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Balance Defenders

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Nach dem Vorfall auf der Geburtstagsfeier von Nathan Finster muss sich Ariane mit Ewigkeits Offenbarung auseinandersetzen, während Erik ganz andere Probleme hat. Komplett anzeigen

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Nacht


 

Nacht

 

„Solange du nicht in mein Herz siehst und ich nicht in dein Herz blicke,

herrscht Nacht.“

(Augustinus)

 

Die kurze Autofahrt verlief schweigend.

Erik wusste nicht, ob er dafür dankbar sein sollte. Er glaubte fast, dass sein Vater ihn durch sein Schweigen härter bestrafte als durch Worte.

Vielleicht weil er sich in dieser Zeit selbst darüber Gedanken machte, auf wie viele verschiedene Weisen er seinen Vater heute Abend bloßgestellt und den Namen der Familie Donner entehrt hatte.

Wie ein Verfemter saß er auf dem Beifahrersitz und hielt den Kopf gesenkt.

Als sie in die Auffahrt ihres Hauses fuhren, hielt sein Vater kurz an.

„Raus.“, bellte er.

Als hätte er ihn geschlagen, stieg Erik wortlos aus und lief auf die Tür zu, die ihm wie der Schlund zur Hölle vorkam.

Am liebsten hätte er geheult.

An Weglaufen dachte er längst nicht mehr, er hatte sich vor Jahren in sein Schicksal ergeben.

Er hörte, wie sein Vater den Wagen in die Garage fuhr, das Öffnen und Schließen der Autotür, wie er den Wagen per Knopfdruck abschloss und dann mit den erhabenen Schritten eines Menschen, der über anderen stand, aus der Garage trat.

Das Garagentor schloss sich geräuschvoll, während Erik die Schritte seines Vaters immer näherkommen hörte, und jedes einzelne Klacken der Lederschuhe auf dem Weg ihn wie eine Ohrfeige traf.

Als sein Vater neben ihn trat, um die Tür aufzuschließen, schloss er unwillkürlich die Augen, wie man es tut, um den Schmerz besser ertragen zu können.

Das Klicken der Tür erklang und sein Vater trat ein. Erik folgte ihm nach, sah unsicher auf und schloss dann umständlich die Tür hinter sich wie ein unbeholfener Knappe, der einem großen Ritter diente und sich, gerade weil er sich keine Fehler erlauben wollte, umso ungeschickter benahm.

Laut klirrend schlugen die Schlüssel auf, als sein Vater sie auf die Kommode schleuderte. Erik schluckte.

Mit einer reißenden Bewegung, die den Stoff aufstöhnen ließ, entledigte sich sein Vater seines Mantels und hängte ihn mit harschen Bewegungen, die seine Aggression unverkennbar machten, auf einen Bügel der Garderobe.

Erik stand noch immer regungslos bei der Tür und wartete.

Jeglichen Blick auf Erik demonstrativ verweigernd, stürmte sein Vater in Richtung Wohnzimmer und Erik hörte das Knallen der mit Wucht zugeschlagenen Tür.

Wieder schluckte er und atmete durch den offenen Mund. Er versuchte den Blick zu heben, aber es gelang ihm kaum, nicht ohne dass seine Augen sich mit Tränen füllten, die er sofort wieder wegblinzelte, indem er den Kopf hob und auf die große Treppe zulief wie ein Adliger zu seiner Hinrichtung.

Jegliches Gefühl schaltete er aus. Er lief einfach und lief und lief und lief und lief. Weiter.

Vor seiner Tür angekommen hörte er es unten laut poltern, als wäre ein Möbelstück zu Boden gekracht oder umgeworfen worden.

Sein Atem tönte wie das Entweichen hunderter von Seelen aus einem tönernen Gefängnis.

Jetzt erst bemerkte er, dass er noch immer seinen Mantel trug.

Er drehte sich um, sah zur Treppe.

Dann rannte er, eilte die Stufen hinunter, nahm den Schlüssel, der im Schloss steckte, und stürzte aus dem Haus.

