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Die Zauberin und der Fall der Arkana

Die Abenteuer der Zauberin Freya, vierte Staffel
von

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Freya in: (20.2) Mitternacht (Karte: Freiheit, umgekehrt)

Akt 0, Szene 0 – Der Pfeilklingentraum (Ansage?)
 

Die Bühne der vierten Staffel ist ein Tempel: Zwei Säulen füllen den Raum und vielleicht ist der hintere Teil der Bühne auch einige Stufen höher als der vordere. In diesem Einleitungsakt ist außerdem alles noch provisorisch und unfertig: Plastik umschließt die Säulen und ein Baustellen-Gitterzaun steht zwischen ihnen. Wer mag, der kann Bettlaken mit im Stil der dritten Staffel aufmalten Hintergründe drüberhängen, nur in der Kerkerszene ist das aus offensichtlichen Gründen nicht möglich.

Hinter diesem Gitter hockt die gefangene Mineda zu Beginn des Stücks und ihr Monolog bringt alles in Bewegung.
 

Mineda: (zum Publikum) Atim-Suraq! Er ist wahr und mächtig, darauf setze ich mein Leben – na, wer von euch hält dagegen?

Ich wusste es, so wie ich weiß, dass dies nicht das Ende sein kann. Es gilt noch Rache zu nehmen an der Frau, die es wagte, sich einzumischen. Sancide de Ruthor! Komm her. Träume diesen Traum mit mir.
 

Sancide tritt an die andere Seite des Gitters heran – vielleicht aus dem Zuschauerraum, eher saß sie bereits am Rande der anderen Seite der Bühne. Mineda holt währenddessen das versteckte Messer hervor, welches sie am Ende der dritten Staffel bekam, und schneidet sich die Hand auf.
 

Mineda: Wer glaubst du zu sein, dass du es wagst, mich zu besiegen? Ich weiß jedoch, dass auch in den nächsten einhundert Schlachten bloß Niederlagen auf mich warten, und so wird vor Atim-Suraq und der Welt eine andere Macht dein Schicksal besiegeln. Kommt zu mir, ihr Pfeile vom Rande der Welt, und gebt dieser Frevlerin den Rest!
 

Mineda spritzt ihr Blut auf Sancide.
 

Mineda: Und nun komm, erzähle diese Geschichte mit mir!
 

Sancide: Vier Pfeile werden auf mich zielen, geschossen aus Morgen, Mittag, Abend und Mitternacht. Der erste Pfeil wird mich warnen.
 

Mineda: Der zweite wird dir Schmerzen bereiten.
 

Sancide: Der dritte wird mich zu Boden reißen.
 

Mineda: Der vierte wird deinen Namen treffen, auf dass sich niemand mehr an dich erinnern wird.
 

Langsam gehen von vier Ecken vier weiß vermummte und bewaffnete Gestalten auf und treten an Sancide heran, ehe sie sich umdrehen und vorbereiten, sie zu beschützen. Sancide lächelt.
 

Sancide: Das sind vier Ritter aus dem Herzen der Welt, Helden, wenn du so willst. Machtvoll und tugendsam stehen sie mir bei… wundervoll, nicht wahr?
 

Jetzt erst treten vier schwarz vermummte Gestalten aus den Ecken auf, woraufhin es zum Kampf kommt. Zuerst mag Sancide hoffen, doch unterliegen alle weißen Ritter den schwarzen Pfeilen und gehen zu Boden. Die Pfeile ziehen daraufhin Dolche und treten nacheinander an Sancide heran.
 

Pfeil W: Ich bin der erste Pfeil. Ich werde dich warnen und das Ende fühlen lassen. (sticht zu)
 

Pfeil O: Ich bin der zweite Pfeil. Ich werde dein Herz zum Bluten bringen und deinen Körper mit dazu. (sticht zu)
 

Pfeil S: Ich bin der dritte Pfeil. Ich vernichte und mache alles tot, was noch am Leben ist. (sticht zu)
 

Pfeil N: Ich bin der vierte Pfeil. Alles, was dann bleibt, ist unsere Geschichte. (sticht zu)
 

Sancide krümmt sich unter Schock und Schmerzen. Black.
 

Akt 0, Szene 1 – Ansage?
 

Sancide ist allein auf der Bühne, offensichtlich nur mit Mühe ihre Fassung bewahrend.
 

Sancide: (in einem Ton, der überhaupt nicht zu guten Nachrichten passt) Es ist ein großer Sieg gegen die Dunkelheit zu verkünden. Einer Gruppe tapferer Helden in der Gunst der Götter gelang unter dem Diener des Lebens Leatmon Phraisop, Oberhaupt der Kirche unserer Herrin Peraine, nach Ilsur an der tobrischen See vorzudringen und den Heptarchen Xeraan, den Gierigen Tyrannen, zu bezwingen. Seine Garde, die Unbesiegbare Legion von Yaq-Monnith, wurde durch die Herrin Peraine geläutert und die gemarterten Seelen der Kinder von Ruthor vor den Niederhöllen bewahrt. Die Truppen der Kaiserin rücken damit weiter vor. Hurra! Hurra! Hurra! (Pause, sie kann nicht mehr an sich halten und bricht in Tränen aus.) Kalchia, Hesindio, Aldare. Ihr seid gerettet. Ich hätte euch kein besseres Schicksal wünschen können, nicht wahr? (sie versucht zu lächeln, doch bricht dann wieder in Tränen aus) Ich wollte euch retten, hört ihr? Nun bin ich wieder die Jüngste.
 

Marja geht auf. Sie trägt noch das blutverschmierte Gewand eines weißen Ritters, legt es aber am Bühnenrand ab und wechselt auf die Tracht eines Angehörigen des Grauen Stäbe von Perricum. Schließlich tritt sie an Sancide heran und klopft an die Säule, was in Sancide eine erstaunliche Wandlung hervorruft: Von einem Moment auf den nächsten ist von ihrem Schmerz kaum mehr etwas zu sehen.
 

Sancide: Die Tür ist offen. (Pause) Marja! Schön, dich zu sehen.
 

Marja: Gerade angekommen. Ich hörte, du hast es geschafft. Gratuliere.
 

Sancide: Das ist unwichtig. Wie erging es dir in Grangor?
 

Marja: Ich war nicht lange da, wurde an Meister Marcin Saibal nach Brig-Lo verwiesen. Kennst du ihn? Er ist beeindruckend.
 

