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Himmelsdrachen

von

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Kampf

Beide Mädchen hielten starr die Luft an. Ihre Augen ruhten auf dem Waldrand. Loraine lief ein vereinzelter Schweißtropfen die Wange hinunter und Miriam biss sich auf die Unterlippe. Vor Schmerzen jaulte sie auf, denn durch das leichte kauen, hatte sie sich selbst verletzt. Rotes Blut benetzte ihre blauen Schuppen. Loraine hingegen stand der Mund weit offen. Was sie beide gemeinsam hatten, waren ihre weit aufgerissenen, ungläubigen Augenpaare.

Bewegungen waren zwischen den Bäumen zu erkennen, wie dunkle Schatten, die zwischen dem Unterholz umher huschten. Loraine fühlte sich von roten Augen beobachtet. Eines dieser Wesen hatte sich vor dem Waldrand postiert.

Seine Erscheinung war grauenhaft. Der Körper schien aus Dampf zu bestehen, schwarzem, schattenlosem, undurchdringlichem Rauch. Zerfetzte Kleidung hing darüber, blähte sich hier und da auf und an den Stellen, an denen der Stoff umgeklappt war, weil der Riss nicht mehr geschlossen werden konnte, drang Eiter nach draußen. Es wirkte gerade so, als hätte dieses Wesen an jenen Stellen Wunden, doch sah man in sein Gesicht, erkannte man, dass er überall kleine Pusteln hatte, die mit Härchen besetzt waren. Eiter lief aus den Haarspitzen und benetzte seine Haut.

Auf dem aschfahlen Kopf saß ein Helm, er hatte einen römischen Stil, mit roten Federn auf der Spitze und Verzierungen in Gold und Silber an den Seiten. Er saß schief auf seinem Schädel und wenn er sich bewegte, klapperte das Metall am Knochen.

Seine linke Hand, knochig und mit einem großen, goldenen Ring verziert, ruhte auf einem Schwertknauf. Das Schwert war eher ein Krummsäbel und reichte fast bis zum Boden. Scharrend schleifte es über den Boden.

Die rechte Hand hingegen, mit ihrem metallischen Handschuh, lag auf dem Stamm eines Baumes. Die Finger des Handschuhs waren mit spitzen Enden versehen. Schrill kratzten sie über das morsche Holz und gerade als die Hand sich vom Stamm lösen wollte, krallten sich die Finger in das zersplitternde Material. Der gesamte Baum krachte in sich zusammen und fiel kreischend zu Boden.

Seine Füße waren in Plattenstiefel gehüllt. All diese schweren, wuchtigen Details ließen seine zerfetzte Stoffrobe noch unwirklicher erscheinen. Sein Körper neigte sich leicht nach links, das Gewicht auf das Schwert stützend. Sein Schrei hallte durch den Wald und vibrierte noch in den Knochen der Mädchen.

Auf dieses Kommando hin, rückte eine Reihe weiterer Schattenkrieger aus der Dunkelheit. Ein riesiges, violettes Tor war in einiger Entfernung zu sehen. Sein schauriges Licht strahlte über die Baumkronen und tauchte das Spektakel in ein mysteriöses Licht. Man konnte Schreie von dort hören, Fußstampfen und das Klappern von Metall.

Miriam sah Loraine angsterfüllt an.

"Keine Angst, wir ... wir dürfen keine Angst zeigen!", rief sie ihr motivierend zu und lächelte schwach. Diese wabernden Wesen machten selbst Loraine ein wenig Angst und da ihrer Freundin Mut zu machen, war eine schwere Aufgabe.

Ihr Gegner schien ihre Gedanken lesen zu können. Sein gehässiges Lachen schallte über die Ebene. Er konnte ihre Schwächen fühlen und sie für sich nutzen. Dieses Wesen war keines Falls dumm oder einfältig, sein Angriff war geplant und zielgerichtet. Er war es, der hier die Spielregeln angab und die Drachenmädchen waren bloß Figuren in seinem Spiel.

