Zum Inhalt der Seite

Erinnerst du dich?

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Kapitel 3

[Anmerkung: Die Hochzeit, die in diesem Kapitel erwähnt wird, ist die von Prinzessin Constanza von Sizilien und Pedro III von Aragón (Pedro der Große) im Jahr 1262. Ich hab die Spanischen Königsnamen so gelassen, meiner Meinung nach klingt es besser.]
 

Feliciano blieb den ganzen Tag an meiner Seite. Er erzählte mir verschiedene Anekdoten und lachte manchmal bei der Erinnerung daran oder weinte vor Hilfslosigkeit, als er sah, dass ich mich immer noch an nichts erinnern konnte.
 

Er erklärte mir, dass wir damals jeden Morgen kurz nach Sonnenaufgang geweckt wurden ( oder man versuchte es zumindest, denn wir fielen jedes Mal todmüde ins Bett und waren nicht wieder herauzubekommen) und mit den wichtigen Leuten, die gerade da waren, frühstückten. Dann wurden wir von verschiedenen Gelehrten aus allen Ecken Italiens unterrichtet, die versuchten, uns die Grundlagen der Mathematik, Physik, Chemie und Astrologie beizubringen. Feliciano zufolge gefiel mir Astrologie dermaßen, dass ich in der Lage war, überall und jederzeit Sternbilder identifizieren zu können. Er dagegen liebte Kunst und füllte aus diesem Grund den Palast mit verschiedenen Gemälden von Alltagsszenen. Später aßen wir und verdrückten uns dann in die Stadt, wo Feliciano sich mit allen Einwohnern unterhielt, um danach aufs Land zu gehen und dort eine lange Siesta zu halten bis es Abend wurde.
 

Aber egal wie sehr er sich auch anstrengte (er zeichnete mir Bildchen von den erzählten Szenen mit allem Drum und Dran), ich konnte mich an absolut nichts erinnern. Ich kam mir vor wie die Hauptfigur in einem Märchen, ein unsterbliches Wesen, das ewig leben konnte, sich mit mittelalterlichen Königen, Grafen und Herzögen traf und niemals alterte. Es war so unwirklich, dass es schon wieder faszinierend war.
 

Es war schon sehr spät, die Datumsangaben und die Streiche, die wir früher gespielt hatten, vermischten sich in meinem Hirn wie Eier, die gerade verrührt werden. Ein seltsamer Vergleich, ich weiß, aber ich war sehr müde. Ich hatte es nicht einmal geschafft, seit dem Vormittag etwas zu essen, brachte aber keinen Bissen runter. Wenn mein „Bruder“ sich schon angesichts der Lage frustriert fühlte, so war ich noch tausend Mal wütender. Ich verstand es einfach nicht. Als ich die Fotos gesehen hatte, kamen ein paar Erinnerungen zurück, warum klappte es dann bei Felicianos Erzählungen nicht? Warum erinnerte ich mich nicht an jenen beeindruckenden Palast, an die Herzöge, die zu Besuch kamen, an den netten Bäcker, der uns immer Brot schenkte wenn er uns kommen sah, an den Schneider, der sich jedes Mal aufregte wenn wir in den mühsam geschneiderten Kleidern an ihm vorbeiliefen, an die endlosen Felder mitten im Nirgendwo umgeben von riesigen Bergen?
 

Erschöpft legte ich mich ins Bett und versuchte, meine Sorgen im Kissen zu ersticken, darauf wartend, dass der Schlaf meine Seele auflöste bis nichts mehr von mir übrig war.
 

~ * ~ * ~ * ~ * ~ * ~ * ~ * ~ * ~ * ~ * ~ * ~ *
 

Ich saß auf dem Rasen und beobachtete wie die Zeit verging. Sie war so flüchtig, so irreal, so als ob sie vom Wind weggetragen würde. Ich blickte nach oben, in diesen unglaublich blauen Himmel, der mitangesehen hatte wie meine Tage einer nach dem anderen vergingen wie ein niemals endender Kreislauf. Jener Himmel hatte sich nicht verändert, genauso wenig wie ich selbst. Ich sah mich aus der Ferne wie ich mich von jener Sonne schützte, die uns Tag für Tag Licht schenkte. Jeden Tag. Für immer und ewig.
 