Sancide: Das freut mich für dich. (Pause) Dreißig raulsche Goldmünzen?
 

Marja: Fünfundfünfzig. Er ist gut, doch leider sehr teuer.
 

Sancide greift an ihren Gürtel, zählt ab und übergibt Marja die Summe.
 

Sancide: Bleibst du noch auf einen Tee?
 

Marja: Habe Erbarmen mit mir, meine Reise war lang. Wir sehen uns morgen beim Frühstück?
 

Sancide: Schlaf gut. Tanke Kräfte. Ich brauche dich morgen.
 

Marja: Gute Nacht.
 

Marja geht ab. Black.
 

Akt 0, Szene 2 – Lowangen, Ordensburg des ODL
 

Der Speisesaal ist zum Frühstück gut gefüllt und entsprechend laut. Die Mitglieder von Sancides ehemaligem Kommando, einheitlich mit ODL-Kutten gewandet, sitzen an einem Tisch und unterhalten sich, wobei von den Gestalten nur Marja und Torja von Bedeutung sind. Freya tritt auf und an den Buffettisch heran, wobei sie durch ihr unzauberisches Schwarz sich von den anderen abhebt, trägt sie doch Trauer nach Tarrins Tod.
 

Torja: (redet mit Marja und versucht, bei ihr zu landen) Du hättest sie sehen sollen. Da tritt sie also ganz allein Mineda entgegen und überzeugt sie davon, dass sie eine zwielichtige Zauberin ist, derweil wir ihre Waldläufer auseinandernehmen. Dann kämpfen sie beide gegeneinander und - Bumm! – wirkt sie einen Zauber und – Zang! – blitzt es noch einmal und auch die Feinde, die Mineda beistehen wollen, können der Kommandantin nichts anhaben! Sie blitzt und brennt und haut und sticht, so etwas habe ich noch nie gesehen.
 

Marja: (sich über seine Versuche amüsierend) Hui.
 

Torja: Soll ich dir ein Geheimnis verraten? Sag es nur bitte nicht weiter.
 

Marja: Versprochen.
 

Torja: Als ich sie zum ersten Mal sah, unsere Kommandantin, da dachte ich mir: Was will die denn? Die ist doch jung und blass und hat sich sicher nur hochgehübscht. Da bin ich doch besser jetzt als gleich woanders.
 

Marja: Erzähl weiter.
 

Torja: Aber dann… ihre Taktiken… ihre Entscheidungen… Huiuiui. Wusstest du, dass sie die jüngste Kommandantin seit mindestens zwei Generationen ist?
 

Marja: Wirklich?
 

Torja: Ja. Und keinen einzigen Verlust in den ganzen drei Jahren. Weißt du, was anderswo gestorben wird?
 

Marja: Ja.
 

Torja: Soll ich dir was sagen: Wenn sie wirklich an die Ostfront geht, dann bin ich mit dabei. Du doch auch?
 

Marja: Klar.
 

Torja: Da räumt sie dann richtig auf, du wirst es sehen. (wendet sich um) He, Freya! Setz dich doch zu uns… und bring’ Tee mit!
 

Freya erscheint und tut, wie geheißen.
 

Torja: Wir sind doch alle eine Familie. Kennst du eigentlich schon Marja? (stellt vor) Marja, Sans Adjutantin. Freya.
 

Marja: (zu Freya) Du bist wirklich hübsch.
 

Freya: Danke, du aber auch.
 

Sancide geht auf. Auch sie trägt ihre ODL-Kluft.
 

Sancide: Lina?
 

Freya: Schon fertig. (in die Runde) Wir sehen uns noch.
 

Marja: Bestimmt. Viel Spaß euch.
 

Freya und Sancide gehen ab, während Torja und Marja unbeholfen ihr Gespräch wieder

aufnehmen.
 

Torja: Wir haben sie auch in Havena getroffen. Sie ist aber wirklich nicht so hübsch wie du.
 

Marja: Ich mache mich dann mal an die Arbeit. Du weißt ja, wie die Kommandantin ist.
 

Torja: Ich kann nichts dafür, ich mag einfach blond.
 

Black.
 

Akt 0, Szene 3 – Lowangen, vor den Toren
 

Rinn geht auf und wendet sich an das Publikum.
 

Rinn: Ich bin nicht hier, noch schwanken nicht die Planken unter mir, doch ist dies bereits ein Teil meiner Geschichte. Ich warte und ich hoffe auf euch. Mögen weder eure Waffen noch eure Mauern brechen.
 

Rinn geht ab und überlässt Freya und Sancide die Bühne, die gemeinsam durch die Gegend

schlendern – vielleicht auch in den Zuschauerraum herein.
 

Freya: (echauffiert sich) Hast du diesem Priester überhaupt zugehört? ‚Bedenkt, dass ihr euch während der Namenlosen Tage verbergen mögt, doch eure Werke bleiben.’ Will der uns in einen Haufen Zwerge verwandeln?
 

Sancide: (aus dem Wunsch nach Ruhe) Er weiß es einfach nicht besser.
 

Freya: Zwerge, huuuu, viele Waffen, keine Hände. Da sind mir Elfen bedeutend lieber. (Pause) Siehe es mal so: Wenn du bis zum Hals in einer heiligen Schlammgrube steckst – oder was auch immer ihr da habt –, dann wünschst du dir doch eine Hand und keine Hundert Werkstücke, oder? (Pause) Warte doch mal! Du bist zu schnell.
 

Sancide: Du lässt nach. Früher warst du besser.
 

Freya: Vielleicht. Früher war ich jünger.
 

Sancide: (erklärend) Von diesem Hügel erhalten sie einen guten Blick bis zur Stadtmauer. Lass uns noch zu dieser Lichtung gehen, da könnten sie ihre Pferde anbinden. (Pause) Was hast du nach den Tagen vor?
 

Freya: Ich muss endlich nach Andergast. Solange Nerva noch auf freiem Fuß ist, ist noch nichts vorbei.
 

Sancide: Nerva muss sich gegen den ODL schützen, das wird ihn zu den Druiden führen. Ich würde dich zu ihnen schicken mit dem Auftrag, sie von uns zu überzeugen. Wenn du dich geschickt anstellst, kannst du ihn wohl bekommen. (Pause) Was hattest du denn vor? Reinstolpern und auf das Schicksal hoffen?
 

