile siegte dann doch die Neugier: „Was wollte Sonoko eigentlich?“

Eri schmunzelte, wurde aber gleich wieder enst: „Sie ist heute bereits einmal mit Shinichi zusammengestossen. Zuerst dachte sie, es sei Conan und…“ Sie runzelte die Stirn. „Die ganze Sache hat sie verwirrt und sie wollte mit uns darüber sprechen.“

Danach sprachen sie nicht mehr. Sie sassen da aneinandergekuschelt im Halbschatten und liessen ihre Gedanken kreisen.
 

______________________________________________________
 

Als Dank für eure Loyalität kommt hier ein - so wie ich hoffe - langes Kapitel.

Bitte entschuldigt die lange Wartezeit und die mangelnde Qualität meiner Geschichte. Zwischen den ersten und den letzen Zeilen dieses Kapitel liegen 1 1/2 Jahre: Also nicht erstaunt sein, sollte der Schreibstil oder die Logik stark in entgegengesetze Richtungen peilen.

Ich hoffe, es gefällt euch und bin wie immer

für Kommentare, Kritik, Verbesserungsvorschläge, Fragen, Hinweise zu haben.
 

Frohe Ostern, ihr Lieben!

Zaijian!

taipan
 

P.S. Update: Schlimmste Fehler sollten fürs Erste in diesem Kapitel getilgt sein. ^^°°



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Shelling__Ford
2008-03-22T19:06:37+00:00 22.03.2008 20:06
Hi ^^

Sooorry das ich so spät bin ♥
Aber ich freu mich wirklich rießig das du an der Fic weiter schreibst ^^
Das mit Hugh hab ich mir schon gedacht *gg*
Aber ich fand Kogoros und Eris Verhalten Shinichi gegenüber wirlich schön ♥ Aber auch Sonoko ^^
Alles schien recht heiter und doch hast du die gedrückte Stimmung gut vermittelt die durch Rans Tod einfach immer nich herrscht *schnief*

Ich freu mich schon auf das nächste Kappitel
ich wünsche dir Frohe Ostern und verbleibe dir wie immer als deine treue Leserin Shelling Ford
Von:  Seiji_Takashi
2008-03-22T14:31:39+00:00 22.03.2008 15:31
Zum zusammenfassen der ganzen geschiechte:
Ran ist conan hinterher und wurde wieder zu einem kind
Ran ist "angeblich" tot nur Conan/Shinichi weiß nichts davon?
Ok alles sehr gut freue mich auf das nächste Kapi hoffentlich treffen sich die beiden wieder^^
Von:  Leira
2008-03-21T19:13:59+00:00 21.03.2008 20:13
Hi :)

War ein schönes Kapitel... Eris und Kogorôs Verständnis für Shinichis Situation fand ich gut. Ich bin gespannt, ob sie die Kudôs jetzt noch anrufen- und wie dieses Gespräch ablaufen wird.

Und wo der liebe Hugh stecken geblieben ist...

Hat mich gefreut, dass es weiterging- und ich freu mich auf weitere Kapitel :)

LG, Leira :D


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