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Schloss Tegel

von

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XV

Es war still im Gang. Alexander fragte sich, ob Schloss Tegel einmal überall, in jedem Flur, in jedem Zimmer so still sein würde.

Das Klopfen an die hölzerne Tür brach fast wie ein Donner in die drückende Stille.

Es kam kein »Herein«, aber nach einer Weile öffnete Margarethe. Mit einer leichten Verbeugung gewehrte sie Alexander Eintritt in das Schlafgemach seiner Mutter und schloss hinter ihm die Tür.

Der junge Baron kam sich seltsam vor. Das Verhältnis zwischen ihm und seiner Mutter war noch nie sonderlich herzlich gewesen. Es war klar zu sehen, dass sie Wilhelm bevorzugte; aber es stimmte ja: Mit ihm konnte man sich besser unterhalten. Vom Wesen her waren sich der Ältere und die Baronesse ähnlicher. Sie waren beherrscht, stets anständig und höflich, ernst. In diesen Situationen, in denen die beiden ihm viel zu spröde und prüde vorkamen, da vermisste Alexander seinen verstorbenen Vater wie nichts sonst. Er konnte sich zwar nicht sonderlich gut an ihn erinnern, aber immer sah er ein freundliches, heiteres Lächeln vor sich, wenn er an ihn dachte. Ein warmes liebevolles Lächeln, warme große Hände, die ihn hielten.

Er verstand sehr gut, wieso seine Mutter ihm gegenüber eher distanzierter war, wenn es wirklich stimmte, was Ferdinand sagte: dass er seinem Vater so sehr ähnelte. Sie musste jedes Mal, wenn sie ihn ansah, den Schmerz des Verlustes spüren; klar, dass sie das verbitterte.

„Alexander.“

Ihre Stimme klang schwach, als sie seinen Namen sagte. Den seinigen und den seines Vaters.

Alexander trat zu ihr ans Bett und sah stumm auf sie herab. Er war besorgt. Sie sah alt aus. Seine Mutter sah nie alt aus.

„Mama.“

Sie lächelte.

„Setz dich, Alexander.“

Er gehorchte. Irgendwie hielt er es für richtig, jetzt ihre Hand zu nehmen.

Er glaubte zu träumen, als ihr Lächeln breiter wurde.

„Wie…Hast du Schmerzen?“

Sie schloss kurz die Augen, bevor sie ihn wieder anblickte.

„Nein. Jetzt nicht mehr.“

Er drückte ihre Hand ein wenig fester und nickte.

„Es muss die Aufregung gewesen sein…“, meinte sie.

Alexander wusste nicht, was er sagen sollte, dabei wollte er so vieles loswerden.

„Was willst du?“, fragte die Baronesse. Dies ließ ihn hochschrecken.

„Ich…!“ Er griff auch mit der anderen Hand nach ihrer. „Mama, du musst mir glauben.“, fing er an, „Ich will nicht…Ich bin nicht mit heuchlerischen Absichten an dein Bett gekommen, ich bin nicht wie Ferdinand! Mir…mir geht es gar nicht ums Erbe! Das Erbe… - es ist mir schei – e-egal, ist es mir, verzeih. Das Erbe ist mir egal, Mama, nur…Nur Wilhelm! Er hat eine Familie! Du kannst ihm das Schloss nicht wegnehmen, er lebt doch schon so lange hier, die kleine Gabriele ist hier geboren, sie wird hier groß, bitte…“ Alexander merkte jetzt erst, dass ihm die Tränen über die Wangen liefen. Er lachte jämmerlich. „Vater hat diesen wunderschönen Garten gestaltet…es ist sein Garten…Ich könnte nicht zuschauen, wie dieser…wie Ferdinand alles zugrunde gehen lässt, wie unwürdig er das Personal behandelt, wie…das schöne Schloss, Mama…“

„…Alexander.“

Mühsam streckte sie ihre Hand nach ihm aus. Es dauerte einige Sekunden, bevor Alexander erkannte, dass er ihr mit dem Gesicht entgegenkommen musste.

Zärtlich fuhr sie ihm über die Wange, wischte seine Tränen beiseite und lächelte ihn liebevoll an. Solch ein liebevollen Lächeln hatte sie ihm noch nie geschenkt, nie.

„Weißt du, wieso ich dich, dich und deinen Bruder Wilhelm viel mehr liebe, als Ferdinand?“, sagte sie. „Weil ich euren Vater geliebt habe. Ich will nicht sagen, dass Ernst von Hollwede ein schlechter Mann gewesen wäre, er war nett, ja, aber ich habe ihn nie so geliebt, wie ich euch liebe. Ich habe ihn geheiratet, weil ich eine junge Frau ohne Perspektiven war und weil Ernst mir diese Perspektiven mit seinem Vermögen und seinen Gütern bieten konnte. Als ich euren Vater jedoch geheiratet habe, da tat ich das aus Liebe zu ihm. Er hatte nichts, nur den neuverliehenen Adelstitel, ich hatte das Geld. Ich hätte mir jeden aussuchen können, Alexander, aber ich habe mich für deinen Vater entschieden, weil er der klügste und charmanteste und schönste unter ihnen war und weil er mich so geliebt hat, wie ich ihn liebte.“

Alexander schluckte. Er schämte sich dafür, dass ihm immer noch unaufhaltsam die Tränen übers Gesicht liefen. Er war kein Kind mehr, verdammt!

