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Abgekarterte Spiele 2.0 (Fortsetzung)

"Gets down to what it's all about, doesn't it? Making the wrong move at the right time."
von

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Eiseskälte

Noch bevor Alister etwas sagt, weiß ich, dass was immer aus seinem Mund kommen wird, meine Lage mit einem Schlag verändern wird. Das Gesicht des Rothaarigen spricht Bände. Angst, Entsetzen, Schmerz, Trauer, Wut... Die gesamte Bandbreite ist darin vertreten und mein Herz schlägt noch immer viel zu schnell. Mokubas ängstliche Stimme hallt in meinen Ohren wider und es bedarf all meiner Selbstbeherrschung, sie auszublenden.
 

Ich kann es mir nicht leisten, jetzt zusammenzubrechen. Ich muss funktionieren, handeln, die nächsten Schritte planen. Joey ist entführt worden und es besteht wohl kein Zweifel, wer dafür verantwortlich ist. Wie konnte ich nur so dumm sein? Hätte ich ich die Zwei doch nicht zurückfliegen lassen! Ich verwerfe diesen Gedanken schnell wieder. Es bringt nichts, wenn ich mir jetzt Vorwürfe mache. Ich muss denken, klar denken. Anders bin ich Joey keine Hilfe.
 

„Reiß dich zusammen, Seto!“, ermahne ich mich innerlich selbst. „Das ist ein Rückschlag, aber es ist nichts verloren. Mokuba hatte er auch schon in seiner Gewalt und wir konnten ihn befreien!“
 

Ich atme tief durch und will Alister gerade fragen, was passiert ist, als er seinerseits zu sprechen beginnt. „Er hat dir ein Video geschickt“, sagt der Kleine mit einer Stimme, die wie knirschendes Eis klingt. Er hört sich an als würde er jeden Augenblick zusammenbrechen, und auch wenn ich den Jüngern bislang immer als recht emotional wahrgenommen habe, erschreckt mich sein Tonfall augenblicklich doch nur noch mehr. Zudem weicht er meinem Blick aus. „Grey hat dir ein Video geschickt“, wiederholt er und ein paar Sekunden lang stehe ich einfach nur da.
 

Meine Gedanken überschlagen sich. Vielleicht hat dieser Verrückte doch irgendwie Wind davon bekommen, dass ich Quentin in meiner Gewalt habe und er hat sich deshalb Joey geschnappt. Vielleicht hatte er es von Anfang an darauf abgesehen und die ganze Geschichte um die vermeintliche Erpressung von Jack Wheeler war lediglich ein Ablenkungsmanöver?
 

„Zeig es mir!“, fordere ich Alister auf und er deute mir an, ihm zu folgen. Roland wirft mir einen besorgten Blick zu. „Alles in Ordnung, Roland. Ich habe mich wieder im Griff. Danke“, sage ich mit tonloser Stimme an ihn gewandt, bevor ich dem Jüngeren in den Nebenraum folge.
 

Alisters Laptop steht nun auf dem Esstisch in der Mitte des Raumes. Der Junge steht daneben und deutet auf den freien Platz vor dem Gerät. „Du solltest dich lieber setzen, Kaiba.“ Einen Moment sehe ich ihn abschätzend an, doch erneut weicht er meinem Blick aus. Noch immer pocht mein Herz viel zu laut und schnell. Ich lasse mich auf dem Stuhl nieder. Die Mail ist noch geöffnet.
 

Rasch überfliege ich den Text.
 

„Mein lieber Seto,
 

`Den Schuldigen zu schonen, ist Grausamkeit gegen den Unschuldigen.´ - John Locke
 

Ich denke, Du wirst dieses Zitat besser verstehen können, wenn Du Dir den Anhang angesehen hast. Schade, dass ich Deine Reaktion in diesem glorreichen Moment nicht sehen kann. Aber ich werde Dich in absehbarer Zeit kontaktieren, dann können wir darüber sinnieren, wie es sich anfühlt. Ich will jedes Detail wissen. Wirst Du es mir erzählen?
 

Grey
 

PS: Jetzt herrscht Gleichstand., aber das heißt nicht, dass Du nun frei bist.
 

Ich lese die Mail drei Mal und meine Kehle ist wie zugeschnürt. Ein Teil von mir fürchtet sich davor, den Anhang zu öffnen, mir anzusehen, was Alister bereits gesehen hat.
 

„Dieser kranke Bastard!“, sagt Roland, der zu meiner Rechten steht. „Entschuldigung, Sir, aber dieser Mann ist eine Bestie!“ Ich nicke stumm und meine Hand wandert zur Tastatur. Ich zögere kurz, dann bewege ich den Kursor und klicke auf den Anhang. Die Datei wird sofort geöffnet und das Video abgespielt.
 