 

Ariane getraute sich nicht sofort, die anderen anzurufen, während sie mit ihren Eltern im Auto saß. Gleichzeitig wollte sie Ewigkeit noch nicht wegschicken, für den Fall, dass doch noch Schatthen auftauchten. Daher entschied sie sich, Vivien eine Nachricht zu schreiben, in der sie ihr mitteilte, dass sie mit ihren Eltern auf dem Heimweg war und sich melden würde, sobald sie zu Hause ankam.

Währenddessen lief der Radio und ihre Mutter redete über die Feier, das Büffet, die Dekoration, die Leute, die dort gewesen waren, wahrscheinlich um Arianes Vater etwas abzulenken. Dieser blieb aber ungewohnt still und konzentrierte sich aufs Autofahren.

Ariane wusste, dass er ihr nicht böse war. Er war immer sehr engagiert und ein kleiner Perfektionist, daher ging es ihm wohl nahe, dass Herr Finster ihn gerügt hatte.

„Ach, Bärchen.“, sagte ihre Mutter mit einer Stimme, mit der man üblicherweise mit Kindern oder Tieren redete. „Sei doch nicht beleidigt.“

„Ich bin nicht beleidigt.“, antwortete ihr Vater schmollend.

Ihre Mutter streichelte ihm die Wange und er schien das gerne anzunehmen.

Dann hatten sie ihr Zuhause auch schon erreicht.

Im Inneren angekommen, wollte Ariane sich nach oben in ihr Zimmer begeben.

„Prinzessin.“

Ariane blieb auf der Treppe stehen und wandte sich zu ihrem Vater um.

„Bist du mir böse?“

Ariane war überrascht.

„Ich hätte mich nicht einmischen sollen.“

Sie lächelte ihren Vater liebevoll an. „Du hast es nur gut gemeint.“

 

Erik lief durch die Kälte und mied das Licht der Straßenlaternen. Der Himmel war klar, doch die kränklich schmale Sichel des abnehmenden Mondes hatte keine Leuchtkraft. Er hatte keine Ahnung, wohin er lief, er hatte eine Richtung eingeschlagen und gedacht, er wüsste es.

Die Kälte drang durch seine Kleider und er war dankbar dafür. Dankbar, etwas spüren zu müssen, das nicht aus seinem Inneren kam.

Dann sah er vor sich das große Jugendstilgebäude des Entschaithaler Theaters, aus dessen Inneren helles Licht nach außen drang.

 

Justin und Vitali hatten sich zu Serena und Vivien teleportiert, um notfalls auf einen Schlag Ariane und Erik zu Hilfe eilen zu können.

Da Viviens Geschwister in das Geheimnis der Gleichgewichtsbeschützer eingeweiht waren, waren sie auf das Auftauchen der beiden Jungen hin eher neugierig als verstört gewesen.

Kai hatte Vitali mehrfach gebeten, die Teleportation zu wiederholen, weil er diese so cool gefunden hatte. Mit diesem Lob mehr als zufrieden, hätte Vitali ihm auch den Gefallen getan, nur um weiteren Applaus zu ernten, wenn die anderen ihn nicht davon abgehalten hätten.

Eine Weile waren sie dagesessen und hatten gewartet, während Kai Vitali und Justin über ihre Kräfte ausgefragt hatte, besonders Vitalis Fähigkeiten gefielen ihm. Und Vitali genoss es sichtlich, endlich mal die ihm gebührende Aufmerksamkeit geschenkt zu bekommen. Justin dagegen beantwortete die Fragen, die ihm nicht nur von Kai, sondern auch von Ellen gestellt wurden, gewissenhaft, wenn auch etwas verlegen. Er war so viel Aufmerksamkeit einfach nicht gewöhnt und fiel dadurch aus seiner üblichen Rolle als derjenige, der die anderen zu Ernsthaftigkeit und Konzentration auf die momentane Notlage aufrief.

„Ariane schreibt, dass alles in Ordnung ist, sie ist auf dem Weg nach Hause und ruft uns gleich an.“, informierte Vivien die anderen.

„Geht es ihr wirklich gut?“, fragte Serena besorgt.

Vivien lächelte sie an. „Ansonsten würde sie es wohl nicht schreiben.“

Serena nickte zustimmend, aber wenig beruhigt.

Wenige Minuten später traf der Anruf ein.

„Vitali kann dich abholen.“, schlug Vivien Ariane vor.

„Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist.“, antwortete Arianes Stimme.

Auf Arianes gedrückte Tonlage hin ergriff Serena das Wort.

„Ist alles okay bei dir?“

„Ja…“ Kurz war es still auf der anderen Seite der Leitung. „Ihr habt Recht. Wir sollten uns kurz sehen. Aber ich möchte nicht, dass meine Eltern merken, dass ich nicht mehr da bin.“

„Klar.“, meinte Vivien mit heiterer Stimme. „Vitali ist gleich da.“ Sie legte auf und gab Vitali Bescheid, der sich glücklicherweise noch halbwegs daran erinnern konnte, wie Arianes Zimmer aussah.

Sekunden später stand Ariane in ihrer Mitte und wunderte sich über das vollgestopfte Zimmer.

Viviens Geschwister saßen noch immer bei der Gruppe, die sich mittlerweile auf die untere Hälfte des Stockbetts und auf Viviens Bett verteilt hatte. Vitali setzte sich wieder zu Justin und Viviens Bruder, während Ariane mit Ewigkeit  zunächst stehenblieb und sich dann auf den Boden setzte, auf dem ein Brettspiel aufgebaut war. Sie seufzte kurz.

„Was ist passiert?“, fragte Justin.

Ariane fuhr sich über die Stirn und wusste nicht, wo sie anfangen sollte. „Erik hat die Wunde gespürt. Aber was viel wichtiger ist: Ewigkeit hat Herrn Donner erkannt. Der Schatthenmeister hat ihn getroffen, nachdem die Allpträume besiegt waren.“

Die anderen sahen sie entsetzt an.

„Stimmt das, Ewigkeit?“, fragte Justin ernst.

Ewigkeit sah ihn erstaunt an, als verstünde sie nicht, warum sie das gefragt wurde. Sie schüttelte verständnislos den Kopf und zuckte mit den Schultern.

Nun waren die anderen völlig verwirrt.

Ariane wandte sich an Ewigkeit. „Du hast doch vorhin gesagt, dass das der Mann war, den der Schatthenmeister gesehen hat.“

Ewigkeit nickte heftig. „Der Mann in Grün.

Die anderen verstanden nichts davon, doch Ariane wurde mit einem Mal leichenblass und hätte umzukippen gedroht, wenn sie nicht gesessen hätte. Entsetzt starrte sie vor sich und sah die anderen nicht an.

„Was hat das zu bedeuten?“, wollte Justin wissen.

Ariane schluckte und hätte sich für ihre eigene Dummheit ohrfeigen können. „Ich habe uns alle in Gefahr gebracht.“

„Wovon redest du?“, verlangte Justin zu erfahren.

Ariane war leicht vornüber gebeugt und schloss die Augen. „Es ist Finster.“

Die anderen schwiegen, obwohl Ariane erwartet hatte, dass Serena ihr nun eine Szene machte und sie beschimpfen würde, dass sie es die ganze Zeit gesagt hatte. Nichts davon geschah.

Der Allptraum hat sich in ihn verwandelt!“, rief Ewigkeit hektisch aus und schwenkte die Arme in die Höhe. „Und der Schatthenmeister ist panisch geworden und der Mann hat ihn angegriffen und – und – dann hat er ihm von hinten an die Brust gefasst.

Vitali verzog das Gesicht, seines Erachtens klang das weniger brutal als pervers. Auch die anderen wurden aus dieser Beschreibung nicht schlau.

„War das, als wir dich zum ersten Mal zum Schatthenmeister geschickt haben?“, fragte Vivien.

Ewigkeit nickte und Vivien half den anderen auf die Sprünge.

„Wisst ihr noch die Gestalt, auf die Vitali einen Amboss hat fallen lassen?“

„Das war genial, was?“, warf Vitali dazwischen, bekam aber nur von Vivien kleinem Bruder Bestätigung dafür.

„Das war Finster, beziehungsweise der Allptraum als Finster.“, erklärte Vivien.

Ariane sah sie fragend an. „Was heißt das?“

„Dass Grauen-Eminenz vor Finster Angst hat.“ Vivien war die einzige, die den Schatthenmeister bei seinem Namen nannte.