Er reckte den rechten Arm in die Höhe, das Schwert fest im Griff. Loraine konnte beobachten, wie er es langsam senkte und es genau in ihre Richtung deutete. Die Klinge selbst schien zu vibirieren, ein klirrendes Geräusch ging von ihm aus und das Grinsen auf dem Gesicht des Mannes wurde breiter. Gerade als seine Armee aus dem Wald preschte, zog er sich in das schützende Dunkel zurück.

Miriam flog ein wenig höher. Die Angst war zu groß und die Hoffnung, hier könnte man sie nicht erreichen, einfach zu trügerisch wärmend. Bereits im nächsten Moment kam einer der Angreifer auf sie zugestürmt, stockte einen Moment und stieß sich dann mit aller Kraft vom Boden ab. Sein Sprung war so hoch, dass Miriam und Loraine klar wurde, dass ihr vermeindlicher Vorteil keiner war.

Der Gegner erwischte den blauen Drachen, versetzte ihr einen Hieb gegen den Unterschenkel und landete dann dumpf wieder auf dem Boden. Er leckte sich genüßlich die rote Flüssigkeit von seinem metallischen, mit Krallen besetzten Handschuh.

Von diesem ersten Treffer und dem darauf folgenden, schmerzverzerrten Schrei angestachelt, schien die Meute unter ihnen in einen Blutrausch zu fallen. Loraine war zu Miriam hinüber geflogen und sah sie sorgenvoll an. Diese schüttelte jedoch bloß den Kopf und wehrte so jede Hilfe ab. Zeit, sich Sorgen zu machen, war so oder so schon lange nicht mehr, denn mit einem Mal wurden sie aus allen Richtungen bedrängt.

Rücken an Rücken hingen die Drachenmädchen in der Luft. Ihr Atem ging schnell und weiße Dampfwölkchen bildeten sich vor ihrem Mund. Den ersten Schritt wagte Loraine. Der silberne Drache fuhr wie ein Blitz nach unten und schlug dem erstbesten Gegner die krallenbesetzte Faust gegen die Brust. Das Wesen jaulte laut und verpuffte in eine schwarze Rauchwolke. Einzig ein Fetzen Stoff blieb an den silberglänzenden Krallen hängen und zeugte vom erfolgreichen Treffer.

Miriam fühlte sich angesport und griff nun ebenso an. Die Mädchen trennten sich nicht und blieben stets mit den Rücken beieinander. Der Schutz bot Sicherheit und machte sie mutiger. Doch ihre Angreifer waren aufmerksam, sie hatten gesehen, dass Silver Diamond viel forscher in ihren Schlägen war. Ein paar der Schattenmänner wichen vor ihr zurück und blockten ihre Hiebe nur noch.

Immer weiter wichen ihre Reihen nach hinten aus und Loraine fühlte sich sicher. Sie drängte die Wesen zurück und näherte sich dem Waldrand mit jeder Sekunde mehr. Ihr Ziel war ganz klar das große Portal, dass sein Licht über den Kampfplatz schickte. Erst als einer der Männer hinter ihr auftauchte und ihr einen Hieb gegen den stachelbewährten Rücken verpasste, fuhr Silver Diamonds Kopf herum. Sie trat mit ihren Fußkrallen nach dem Angreifer und musste feststellen, dass diese ebenso gute Waffen waren.

Erst jetzt, als ein gellender Schrei von Saphire über das Schlachtfeld tönte, sah die Silberne zurück. Ihre Augen weiteten sich, gepackt von Entsetzen schlug sie wild mit den Schwingen und gewann an Höhe. Wie ein Pfeil schoss Loraine auf die Freundin zu. Erst im letzten Moment wurde sie aufgehalten, als einer der Krieger seine Klinge in die Höhe streckte und das fokusierte Mädchen aprupt stoppte.