Und ich fragte mich, wie es wohl wäre, ein Mensch zu sein.
 

-„Hey … Lovino“, sagte Feliciano und umarmte mich von hinten. Ich wollte ihn von mir wegschieben, aber da er gerade am Einschlafen war, beschloss ich, nicht zu stören. Ich wollte ihn nicht aufwecken. „Lovino?“
 

-„Was willst du?“, fragte ich mich an ihn lehnend. Feliciano entfernte sich ein wenig als er es sich an den Baumstamm gelehnt, bequem machte.
 

-„Ve, ich dachte, du wärst eingeschlafen.“
 

-„Idiot, ich rede doch gerade, hörst du mich denn nicht?“
 

-„Doch, tut mir leid, Bruder.“ Ich hasste es wenn er mir das Haar küsste so wie jetzt gerade. „Morgen kommt Thomas von Aquin, nicht wahr? Ve, ich würde ihn so gerne kennenlernen. Ich will ihm alle meine Bilder von Jesus am Kreuz zeigen, sicher werden sie ihm gefallen.“
 

-„Bah, noch so ein Pfarrer, nichts Besonderes“, erwiderte ich.
 

-„Aber Bruder, er hat Beweise für die Existenz Gottes gefunden.“
 

-„Blödsinn. Er hat sich einfach nur fünf unsinnige Thesen ohne jede Grundlage ausgedacht, nur damit ist er berühmt geworden. Schau doch nur, er wird langsam bekannter als der Papst!“ Ich schnaubte. „Gott existiert … aber nicht, weil der es so sagt … sondern weil es einfach so ist. Mehr nicht.“
 

Eigentlich würde ich schon gerne wissen, wo sich Gott gerade aufhielt, jetzt wo Sizilien in einer dermaßen schweren Krise steckte, dass es fast zu einem Krieg geführt hätte.
 

Ich fragte mich, was wohl mit Prinzessin Constanza passieren wird.
 

~ * ~ * ~ * ~ * ~ * ~ * ~ * ~ * ~ * ~ * ~ * ~ *
 

Plötzlich wachte ich auf. Das Bett war von meinem Schweiß durchnässt und ich konnte nicht aufhören wie verrückt zu zittern. Ich blinzelte ein paar Mal und begann, unruhig mit meinen Händen über meinen ganzen Körper zu fahren während ich versuchte, meine Atmung zu normalisieren.
 

Nachdem ich das Bett verlassen hatte, ging ich zu dem Zimmer, in dem Feliciano schlief.
 

-„Fratello!“ Ich warf mich aufs Bett ohne mich darum zu scheren, ihn dadurch aufzuwecken, tatsächlich war dies genau meine Absicht. Aber ich schaffte es nicht, dieser Junge schlief wie ein Stein. „Fratello, Fratello, Fratello ...“ Meine Rufe wurden von ein paar kräftigen Ohrfeigen begleitet.
 

-„Ludwig?“, fragte er und öffnete die Augen einen Spalt weit.
 

-„Wer?“ Gut, das war mir im Moment egal. „Feli, ich kann mich wieder an dich erinnern!“, rief ich während ich ihn heftig schüttelte.
 

-„Im Ernst?“, fragte er ungläubig.
 

-„Ja! Ich weiß wieder wie wir die Wachen abgelenkt und den ganzen Tag in Rom verbracht haben!“
 

-„Und auch wie wir dem Grafen von Saboya Hundefutter vorgesetzt haben?“
 

-„Das auch! Und wie wir auf jedes Gemälde in der Galerie Tomaten draufgepinselt haben!“ Wir lachten beide bei der Erinnerung an unseren Streich und obwohl er uns damals eine gehörige Tracht eingebracht hatte, hatten wir uns sehr amüsiert.
 

