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Dieser eine Drang

die Vergangenheit ruht nie
von

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Ruhe der Vergangenheit - Part 1

Ich hatte meine Knie angezogen und meine Arme um meine Beine geschlungen. Gebannt starrte ich auf den Fernseher.

Zusammen mit meinen Eltern schaute ich das Musical: Das Phantom der Oper.

Ich verstand es noch nicht wirklich, immerhin war ich erst zwölf Jahre alt und meine Gedankengänge reichten noch nicht tief genug, um das Bild hinter den Worten zu sehen.

Vielleicht war ich noch etwas jung für den Film gewesen. Doch auf der Verpackung stand Freigegeben ab 6 Jahre. Deswegen machten sich meine Eltern auch keine Sorgen, dass ich noch nicht bereit war für den Film.

Dann kam die Szene, in der Christine über den Friedhof zum Grab ihres Vaters ging. Eingehüllt in ein langes schwarzes Kleid mit einem schwarzen Umhang zum Schutz vor der Kälte. Traurig sang sie ihr Arie, die so verzweifelt vorgetragen wurde, dass sie mich beinahe zu Tränen rührte.

Mein Vater seufzte tief. Ich blickte zu ihm. Auch er war zu Tränen gerührt. Ich stand auf und setzte mich zu ihm. Er nahm mich in den arm und ich verbarg mein Gesicht in seinem Pullover. Er roch gut, jedenfalls so wie ich das damals beurteilen konnte. Sanft strich er mir über den Rücken.

Ich weiß nicht mehr durch welche Bemerkung wir auf das Thema gekommen sind, doch irgendwann redeten wir darüber, was ich machen würde, wenn es ihn einmal nicht mehr gäbe.

„Dann gehe ich singend über den Friedhof und trauere um dich“, meinte ich mit meinen damals noch leicht kindlichem Leichtsinn. Er lächelte. Die Idee, die Szene aus dem Film nach seinem Tod immer wieder durchzuspielen, war geboren.

Obwohl wir immer knapp bei Kasse waren, bekam ich Gesangsunterricht, um die Arie in späteren Zeiten singen zu können.

Das die „späteren Zeiten“ nicht mehr so weit entfernt waren, wusste ich damals noch nicht.
 

„Sie wollen sagen, dass ihr Vater ihnen Gesangsunterricht erlaubte, damit sie seinen Tod besingen können?“, fragte mich die Psychologin mit einem Stirnrunzeln.

Ich bejahte das Ganze.

Doch mit ihrer Zwischenfrage hatte sie mich aus meiner Traumwelt gerissen, in die ich bei meiner Erzählung abgetaucht war.

Langsam kehrte die Realität zurück. Das Büro, in dem ich eingehüllt in meine Zwangsjacke saß. Der große alte Schreibtisch, der mich von der alten bieder gekleideten Frau, die der Ansicht war mir helfen zu müssen, trennte.

Sie sah mich über den Rand ihrer Brille hinweg an. Ich hasste Leute, die das taten und wäre ihr am liebsten für diese Tatsache an den Hals gesprungen.

Doch ich musste mich beherrschen. Ich wollte möglichst bald entlassen werden und das konnte ich nur, wenn mich die Psychologen für psychisch stabil einstuften und in mir keine Gefahr mehr sahen.

Ich wollte hier raus und das zu Ende bringen, was ich angefangen hatte. Nur dieser Gedanke, dieser innerliche Drang, der mich zu zerreißen drohte, hielt mich davon ab so einiges zu tun. Er hielt mich aber auch zusammen.

„Sie müssen wissen, wir hatten nicht viel Geld, doch mein Vater fand meine Stimme so schön, dass er meinte, sie müsste unbedingt gefördert werden. Deswegen hat er mir den Gesangsunterricht finanziert, auch wenn das hieß, dass wir ganz oft aufs Auto verzichten mussten, oder die Heizung im Winter runter drehen mussten. Er wollte meine Stimme nicht unbenutzt lassen“, erzählte ich weiter.

Die Psychologin machte sich ein paar Notizen und fragte dann: „Und ihre Mutter? Was hielt sie davon?“

„Meine Mutter war nicht besonders begeistert davon. Sie hielt es für überflüssig, da ich mit einer gut ausgebildeten Stimme in der Berufswelt doch nicht weiter kam, und ich solle mich lieber um meine Schulnoten kümmern“, erklärte ich.

Nicht besonders begeistert war weit untertreiben.

Sie hatte getobt deswegen. Es hatte heftige Streits mit meinem Vater gegeben, die in wilden Beschimpfungen endeten. Meine Mutter war immer die jähzornige von beiden gewesen. Ich glaube sie schlug auch meinen Vater das ein um das andere mal. Doch mein Vater schlug nie zurück.

Er war immer von sanftem Gemüt gewesen. Immer ruhig und bedacht, was er tat.

Der Jähzorn meiner Mutter war am schlimmsten, wenn sie wieder zu viel getrunken hatte. Was leider immer öfter passierte.

Die Psychologin kramte in ihren Unterlagen. „Stimmt es, dass ihre Mutter eine ziemlich jähzornige Person ist?“, fragte sie dann.

Ich seufzte leise. Konnte sie eigentlich Gedankelesen?

Langsam fing ich an zu erzählen und merkte selbst, wie sehr ich meine Mutter dabei in Schutz nahm und ihre Taten beschönigte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  SawyerMars
2010-02-06T22:18:34+00:00 06.02.2010 23:18
Das ist voll heftig was du schreibst :O aber toll =) nein super x))


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