Loraine machte einen Purzelbaum, kam keuchend wieder auf die Füße und schlug wild um sich. Der Schattenmann bereute seinen Angriff schon eine Sekunde später, als ein heftiger Tritt ihn vernichtete. Loraine hetzte, die Pranken schwingend, zu Miriam. Sie lag am Boden und wehrte sich nur noch kläglich gegen die Hiebe ihrer Gegner. Silver Diamond musste zugeben, dass sie sich hatte ablenken lassen und hingerissen gewesen war von ihrer neuen Kraft.

Nach einem kraftvollen Befreiungsschlag half Loraine Blue Saphire wieder auf die Füße. Schweiß lief beiden Mädchen die Stirn hinunter. Keuchend krümmten sie sich von den Anstrengungen. So schwierig hatten sie sich das nun wirklich nicht vorgestellt.
 

Vincent saß ruhig auf dem Fensterbrett seiner neuen Mitbewohnerin. Diese Mädchen würden noch viel üben müssen. Ihre Technik machte ihm Sorgen. Denn im Gegensatz zu normalen Tieren, hatte er genauso magische Kräfte wie seine Schützlinge. Seine Kraft drückte sich nicht im Kampf aus, dafür hatte er einen Blick geerbt, der ihm zu jeder Zeit seine erwachten Mädchen zeigte. Sie waren hilflos und doch durfte er ihnen nicht helfen. So war es all die Jahre gewesen. Mal um Mal hatte er zusehen müssen, wie sie sich allein durch diesen Kampf schlugen.

Was ihn stutzig gemacht hatte war die Tatsache, dass der Zeitablauf verändert wurde. Die Finsterniss tauchte nie vor dem dritten Tag nach der Verwandlung auf. Diese Regel hatten die Schattenwesen nie verändert. Ihre Seelen erwachten immer zum selben Zeitpunkt und waren dann vom Durst getrieben, einzig im Zaum gehalten von ihren Anführern.

Der Hase ließ die großen Schlappohren hängen. Etwas war merkwürdig. Doch er würde mit Sicherheit noch dahinter kommen. Irgendeine Kraft musste sie antreiben. Etwas, dass mächtig genug war, den Verlauf dieses Krieges, der seit Anbeginn der Zeit nie verändert wurde, zu verschieben. Auch wenn man nie wusste, wie die Mädchen sich schlugen, nach dem Erscheinen der Portale hatte man bisher die Uhr stellen können.
 

Loraine spürte, wie ihre Kraft nachließ. Ewig würde sie die Gegner nicht mehr mit Schlägen und Tritten taktieren können. Miriam japste und keuchte. Die Kraftreserven des blauen Drachenmädchens schwanden schnell, viel zu schnell, das war Diamond klar.

"Ich brauche mehr Kraft!", schrie sie wütend dem Himmel entgegen. Ihre Gegenüber konnten sich wohl das boshafte Lachen nicht verkneifen. Sie verstanden ihre Sprache also sehr wohl. Ein Fakt, den Loraine diesen groben Gestalten mit ihren wenig anmutenden Bewegungen nicht zugetraut hätte.

Miriam hingegen schrie ihre Wut nicht heraus. Sie beobachtete die Freundin, die sich mit immer größer werdender Verzweiflung den Wellen aus Schattenwesen entgegen warf. Die Blaue hingegen atmete tief durch. Ihr Durchhaltevermögen war groß und Loraine hängen lassen, würde sie sicher nicht. Doch wie konnte sie ihr helfen?

"Fühle es.", raunte die so vertraute Stimme ihrer Drachendame durch Miriams Kopf. Schon im nächsten Moment war die Verbindung beendet und das Mädchen war wieder ganz im grausamen Kampf gefangen. Es musste einen Ausweg geben und sie würde ihn finden!