-„Ve, also kannst du dich wieder an alles erinnern? Ich bin so glücklich, Fratello! Ich hab mir solche Sorgen um dich gemacht.“
 

-„Ähm ...“ Ich versuchte, mein Gedächtnis anzustrengen, aber es ging nicht. Es war so als würde ein undurchdringlicher Schleier über meinen restlichen Erinnerungen hängen. „Nein,an das, was danach kam, nicht.“
 

-„Was ist deine letzte Erinnerung?“, fragte er den Kopf leicht zur Seite neigend.
 

-„Also … eine Hochzeit. Die der Prinzessin Constanza, ab da ist alles ein wenig verschwommen.“
 

Feliciano ließ ein dämliches Lächeln sehen und umarmte mich erneut.
 

-„Das ist der Teil der Geschichte, in dem ich nicht mehr vorkomme.“
 

-„Ach, nein?“ Ich blickte ihn erschrocken an. War's das jetzt, würde ich jetzt nichts mehr über mein Leben erfahren? Und was sollte ich jetzt tun? Könnte ich ohne Vergangenheit leben? Nein, ich wollte kein Leben ohne Erinnerungen, vor allem jetzt, wo ich ihren süßen Geschmack gekostet hatte. „Und was soll ich jetzt machen?“
 

-„Ruf Spanien an, er wird wissen, was zu tun ist.“
 

Antonio? Was hatte der denn mit meiner Vergangenheit zu tun?
 

Als wir uns dazu entschieden, runterzugehen und zu frühstücken, war es Mittag. Dort warteten Antonio und Heracles bereits auf uns, Ersterer bleich mit kilometerbreiten Augenringen, der Zweite so erschöpft, als er sein Scheißleben lang nicht geschlafen hätte.
 

-„Heracles!“, wurde er von meinem Bruder fröhlich begrüßt. „Weißt du was? Weißt du was? Lovino erinnert sich an mich!“
 

Als ich merkte, wie mich alle anstarrten, wurde ich rot.
 

-„Du erinnerst dich an ihn, Romano?“, fragte Heracles misstrauisch.
 

-„Hey, ich lüge nicht, klar?“
 

-„Und woran erinnerst du dich genau?“
 

-„Na ja, an alles, was mir Feli gestern erzählt hat. An die Ausritte zu Pferd, an die zehn Generationen andauernden langweiligen Konversationen mit den Herzögen von Saboya, an die kirchliche Folter …“
 

-„Mit anderen Worten, also nur an Dinge, die du von Italien gestern erfahren hast.“
 

-„Nun ja, nicht an alles ...“ Ich wich zurück als ich Heracles immer weiter näherkommen sah. „Es gibt da einige Kleinigkeiten, die mir auch ohne Felicianos Erzählungen eingefallen sind, aber das waren wen-“
 

-„Perfekt. Meine Arbeit hier ist getan.“
 

Und mit diesen Worten begann Heracles, sein Zeug einzusammeln.
 

-„W-Was soll das heißen, sie ist getan? Meine Erinnerungen sind noch nicht vollständig zurück!“, murrte ich, ihm durch den Flur folgend.
 

-„Mal sehen … das Gehirn ist so etwas wie ein Schwamm, Romano.“ Er öffnete seinen Koffer und legte seine völlig zerknitterte Kleidung hinein. „Ich sage es dir schon zum vierten Mal, deine Erinnerungen sind immer noch da. Es braucht nur noch einen kleinen Anstoß, um sie wieder ans Licht zu befördern.“
 

-„Wie?“
 

-„Als Italien dir deine Geschichte erzählte, brachte das deinem Gehirn die nötigen Reize. Die Erinnerungen waren dabei, aufzuwachen, du musstest die nur noch im passenden Zustand befinden, damit sie wiederkommen konnten.“
 

-„Im Schlaf?“ Heracles nickte und schloss den Koffer. „Ich verstehe gar nichts, erklär mir das, verdammt noch mal.“
 

-„Beim Schlafen“ Heracles nahm seinen Koffer und begab sich zum Ausgang „festigt sich alles Gelernte, wenn man es so sagen kann. Und jetzt lass mich durch, mein Land steht kurz vor dem Bankrott. Es braucht mich.“
 

-„Ve, echt so schlimm?“, wollte mein Bruder wissen und öffnete ihm die Tür.
 