Freya: (zurückzickend) Bisher bin ich sehr gut damit gefahren.
 

Sancide: Ich werde nicht bei dir sein. Das Kommando bekomme ich mit Sicherheit nicht und möchte es auch gar nicht. Wende dich aber an Marja, dann kann ich dir mitgeben, was ich über Andergast weiß.
 

Freya: Kann ich machen.
 

Sancide: Tue es. Ich denke, dass du sie mögen wirst.
 

Freya: Schön warm ist’s.
 

Sancide: Wie gut bist du im Kampf?
 

Freya: Was ist das denn für eine Frage?
 

Sancide: Heute Nacht greifen sie an. Kannst du dich selbst verteidigen?
 

Freya: Sicher… aber wie kommst du überhaupt darauf? Siehe dir die Mauern der Ordensburg an. Sie sind unbezwingbar.
 

Sancide: Wenn du das sagst. Lass uns nun aber umkehren. Ich bin hier fertig.
 

Black.
 

Akt 0, Szene 4 – Lowangen, Freyas Kammer in der Ordensburg des ODL
 

Freya ist allein in ihrer Kammer und richtet sich her, um auszugehen: Lippen röten, Puder auftragen, Schmuck anlegen, vielleicht die Haare nachfärben… das ganze Programm eben. Sie wird von einem Klopfen unterbrochen.
 

Freya: Herein, wenn’s kein Schneider ist.
 

Marja tritt auf, Papier und Feder mit sich führend.
 

Marja: Störe ich?
 

Freya: Was gibt es?
 

Marja: San sagte, du wolltest mich sprechen. Ich dachte, da könnten wir gleich ein paar Formalien erledigen.
 

Freya: Ach, sagte sie das? Schön, dass ich auch etwas davon erfahre.
 

Marja: Ich komme später wieder.
 

Freya: Nein, tritt ruhig ein und erledige deine Formalien – und magst du nicht derweil meinen Spiegel halten?
 

Marja geht auf die Frage nicht einmal ein. Sie möchte beginnen, fügt dann jedoch noch eine

Rechtfertigung an.
 

Marja: Was hast du heute Abend denn noch vor? Triffst du einen Mann? Eine Frau?
 

Freya: Das geht weder San noch dich etwas an.
 

Marja: Ach… Nimm es San nicht übel. Du weißt ja, wie sie ist.
 

Freya: Damals hätte sie sich das nicht gewagt! Also?
 

Marja: Der Orden wünscht einige Angaben zu aktualisieren. Das heißt, San wünscht es, aber das ist noch eine Woche lang dasselbe. (Pause)

Name: Firlina… di Arthuro-Galahan? (sie möchte damit wissen, ob sie mit Tarrin verheiratet war.)
 

Freya: Ja.
 

Marja: Den Magiernamen Freya führend.
 

Freya: Ja. Eine richtig dumme Idee.
 

Marja: (murmelnd) Pflichtdienst absolviert, gut… (aus dem Amtston fallend) Du warst einmal auf der Antimagierakademie zu Kuslik?
 

Freya: Ein wundervolles Jahr. Ich wäre gerne geblieben und hätte San nie kennen gelernt.
 

Marja: (von der Spitze unbeeindruckt) Reisende Heldin, aktiv in Andergast, Grangor, Brig-Lo und Havena, Retterin der Königin Yolande von Nostria… mag sie dich noch?
 

Freya: Wenn sie hier wäre, hätte sie meinen Spiegel gehalten.
 

Marja: Große Meditation vor etwas mehr als einem Jahr. Folgte eine zweite?
 

Freya: Ich hätte sie auch furchtbar gerne mitgenommen.
 

Marja: Das ist ein Nein?
 

Freya: Das ist ein Ja. Auf den Tag genau ein Jahr später in der Ruine Albengriff in den Windhagbergen.
 

Marja: Als Stärken werden hier angegeben: Solide Stabfechterin und Kampfmagierin mit einem Händchen für Feuerzauber. Allerdings… Stimmt es noch, dass du niemanden getötet hast und das auch nicht vorhast?
 

Freya: Schau mal, wie schön rein meine Hände sind.
 

Marja: Wärst du lieber eine Antimagierin oder eine Heilerin?
 

Freya: Was ist das denn für eine Frage?
 

Marja: Sie liegt auf der Hand. Du stehst dir selbst im Weg. Langsam wundert es mich nicht mehr, dass San nicht auf dich zählt.
 

Freya: Also bitte!
 

Marja: Wusstest du eigentlich, dass San einige Tage jünger ist als du? Dreiundzwanzig Jahre wandelt ihr nun beide über den Derenrund und die eine ist die jüngste Kommandantin des ODL seit zwei Generationen, während die andere… Spaß mit irgendwem haben möchte, nicht dass es mich interessiert.
 

Freya: Das ist genug. Geh!
 

Marja: Ist doch nicht böse gemeint, Hübsche. Ich mag dich und ich glaube, dass du mehr sein kannst, als du bist. Ich glaube sogar, dass in dir eine richtig große Zauberin steckt, vor der sich selbst San einmal verneigen wird. Magst du mir nicht dabei helfen, sie zu wecken? (Pause, dann nimmt sie ein Papier von ihren Unterlagen, präsentiert es Freya und lässt es dann zu Boden fallen) Sancide und ich sammeln gerade Streiter für eine Armee im Verborgenen. Ich hätte dich gerne dabei.
 

Marja geht ab und lässt Freya allein.
 

Akt 0, Szene 5 – Lowangen, Ordensburg des ODL
 

In der Küche ist Sancide dabei, Tee zu kochen. Eine hübsch anzusehende Freya geht auf.
 

Freya: Deine Schülerin ist unverschämt!
 

Sancide: Sie ist nicht meine Schülerin, sie ist meine Sekretärin.
 

Freya: Trotzdem würde ich gerne wissen, ob es stimmt. (drückt Sancide das Papier in die Hand) Ist es wahr? Baust du dir eine geheime Armee auf?
 

Sancide: Sie hat es also getan. Ich gebe zu, dass ich diese Entscheidung nicht getroffen hätte, aber ich respektiere ihr Urteil. Hast du es dir gut überlegt?
 

Freya: Ich habe mir gar nichts überlegt. Ich möchte einfach nur wissen, ob es stimmt.
 