Die blonde Kriegerin schloss ihre Augen, es war, als wogte das Meer selbst in ihr. Diese Macht, die in ihr ruhte, war so stürmisch wie die See und doch gleichzeitig still. Ihr Herz war ein kleiner Teich, seine Oberfläche kräuselte sich und bildete kleine Kreise, als hätte jemand einen Stein hinein geworfen. Immer mehr gerieten die Wellen in Bewegung, ihr Blut begann schneller zu fließen und mit einem Mal stürzte es aus ihr heraus.

"Kreislauf des Wassers ... ", rief Miriam zögerlich in die Dunkelheit hinaus.

Man konnte den Boden unter dem Mädchen vibrieren spüren. Ihre Augen waren geschlossen. Etwas schien unter den Erdoberfläche zu brodeln. Noch hingen ihre Arme schlaff nach unten, doch mit einem Mal drehten sich ihre Handflächen nach vorn. Die Gliedmaßen waren angespannt und bewegten sich dann in einer runden Bewegung nach oben. Als ihre Arme gerade nach vorn ausgestreckt waren, stoppten sie.

Die Erde machte Geräusche, als würde etwas aus ihrer Mitte gerissen. Dann legte Miriam beide Handrücken gegeneinander und spreizte die Arme leicht. Sofort riss der Boden auf und Wasser füllte die Ebene unter ihr. Es bewegte sich stetig, bäumte sich auf und fiel dann wieder ab, beruhigte sich. Es war ein Wechselspiel, welches allein die Blaue in ihrer Hand hatte.

Die Handfläche ihrer Linken zeigte nach vorn, während Miriams rechte Hand zur Seite geführt wurde. Ihre Hand kippte mehrmals auf und ab, da schoss eine Wasserfontaine nach oben und stand ruhig in der Luft. Es hatte etwas Bedrohliches, wie diese Wassersäule ihren Schatten über die Wesen schickte.

Auch mit der anderen Hand wiederholte Blue Saphire dieses Spektakel. Zwei mächtige Wasserfontainen sprudelten neben ihr, wogten sich leicht und behielten doch genau die Position, die ihnen zugedacht war. Genau an der Seite ihrer Herrin.

Die Rechte Hand wurde in einem Bogen nach oben geführt und das Wasser folgte. Miriam ballte die Hand zur Faust, führte mit angewinkeltem Arm an ihrem Gesicht vorbei und zu ihrer Körpermitte. Mit aller Kraft und Präzision die sie hatte, schoss ihr Arm nach vorn.

"... schenke ... ", ihr Schrei zerriss die Stille und peitschte wie ein Kanonenschlag über die Baumkronen hinweg.

Auch Loraine hatte das Schauspiel mittlerweile bemerkt und konnte ihre Augen nicht abwenden. Wie hatte ihre Freundin das bloß gemacht? Ihre Augen weiteten sich jedoch vor Schreck. Ausweichen konnte sie schon lang nicht mehr. Denn die Wassermassen bewegten sich mit erschreckender Geschwindigkeit auf ihren Körper zu. Jede kleine Regung nahmen sie auf ihrem Weg war und korrigierten ihre Bahn. Schützend riss Loraine die Arme vor sich. Das Letzte was die Silberne sah, war die Handfläche Miriams, die genau auf Loraine zeigte.

Wasser umspülte ihre Freundin und würde ihre Wunden reinigen. Die schlechte Energie aus ihr heraus saugen und ihr die verlorene Kraft ersetzen. Die zweite Wassersäule zuckte bedrohlich. Noch hatte Miriam ihre Wucht noch nicht entfesselt und das spürte man. Die Wesen sahen eingeschüchtert zu ihr hinüber und warteten darauf, was nun geschehen würde.

"... und entreiße!", grollend wie ein Donnerschlag prasselte ihre Stimme auf die Wartenden hernieder. Ihr zweiter Arm hatte sich ebenso nach vorn bewegt, mit dem Unterschied, dass ihre Hand nun zur Faust geballt war. Die Augen des Drachenmädchens begannen blau zu glühen und sein Strahlen warf sich unbarmherzig gegen das violette Licht des Portals. Ihr gesamter Körper glühte und vertrieb die Dunkelheit um sie herum.