Heracles zuckte mit den Schultern.
 

-„Es gab schon Schlimmeres.“ Er schnappte sich seine Katze und verließ das Haus. „Viel Glück, Romano.“
 

-„Warte!“, rief Antonio, der ihm nachlief. „Ich … komme mit.“
 

-„Bruder Spanien, du darfst nicht gehen, du musst Lovino doch alles erzählen.“
 

-„Ich komme bald zurück. Tschüss, Feli ...“ Mit diesen Worten ging er, ohne sich auch nur die Mühe zu machen, sich von mir zu verabschieden.
 

Und schon wieder ließ er mich alleine zurück.
 

-„Alles in Ordnung, Lovino?“
 

Mein Bruder umarmte mich von hinten so wie früher, als wir noch Kinder waren, doch ich erwiderte die Umarmung nicht und entfernte ihn von mir.
 

-„Mir geht’s gut, Feliciano. Mach dir keine Sorgen.“
 

Eine glatte Lüge.
 

Es war einfach nur … widersprüchlich. Erst sorgte er sich so übertrieben um mich, lief mir überall hinterher, entführte mich sogar und jetzt, wo ich es geschafft hatte, nach Neapel zu kommen, konnte er gar nicht genug Ausreden erfinden, nur um nicht mir allein zu bleiben.
 

Hasste er mich denn so sehr?
 

-„Vee Lovino, komm, trink einen Kaffee mit mir.“
 

Wenn Feliciano „Kaffee“ sagte, so meinte er damit einen Capucchino mit viel Schaum, sehr viel Zucker und Eiswürfeln, da wir beide keinen heißen Kaffee mochten.
 

-„Kannst du mir eine Sache verraten, Feliciano?“, fragte ich, obwohl ich noch nicht genau wusste, was ich eigentlich fragen wollte.
 

-„Was immer du willst, Lovi.“
 

Es war mir viel zu peinlich, ihn über meine Beziehung zu Spanien zu befragen (also, eigentlich war es schon seltsam, seinen Ländernamen zu verwenden). In Wirklichkeit wollte ich es gar nicht wissen. Ich wollte nicht wissen, ob wir Freunde, Feinde oder Nachbarn waren, es würde mir schwerfallen, zu akzeptieren, dass dieser Mann, der die ganze Zeit auf mich aufgepasst hatte, nur ein weiterer Bekannter sein könnte.
 

-„Wer, zur Hölle, ist Ludwig?“, fragte ich schließlich um aus diesem ganzen Durcheinander herauszukommen.
 

Feliciano verschluckte sich an seinem Kaffee und begann, heftig zu husten.
 

-„W-Wie bitte, Bruder?“
 

-„Als ich dich weckte, war „Ludwig“ das Erste, was du gesagt hast.“ Felicianos Blicke wanderten in alle Richtungen, sicherlich war er gerade dabei, nach einer Ausflucht zu suchen. Was hatte er denn auf einmal? Ich habe ihm doch nur eine Frage gestellt. „In meinen Erinnerungen taucht Niemand mit diesem Namen auf.“
 

-„Ähm … Bruder … Ludwig ist ...“ Er zeigte mir seine linke Hand. „ ... mein Ehemann.“
 

-„WAS?“ Das war viel mehr, als ich erwartet hatte. Wäre da nicht dieser glänzende Ring an seinem Ringfinger, hätte ich ihm ganz sicher nicht geglaubt. Mein Bruder? Mein kostbares Brüderchen, verheiratet mit einem Mann?
 

-„Ve, bitte nicht schlagen“, flehte er mich an und begann zu weinen.
 

Ihn schlagen? Der, den ich hier schlagen wollte, war dieser Nichtsnutz von Ehemann! Wie konnte er meinen unschuldigen Feliciano nur dermaßen verderben? Das war unsittlich!
 