„Hä?“, machte Vitali. „Wieso?“

Serena hätte gerne geantwortet, dass er vielleicht der Chef des Schatthenmeisters war, verkniff es sich aber, weil sie fürchtete, Ariane würde dann erneut beginnen sich Vorwürfe zu machen.

„Das heißt, der Schatthenmeister kennt Herrn Finster.“, schlussfolgerte Justin.

Viviens kleine Schwester Ellen ergriff das Wort. „Ist er nicht gut, wenn der Böse vor ihm Angst hat?“

Ihr Bruder antwortete ihr, als wüsste er es besser. „Nee, der ist dann sicher noch viel viel böser!“ Es klang, als fände er das cool.

Auf diese Worte hin fiel Arianes Gesicht erneut ein.

Justin sprach in sanftem Ton zu den beiden Kindern. „Es könnte beides bedeuten.“

„Ist aber schon wahrscheinlicher, dass er böse ist. Vor den Guten hat doch keiner Angst.“, meinte Vitali, woraufhin Kai vor Stolz ein Stück größer wurde.

Justin ließ sich auf solche Spekulationen nicht ein. „Jetzt haben wir zumindest einen Ansatzpunkt.“

Du willst doch gar nicht mehr, hat er zum Schatthenmeister gesagt.“, brachte Ewigkeit ein. „Und: Es ist ganz einfach!

„Die Allpträume sagen viel, um einen zu verletzen, das muss nicht mit der echten Person übereinstimmen.“, erwiderte Justin und musste bei der Erinnerung an seine Begegnung mit der falschen Vivien schwer schlucken. Seine Rechte legte sich über seinen Mund.

Vitali zog eine Grimasse. „Was ist daran verletzend?“

Kai neben ihm nickte zustimmend.

„Es ist unnötig, uns darüber Gedanken zu machen.“, beendete Justin das Thema.

„Vielleicht können wir mehr herausfinden, wenn wir Finster beobachten.“, schlug Vivien vor.

„Willst du Ewigkeit zu ihm schicken?“, fragte Ariane unsicher.

„Wir sollten Ewigkeit nicht in Gefahr bringen!“, brachte Serena vor.

Vivien erklärte: „Ich hatte auch eher daran gedacht, dass wir Vitalis Unsichtbarkeit benutzen und uns bei Finster mal umsehen.“

Vitali war ganz Ohr. „Sollen wir ihn beschatten?“

„Das ist zu gefährlich.“, war Justins Meinung.

Vivien ließ sich davon nicht von weiteren Überlegungen abbringen. „Zwei von uns könnten unsichtbar vor sein Haus stehen und schauen, was passiert.“

Justin widersprach. „Der Schatthenmeister mag keine Teleportation beherrschen, aber wir wissen nicht, wie es mit Finster steht. Ich halte das für keine gute Idee.“

„Ich schon.“, sagte Ariane ernst. „Wir können nicht immer darauf warten, dass der Schatthenmeister den nächsten Schritt tut.“

„Es ist nicht hilfreich, wenn wir uns dann noch einen weiteren Feind machen.“, hielt Justin entgegen.

Ariane konterte mit entschlossenem Blick. „Der Schatthenmeister ist für unsere Entführung verantwortlich, aber Finster steckt in der Sache mit der Ausgrabungsstätte mit drin. Das heißt, er ist so oder so unser Feind.“

Serena mischte sich ein. „Wir wissen nicht, ob er unser Feind ist.“

Ariane stierte sie ungläubig an.

Serena wich ihrem Blick aus. „Du hast ihm bisher auch vertraut.“

„Das war ein Fehler.“, sagte Ariane hart.

Serenas Stimme war deutlich weniger vehement als sonst. „Versuch einfach, objektiv an die Sache ranzugehen.“

Frutstriert schlug Ariane die Augen zu Boden.

Kai wandte sich an Vitali. „Kann ich mit?“

„Das ist zu gefährlich.“, antwortete Justin, ehe Vitali etwas sagen konnte.

„Wir nehmen Ewigkeit mit.“, sprach Ariane. „Wenn irgendetwas ist und wir euch nicht mehr sagen können, was wir herausgefunden haben, wird es Ewigkeit tun.“

„Du meinst doch nicht, dass wir draufgehen!“, warf Vitali in wenig begeistertem Ton ein.