Die gesamte Wucht des Elements traf die Angriffsreihen. Gegner um Gegner wurde umspült und davon gerissen. Wer den Boden unter den Füßen verlor, war Blue Saphires Willkür unterworfen. Die Welle ergriff alles, was sich ihr entgegen stellte. Miriams gesamte Wut und Verzweiflung steckte in diesem Angriff.

Loraine war geschockt, wie stark ihre blonde Freundin geworden war. Der heilende Strudel hatte sie umgeben und völlig durchweicht. Doch als das Wasser verdampfte, fühlte sie sich wie neu geboren. Augenblicklich musste sie aber auch ausweichen, denn wer wusste schon, ob sie Miriams Angriff getroffen hätte?

"Unglaublich! Das war genial, Blue!", rief die Silberne ihrer Freundin zu und flog in rasantem Tempo zu ihr hinüber. Doch Miriam hatte Probleme sich noch in der Luft zu halten. Sie hielt sich den linken Flügel und ihr Blick wirkte benebelt.

Loraine stützte sie auf ihre Schulter und setzte sie ein wenig entfernt auf der Ebene ab. Ihr Auftritt hatte Silver Diamond beeindruckt und nach einer kurzen Befragung glaubte Loraine, dies nachmachen zu können. Schwungvoll stand sie auf und ging entschlossen auf den Waldrand zu.

Kein einziges Augenpaar konnte man noch zwischen den Bäumen sehen. Die Flutwelle hatte die Armee vor ihnen aufgeraucht und zerrissen. Mit viel Widerstand, so glaubte Loraine, hatte sie nicht zu rechnen.

Ein paar vereinzelte Gegner näherten sich ihr noch, doch dank der neu gewonnen Stärke, war es ein leichtes sie zu besiegen. Anscheinend hatte Miriam ihr nicht nur die Wunden geheilt, sondern auch mehr Kraft gegeben, als sie anfänglich je hatte.

Das Portal kam mit jeder Sekunde näher. Rauschend zogen die Bäume an Silver Diamonds Gesicht vorbei, bis das Licht ihr mit einem Schlag die Sicht raubte. So nahe an seiner Quelle, schien es heller zu leuchten als es den Anschein gemacht hatte. Schützend hob Loraine einen Arm vor ihr Gesicht, so, dass Schatten über ihre Augen fiel.

Von hier aus, war es noch imposanter als gedacht.

Ein schwarzer Rahmen zierte das Portal. Knochen bildeten diese Zierde und stabilisierten die Form. Hier und da schlang sich eine Dornenranke um die Rundung und an seiner höchste Stelle, wurde er von einer kleinen Krähe abgeschlossen. Das Tier saß regungslos da, starrte auf Loraine hinab und jagte ihr einen kalten Schauer über den Rücken. Das violette Licht wurde von einer Art spiegelnden Oberfläche in der Mitte des gigantischen Tores gebildet. Nun konnte man auch sehen, dass sich bewegende Zahnrädchen über die Stellen verteilt waren, an denen die Knochen aufeinander trafen. Eiserne Ketten waren um die Stützen gespannt und bildeten verschlungene Formen mit der Dornenranke.

Loraine schluckte schwer. Denn vor dem Portal befand sich der Anführer dieser Truppe. Waren die bisherigen Gegner bereits schwer zu besiegen, so würde er mit sicherer Gewissheit ein richtig harter Brocken werden. Die Silberne wappnete sich und wie lauernde Tiere starrten sich die Kontrahenten an. Keiner machte den ersten Schritt in die Richtung des anderen. Langsam umkreiste man sich und tastete die Geduld des anderen ab.