-„A-Aber … du liebst doch Frauen“, sagte ich, immer noch ungläubig.
 

-„Schon, aber ...“ Feliciano blickte zu Boden und lächelte. Wenn ich ihn nicht kennen würde, würde ich sagen, er sei ein wenig rot geworden. „Ludwig ist etwas Besonderes.“
 

-„Ah ...“ Sobald ich ihn kennenlerne, bringe ich ihn um, da gab es keinen Zweifel. Ich verstand gar nicht, warum ich es nicht schon früher getan hatte. „Ist er eine Nation?“
 

-„Ja, er ist Deutschland.“
 

-„Deutschland ...“ Ich kramte in meinem Gedächtnis herum. „Nein, ich kenne ihn nicht.“
 

-„Er ist ein ziemlich junges Land, Bruder.“ Na super, und hat Feliciano mit seiner Jugend auch gleich mal den Kopf verdreht. „Erinnerst du dich an das Heilige Römische Reich?“
 

Als ob ich den vergessen könnte. In seinen Briefen hatte mein Bruder ohne Ende über ihn geschrieben. Dass er ihn ziemlich genervt hätte mit seiner Bitte, wieder zu diesem Reich zu werden, das Europa fast ein ganzes Jahrtausend lang beherrscht hat. Und vor allem, dass er ziemlich … süß? wäre. Keine Ahnung, mir kam es vor, als hätte er so etwas erwähnt.
 

-„Er ist sein … Nachfolger“, erklärte er mir. „Mehr darf ich dir zurzeit nicht verraten, aber das Heilige Römische Reich ist gestorben.“
 

-„Er lebt nicht mehr? Pff, umso besser, er ist dir ziemlich auf den Geist gegangen, was, Feliciano?“
 

-„Ja ...“ Dass sich der Blick meines Bruder für einen Moment verfinsterte, gefiel mir überhaupt nicht.
 

Ich wollte ihn noch mehr darüber ausfragen, als wir beide hörten, wie die Haustür plötzlich schlagartig geöffnet wurde.
 

-„ITALIEN!“
 

Lächelnd rannte Feliciano aus der Küche direkt in das Zimmerchen, in dem ein … Schrank auf ihn wartete. Oh ja, dieser Mann war ein laufender Schrank. Er war um die zwei Meter groß , hatte Beine breiter als Baumstämme und Arme, sollte er mir mit denen einen Schlag verpassen, würde ich schon tot sein, bevor ich auf dem Boden aufkäme. Seine Haare waren blond und zurückgekämmt und seine Augen so blau und kalt wie zwei Eiswürfel.
 

-„Deutschland, Deutschland, du bist gekommen!“, rief mein Bruder und warf sich ihm an den Hals.
 

Mühsam schluckte ich. Ich hatte ihn aus gutem Grund bis heute nicht verprügelt, er hätte mich ins Krankenhaus befördert, noch bevor ich mich ihm überhaupt nähern könnte.
 

-„Italien ...“ Wie? Was? Mein Bruder ließ diesen Schrank erröten? Schämte der sich etwa für ihn? „Italien, wir müssen reden...“
 

-„Deutschland, es tut mir leid! Ich weiß, ich hätte heute eine Konferenz mit Frau Merkel gehabt, aber Griechenland hat mich angerufen und mir gesagt, dass Lovi sehr krank sei und ich ...“
 

-„Das ist jetzt egal“, sagte er und entfernte ihn von seinem Hals. „Hast du ihm etwas davon erzählt?“, fragte Deutschland mit zusammengekniffenen Augen.
 

-„Davon? Was meinst du dam-...? Ah! Die ...“ In diesem Moment nahm Deutschland meine Anwesenheit wahr und drückte ihm rasch die Hand auf den Mund.
 

-„Was versteckt ihr da vor mir?“, hakte ich nach. Langsam wurde ich wirklich wütend.
 