„Komm her.“

Ein wenig überrascht ließ er sich zu ihr ziehen und legte schluchzend seinen Kopf an ihre Brust. Sie fuhr ihm sanft durch die Haare, flüsterte beruhigende Worte.

„Ich will nicht, dass du stirbst!“

„Ich sterbe noch nicht.“, antwortete sie, „Noch nicht.“
 

Es vergingen einige Minuten, bis Alexander sich wieder imstande sah, sich aufzurichten. Er wischte mit den Ärmeln seines Gehrocks seine Augen trocken, räusperte sich unbeholfen. Er kam sich wirklich wie ein kleiner Junge vor.

„Wenn es dich beruhigt“, fing die Baronesse in die wieder aufgekommene Stille hinein an.

Ihr Sohn sah sie erwartungsvoll an.

„Wilhelm wird das Schloss behalten, und nichts kann mich mehr von diesem Entschluss abbringen.“

Alexander schlug die Hände vor der Brust zusammen. Er suchte nach Worten, konnte seine Erleichterung aber nur durch ein überglückliches Grinsen deutlich machen.

„D-du…! Das… - Danke, Mama, danke!“ Übermütig küsste er ihr die Hand, was sie tatsächlich zum Lachen brachte.

Ein wenig melancholisch sah sie ihn an. „So ungestüm, wie dein Vater, Alexander.“

Das machte den jungen Baron noch ein wenig glücklicher.

„Und, Alexander“, sprach sie weiter, jedoch wieder in einem ernsteren Tonfall, „Du sollst wissen, dass ich voll und ganz Willens bin, dir anstelle Ferdinands das Gut Falkenberg zu vermachen.“

„W…Tatsächlich?“, brachte Alexander heraus. Damit hatte er niemals gerechnet.

Doch die Baronesse nickte. „Ja, das ist meine Absicht. Also achte bitte darauf, dass du dich auch wie ein berechtigter Erbe verhältst.“

Alexanders Augen weiteten sich. Er sah seine Mutter an und hatte plötzlich das Gefühl, dass ihre graublauen Augen ihn völlig durchdrungen.

„Mama– “

Ein Ausrutscher, mein Sohn. Es bedarf nur eines Ausrutschers und Ferdinand nagelt dich daran fest.“ Sie sah ihn eindringlich an. „Bitte bedenke das bei allem, was du tust. Ich will weder mein Schloss, noch das Gut an ihn verlieren.“

Alexander schluckte. Geradeso bekam er ein Nicken zustande.

„Ich denke, morgenfrüh geht es mir wieder besser.“

„Ja, ich…ich hoffe es.“ Unbeholfen stand er auf. „Ich…Gute Nacht, Mama.“

„Gute Nacht, mein Sohn.“
 

Als Alexander die Tür hinter sich geschlossen hatte, konnte er sich nicht vom Fleck rühren. Zu entsetzt war er über die Tatsache, dass seine Mutter ihn anscheinend besser kannte, als er zu glauben dachte. Sie musste Bescheid wissen, anders waren ihre Andeutungen nicht zu verstehen.

Fast mit einem schlechten Gewissen betrat er sein Zimmer. Er sprach nicht viel mit Robert, ließ sich sonderlich wortkarg von ihm entkleiden, hatte keine Lust dazu, sich zu waschen, das würde er morgenfrüh nachholen. Robert war verwundert, aber damit einverstanden.
 

Alexander lag noch bis spät in die Nacht wach. Er dachte nach. Morgen würde er mit Kleist zum See gehen, Schwimmen, sie würden sich voreinander ausziehen. Sollte er den Ausflug absagen, seiner Mutter zuliebe?

Verzweifelt drehte er sich auf den Rücken und starrte an die Decke.

Nein. Er konnte, er wollte nicht! Er…er sehnte sich danach, Kleist endlich…ihn endlich in solch einem intimen Moment zu erleben, das konnte er sich doch nicht entgehen lassen! Und überhaupt: Wie sollte Ferdinand davon Wind bekommen? Und wenn: Sie würden schließlich nur zusammen Schwimmen gehen. Wie viele Männer gingen bitteschön zusammen Schwimmen?! Tausende! Und es sah wahrhaft nicht danach aus, dass sich ihr Ausflug an den See zu etwas anderem entwickeln würde.