Den ersten Fehler beging das Mädchen. Sie machte einen angedeuteten Schritt nach links, sprang dann aber doch ab und sauste, in gewohnter Manier, auf das Schattenwesen hinab. Dieser riss sein majestätisches Schwert in die Höhe und blockte so ihre Krallen ab. Mit seiner ungeheuren Kraft drückte er sie zurück und Loraine verlor das Gleichgewicht. Schmerzhaft prallte sie auf den Boden. Seine Aura drückte sie zusätzlich in den Staub und schnürte ihr die Luft ab.

Mit aller Kraft die sie hatte, stemmte sich das Drachenmädchen gegen ihren Peiniger. Er musste unmenschliche Stärke haben, denn es fiel ihr unheimlich schwer, auch nur eine Schulter vom Boden zu heben. Angestrengt kniff sie die Augen zusammen, jegliche Deckung war Loraine in diesem Moment egal. Wenn sie nicht vom Boden weg kam, würde sie sowieso sterben!

Man konnte spüren, dass der Drache, dessen Seele in ihrem Körper mitwirkte, sich aufbäumte und sich mit aller Wucht gegen die niederpressende Welle drückte. Von dieser Macht wurde der Anführer umgeworfen und landete nun seinerseits rücklings gegen einem Baum.

Hastig rappelte sich Loraine auf. Nun war es an ihr, in sich zu horchen und zu fühlen, was in ihr war. Kraft zu fordern und sie dann zu nutzen. Ganz, wie es ihr Miriam erklärt hatte. Doch da war nichts, allein durch Liebe und Vertrauen brachte die Silberne noch keine Wirkung hervor. Wut kroch in ihr hoch und die Emotionen schienen über zu kochen. Ein gellender Schrei war zu hören, als sich ihre Aggression Platz verschaffen musste.

Mit einem Mal war es da. Bewegung und Hektik in ihr, als die Sterne sich neu ordneten. Es war, als bestünde sie aus einer Ansammlung dieser Himmelskörper, die sich mit einem Schlag in Bewegung versetzt hatten. Vibrierende Stöße gingen durch ihren Körper und fachten ihre Kraft von Neuem an. Schmerzverzerrt kniff sie die Augen zusammen, krallte ihre Hand gegen die Schuppen ihrer Brust. Die freie Hand begann verdächtig zu zucken und wieder einmal tat es einen Ruck in ihrem Körper, als ihr ganzer Wille freigesetzt wurde.

"Sternbild des Einhorns ...", wie wild ruckte ihr Gesicht nach oben und fixierte den unendlich scheinenden Nachthimmel. Mit erhobenden Händen versuchte sie, die Sterne vom Himmel zu greifen. Ballte dann eine Faust und zog sie mit ganzer Kraft hinab. Einige der kleinen, leuchtenden Punkte folgtem ihrem Ruf. Wie Schneegestöber rieselten sie ihren Händen hinterher. Ihre Hände glitten bis zu ihrer Körpermitte, dann entstand eine Geste, als würde sie die Sterne über der Luft vor ihr verteilen. Wie von Zauberhand getragen, flogen die Leuchtkörper vor sie und begannen, ein Bild zu formen. Es entstand ein schimmerndes, silbernes Pferd mit Horn. Seine wallende Mähne sprühte immer wieder Sterne über seinen Körper und der Schweif zuckte peitschend durch die Dunkelheit.

"... richte!", drohend streckte sich ihr Zeigefinger in Richtung des Anführers aus.

Donnernd preschte das Sternbild über den Waldboden. Seine Hufe hinterließen kleine, weiße Flecken auf dem düsteren Boden, aus denen Fontainen abertausender Sterne sprudelten. Silver Diamond sah dem Tier hinterher und näherte sich nun ebenso. Sein Horn bohrte sich tief in die Brust des Mannes. Die Hufe des Einhorns trampelten gegen seinen Körper, ehe die Sterne sich lösten und wie ein silberner Regenbogen in den Himmel zurück kehrten.