Ariane antwortete nicht.

„Ich find das nicht lustig.“, betonte Vitali, aber Ariane schien ihre Entscheidung getroffen zu haben.

„Du kannst teleportieren und ich habe einen Schutzschild. So schnell sterben wir nicht.“, erwiderte sie.

Justin hatte einen weiteren Punkt zu besprechen. „Wir sollten uns auch in der Finster GmbH umsehen. Irgendetwas muss die Reaktion von Eriks Wunde verursacht haben.“

„Dann tun wir das auch morgen.“, sagte Ariane.

„Was sollen wir denn morgen noch alles machen?“, nörgelte Vitali. „Morgen ist Sonntag!“

Ariane warf ihm einen tadelnden Blick zu. „Je schneller wir mehr herausfinden, umso besser.“

 

Kurz nach acht war das Theaterstück zu Ende und Eriks Tante Rosa verließ in Begleitung von Tamara Donner den Saal.

Während die beiden von zahlreichen anderen Leuten umgeben die Treppe hinabstiegen, begann Rosa bereits zu plappern und über die Kostüme und die darstellerischen Fähigkeiten der Schauspieler zu philosophieren.

Ihre Schwester dagegen gab nur kurze, aber deswegen nicht weniger qualifizierte Antworten.

Während sie den zweiten Treppenlauf hinab ins Erdgeschoss liefen, sah Tamara Donner hinab ins Foyer, ohne dass Rosa dem Beachtung geschenkt hätte. Auch dass ihre Schwester nun gar keine Antworten mehr gab, fiel ihr nicht auf.

Als die beiden schließlich im Foyer angekommen waren, wo ein Großteil der anderen Theaterbesucher zur Garderobe strömte, während der andere Teil direkt den Weg zum Haupteingang einschlug, blieb ihre Schwester schließlich stehen.

„Was ist?“, fragte Rosa überrascht und folgte erst jetzt dem Blick ihrer Schwester.

Etwas abseits des Haupteingangs, vor einer Sitzgelegenheit neben der ein Prospekthalter mit Schauspielplänen zum Mitnehmen platziert war, stand Erik.

Die Leute liefen an ihm vorbei, nur ein paar Frauen verschiedenen Alters warfen dem schönen Jungen mehrere Blicke zu.

Rosa begriff nicht, wieso er hier war und sah fragend zu ihrer Schwester. Die sah ihrem Sohn nur stumm entgegen, während weitere Leute vorbeigingen, und die Sicht auf Erik behinderten.

Tamara machte keine Anstalten, ihm entgegenzugehen, Sie blieb einfach stehen, bis die Flut an Leuten abgeflaut war. Rosa fragte sich, woher sie diese Geduld nahm. Sie selbst war kurz davor, zu Erik hinüberzueilen, doch da Eriks leerer Blick allein auf seine Mutter gerichtet war, hielt sie das für keine so gelungene Idee.

Der Junge machte alles andere als einen guten Eindruck. Auch wenn er eine ernste Fassade aufgesetzt hatte, hatte Rosa den Eindruck, dass ihm etwas Schlimmes zugestoßen war.

Als der Raum zwischen Erik und ihnen schließlich frei war, senkte er den Blick, woraufhin seine Mutter auf ihn zu schritt wie eine Hohepriesterin auf einen niederrangigen Tempeldiener.

Zwei Schritte vor Erik blieb sie stehen und sah ihn stumm an, ohne dass er den Blick nochmals gehoben hätte.

Aufgeregt sprudelte es aus Rosa: „Was ist denn passiert? Wieso bist du hier?“

Erik gab ihr keine Antwort. Seine Mutter jedoch schien ihn stumm zu verstehen.

„Warte hier.“

Sie lief zur Garderobe, um ihren Mantel zu holen. Rosa war kurz unsicher, ob sie bei Erik bleiben sollte. Da sie jedoch ebenfalls ihre Jacke abgegeben hatte, hastete sie ihrer Schwester nach.

Zurück bei Erik, hielt Tamara erneut an, woraufhin er zaghaft den Blick hob.