Sancide: (atmet leise erleichtert auf) Es stimmt. Du musst wissen, ich bin nicht mehr das Mädchen, das unbedingt das rote Halstuch wollte. Der Orden ist eine gigantische Einrichtung, die mit sehr großen Mitteln sehr wenig erreicht. Es ist gut, ihn zu haben, aber furchtbar, sich auf ihn verlassen zu müssen.
 

Freya: Das ist verrückt.
 

Sancide: Tatsächlich arbeiten wir schon seit einigen Jahren am Aufbau des Formlosen Bundes. Mit den Mitteln des Ordens allein hätte ich dir weder in Havena gegen die Auftragsmörder beistehen noch Mineda Morga bezwingen können.
 

Freya: Warum möchtest du mich dann in den ODL reinbekommen?
 

Sancide: Das möchte ich gar nicht. Ich würde dich – und Marja sieht das sicher auch so – für ein Zweitstudium in eine Akademie schicken, Perricum zum Beispiel…
 

Freya: (unterbricht) Kuslik?
 

Sancide: Unwahrscheinlich, tut mir leid. So mächtig bin ich nicht. (Pause) Wie dem auch sei, nach einem Jahr erwarte ich dich dann zurück. Wenn ich mit dir zufrieden bin, wirst du dann Marja ersetzen.
 

Freya: Warum? Bist du ihr böse?
 

Sancide: Keineswegs. Die Gute dient jetzt seit drei Jahren unter mir, auch sie soll sich verändern dürfen.
 

Freya: Das ist… alles viel.
 

Sancide: (zögerlicher) Wirst du heute Nacht hier sein?
 

Freya: Was soll die Frage denn?
 

Sancide: Wenn es geschieht, habe den Stab bei der Hand. Der Kampf wird ausbrechen.
 

Freya: Du glaubst immer noch daran?
 

Mit Tee in der Hand geht Sancide ab. Black.
 

Akt 0, Szene 6 – Lowangen, Ordensburg des ODL zur Mitternachtsstunde
 

Freya sitzt immer noch geschminkt in einem geborgten Stoff- oder Lederpanzer, vielleicht ergänzt durch die Kappe ihres Elfengewands der letzten zwei Staffeln, und mit ihrem Stab in der Hand im Dunkeln. Sie unterhält sich dabei mit dem Geist, der darin wohnt: Jandora.
 

Freya: Was denkst du darüber?
 

Jandora: „Herrin, vergesst nicht, auch Ihr einer Herrin dient: Rinn, der Zauberkönigin. Das ist eine Herrin, die allen anderen Herrinnen vorzuziehen ist.“
 

Freya: Wir waren einmal gute Freundinnen, San und ich. Sie war einmal meine Tutorin, musst du wissen.
 

Jandora: „Sternträger sind keine Tutorinnenschüler, Herrin. Sie sollte dir dienen und nicht andersherum."
 

Freya: Kann ich nicht beides verbinden? Ich meine…
 

Jandora: „Zauberköniginnen erscheinen nicht in Akademiemauern. Sie ist dort draußen, inmitten der Wälder, Seen und Wiesen. Sucht sie dort, Herrin. Sie braucht euch so dringend, wie jemand einen anderen brauchen kann.“
 

Freya: Schon gut. Sie wird mir sicher nicht allzu böse sein.
 

Jandora: „Ich werde Euch niemals böse sein, Herrin. Wenn Ihr nach der Zauberkönigin sucht, dann seid Ihr nicht allein.“
 

In diesem Moment knackt es, was Aufmerksamkeit auf einen anderen Teil der Bühne. Taja

geht in der Gewandung einer nostrischen Waldläuferin auf und führt weitere drei genauso gekleidete Statisten mit sich.
 

Taja: Meine Herren, ihr alle wisst, was zu tun ist, also spare ich mir die großen Worte. Nun heißt es: Befreien wir Mineda aus ihrer Zelle! Durchsuchen wir die Burg und krallen wir uns alle Schätze, die wir finden! Und zuletzt: Töten wir alle, die sich uns in den Weg stellen. So lauten die Befehle.

Meine Herren, unsere Taten bisher machen uns zu Helden. Erfüllen wir noch diese letzten Ziele, dann machen sie uns zu Legenden. Ich sage: Blut!
 

Statisten: (im Chor antwortend) Blut!
 

Die vier Gestalten strömen aus, einer trifft auf Freya, worauf ein Kampf entbrennt. Mit der Zeit gehen weitere kämpfende Paare auf: Torja hat mit einem Gegner zu tun, Marja mit einem weiteren, Taja taucht mit Mineda auf, woraufhin Keikin und Sancide aufgehen und sich diesen stellen. Dann endet der Kampf.
 

Torja: Ignifaxius. (Er schickt damit seinen Gegner zu Boden.)
 

Marja: Imperavi! Und jetzt mit dem Dolch in die eigene Kehle… wunderbar! (Ihr Gegner ersticht sich selbst und geht zu Boden.)
 

Freya: Nimm das! Und das! Und das! (Der letzte Hieb mit dem Stab trifft den Gegner am Kopf und lässt ihn bewusstlos zu Boden gehen.)
 

Keikin geht derweil mit einem frisch geschnitzten Pflock auf Mineda los, wird aber von dieser überwältigt. Sancide greift nun ein, was wiederum Taja zur Flucht nutzt. Sancide und Mineda sehen einander böse an.
 

Mineda: Du hast gewonnen. Ich ergebe mich.
 

Sancide: Torja, nimm ihr das Messer ab.
 

Torja tut, wie ihm geheißen.
 

Sancide: Nun geht es zurück in die Zelle.
 

Sancide und Mineda gehen in die Richtung ab, aus der Mineda aufging. Marja fühlt derweil am Puls der Gegner.
 

Marja: Lina? Deiner lebt noch.
 

Freya: (derweil misstrauisch Keikin musternd) Ja?
 

Marja: Ach ja, dieser Unsinn. Torja? Willst du, soll ich?
 

Torja: Hab’ gerade das Messer in der Hand.
 

Torja beugt sich über den Gegner und schneidet ihm die Kehle durch. Damit macht er Freya rasend.
 

Freya: Bei den Zwölfen! Pack! Gib her. (Sie geht zu Torja hinüber und reißt ihm das Messer aus der Hand.)
 

Torja: Trottel! Bei der nächsten Welle stände er sonst wieder gegen uns.
 