"Schuldig.", sprach sie das Urteil aus und blickte abschätzend auf das Schattenwesen hinab. Er sah nicht so aus, als hätte ihn das bereits seiner letzten Kräfte beraubt, dennoch keuchte er schwer und in seinen Augen konnte man Hass glitzern sehen. Emsig rappelte er sich hoch, immer darauf bedacht, seine Verteidigung nicht fallen zu lassen.

Loraine ließ es geschehen.

Sie wollte nicht gegen ein Wesen kämpfen, sei es auch noch so grausam, das am Boden lag. Es erschien ihr einfach als zu niederträchtig und unwürdig. Sie hatten ihren Stolz und der Drache, den sie verkörperte, ebenso. Nur ein fairer Kampf konnte sie als glorreiche Siegerin hervorgehen lassen.

Unerwartet schnell griff ihr Gegenüber an. Sein Schwert brachte die Silberne lang nicht mehr so arg in Bedrängniss wie zuvor, doch es reichte, um sie aus dem Rhytmus zu bringen.

Eine tiefe Fleischwunde prange über ihrer Hüfte und silbernes Blut trat hervor. Schmerzen spürte Loraine jedoch nicht. Der Panzer aus Schuppen hatte die Wucht abgedämpft und schluckte nun die Furcht des Mädchens. Hier musste bald ein Ende gefunden werden, denn die Stärkung Miriams ließ spürbar nach.

"Jämmerliche Fliege.", grollte ihr der Angreifer entgegen. Seine Schwertstreiche waren noch immer präzise und er würde nicht einfach aufgeben oder sich zurück ziehen. Für ihn ging es um Leben oder Tot.

Loraine bäumte sich erneut auf. Es durfte nicht so enden und schon gar nicht damit, dass sie eine Niederlage einsteckte.

Einer der Sterne auf ihren Krallen begann aufzuleuchten und blendete damit den Anführer. Loraines Hand, geführt von jenem Stern, schnellte in die Höhe. Das Mädchen wusste kaum, wie ihr geschah, als sie, ganz ohne ihr Zutun, die Worte: "Sternbild des Herkules ....", sprach.

Ein Mann, silbern, leuchtend und mit warmen, herzlichen Augen ging auf Silver Diamond zu. Er bestand, genau wie das Einhorn zuvor, aus Unmengen an Sternen. Sein Blick ruhte auf dem Mädchen und ein mutiges Gefühl breitete sich in dieser aus. Der Kopf des Sternenmannes nickte ihr bestätigend zu und noch ehe Loraine etwas sagen konnte, vereinigten sich ihre Körper.

"... schenke mir Kraft!", raunten ihre Lippen die letzten Worte.

Auf jeder einzelnen Schuppe ihres Körpers breitete sich ein grelles Licht aus. Jeder weitere Angriff ihres Gegners erschien ihr verhöhnend langsam. Schnell wie ein Blitz fuhr sie zwischen seine Bewegungen, wehrte ihn ab und schlug dann ihrerseits zu. Die Schläge fuhren in einer übermenschlichen Geschwindigkeit auf ihren Widersacher nieder, pressten ihm die Luft aus den Lungen. Mit einem finalen Hieb zerriss es das Wesen zu einer schwarzen Rauchwolke.

Ein schmerzerfüllter Schrei wand sich jämmerlich durch die Luft. Ein Strahl violetten Lichtes waberte durch die Luft, gerade und zielstrebig auf den Rauch zu. Eine Faust aus Licht ballte sich um den schwarzen Dampf, verschlang ihn und riss ihn grausig zurück. Auf dem knochigen Rahmen bildete sich langsam, knirschend ein Kopf.

Loraine erkannte ihn erschaudernd.