Auf andere hätte ihr Gesichtsausdruck kalt und herzlos gewirkt, doch Rosa kannte ihre Schwester gut genug, um zu wissen, dass es sich um den gefühlvollsten Blick handelte, zu dem sie überhaupt im Stande war.

„Das Auto steht in der Tiefgarage.“

Erik nickte.

 

Erik saß auf der Rückbank und hatte den Blick zu Boden gerichtet. Rosa betrachtete ihn besorgt. Das Schweigen zwischen ihm und seiner Mutter erschien ihr grotesk und sie hätte gerne gefragt, was vorgefallen war. Aber da ihre Schwester Erik offenbar ohne Worte verstand, sah es wohl keiner von beiden als nötig an, sie in das Geheimnis einzuweihen. Und zur Einstimmung aufs Theater hatte ihre Schwester auch noch den Klassiksender eingestellt und offenbar nicht vor, diesen zu wechseln, obwohl die dramatische Instrumentalmusik in diesem Moment die Spannung nur noch verschlimmerte.

Rosa drehte sich wieder nach vorne. Sie war nicht Akteur dieses Stücks, sondern nur stummer Zuschauer, der das Drehbuch nicht kannte, dem die anderen beiden augenscheinlich folgten.

Als sie bei dem Anwesen der Familie Donner ankamen und durch die Haustür eintraten, kam von drinnen kein Geräusch.

Rosa sah zu, wie ihre Schwester sich ihren Mantel abstreifte, ihn aufhängte und dann in Richtung Wohnzimmer schritt.

Sie verstand das nicht.

Erik blieb neben ihr stehen und schien nicht ganz da zu sein.

Für Momente blieb sie einfach neben ihm stehen, anstatt sich ihrer Jacke zu entledigen.

Plötzlich hörte sie ein tobsüchtiges Brüllen aus dem Wohnzimmer, das eindeutig von Eriks Vater stammte.

Sie musste sich hochkonzentrieren, aber selbst dann verstand sie kaum etwas. Irgendetwas mit ‚demütigend‘und ‚Pöbel‘ und ‚schämte‘. In der nachfolgenden Pause, vermutete sie, dass Tamara sprach, in gesetztem Ton wie es ihre Art war.

Ihre Schwester konnte verletzend sein, sie konnte giftig sein, aber sie schrie nie. Zu so viel Emotionsausdruck war sie nicht fähig.

Thomas begann wieder mit seiner tiefen Stimme in Rage zu schreien. Ein Wort war deutlich herauszuhören: ‚Sohn‘.

Rosa sah zu Erik hinüber, der sich neben ihr langsam aufzulösen schien.

Wie ein Fluch wirkte dieses Szenario auf sie, als sei es nie anders gewesen, als wäre dieses Haus ein Gefängnis, das aus diesem Leid seine Energie zog.

Sie blieb nicht länger stehen, sondern ging zur Kommode, kramte dort nach ihrem Autoschlüssel.

Gleichzeitig konnte sie von hier aus weitere Brocken aufschnappen, aus denen sie sich zusammenreimte, dass Thomas davon sprach, dass Erik nicht mehr wisse, wo er hingehörte.

Sie achtete nicht darauf, fand ihren Schlüssel und lief zurück zur Haustür.

„Komm.“, sagte sie zu Erik.

Er reagierte nicht.

Kurz zögerte sie. „Du kannst mitkommen oder du kannst hier bleiben.“

Erik blickte auf.

 

Die Fahrt, während der Musik aus den Achtzigern lief, dauerte zwanzig Minuten. Dann parkte der Wagen nahe am Rheinufer.

Kleine Lichter, die auf der anderen Seite des Ufers brannten, verursachten Spiegelungen auf dem dunklen Wasser und machten dadurch die Wellenbewegungen des Flusses sichtbar.

Der Motor wurde ausgeschaltet und der Radio verstummte.

„Willst du darüber reden?“, fragte Rosa.

Erik schwieg.

Rosa seufzte. „Dein Vater war nicht immer so.“

Er hätte sich gewünscht, dass sie einfach still war. Nur weil er in ihr Auto gestiegen war, hieß das nicht, dass er mit ihr reden wollte. Dass er mit irgendwem reden wollte!