Marja und Torja gehen ab, auch Keikin verschwindet. Derweil starrt Freya gebannt auf das

Messer – bekanntermaßen ist es ihr eigenes. Dann ertönen Geräusche eines sich öffnenden Tors und Jannis tritt auf. Beide sehen einander fassungslos an.
 

Freya: Jannis.
 

Black.
 

Akt 0, Szene 7 – Lowangen, Zellentrakt der Ordensburg des ODL
 

Mineda und Freya sitzen als Insasse und Besucher zusammen in einer Zelle. Was zu reden war, taten sie bereits, nun sitzen sie beieinander. Wahrscheinlich folgen sie den Ereignissen in der Nachbarzelle, doch wenn sie es tun, reden sie nicht darüber.

In dieser Nachbarzelle wartet Keikin, zu der Marja aufgeht.
 

Keikin: (betrachtet die Wand und spricht zu sich selbst) Feygra! Leben reißt die Straßen ein. Regen fällt. Mallorn!
 

Marja: Das war ganz schön beeindruckend heute Nacht. Vielen Dank für deine Hilfe.
 

Keikin: (sich nicht umdrehend, abweisend) Uesälju! Uesä!
 

Marja: Du bist wirklich stark. Du musst Mineda so sehr hassen wie wir.
 

Keikin: Kaskju! Sanyara! Seidenweib!
 

Marja: Du heißt Keikin, habe ich recht?
 

Keikin: Taitää!
 

Marja: Ich bin Marja, ich bin aus dem Bornland. Weißt du, Nivesen mochte ich schon, als ich ein kleines Mädchen war. (Pause) Siehst du mich an, Keikin?
 

Keikin: (dreht sich jetzt erst zu ihr um) Sanyasala, nuju Marja.
 

Marja: Warum bist du hier, Keikin?
 

Keikin: Äkilauki! Habe einen Hund geschossen.
 

Marja: (betont langsam) In deiner Akte steht etwas anderes. Du hast für uns gearbeitet, für Aljawa Walsareffnaja. Du bist weggelaufen. Du hast deinen Vertrag gebrochen.
 

Keikin: Dhapäto! Atim-Suraq!
 

Marja: (überrascht) Sprichst du dieses letzte Wort noch einmal aus?
 

Keikin: Aman’Tir! Atim-Suraq!
 

Marja: (setzt sich nun vor die Gitterstäbe) Das ist Minedas Herr. Möchtest du mir nicht mehr über ihn erzählen?
 

Keikin geht langsam auf sie zu und setzt sich auf die andere Seite des Gitters. Black.
 

Akt 0, Szene 8 – Lowangen, Ordensburg des ODL, Sitzungssaal
 

Eine kleine Gruppe hoher Damen und Herren versammelt sich um einen Tisch: Hagen Gerion,

Aljawa Walsareffnaja, Gerwulf Zantentöter, Tamara, Sancide de Ruthor – weitere Plätze sind offensichtlich leer. Rinn geht auf.
 

Rinn: (zum Publikum) Fünf Tage des Jahres konnte das Böse besetzen. Man sagt…
 

Jannis geht auf und unterbricht damit den sich anbahnenden Monolog.
 

Jannis: Meine Damen und Herren: Willkommen zum diesjährigen Mitternachtskonzil, in denen wir die fünf Tage nutzen, Bilanz zu ziehen und zu entscheiden, welchen Weg Gilde und Orden im neuen Jahr einschlagen sollen. Mein Name ist Jannis Skaldenson und es ist mir eine Ehre, euch alle im Namen des Ordenshochmeisters Tarlisin von Borbra zu begrüßen. Ich darf vorstellen:

Großmeister Hagen Gerion, Herr über die Ordensburg Lowangens, Führer des Rohalsstabs Robureon und Verantwortlicher für die nördlichen Provinzen.

Aljawa Walsareffnaja, Spektabilität des Kampfseminars Andergast, und Gerwulf Zantentöter, Waffenmeister des Seminarsund Befehlshaber über die ODL-Kräfte vor Ort.

Tamara Abendstern, reisende Heldin und Elfenprinzessin aus dem Norden.

Das Protokoll führt Adepta Sancide de Ruthor, Kommandantin einer Grauen Garde und mit außerordentlicher Befehlsgewalt über eine zweite.

(nach einer kleinen Pause) Weitere Gäste werden im Verlauf des Tages eintreffen, der Ordenshochmeister selbst in wenigen Augenblicken. Während nun die Tagesordnung herumgereicht wird und auf eure Ergänzungen wartet – Sancide, bitte –, möchte ich gleich eines ankündigen: Ich möchte nicht mit dem Dämonenangriff auf Andergast im Spätsommer beginnen. Stattdessen interessiert mich brennend – und den Ordenshochmeister noch brennender –, wie es zu den Vorfällen der letzten Nacht kommen konnte!

Hagen Gerion, bitte bereite deinen Bericht vor. Wir fahren fort in einer halben Stunde.
 

Im Gemurmel wird es dunkel.
 

Akt 0, Szene 9 – Lowangen, Ordensburg des ODL, Wehrgang der Mauer
 

Der Raum ist dunkel. Man hört die Stimmen Sancides und Aljawas – Schülerin und vertraute

Lehrerin.
 

Aljawa: „Ich habe eine Flasche Meskinnes, auf der unser Name steht. Soll sie wirklich verderben?“
 

Sancide: „Morgen wird es so anstrengend wie heute. Ich brauche die Ruhe.“
 

Aljawa: „Morgen Abend?“
 

Sancide: „Versprochen.“
 

Aljawa: „Zaubererwort. Schlaf schön.“
 

Sancide geht nach einer Weile auf, eine Lampe mit sich führend und sichtlich erschöpft von

einem langen Tag. Derweil hört man Aljawa noch einmal von draußen.
 

Aljawa: „Du bist hier?“
 

Dann ist wieder Ruhe. Erst nach einer Weile geht Keikin zögerlich auf. Sancide nimmt sie wahr, doch tauschen sie nur Blicke aus. Gerade als sie ein Gespräch beginnen wollen, werden sie unterbrochen: Marja geht auf, sichtbar verwundet, und bricht nach wenigen Schritten zusammen. Keikin zieht daraufhin ein Messer, welches mehr an ein Küchenmesser erinnert, und nach einem Blickaustausch wissen sie, dass sie zusammen- und nicht gegeneinander arbeiten: Keikin sucht die Weite nach Gegnern ab, während Sancide erspürt, dass ihre Schülerin noch lebt, doch selbst nicht helfen kann. Sie nimmt sie daraufhin in den Arm und geht mit Keikin ab.
 