Joey gefesselt auf einer Liege ...

Joey, der sich panisch windet, die braunen Augen weit aufgerissen...

Joey, dessen Mund mit Klebeband fixiert wurde ...

Ein Mann mit Skimaske, der sich über ihn beugt.

Ein Messer ...

Blut ...

Blut, Blut, Blut ...

...
 

Mein Herz hört für einen Moment auf zu schlagen. Ich spüre wie sich alles in mir krampfhaft zusammenzieht und sich meine Finger in die Tischplatte krallen. Vage nehme ich wahr, dass ich die Luft anhalte, während die Bilder an mir vorbeiziehen. Dann ist die Szene auch schon zu Ende. Ein krasser Schnitt und ein „Tbc“ erscheint auf schwarzem Hintergrund.
 

Für einen kurzen Augenblick setzt mein Verstand gänzlich aus und etwas in mir beginnt heiß zu brodeln. Wie Lava in einem Vulkan. Wieder habe ich das Gefühl neben mir zu stehen und mich selbst zu beobachten. Meine Hände zittern, mein Blick ist noch immer starr auf den Bildschirm gerichtet und mein Gesicht aschfahl.
 

Dann schließe ich langsam die Augen und versuche gegen dieses fürchterliche Brennen, dass immer heftiger wird, anzukämpfen. Es ist als würde es mich innerlich verzehren. Ich kann fast spüren wie es meine Organe verbrennt und Gott, dieser Schmerz ... Dieser Schmerz ist unbeschreiblich. Schlimmer als alles was ich je gefühlt habe. Wie alle Schmerzen, die ich je ertragen habe, auf einmal und noch mehr. Viel mehr.
 

Mein Verstand schreit geradezu, dieses Gefühl möge aufhören, aber es hört nicht auf.
 

„Master Kaiba“ Von weitem höre ich, dass jemand meinen Namen sagt. Ich weiß, es ist Roland, aber ich kann nicht reagieren. Ich vermag es nicht meinen Blick von dem Bildschirm zu lösen.
 

Das kann einfach nicht sein.
 

Nein, das kann nicht sein. Das was ich gesehen habe, kann – darf – nicht echt sein. Es ist ein Trick... Irgendein Trick von Grey. Joey geht es gut, er spielt nur mit mir. Ein weiteres seiner perversen kleinen Spielchen, nichts anderes. Ich schüttele energisch den Kopf, um die Bilder, die ich gerade gesehen habe, zu verdrängen. Doch es ist zu spät. Sie haben sich bereits in mich gebrannt.
 

„Das kann nicht sein“, höre ich mich selbst sagen und weiß es doch besser. „Seto.“ Roland hat seine Hand auf meine Schulter gelegt, aber ich fühle sie nicht wirklich. „Das ... es ...“ Ich schaffe es nicht, einen Satz zu formulieren und mit einem Mal verschwimmt alles vor meinen Augen. „Tränen...“, durchzuckt es mich und aus irgendeinem perfiden Grund muss ich daran denken, wann ich zum letzten Mal geweint habe.
 

Natürlich weiß ich es und ein Teil von mir erinnert sich auch daran, wie sehr ich mich dafür geschämt habe. Doch jetzt und hier, in eben diesem Moment, kümmert es mich nicht, wer mich weinen sieht. Es ist mir gleich, dass Roland mich erneut so schwach erleben muss und Alister Zeuge wird wie ich die Kontrolle verliere.
 

Dieses Gefühl ... es ist einfach zu groß ... zu überwältigend. Nichts in mir ist darauf vorbereitet. Keine meiner noch so strategisch errichteten Mauern vermögen, ihm Stand zu halten. Mokuba zu verlieren, hat sie schon fast komplett niedergerissen. Doch das hier...
 

Es ist endgültig.
 

Das wird mir mit einem Schlag bewusst.
 

Hier gibt es nichts mehr wofür ich weiter kämpfen kann. Gleichgültig welche genialen Pläne ich auch entwickele, es ändert nichts mehr. Es ist bedeutungslos ob ich Hilfe bekomme, es Menschen gibt, die mir zur Seite stehen.
 

Joey ist ...
 

Ich kann es nicht einmal denken, aber ich fühle es und mein Herz, es droht jeden Moment zu zerspringen. Ich weiß natürlich, dass dies rational betrachtet nicht passieren kann. Es kann höchstens aufhören zu schlagen und dennoch fühlt es sich in diesem Augenblick an als würde es in tausend kleine Teile zerbrechen.
 

Aber das kann doch einfach nicht sein! Es darf nicht sein! Ich werde es nicht zulassen...
 