„Es gab eine Zeit, da –“

Kurz hielt sie inne. Vielleicht hatte sie begriffen, dass es keine Zeit im Leben seines Vaters gegeben hatte, in der er anders gewesen war.

„Als du noch klein warst, war er total in dich vernarrt.“ Sie drehte sich zu ihm. „Ich bin sicher, er – er ist einfach nur unfähig dir zu zeigen, wie sehr er dich liebt.“

Es dauerte eine Sekunde, ehe Erik sich ihr zuwandte, doch der Gesichtsausdruck, den er ihr zeigte, ließ Rosas Gesichtszüge entgleisen.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Was werden sie bei einer Überwachung von Finster herausfinden können und wie geht es mit Erik weiter? Das erfahrt ihr nächste Woche in "Finsters Haus".

Dieses Kapitel ist nicht gerade ein besonders positiver Abschluss für das Jahr. Aber da dieses Jahr seine großen Herausforderungen hatte, passt das wohl. :'D
Zum Trost habe ich euch in einem Blogartikel alle bisherigen Ariane und Erik bzw. Secret Szenen zusammengestellt, sodass ihr darin stöbern könnt, um eure Lieblingsszenen der beiden noch mal nachlesen zu können. ^^
http://www.animexx.de/weblog/694493/828538/

Ich wünsche euch einen guten Rutsch ins neue Jahr! Auf dass 2022 uns allen Glück, Gesundheit, Zufriedenheit und Erfolg beschert!
Danke, dass ihr mich, diese Geschichte und die sechs auch 2021 unterstützt habt. Das bedeutet mir wirklich unglaublich viel! 🙏💖🥰 Danke danke danke!
Ich freue mich auf ein 2022 mit euch an meiner Seite! 😘 Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  RukaHimenoshi
2022-01-16T19:46:32+00:00 16.01.2022 20:46
Also so, wie der gute Herr Donner mit dem Mobiliar umgeht, steht für mich eigentlich außer Frage, wer Grauen Eminenz ist. 🤣🤣🤣 Ach Erik, eigentlich tust du mir gerade voll Leid, aber ich muss einfach so lachen. 🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣

>Dann sah er vor sich das große Jugendstilgebäude des Entschaithaler Theaters, aus dessen Inneren helles Licht nach außen drang.
Was ein Plottwist! 😂 Ja, ich dachte er rennt zu Ariane. Aber anscheinend hat er mehr Bock auf eine Neuinszenierung von Romeo und Julia. 😆

>„Ist aber schon wahrscheinlicher, dass er böse ist. Vor den Guten hat doch keiner Angst.“, meinte Vitali, woraufhin Kai vor Stolz ein Stück größer wurde.
*DGsBs fangen an loszulachen*

Oh mein Gott, diese Szene mit Erik und seiner Mutter ist irgendwie total süß!!! 🥺🥺🥺🥺
Und Rosaaaaa!!! Richtig gehandelt, meine Liebe!!! 💕
Muss. Lesen. 🤪
Antwort von:  Regina_Regenbogen
16.01.2022 21:27
>Also so, wie der gute Herr Donner mit dem
>Mobiliar umgeht, steht für mich eigentlich
>außer Frage, wer Grauen Eminenz ist. 🤣🤣
>🤣 Ach Erik, eigentlich tust du mir gerade voll
>Leid, aber ich muss einfach so lachen. 🤣🤣
>🤣🤣🤣🤣🤣🤣
XD XD XD Jetzt bringst du mich zum Lachen. XD XD XD

>Was ein Plottwist! 😂 Ja, ich dachte er rennt
>zu Ariane. Aber anscheinend hat er mehr
>Bock auf eine Neuinszenierung von Romeo
>und Julia. 😆
XD XD Und ich dachte, Martin ist immer derjenige, der bei solchen Kapiteln noch Witze reißen kann. 😂

>*DGsBs fangen an loszulachen*
Wenn die Leute die Guten für die Bösen halten, ist das was anderes. 😂

>Oh mein Gott, diese Szene mit Erik und
>seiner Mutter ist irgendwie total süß!!! 🥺🥺
>🥺🥺
Wenn ich so drüber nachdenke, hat Eriks Mutter manche Ähnlichkeit mit Benni. 😂