Akt 0, Szene 9 – Lowangen, Ordensburg des ODL, Freyas Kammer
 

Freya umsorgt die verwundete Marja, die im Bett der Zauberin liegt und noch nicht wieder erwacht ist. Sancide und Jannis gehen von verschiedenen Seiten der Bühne auf.
 

Jannis: (zum Publikum) Und so kam Sancide zu mir und sagte…
 

Sancide: Jannis? Ich habe heute Abend ein Termin beim Ordenshochmeister. Ich muss ihn absagen.
 

Jannis: Und ich sagte: Das wird ihm überhaupt nicht gefallen. Ist dir das klar?
 

Sancide: Meine Adjutantin wurde angegriffen und ringt mit dem Tod. Es tut mir leid.
 

Jannis: (weiter im Plauderton) Deine Entscheidung. Du wirst aber sicher verstehen, dass du dich für einen neuen Termin gedulden musst – gerade wollen wirklich alle etwas von ihm. Da du bald auch keine Ordensschwester mehr sein wirst… Ohne etwas versprechen zu können: Ende Praios in Anchopal vielleicht?

Das war nicht, was sie hören wollte.
 

Sancide: Spiele keine Spielchen mit mir!
 

Jannis: Fauchte sie. Ich schüttelte nur den Kopf. ‚Das sind keine Spielchen’, sagte ich. ‚Das ist die Realität.’ (Pause) Ich legte eine theatralische Pause ein und fügte dann hinzu: ‚Es sei denn natürlich, du hast uns etwas anzubieten – ihm oder mir.’
 

Sancide: (gereizt) Ich habe euch bereits etwas zu bieten gehabt. Dieser Termin war teuer genug.
 

Jannis: Ich lachte. ‚Ja, aber er ist nun Geschichte.’ Um sie zu trösten, fügte ich an: ‚Ich werde noch einmal nachsehen, was sich für dich machen lässt. Wir reden die Tage noch einmal, versprochen?’
 

Jannis geht ab, während Sancide ans Bett herantritt und Teil der Szenerie wird.
 

Sancide: Wie geht es ihr?
 

Freya: (erschöpft) So gut es eben möglich ist. Man hat auf sie eingestochen, diese Wunden habe ich geheilt. Ich gab ihr Menchal-Saft gegen das Gift in ihren Adern, doch ich denke, man versuchte es auch mit Zaubern. Gegen diese konnte ich nichts machen.
 

Sancide: Was war es für ein Gift?
 

Freya: Deine Waldläuferin sprach von Arax und ich würde ihr zustimmen. Es lähmt. (Pause) Jemand wollte sie entführen und sie töten, als sie sich wehrte.
 

Sancide: Ich werde dir Torja zur Seite stellen. Du kennst ihn?
 

Freya: Flüchtig.
 

Sancide: Vertraue ihm. Vertraue mir. Vertraue niemandem sonst.
 

Sancide umarmt sie, der Satz ‚Verzeih, dass ich dich hier mit hineinzog, und Danke für alles’ bleibt unausgesprochen. Dann möchte sie wieder aufbrechen.
 

Freya: Was hast du vor?
 

Sancide: Ich treffe mich mit Spektabilität Walsareffnaja. Ich werde sie von dir grüßen.
 

Freya: Pass auf dich auf.
 

Sancide: Du auch.
 

Sancide geht ab.
 

Akt 0, Szene 10 – Lowangen, ODL-Ordensburg, Sancides Kammer
 

Jannis und Sancide gehen wieder von verschiedenen Ecken auf und bleiben bei den Säulen.
 

Jannis: Am nächsten Tag hielt ich mein Versprechen und kam auf Sancide zurück. Vielleicht war ich etwas vorschnell damit, doch ich musste handeln, ehe sie mir entschlüpfte. ‚Hee, Sancide’, sagte ich. Sie blickte mich müde an und antwortete.
 

Sancide: Ja?
 

Jannis: ‚Ich habe eine Antwort für dich’, sagte ich. ‚Der Ordenshochmeister hätte Zeit heute Abend.’
 

Sancide: Aber?
 

Jannis: ‚Es gäbe da eine Gefälligkeit, um die ich dich bitten müsste.’ Ich schämte mich beinahe, das zu sagen, doch wer auch immer seine Träume wahr werden lassen möchte, der muss über seinen Schatten springen. ‚Ich hörte, du verstehst dich immer noch mit Lina.’ (Pause) Sie sah mich so lange böse an, dass ich schon befürchtete, sie würde mich nicht einmal einer Antwort würdigen. Dann überraschte sie mich.
 

Sancide: Kann schon sein.
 

Jannis: ‚Hast du sie dir in letzter Zeit einmal angesehen?’, ließ ich mich überwältigen. ‚Sie ist ein Traum. Wir beide wissen ja, wie sie mit fünfzehn aussah, doch verglichen mit heute? Da musst du zugeben: Jeder, der sie heute nicht bespringt, tut das nur nicht, weil er nicht kann.’ (Pause) Nun, was soll ich sagen? Natürlich gab sie es nicht zu.
 

Sancide: Sie trägt Trauer. Sie verlor gerade ihren Verlobten. Zeige ein bisschen Respekt!
 

Jannis: Sie verstand mich einfach ganz falsch. ‚Ach komm’, sagte ich, ‚Ich bitte dich doch um nichts, was ich nicht schon hundertmal mit ihr gemacht hätte. Eine Nacht mit ihr, mehr verlange ich doch nicht.’ (Pause) Dann, nach einem furchtbar langen Moment, drehte sie sich um und ging. (Pause, mit einem breiten Grinsen) Und nun entschuldigt mich, ich muss mich auf ein Treffen mit einem Mädchen vorbereiten.
 

Jannis geht ab. Sancide betritt allein ihre Kammer, eine Kanne Tee mit sich führend, entzündet eine Lampe, gießt sich ein und trinkt. Unerwartet für sie klopft es an der Tür.
 

Sancide: Herein?
 

Keikin geht auf, was Sancide entspannt.
 

