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Schloss Tegel

von

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I

Sie blieb stehen, presste die Porzellanschüssel fest an ihre Brust. Panisch versuchte sie ihren gehetzten Atem zu beruhigen, um etwas anderes als ihr Keuchen zu hören.

War da nicht etwas gewesen? Schritte?

Sie kniff die Augen zusammen und holte tief Luft, bevor sie weiter lief. Kleid und Schürze schleiften über den matschigen Grund, aber sie hatte keine Hand frei, sie aufzuraffen. Mamsell Zimmermann würde mit ihr schimpfen, das wusste das Mädchen jetzt schon, aber hätte sie sie eben nicht noch so spät bei aller Dunkelheit in den Garten geschickt, noch dazu, wenn es zuvor geregnet hatte! Sie sollte Belcastel die Reste vom Fleisch bringen. Wieso musste diese Hundehütte nur so weit weg stehen? Wieso musste dieses Anwesen nur so groß sein, wieso die Nacht so dunkel?

Plötzlich hörte sie es wieder. Schritte. Es lief jemand durchs Geäst.

Sie rannte schneller, stolperte zwischen den Büschen hindurch, über die kleine Brücke. Ängstlich huschten ihre Augen umher, aber sie konnte nichts als Schemen in der Nacht ausmachen.

Da vorne war die Hundehütte, gleich hatte sie es ge –

Eine schlammige Hand packte sie am Arm, sie ließ die Porzellanschüssel mit den Essensresten fallen, hörte sie jedoch nicht am Boden zerklirren, da sie schrill zu schreien begonnen hatte.

Ihr erstarb die Stimme, als sich eine weitere Hand auf ihren Mund presste und sie nach hinten an einen kräftigen Männerkörper gezogen wurde.

„Pschhht, nicht schreien, beruhig dich, Mädchen.“

Sie begann zu zittern, als sie die wohlklingende Stimme erkannte, und ein Seufzer der Erleichterung verließ ihre Lippen.

„Herr…Herr Baron Alexander…“

Sie drehte sich zu ihm herum und erkannte tatsächlich den jüngeren Sohn ihrer Herrin, ein wunderschöner junger Mann, der momentan auf seiner Sonnenbräune noch eine Ladung Schlamm trug.

„Es tut mir Leid, dass ich dich erschreckt hab,…Ida, nicht?“

Sie nickte hastig, und ihr Herz klopfte aufgeregt, als er ihr den Matsch vom Ärmel und aus dem Gesicht wischte.

„Aber ich komme gerade zurück aufs Anwesen, da sehe ich eine Gestalt durch unseren Garten rennen. Du musst verstehen, dass ich da etwas misstrauisch wurde und nachsehen wollte. Was machst du so spät noch hier draußen?“

Das Dienstmädchen schreckte auf diese Frage hin hoch und schlug die Hände über ihrem Kopf zusammen, als sie das Fleisch im Gras zu ihrer beider Füßen verteilt vorfand.

„Ach, herrje! Ich soll die Essensreste Belcastel bringen! Mamsell Zimmermann wird wütend mit mir sein!“

„Wieso?“, meinte der junge Baron lächelnd.

„Belcastel wird schon nicht zu anspruchsvoll sein und das Fleisch noch essen. Sieh, die Schüssel ist auch noch heil.“

Schneller als Ida schauen konnte, war er in die Knie gegangen und fing an, die Essensreste einzusammeln.

„A-aber…!“ Entsetzt riss sie ihm die Schüssel aus der Hand, um im nächsten Moment über diese Aktion noch entsetzter zu sein.

„Ver-verzeihen Sie, Herr Baron von Humboldt, a-aber – Ich bin für solche Arbeit zuständig, machen Sie sich die Finger nicht schmutzig.“

Mit hochroten Wangen sammelte sie das restliche Fleisch zusammen, während Alexander nur neben dran stand und herzhaft lachte.

Er begleitete sie sogar noch zu Belcastels Hütte und zurück zum Dienstboteneingang. Auf ihrem Weg spielte sie nervös mit ihrer Schürze oder an ihrem Häubchen und getraute sich nicht zu ihm aufzuschauen.

Endlich erschienen vor ihnen die hohen Mauern des Schlosses Tegel, ein viertürmiger, wohlproportionierter, klassizistischer Kubus mit weißer, vierstöckiger Fassade und dunklem Ziegeldach.

„Ich werde wohl mit ins Untergeschoss kommen dürfen, oder?“, fragte Alexander, als er dem Dienstmädchen die Holztür aufhielt.

Sie sah ihn nur noch mehr aus der Fassung gebracht an.

„Wie? Aber…aber das sind die Räume der Bediensteten, was– “

„Deshalb frage ich ja.“, meinte der Baron, „Ich möchte niemanden belästigen. Aber andererseits möchte ich vermeiden, dass ich so“, er zeigte an seiner durchweichten und mit Schlamm bespritzten Kleidung hinunter, „meiner Mutter begegne.“

„I-ich verstehe.“, brachte Ida heraus und ging zur Seite, um den jungen Herrn eintreten zu lassen.
 

„Ach, Alexander, wie haben Sie das nur wieder geschafft?“

Keineswegs tadelnd, sondern eher amüsiert betrachtete der Kammerdiener seinen Herrn. Er war größer als der junge Baron und um zehn Jahre älter; von seinen zweiundvierzig Lebensjahren hatte er nun schon dreizehn Jahre auf Schloss Tegel verbracht und kümmerte sich um den jungen Herrn, seit der volljährig und nicht mehr bei der Gouvernante zum Unterricht war. Er hatte also schon lange aufgehört, dieses „Ach, Alexander, wie haben Sie das nur wieder geschafft?“ tadelnd auszusprechen, es hätte ja doch keinen Erfolg gezeigt. Also amüsierte er sich lieber.