Antwort von:  RukaHimenoshi
16.01.2022 21:39
>XD XD Und ich dachte, Martin ist immer derjenige, der bei solchen Kapiteln noch Witze reißen kann. 😂
Ich habe dank Jack mehr als genug Übung, wage ich mal zu behaupten. 😂😉

>Wenn die Leute die Guten für die Bösen halten, ist das was anderes. 😂
Ich war tatsächlich drauf und dran Vitalis Aussage zu widerlegen, eben weil es durchaus sein kann, dass die Bösen Angst vor den Guten haben können, eben weil diese die Pläne der Bösen durchkreuzen könnten. Somit ist sie mit der Formulierung "keiner" sehr leicht außer Kraft zu setzen. 😆 Und wir wissen doch, dass Gut und Böse ohnehin relative Begriffe sind. 😉 (Bin aber zu faul Florians Zitat herauszusuchen. 😅)

>Wenn ich so drüber nachdenke, hat Eriks Mutter manche Ähnlichkeit mit Benni. 😂
Stimmt 😂😂😂
Antwort von:  Regina_Regenbogen
16.01.2022 21:56
>Ich habe dank Jack mehr als genug Übung,
>wage ich mal zu behaupten. 😂😉
Haha, stimmt! 😆

>eben weil es durchaus sein kann, dass die
>Bösen Angst vor den Guten haben können,
>eben weil diese die Pläne der Bösen
>durchkreuzen könnten.
Okay, okay. 😂

>Und wir wissen doch, dass Gut und Böse
>ohnehin relative Begriffe sind. 😉
Sind doch alles bürgerliche Kategorien. 😂
Von:  totalwarANGEL
2021-12-31T21:41:31+00:00 31.12.2021 22:41
Ich an Eriks Stelle hätte seinem Vater schon längst eine gezimmert. Wie der sich aufspielt, einfach kaum auszuhalten. Ich bin echt froh, dass der Typ nur ausgedacht ist.

Ach ja, Justin. Ein Charakter der selbst unsicher ist, aber dennoch das moralische Rückrad der Gruppe ist. So einen Typen bracht es wohl in jeder Geschichte. :D

> Ariane wurde mit einem Mal leichenblass und hätte umzukippen gedroht, wenn sie nicht gesessen hätte.
Mehr essen, Mädel.
> „Hä?“, machte Vitali. „Wieso?“
Na, weil er finster drauf ist.

> „Das ist zu gefährlich.“
> „Das ist zu gefährlich.“
Kann der noch was anderes sagen?

> Das Schweigen zwischen ihm und seiner Mutter erschien ihr grotesk
Nicht nur ihr.
Diese Familie hat ein paar ernstzunehmende Probleme.
Ein Psychologe wäre angebracht.

Also als Erik klein war, war sein Vater ganz anders?
Ich rieche da eine Story...
ERZÄL! :D


Sorry, zu mehr war ich im Suff nicht mehr fähig.
Wahrscheinlich werde ich mich morgen fragen, was ich hier vor einen Mist geschrieben habe. :D
Auf jeden Fall ein guter Jahresabschluss. ;)
Antwort von:  Regina_Regenbogen
31.12.2021 23:16
Ich dachte nicht, dass du es heute überhaupt noch lesen würdest.
Respeeekt!!!! 😆😆😆😆

Haha, bezüglich der Hintergrundgeschichte von Eriks Vater musst du dich noch gedulden. Das ist noch nicht mal geschrieben, nur geplant. 😂
Ja, diese Familie hat so ihre Themen. Wenn man da groß wird, ist man nicht grade der Typ, der seinem Vater eine knallt. :'D

Haha, ja, Justin ruhig, aber deshalb der Fels für die anderen.
Oh, stimmt, da hat er sich wiederholt. Er ist halt stoisch. 🤣

😂😂😂 Stimmt, vor lauter lauter ist Ariane gar nicht zum Essen gekommen.

Wir lesen uns in 2022! 😘😘😘😘❤
Von:  totalwarANGEL
2021-12-31T16:33:24+00:00 31.12.2021 17:33
Tam ta tam! Kapitel 100!
Antwort von:  Regina_Regenbogen
31.12.2021 17:53
Zum Abschluss des Jahres. 😂😂😂


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