Sancide: Komm doch herein und setze dich. Möchtest du Tee? (Pause) Du möchtest. Es ist Kaisertee aus dem Tulamidenland, eine edle Sache. Das war das Abschiedsgeschenk meines Kommandos an mich nach drei erfolgreichen Jahren. (Pause) Ich habe allerdings kein Schmalz für Nivesentee, kann es auch Sahne sein?
 

Keikin: Tuukijaa? Ich habe doch einen Hund geschossen.
 

Sancide: Das weiß ich nicht. Marja hat dich freibekommen und ist immer noch bewusstlos.
 

Keikin: Deine Hände. Deine heiligen Hände. Ich möchte sie küssen. Darf ich?
 

Sancide ist davon nicht begeistert, tut ihr aber den Gefallen. Eine peinliche Stille folgt darauf, bis Keikin ansetzt, jedoch unterbrochen wird.
 

Sancide: Dein Bogen liegt dort auf meiner Truhe. Nimm ihn dir.
 

Keikin geht herüber, nimmt den Bogen, öffnet daraufhin die Truhe und durchsucht sie.
 

Sancide: Lass das. Bitte. Komme wieder her. (Pause) Ich brauche deine Hilfe.
 

Keikin: Deine Hände.
 

Sancide erweist ihr wenig begeistert ein zweites Mal den Gefallen und lässt sich erneut die Hände abknutschen.
 

Sancide: Du hast bereits für den Orden gearbeitet. Würdest du auch für mich arbeiten?
 

Keikin: Miju?
 

Sancide: Ich brauche einen Waldläufer, der mich von mir fortführt (Pause) und der nicht zuviel verlangt. Ich kann dich nicht einmal angemessen bezahlen.
 

Keikin: Messerweib schnitzt Eisturm. Treten? (Pause, dann erklärend) Mein Leben ist bestimmt, Atim-Suraq zu bekämpfen. Deine Hände hielten ihn auf. Wir sind Freunde.
 

Sancide: (lacht bitter) Wir sind keine Freunde – jedenfalls nicht, bis du meine Hände in Ruhe lässt. (Pause) Und auch dann nicht. Mache dir keine Hoffnungen. Du musst verstehen, dass ich dir nicht weiter helfen kann – ich kann nicht gegen Atim-Suraq kämpfen, weder heute, noch in einem Jahr. Lass uns einen Vertrag aufsetzen, das wäre mir am Liebsten.
 

Keikin: Keika ist der Speer. Das ist mein Lienenlauki. Spüre!
 

Keikin gibt Sancide ihren Bogen, dem eine göttliche Kraft innewohnt – sie ist davon überrascht und beeindruckt.
 

Keikin: Du hast heilige Hände. Ich habe einen heiligen Bogen. Ich möchte in deinen Händen sein. Atim-Suraq!
 

Sancide: (reicht den Bogen zurück) Das ist nicht mein Weg. Was verlangst du für den Weg nach Gareth?
 

Keikin: Geschenk! Trotzdem Fehler!
 

Statt abzugehen, greift Keikin zu ihrer Teetasse und trinkt sehr wütend und beleidigt Tee. Es wird dunkel.
 

Akt 0, Szene 11 – Lowangen, Ordensburg des ODL, Eingangshalle
 

Eine Menge versammelte sich am Tor, da ein Gast erwartet wird. Marja ist darunter, die sich

vermutlich davonstahl, und Freya und Torja stehen beisammen, irgendwann im Verlauf wird auch Sancide aufgehen.

Schließlich gibt es noch Jannis. Er spricht zu Umstehende wie zum Publikum gleichermaßen.
 

Jannis: Nun ist es mir eine ganz besondere Freude, einen neuen Gast des Mitternachtkonzils anzukündigen: Der Gesandte der Rabenmark und Neffe des Raben von Punin, Diener des Raben und Deuter Bishdariels Lontha Nazir… Mann, das waren aber ganz viele Raben.
 

Jannis tritt in den Hintergrund, während ein Toröffnergeräusch die Momente dehnt. Wichtig ist dabei Freya, war die angekündigte (und die Maske auch am Gürtel tragende) Figur doch ihr Gegner. Dann geht er (vielleicht an der Spitze einer Statistengruppe) auf. Freya tritt ihm entgegen und auch Torja versteht aus ihrem Verhalten, dass es sich um einen Feind handelt. Er macht sich kampfbereit.
 

Freya: (offen feindselig) Du! Lügner!
 

Lontha: (überrascht, doch offenkundig milde) Fräulein, Fräulein… (zu Jannis) Das ist nicht der Empfang, mit dem ich gerechnet habe.
 

Freya: Du bist ein Dämonendiener und ein finsterer Zauberer! Gib mir die Maske!
 

Lontha: Weiß sie nicht, dass ich ein Gast hier bin? Erkennt sie nicht, dass sie gleich zweier Götter frevelt?
 

Jannis: (zu Freya) Lina, bitte. Mache mir keine Probleme.
 

Freya: (zu Jannis) Stehe mir bei und vertraue mir.
 

Für eine Weile friert die Situation ein.
 

Lontha: (zu Freya) Du frevelst, Kind. Du frevelst und siehst es nicht einmal. Es ist wirklich eine Schande, dass du die Kutte der Gilde trägst, deretwillen ich so weit reiste. (Pause, dann zu Jannis) Mein Gastrecht wurde verletzt. Bringe es wieder in Ordnung.
 

Lontha geht voran, woran Freya merkt, dass die Stimmung gegen sie schlägt. Sie tauscht Blicke mit Marja aus und muss erkennen, dass diese ihr nicht beistehen wird, dann überzeugt ein Blickwechsel zwischen Marja und Torja auch Letzteren davon, die Waffe zu senken.
 

Jannis: Sancide? Du bist ihre Tutorin. Bitte nimm dich der Adepta an. Sie muss bestraft werden.
 

Sancide tritt in das Zentrum des Kreises und bestraft Freya – zehn Schläge mit einem Offizierstab auf den Handrücken bieten sich dafür an. Dann wird es dunkel.
 

Akt 0, Szene 12 – Lowangen, Ordensburg des ODL, Sitzungssaal
 

Die Angehörigen des Mitternachtskonzils bevölkern wieder einen Tisch: Hagen Gerion, Aljawa

Walsareffnaja, Gerwulf Zantentöter und Tamara, doch diesmal sitzen Carro und Lontha mit dabei. Sancide führt das Protokoll, während Jannis steht und spricht.
 