„Geben Sie mir Ihre Weste.“, meinte er und nahm keine Rücksicht auf die weißen Handschuhe, die er zum schwarzen Frack trug, als er das schlammige Kleidungsstück dem anderen von den Schultern zog.

Mit Bedacht warf er es auf die Fliesen nahe der Tür, um den Läufer vor der Badewanne nicht zu beschmutzen.

„Es tut mir Leid, Robert.“, wiederholte Alexander abermals, aber sein Kammerdiener lachte nur.

„Darf ich raten? Waren Sie wieder am See?“, fragte er, während er dem Baron das Hemd aufknöpfte.

„Richtig.“, antwortete der schmunzelnd, „Es war von wissenschaftlichem Belang.“

„Ach, ist es das nicht immer, Herr Baron?“

„Wirklich“, beharrte Alexander, „Ich will damit aufhören. Jetzt, wo Mama darauf besteht, mich auf sämtlichen Veranstaltungen vorzuführen, sehe ich es als zu riskant; man könnte mich erkennen.“

„Sie waren also nicht an der Scheune?“

„Nein, am See. Ich sagte es doch, der Wissenschaft wegen.“ Er scheuchte Roberts Hände von seinem Gürtel fort, um ihn selbst zu öffnen. „Ich habe ein paar Proben von Algen genommen.“

Der nun arbeitslose Kammerdiener sah skeptisch hinüber zu den vier kleinen verschlossenen Gläsern, die Alexander gleich nach seiner Ankunft im Bad aus seinen Hosentaschen gekramt und unbedingt auf der Kommode hatte abstellen wollen.

„Ich hoffe Ida hat Ihnen gründlich hinterhergewischt, sonst erlebt Ihre Mutter morgenfrüh eine böse Überraschung.“

„Ich hoffe das Wasser ist warm.“, entgegnete Alexander und warf die Hose zu Weste und Hemd auf die Fliesen.

„Es klappt nicht immer, mit dem Ofen im Keller, aber Rousseau hat ihn doch vor dem Winter warten lassen.“

„Sehr tüchtig, unser Butler.“, nickte der Baron und stieg in die Wanne.

Er tauchte gleich auch mit dem Kopf einmal unter und begann dann, den Dreck von Armen und Hals zu waschen. Da Robert, der normalerweise viel und gerne redete, kein Wort mehr von sich gegeben hatte, sah er irgendwann zu ihm auf.

Der Kammerdiener stand vor der Wanne, die Hände vor der Brust verschränkt, ohne mit den schmutzigen Handschuhen seinen Frack zu berühren, und sah ihn an.

„Was ist?“, fragte Alexander etwas irritiert.

Robert fing an zu lachen.

„Nichts, mein Herr, ich dachte nur…“ Er ging vor der Wanne in die Knie, um seine Arme auf dem Rand abzulegen.

„Ich frage mich nur, da Sie jetzt ja »damit aufhören«, wie Sie das denn in Zukunft kompensieren wollen?“

Jetzt war es Alexander, der lachte.

„Das ist doch nicht etwa gerade ein Angebot, Robert?“

Der Diener blickte ihn schmunzelnd an.

„Nein, tut mir Leid.“

Der Baron ließ sich zurück ins Wasser sinken.

Als er wieder mit dem Kopf aufgetaucht war, ergänzte der Kammerdiener: „Aber, abgesehen davon, dass Sie mein Angebot wegen fehlenden Interesses sowieso abgelehnt hätten, biete ich Ihnen an, Ihnen den Rücken zu schrubben.“

„Das stimmt, damit ist mir besser geholfen.“

„Sehen Sie.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von: abgemeldet
2011-07-02T22:45:05+00:00 03.07.2011 00:45
Ich finde Ida im Moment niedlich...er hat sie aber auch echt böse erschreckt...ich hätte einer Person, die mich im Dunklen von hinten packt die Schüssel wohl eher übern Schädel gezogen vor Schreck...insofern hat er Glück gehabt^^
Robert mag ich auch...und Russeau ist auch wieder dabei <3
Ich freu mich schon sehr auf den weiteren Verlauf dieser FF XD
Von:  Ran34
2011-07-01T19:14:53+00:00 01.07.2011 21:14
Der Anfang war richtig toll geschrieben!
So spannend! >.<

Es hört sich auf jeden Fall sehr interessant an und ich bin ebenfalls sehr gespannt auf das nächste Kapitel!

Auch wenn die Story einen ganz anderen Hintergrund hat muss ich immer an VLE denken, ich denke das wird nicht ausbleiben, da man die Story immer im Hinterkopf hat. Was mir übrigens grade auffällt ist, dass du jetzt ja quasi eine FF zu deiner FF geschrieben hast :P

lg~
Von:  BloodyMary1342
2011-07-01T13:13:45+00:00 01.07.2011 15:13
ich glaube ich mag Robert (heißt alexanders kammerdiener so?) jetzt schon! xD
diese Ida eher weniger -_- die zeigt eindeutig zu viel interesse an alex xP^^

Ich freu mich schon auf das nächste Kapitel (und ich hoffe das Heinrich bald auftaucht xD)

LG Yuki


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