Das Tor spukte ein paar violette Pfützen zu seinen Füßen, wie ein wildes Tier, dass seine Beute verdaute. Nachdem der Kopf erschienen war, leuchtete eine violette Kugel an seiner Spitze auf, wurde abgestoßen und über den Wald geschleudert.

Silver Diamond konnte dies alles nicht verstehen. Doch da das Portal immer kleiner Wurde und schlussendlich mit einem Knall in einer irrwitzig großen Rauchwolke verschwand, war sie zufrieden. Eilig flog sie über die Baumkronen zu Miriam zurück. Die Freundin kauerte noch immer auf dem kalten Boden. Über ihr schimmerte die eben abgeschossene Kugel. Vincent saß neben ihr und wurde mit jedem Augenaufschlag größer.

Gerade als Loraine keuchend angekommen war, packte seine Pfote das Kleinod. Es verlor sein Strahlen, wurde zu einer metalischen Kugel und Vincent seufzte zufrieden.

"Sehr gut, Mädchen.", mit diesem Lob biss er mit seinen Hasenzähnen auf die Kugel. Knackend öffnete sie sich und ein warmes, blaues Licht hüllte seinen Mundraum ein. Vincent spukte das winzige Ei aus. Es war wirklich atemberaubend schön, mit seinen goldenen Schnörkeln, all den Verzierungen und obwohl es so klein war, konnte man die filigranen Bilder erkennen.

Vincent nahm das Ei erneut an sich.

"Miriam, Loraine, dies ist eure erste Belohnung. Nun, eigentlich ist es Deine, Miriam.", er hoppelte auf das verletzte Mädchen zu und augenblicklich lösten sich die Schuppen um ihren Bauchnabel. Schwebend erhob sich die Kugel, näherte sich Miriams Haut und verschmolz dann mit ihr. In diesem Moment verwandelte sie sich zurück und eine weitere Reihe Wellen bildete sich um ihr Mal.

"Es stärkt deine Techniken und gibt dir Kraft. Du bist somit auf Stufe Zwei aufgestiegen.", aufmunternd streichelte der Hase dem Mädchen über den Kopf. "Jedes Portal trägt ein solches Ei in sich, je nach dem, was es für eine Stufe hat, kann die Belohnung unterschiedlich ausfallen. Dies war euer erstes Tor und somit ist auch die Belohnung noch sehr gering.", fuhr der Lehrmeister fort und klärte so seine Schülerinnen auf.

Miriam sah schwach aus. Loraine hoffte, dass sie die Nacht nutzen würde, um sich zu erholen. So schnell sie konnte, brachte sie ihre Freundin nach Hause, denn ihre Eltern durften nicht mitbekommen, dass ihre Tochter verschwunden war. Einsam flog die Silberne Heim und grübelte über den Angriff nach. Es war anstrengend, aber auch befreiend und erfüllend gewesen. Zu wissen, dass man damit Menschenleben rettet, fühlte sich großartig an. Und das Miriam auch noch belohnt wurde, war für Loraine ebenso ein Geschenk.
 

Vincent war zufrieden. Beide Mädchen hatten einen Angriff gestartet und ihre Fähigkeiten erweckt. Manche überstanden den ersten Kampf schlechter und fanden ihre Kraft bis zum dritten Kampf nicht. Man musste wirklich stolz sein. Hoffnungsvoll hob er den Kopf und sah zum Himmel hinauf.

Erschrocken blinzelte das Tier. Ein heller, grüner Stern stach doch am Himmelszelt zwischen den anderen Sternen heraus! Die Drachen schickten ihm eine Nachricht. Doch dies war viel zu früh! Der Erddrache Green Emerald durfte noch nicht erwachen. Nie war er vor der zweiten Woche erwacht! Hektisch sah sich der Hase um.

War Loraine einem passenden Mädchen etwa begegnet und hatte so die Kräfte des Drachen geweckt? Vincent konnte diese Verkettung von unliebsamen Zufällen einfach nicht begreifen, geschweige denn gutheißen.



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