Wobei…wenn man es sich genau besah…Eigentlich wirkte es doch so, als wenn Kleist ihm nicht völlig abgeneigt wäre. Seine Reaktionen, seine Blicke…seine Wangen, die sich immer so herrlich röteten…

Alexander drehte sich auf die Seite.

Aber…Kleist war ein schrecklich unsicherer Mensch. Was, wenn er nur nicht wusste, wie er auf seine Avancen reagieren sollte? Was, wenn dies alles nur aus Unbeholfenheit heraus und nicht aus Leidenschaft geschah?

Der junge Baron seufzte.

Er musste wohl warten. Er musste darauf warten, dass Kleist ihm ein eindeutiges Zeichen gab, eine eindeutige Bestätigung, weitergehen zu dürfen.

Aber was, wenn da nichts von ihm kam? Immerhin hatten sie nur noch morgen Zeit. Nur noch den einen Tag, bevor die Madame und ihre Tochter zurückkommen würden. Denn was für eine Entschuldigung würde er dann noch haben, so viel Zeit mit dem jungen Leutnant zu verbringen? Keine einzige. Er musste sich ab übermorgen wieder um dessen Cousine kümmern, nur für sie da sein. Nur noch mit ihr durfte er im Garten spazieren gehen, nur noch ihr seine wissenschaftliche Sammlung zeigen. Und darauf konnte er wahrlich verzichten.

Verzweifelt vergrub er sein Gesicht im Kopfkissen.

Was sollte er bloß machen?!? Wenn er Dorothea am Ende der Woche abwies, wie die ganzen anderen Frauen vor ihr auch, dann würde er Kleist nicht mehr so schnell zu Gesicht bekommen, geschweige denn ihn als Freund behalten können. Aber…war das ein Leben, verheiratet mit einer Frau zu sein, und bei jedem Kuss, bei jedem Schwur der Treue und Liebe, ja, gar im Ehebett stets an ihren Cousin denken zu müssen…?

Seiner Mutter würde er damit wiederum einen Gefallen tun. Er würde damit, nicht nur sich, sondern auch Wilhelm, das Erbe sichern.

Alexander wollte nicht wieder zu weinen beginnen, deshalb sprang er auf und holte sich aus seinem Arbeitszimmer ein Buch über die Gesteinsschichten in den Alpen, das er studierte, bis er endlich darüber einschlief.
 

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Ich denke, in diesem Kapitel merkt man ganz gut, dass sich dieser Alexander und der Alex aus VLE doch vom Charakter ein wenig unterscheiden. Salopp gesagt hab ich ihn nicht so waaahnsinnig "seme-haft" gestaltet XD
 

Vielen Dank für eure Kommentare und Favos! Das spornt mich an hier (und an VLE^^) weiterzuschreiben...! X3



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Ran34
2011-08-08T16:07:13+00:00 08.08.2011 18:07
Stimmt, dieser Alex ist vom Wesen her wirklich ein wenig anders, als der aus VLE, aber ich mag diese sanfte Seite...
Wenn jemand hier einwenden würde, dass Männer nicht weinen, dann ist das falsch! Mein Papa hat auch oft geweint, als mein Opa im Sterben lag und es hat einem fast das Herz zerissen... TT.TT

Irgendwie habe ich jetzt Angst, dass Alex einwilligt Heinrichs Cousine zu heiraten, nur damit er ihrem Cousin nahe sein kann und er das Erbe sichern kann... wäre nur doof, wenn Ferdinand handfeste Beweise gegen ALex hätte...

lg~
Von: abgemeldet
2011-08-03T19:09:36+00:00 03.08.2011 21:09
O mann, O mann, O mann!
Was für eine verzwickte Situation...armer Alex...
Die Szene mit der Mutter finde ich sehr schön und ich finde es unglaublich liebenswert von Alex, dass er in erster Linie an Wilhelm und seine Familie gedacht hat.
Und jetzt wünschte ich, dass Alex und Heinrich sich zwar die Liebe gestehen, aber nicht weiter gehen, damit Alex nicht von Ferdi gelinkt wird, aber auch seinen Schnuckel nicht verliert...verdammt...
schreib weiter!
Von:  BloodyMary1342
2011-08-03T13:18:05+00:00 03.08.2011 15:18
Der arme Alex tut mir unglaublich Leid :(
Es ist bestimmt total schwer für ihn sich zwischen Heinrich (dem ersten Mann in den er sich wirklich verliebt hat) und seiner Familie zu entscheiden
Ich hoffe aber, dass Heinrich und Alex doch irgendwie die Chance bekommen zusammen zu kommen!
Ich finde das Kapiteel wirklich schön, man sieht wie sehr die Baronesse ihre zwei Kinder leibt und auch das Alex bereit ist sein Leben für seine Familie zu "opfern"!
Und ich hoffe diesmal wirklich, dass am See nichts passier (auch wenn es schade ist) aber ich denke das würde den beiden zur zeit nur mehr schaden als alles andere x(

LG x3



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