-„Nichts, Lovino!“, beruhigte mich Spanien, der hinter dem Mutantenschrank hervorkam. „Ludwig, könntest du Feliciano hier wegbringen? Romano und ich müssen reden.“
 

Deutschland nickte und schleifte Feliciano, der ihn verwundert ansah, am Arm hinter sich her. Die Zwei verließen den Raum und schlossen die Tür hinter sich.
 

-„Was, zur Hölle, ist hier los?“, fragte ich bereits ziemlich verärgert.
 

-„Setz dich“, bat er mich freundlich. Trotz meiner Einwände ließ ich mich auf dem Sofa nieder, wobei ich eine angemessene Distanz zu ihm bewahrte. „Also gut … du hast nach Prinzessin Constanza gefragt, nicht wahr?“
 

-„Was könntest du schon über sie wissen?“
 

Antonio lächelte schüchtern und zwinkerte mir zu.
 

-„Alles.

„Constanza war wunderschön. Ihr Haar war mit einem enormen Diadem aus Brillianten und Rubinen hochgesteckt, es war ihr einziger Schmuck. Außerdem trug sie ein Kleid von einem reinen Weiß, das zu dem breiten Lächeln in ihrem Gesicht passte. Dies war ihr Hochzeitstag, der Tag, der mein Leben für immer verändert hat.“
 

-„Warum?“, unterbrach ich ihn zum ersten und einzigen Mal.
 

-„Weil es der Tag war, an dem ich dich kennengelernt habe.“
 

„Ich weiß noch wie du die ganze Zeit an ihr hingst, so als ob du nicht wolltest, dass sie heiratet. Sie nahm dich in die Arme, tröstete dich.
 

-“Das ist Romano“, sagte Österreich als er näherkam. „Der Bruder von Italien, meinem Bediensteten. Ab jetzt ist er dein Untergebener.“
 

Lächelnd nickte ich. Ich dachte schon, Österreich wäre ein schlechter Typ, aber wenn er mir einen Untergebenen anbot, konnte er gar nicht so schlimm sein. Constanza sah mich an und kam näher.
 

-„Schau Romano, das ist Spanien. Ihr werdet sehr gute Freunde sein.“
 

In jenem Moment entdeckte ich dich. Du warst so klein, so niedlich, so hilflos. Mit dem Gewand, das an deine kleine Größe angepasst war, sahst du aus wie ein richtiger Hofkavallier. Es war so rührend wie du mich mit deinen goldenen Augen voller Tränen der Machtlosigkeit angeblickt hast.
 

-„Willst du mit ihm gehen?“, fragte sie dich.
 

-„Nein!“, schriest du und verbargst dein Gesicht wieder an ihrer Brust. „Ich will nicht, dass du heiratest.“
 

-„Schon gut, Romano, beruhige dich.“ Constanza reichte mir deinen kleinen Körper und ich drückte dich an meine Brust. „Ich werde dir nicht wehtun.“
 

-„Nein, nein, nein, nein und nochmals nein“, sagtest du ohne Unterlass weinend. „Ich will nicht, dass sie heiratet und vor allem keinen Spanier, ich will mein Reich mit Niemandem teilen ...“
 

-„Ach komm, Pedro ist ein guter Mann. Und noch was … schau mich an, Romano. Sehe ich wirklich so böse aus?“ Du hast mich angeschaut, auf sehr lustige Art und Weise deine Stirn gerunzelt und mit den Schultern gezuckt.
 

-„Ein hübsches Mädchen wäre mir lieber gewesen, du Idiot ...“, sagtest du mit deinem dünnen Stimmchen.
 

Mein Lachen konnte man in der gesamten Kirche hören.
 

Die Zeit verging. Wir befanden uns mitten in der Reconquista, also überließ ich dich der Obhut einer meiner Kindermädchen und kehrte zu den Waffen zurück. Meinen Informanten zufolge gab es in Italien mehrere Unabhängigkeitsbewegungen. Das überraschte mich nicht, Niemandem gefällt es, wenn sein Reich jemand anderem gehört. Doch die Schlachten auf der Iberischen Halbinsel hatten Priorität, also schickte ich nur hundert oder zweihundert Soldaten los, die den Revolten ein schnelles Ende bereiteten.
 