„Master Kaiba!“
 

Roland´s energische Stimme schafft es, mich aus meinen Gedanken zu reißen und ich wende ihm automatisch den Kopf zu. Er hat seine Sonnenbrille abgenommen und sieht mich ernst und traurig an. „Ich weiß nicht, was ich sagen kann, um ihren Schmerz ...“ Er bricht ab und ich glaube Tränen in seinen Augen zu sehen. „Es tut mir so leid.“ Behutsam nimmt er meine Hände von der Tischplatte und erst jetzt sehe ich, dass sie blutig sind. Es kümmert mich nicht. Ich sehe meinem Assistenten an, dass er noch etwas sagen will, doch er scheint nicht die richtigen Worte zu finden.

Als ob es die in diesem Augenblick geben würde ...
 

„Es tut mir leid, Kaiba“, höre ich Alister sagen und er schnieft.
 

„Wenn ich irgendetwas tun kann...“ Noch nie hat Roland so hilflos geklungen. Mein Blick wandert zurück zu dem Bildschirm und bevor ich weiß was ich tue, spiele ich das Video ein weiteres Mal ab. „Master Kaiba, sie sollten sich das nicht antun“, meint Roland unsicher und fast rechne ich damit, dass er den Laptop zuklappt, aber er tut es nicht und ich starre mit fest zusammengepressten Lippen auf den Bildschirm.
 

Vielleicht gibt es doch einen Hinweis auf irgendeinen Trick? Vielleicht habe ich etwas übersehen? Irgendeine Kleinigkeit...
 

Ich bemühe mich mit aller Kraft, Joey´s Gesicht auszublenden und stattdessen auf alles weitere zu achten. Die Umgebung, die maskierte Gestalt, irgendetwas, dass mir sagen könnte, dass dieses Video ein Fake ist. Ich muss logisch denken. Es ist wichtig, dass ich alles genau analysiere. Ich darf mich nicht von meinen Gefühlen beherrschen lassen. Grey will schließlich genau das. Oder nicht? Ich weiß es nicht. Ich bin mir nicht sicher was ich glauben oder denken soll. Meine Augen wandern über den Bildschirm und mit einem Schlag erstarrt dieses lodernde Feuer in mir zu Eis.
 

Ich keuche auf und rücke entsetzt mit dem Stuhl ein Stück zurück. „Bakura!“, entfährt es mir und ich starre fassungslos auf die maskierte Gestalt.
 

Nein, das kann einfach nicht ...
 

Aber es besteht nicht der geringste Zweifel. Es ist der Dieb, der sich mit einem Messer über Joey beugt. Ich kenne Bakura genau - seine Haltung, seine Bewegungen.
 

Ich wende mich an Alister und ein Teil von mir hofft, betet, fleht, dass seine Augen meinen Verdacht nicht bestätigen. Der Rothaarige kaut unruhig auf seiner Unterlippe und sein Blick sagt alles. Scharf ziehe ich die Luft ein und plötzlich ist alles in mir und um mich von Eiseskälte erfüllt.
 

„Ich verstehe das nicht“, vernehme ich Alister´s Stimme. Er klingt so fassungslos und gebrochen, wie ich mich fühle. Sämtliche Farbe ist aus seinem Gesicht gewichen und seine Augen mit Tränen gefüllt. „Warum würde Kura...“ Er kommt nicht weiter, seine Stimme versagt und im nächsten Augenblick sehe ich wie er in die Knie geht. „Ryou“, ist alles was ich sagen kann. Eine andere Erklärung gibt es nicht.
 

Oder doch?
 

Ich will nicht darüber nachdenken. Ich kann es nicht. Der Gedanke, dass Bakura mich verraten hat, dass er mir Joey genommen hat ... Eines davon ist schon zu viel. Der Dieb muss einen Grund haben und es kann sich dabei nur um Ryou handeln.
 

Aber was ändert das etwas?
 

Ich schließe für einen Moment die Augen, atme tief durch und versuche mich zu sammeln. Zum ersten Mal in meinem Leben schaffe ich es nicht, meine Emotionen gänzlich bei Seite zu schieben. Es sind einfach zu viele.
 

„Trinken sie das, Master Kaiba“, fordert Roland mich auf und drückt mir ein Glas in die Hand. Einen kurzen Augenblick sehe ich ihn verständnislos an. Ich habe gar nicht bemerkt, dass er sich entfernt hatte. Dann nicke ich leicht und leere das Glas in einem Zuge. Die Flüssigkeit brennt in meiner Kehle, aber sie schafft es einen Teil der Kälte in mir für einen Moment zu verdrängen.
 