Jannis: Lontha Nazir von der Boronkirche. Schön, dass es klappte.
 

Lontha: Mich freut es, hier zu sein.
 

Jannis: Dann fehlt nur noch der Sohn unseres Ordenshochmeisters – er hat aber auch einen ziemlich weiten Weg aus dem Süden hierher.
 

Lontha: (unterbricht) Er wird erscheinen. Öffnet ihm die Tore heute zur Mitternachtsstunde.
 

Jannis: Na dann. Wir haben den Tagesordnungspunkt für dich offen gehalten, um den du batest. Möchtest du erst einmal ankommen oder gleich darauf zurückkommen?
 

Lontha: (signalisiert: gleich und legt eine Pause ein, in der er sich auf eine Rede vorbereitet.) Meine lieben Magierinnen und Magier, Ordensmeister, Kommandanten, Spektabilitäten, tapfere Helden, wunderschöne Wesen und Träger des Derenrunds: Wir alle wissen, dass wir in einer Endzeit leben. Die Zwerge werden in den tiefsten Böden versinken und die Elfen sich in Licht und Traum auflösen – Anwesende selbstverständlich ausgeschlossen –, nur um eines zu ermöglichen: Um Platz zu schaffen für das wahre Herrschervolk dieses Zeitalters und seine wahren Herren.

Dort oben in Alveran fürchten die Götter jede Zeitenwende, denn in ihrem Verlauf wird über die Besetzung neu verhandelt. Ja, vielleicht glaubt der eine oder andere unter euch, dass die Götter ewig und gleich sind, doch sind wir ehrlich: Das ist Unfug. Tausende von Visionen und Träume, die die Kirche und damit mich erreichen, machen es sehr deutlich: Der Umbruch ist wahr und geschieht. Wir kennen die Namen.
 

An dieser Stelle setzt sich Lontha einfach hin und lässt die anderen ratlos zurück.
 

Jannis: Ja? Und?
 

Lontha: Unter den Göttern Alverans ist niemand so mächtig wie der Mittler zu den Dämonen und Heermeister gegen den Namenlosen, der Götter General Atim-Suraq.
 

Gemurmel ertönt.
 

Hagen: Glaubt Ihr ernsthaft, was Ihr sagt? Das ist Narretei!
 

Lontha: Boron glaubt daran. Praios glaubt daran. Rondra glaubt daran. Muss ich wirklich noch die anderen neun aufzählen, die daran glauben?
 

Hagen: Ich beantrage, diesen Scharlatan vor die Tür zu setzen.
 

Jannis: (zu Lontha, trotzdem betont laut) Soll ich ihn aufklären oder du?
 

Lontha: Ihr seid der Orden.
 

Jannis: Nun… (räuspert sich) möchte der Herr Großmeister vielleicht die Tatsache bedenken, dass seine Ordensburg bereits von den Kräften Atim-Suraqs überrannt wurde und es nur dem Einsatz dieser Schreibkraft (deutet auf Sancide) zu verdanken ist, dass wir uns nicht alle – mit Ausnahme des Herrn Nazir freilich – von Golgaris Schwingen tragen lassen. Vielleicht ist er sogar mit der Erklärung zufriedener, der schnell wachsenden Macht eines neuen Gottes unterlegen zu sein, als, ganz entschieden versagt zu haben.
 

Hagen: Ich muss doch sehr bitten!
 

Lontha: Danke, Jannis. Ich muss jedoch einen Schritt zurücksetzen, ehe Erwartungen aufkommen, die ich nicht erfüllen kann. Ihr wisst vielleicht, dass der Orden gerade Atim-Suraqs Hohepriesterin gefangen hält und sogar plant, sie hinzurichten. Ich bin kein Gott, doch kann ich mir nicht vorstellen, dass es ihm gefällt.
 

Aljawa: Sie hat Ordensgeschwister getötet. Andergast ist verheert.
 

Lontha: Vielleicht, doch ihr müsst doch verstehen: Das liegt in der Vergangenheit. Atim-Suraq ist die Zukunft.
 

Hagen: Dann lassen wir sie eben frei. Dann haben wir gleich unsere Ruhe.
 

Lontha: Ich fürchte, das reicht inzwischen auch nicht mehr. Jemand aus eurer Mitte war so unverschämt, gegen Atim-Suraq und seine Hohepriesterin zu freveln – sie gelangte, wie ihr sicher wisst, nicht von selbst hinter Gitter. (Pause) Ich beantrage, die Adepta Sancide de Ruthor dem Feuer zu übergeben.
 

Es herrscht Stille.
 

Jannis: (zu Sancide) Magst du nicht eben etwas Tee aufsetzen? Für den folgenden Teil brauchen wir kein Protokoll.
 

Sancide: Nein! Wer mich tot sehen möchte, der soll mir dabei in die Augen sehen.
 

Jannis: (nimmt ihren Arm) Gehen wir doch eine kleine Runde. Tamara, du kannst doch so viel, magst du nicht kurz für mich übernehmen? Ich bin gleich wieder da.
 

Jannis und Sancide gehen ab, während Tamara Jannis’ Platz übernimmt. Black.
 

Akt 0, Szene 13 – Lowangen, Ordensburg des ODL, Gang
 

Jannis und Sancide gehen auf. Jannis zeigt sich dabei verwandelt.
 

Jannis: Das wollte ich nicht. Dieser miese Hund. Wir hatten uns darauf geeinigt, dich zu expurgieren… verbannen… teeren und federn und dann Straßenstaub schlucken lassen. Das hättest du wirklich verdient. (Pause)

Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich dich hasse! Ich habe dich immer schon gehasst. Du hast mich Lina gekostet und mein Siegel dazu. Was hatte ich dir denn getan?
 

Sancide: Das warst du selbst.
 

Jannis: Doch ein Mann ist ein Mann und auch wenn du nichts bist und keine Schonung verdienst, bist du doch ein Kamerad.
 

Jannis zieht seinen Dolch, übergibt ihn Sancide. Dann dreht er sich um.
 

Jannis: Aber nimm den Knauf, ja… und sei sanft… und sag Lina, dass…
 

Er wird von Sancide unterbrochen, die ihm mit voller Wucht den Dolchknauf gegen den Kopf

rammt. Sie gestattet sich ein Lächeln, während er zu Boden geht. Dann geht Keikin auf. Die beiden tauschen einen entschlossenen Blick und gehen dann gemeinsam ab.



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