Aber das war nicht genug.
 

Neapel musste noch eingenommen werden, da dessen Einwohner sich weigerten, sich mit Spanien zusammenzuschließen.
 

Im Laufe dieser Epoche warst du wirklich ernsthaft krank. Du hattest hohes Fieber, konntest kaum laufen und fast nichts essen. Die Kindermädchen hatten mir einen Brief geschrieben um mir die Lage zu erklären, also nahm ich ein Schiff und fuhr so schnell wie möglich zu dir. Sobald ich dich sah, verstand ich, was dir fehlte. Ein Teil deines Gebietes war unabhängig, das andere immer noch unter Spaniens Herrschaft und du standest mittendrin. Die einzige Lösung, wie ich dir helfen könnte, war, den gesamten Süden zu erobern.
 

Ich kehrte nach Spanien zurück und erklärte meinem „guten Freund Alfonso“, dem Enkel von Pedro dem Großen, die Situation. Ich versuchte, ihn zu überzeugen, seinem Feldzug in Spanien eine Zeit lang dem Rücken zu kehren und all seine Männer nach Italien zu schicken. Zwanzig Jahre habe ich dafür gebraucht, zwanzig lange Jahre, aber schließlich schaffte ich es (indem ich damit drohte, selbst die Unabhängigkeit Siziliens zu verkünden, sollte er Neapel nicht einnehmen) und nach weniger als einem Monat hatten wir Sizilien in unserer Hand.
 

Ich fand es lustig, dass Alfonso nachträglich zu Alfonso dem Größmütigen umbenannt wurde. [Alfonso el Magnánimo]
 

Bis du wieder vollständig gesund wurdest blieb ich an deiner Seite. Du warst ein sehr starkes Kind, Romano, und hast nur zwei Monate gebraucht, um die während eines Jahrhunderts verlorene Gesundheit wiederzuerlangen. Auch wenn es dir jetzt seltsam vorkommt, in diesen zwei Monaten warst du sehr liebenswert. Du hast mit mir über alles geredet, über meine Scherze gelacht und mir sogar ein paar Mal erlaubt, bei dir zu schlafen. Du warst so niedlich … schade, dass das alles eine Folge des Fiebers war. Denn sobald du dich wieder erholt hast, kehrte deine übliche schlechte Laune zurück. Du hattest keine Lust mehr, micht zu umarmen, zu küssen oder mich überhaupt zu ertragen. Außerdem warst du ungeschickt, anstatt zu putzen, machtest du Unordnung und zerbrachst einige meiner Sachen mit deinem Besen.
 

Du hast mich ermüdet, du hast mich so ermüdet, Romano, das kannst du dir gar nicht vorstellen.
 

Und deshalb konnte ich beim Anblick des niedlichen Italien, der bei Österreich zu Hause ein wunderschönes Lied summend den Boden fegte, einfach nicht anders, als an jene wunderbaren zwei Monate zu denken, die wir zusammen verbracht haben. Also wollte ich deinen Bruder haben.
 

Ich verhandelte mit Österreich, doch dieser wollte mir deinen Bruder nicht überlassen. Und er hatte Recht, sein Territorium lag jenseits meiner Interessen, also ließ ich es sein.
 

Das Schlimme war jedoch, dass du danach nicht mehr derselbe warst. Beim Putzen warst du zwar immer noch ungeschickt, hast mich aber dazu noch angeschwiegen. Seit jenem Tag an hast du nicht ein Wort mit mir gesprochen, mich nicht einmal beschimpft. Gar nichts.
 

-„Romano, es tut mir sehr leid, ich wollte dich nicht verletzen ...“
 

Nichts.
 

-„Romano, bitte, sprich mit mir ...“
 

Nichts.
 

-„Schau Romano! Lass uns ins Feld gehen, Tomaten ernten.“
 

Du hast mir zwar geholfen, aber immer noch ohne ein Wort zu sagen.
 

-„Hast du gesehen, was für eine süße Schildkröte ich hab?“
 

Selbst als du von ihr gebissen wurdest, hast du nicht vor Schmerz aufgeschrieen. Du hast nur deine Tränen hinuntergeschluckt und bist weggelaufen.
 