Bakura hat mich... Er hat Joey getötet. Das Warum spielt keine Rolle. Joey ist tot. Dessen bin ich mir sicher. Ich weiß, wie Bakura arbeitet und Grey hat es selbst bestätigt.
 

„Was werden sie jetzt tun?“ Roland beobachtet mich mit einer Mischung aus Sorge und Furcht und ich wünschte ich wüsste es. Gleichgültig was ich auch unternehme, es wird Joey nicht mehr lebendig machen. Aber noch habe die Möglichkeit, Grey büßen zu lassen. Womit ich mich auf seine Ebene begebe. Ist es das, was er von Anfang an wollte? Ich gebe mir einen Ruck und halte Roland das Glas hin. Er versteht sofort und schenkt mir erneut ein.
 

Wenn ich meine Emotionen schon nicht verdrängen kann, dann werde ich mich auf meine Wut konzentrieren, beschließe ich während ich das zweite Glas leere. Danach werde ich trauern, aber zuerst wird Grey bekommen, was er verdient.
 

Und noch viel mehr.
 

„Und was ist mit dem Dieb?“, fragt eine Stimme in meinem Kopf.



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  MaiRaike
2014-02-05T18:17:34+00:00 05.02.2014 19:17
Hm, sie sind ziemlich brutal zu Seto. Gleich von ihm zu erwarten sich zusammenzureißen und einen Plan zu haben. Mensch, gönnt ihm doch einen Moment!!

Auf diese Szene warte ich schon lange. Aber ich finde Setos Reaktion tatsächlich zu schwach. Auch wenn er der eiskalte Seto ist, der sich normalerweise dafür schähmen würde zu weinen. Ich hätte erwartet, dass er noch mehr zusammenbricht.

Die Geschichte ist langsam aber sicher an Spannung nicht mehr zu überbieten. Ich fiebere dem nächsten Kapitel entgegen!

(Und jetzt lese ich mir dieses noch mal durch!!!)

Antwort von:  Melmoth
06.02.2014 19:02
Freut mich sehr, dass das Kapitel dir gefallen hat.

Was Setos Reaktion anbelangt, war ich ehrlich gesagt etwas unsicher. Einerseits finde ich die Reaktion auch etwas zu schwach, andererseits ist er ein Typ, der gelernt hat sich immer unter Kontrolle zu haben und so dachte ich mir, dass er bei all den Gefühlen sich zuerst auf seine Wut konzentrieren würde, eben um den Schmerz dadurch verdrängen zu können. So kann er handeln und sich damit ablenken, andernfalls würde er vermutlich zusammenbrechen.
Und btw, noch ist was den Punkt betrifft alles gesagt. ;-) Wer weiß, vielleicht tickt er noch total durch oder bricht vollkommen zusammen.

Wünsche dir auf jeden Fall weiterhin Spaß beim Lesen!
Von:  Onlyknow3
2014-02-05T17:41:09+00:00 05.02.2014 18:41
Hartes Los Seto aber du bist nicht allein, darum verzage nicht und halte an deinem Plan fest den du dir vor genommen hast alles andere wird sich aufklären.Mach weiter so, bin doch gespannt ob es Bakura gelingt diesen Grey hinters Licht zu führen und so mit den Spuk zu beenden.Freue mich auf das nächste Kapitel.

LG
Onlyknow3
Von:  Lunata79
2014-02-05T17:21:29+00:00 05.02.2014 18:21
*schluchz* Armer Seto. Wenn dir diese Hölle doch nur hätte erspart bleiben können.
Aber sei nicht traurig, denn schon nach zwei Tagen kannst du dein Hündchen wieder in die Arme schließen. Na, ja, falls Bakura´s Plan gelingt, was ich doch hoffe.
Freu mich aufs nächste Kapitel.

Lg
Lunata79
Von:  jyorie
2014-02-05T15:59:21+00:00 05.02.2014 16:59
Hey ก็็็็็็็็็็็็็ʕ•͡ᴥ•ʔ ก้้้้้้้้้้้

Roland und Alister haben das Video schon vorher angeschaut?
oh man :(

Ich hatte ja gehofft, als Seto sich das Video zum zweiten mal
ansieht, das er es durschaut und an einer Winzigkeit erkennt,
das es nicht Joey ist, das er es vielleicht jetzt schon durchschaut.
Aber da hab ich dann wohl zu früh gehofft – und Seto hat „nur“
Bakura erkannt – okay, anders wäre der Plan gefährdet, aber
du hast Setos schmerz so greifbar beschrieben, das ich es ihm
wirklich gewünscht hätte, das er den Trick erkannt hätte. *seuftz*

CuCu, Jyorie



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