Und ließest nicht zu, dass ich dich umarmte.
 

Ich war so traurig. Ich wollte nicht von dir gehasst werden. Deine Beschimpfungen, deine Schläge, das Kaputtmachen meiner Sachen, all das konnte ich ertragen, aber nicht diese Gleichgültigkeit. Es war so schrecklich.
 

Und, so seltsam es auch klingt, es war Frankreich, der das Ganze auflöste.
 

Er war schon mehrere Jahrhunderte lang hinter dir her, vier Mal hat er versucht, dich zu erobern, aber ich verjagte ihn jedesmal, wenn er dir zu nahe kam. Zwar war er einer meiner besten Freunde, aber ich wollte dich Niemandem überlassen, nicht einmal ihm.
 

Beim letzten Mal ranntest du in den Wald, als du ihn kommen sahst. Ich verhaute ihn, so wie immer, und lief dir nach. Da du dich recht schnell verläufst, musste ich dich rasch finden, weil du sonst den Weg zurück nach Hause nicht finden und Angst haben würdest.
 

Ich hörte einen Schrei und versteckte mich hinter einem Baum als ich sah, dass es Türkei war, der dich geschnappt hatte. In jener Zeit war Türkei im Aufschwung, er hatte Afrika, Asien und bestimmte Gebiete Europas eingenommen, also musste er richtig stark sein. Mein König, Felipe II, bekämpfte die Türkei praktisch schon seit seiner Thronbesteigung, genau wie sein Vater, und sagte stets, die Türken wären wirklich heimtückisch.
 

Aber Türkei hatte dich in seiner Gewalt und ich musste handeln, um dich zu retten. Ich konnte dich nicht einfach so gehen lassen, Romano. Es machte mich stolz, dich nicht weinen zu sehen, so wie du es immer in verzwickten Situationen tatest. Nein, du fingst an, dich Türkei mit allen Mitteln zu widersetzen. („Lass mich, lass mich, Idiot, lass mich, Blödmann“, sagtest du immer wieder).
 

-„Verdammt, Spanien, du Idiot“, hörte ich dich zwischen Schluchzern sagen. „Komm und rette mich endlich ...“
 

Und so musste ich rauskommen und dich holen. Es war das Selbstmörderischste, was ich je in meinem ganzen Leben getan habe, aber ich konnte dich nicht in türkischer Hand lassen … und noch weniger, wenn du mich mit so einer niedlichen Stimme um Hilfe bittest. Wenn du immer so ehrlich wärst, wärst du ziemlich süß, Romano.
 

Ich schnappte mir meinen Stier und befreite dich aus diesem Planwagen, in den er dich eingeschlossen hatte.
 

Seltsamerweise erkannte mich Türkei nicht einmal, er blickte mich lange durch seine Maske an und fragte: „Wer bist denn du?“
 

-„Ich bin Spanien, das Land der Leidenschaft! Ich werde nicht zulassen, dass du Romano zu einem Teil von deinem Territorium machst!“
 

-„Was wäre daran denn so schlimm? Leih ihn mir kurz aus, komm schon“, bat er mich hämisch.
 

-„Nein. Ganz sicher nicht.“ Ich nahm mein zweischneidiges Schwert zur Hand und stellte mich jedem Mann gegenüber, der von Königen aus aller Welt gefürchtet wurde. „Wenn du es wagst, Romano anzugreifen, mache ich dich fertig!“
 

An dem Tag hatte Türkei keine Lust zu kämpfen, also nahm er sein Pferd, verabschiedete sich kurz und ging. Ich war sprachlos vor Überraschung.
 

-„Hä? Ist das der Himmel?“, wolltest du wissen als du langsam zu dir kamst. Dann blicktest du mich lange mit einem sehr verschlafenen Gesicht an. „Spanien ist hier, also muss es die Hölle sein.“
 

Und das waren die ersten Worte, die du seit Jahren an mich gerichtet hast.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück