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Balance Defenders

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
„Er stand hier, aber er stand nicht bei ihnen.
So weit würden sie ihn nicht bringen.“
(Balance Defenders 2. Band, Kapitel ‚Hell & Heil‘)

Die fünf haben Erik mit geschlossenen Augen in ihr Hauptquartier geführt, um ihm die Wahrheit zu enthüllen. Vivien gibt ihm das Zeichen, die Augen wieder zu öffnen.
Steht die Integration Eriks ins Team bevor?

Das Wort "Integration" stammt übrigens von lat. integratio = Wiederherstellung, Erneuerung ab. Komplett anzeigen

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Erneuerung


 

Erneuerung

 

„Die meisten Menschen haben vor einer Wahrheit mehr Angst als vor einer Lüge.“

(Ernst Ferstl)

 

Ein winziges hellblond gelocktes Kind in einem schimmernden Kleid mit durchsichtigen Schmetterlingsflügeln schwebte auf Augenhöhe nur wenige Schritte von ihm entfernt. Der sachte Klang von Glöckchen kam ihm entgegen.

Erik blinzelte.

Die Erscheinung blieb und hob ihr kleines Händchen lächelnd zum Gruß.

Er riss seinen Blick zu Vivien.

Diese strahlte begeistert. „Du siehst sie!“

Erik sah zurück nach oben. Das kleine Etwas stand noch immer an derselben Stelle in der Luft. Es lächelte fröhlich.

Vitalis Stimme rief von hinten: „Vivien, verwandle dich.“

Vivien nickte und streckte ihre Hand in die Höhe. „Macht der Mondnebel -“

Serenas wütende Stimme: „Vivien!“

Vivien lachte ausgelassen. Dann erschien ein warmes, gelbes Licht über ihr und hüllte sie einen Moment ein. Es ging zu schnell, als dass er viel hätte erkennen können.

Dann trug sie plötzlich eine seltsame Kostümierung. Von einem Moment auf den anderen.

Blinzeln. Eine Bewegung seines Kopfes nach rechts und nach links.

Keine Gartenlaube.

Arianes Stimme neben ihm. Besorgt. „Erik.“

Sein Blick drehte sich langsam in ihre Richtung.

Heftige Beunruhigung in ihren Zügen. Die Hand auf seinem Arm, Arianes Hand, packte ihn jäh.

Arianes Gesicht drehte sich von ihm weg. „Er sollte sich setzen!“

Nun zog es – zog sie – an seinem Arm.

Seine Beine bewegten sich nicht von der Stelle.

Er spürte ein Drücken an seiner rechten Hand, als wäre sein Körper weit entfernt. Justins Stimme: „Ewigkeit, könntest du dich kurz zurückziehen?“

Ariane: „Er steht unter Schock.“

Vitali: „Was sollen wir machen?“

Justin in harschem Ton: „Unite, nein.“

Viviens Stimme, ruhig: „Erik ist schlau. Er wird das verarbeiten.“

An seine Rechte trat eine weitere Person. Serenas Stimme: „Ich hab dich gewarnt, dass es viel wird.“

Erik atmete einige Momente durch die Nase ein und durch den Mund aus, blinzelte, schloss die Augen und fürchtete, dass sich alles zu drehen anfangen würde, aber das tat es nicht.

Dann wurde er in die rechte Wange gezwickt.

„Du träumst nicht.“, sagte Vitali und drückte nochmals seine Wange.

Serena gab Vitali einen Schlag gegen den Unterarm. „Hör auf damit.“

„Ich dachte, das würde helfen.“, meinte Vitali unschuldig.

„Wie sollte das helfen!“, schimpfte Serena.

„Du meinst, ich soll ihn hauen?“, antwortete Vitali.

„Ich hau dich gleich!“, rief Serena.

Vivien in ihrer seltsamen Kleidung trat direkt vor ihn. „Kann ich kurz dein Handy haben?“

Sie wartete. Augenblicke verstrichen. Dann drehte sie sich zu Ariane. „Kann ich deins haben?“

Ariane klang aufgebracht. „Vivien, ich mache mir wirklich Sorgen um ihn! Sieh doch, in welchem Zustand er ist!“

„Du wolltest ihm doch auch die Wahrheit sagen.“, entgegnete Vivien ungerührt.

„Was hat das damit zu tun?“ Arianes Stimme wurde immer aufgeregter.

Viviens Stimme dagegen klang sorglos.  „Vielleicht könntest du ihn ja wach küssen.“

„Vivien.“, tadelte Ariane.

Vivien lachte.

Erik schloss die Augen.

Ariane: „Das ist nicht lustig.“

Vitali: „Was ist jetzt mit ihm?“

Serena: „Er braucht einfach etwas Zeit.“

All die Stimmen prasselten auf ihn ein.

Er biss die Zähne zusammen, aber das aufgeregte Gerede hörte nicht auf, drang weiter unerbittlich auf ihn ein.

„Still!“, brüllte er lautstark.

Es herrschte jähes Schweigen.

Einatmen, ausatmen, … Momente lang.

„Lasst los!“, befahl er, da Ariane immer noch seinen Arm hielt und Justin seine Hand.

Die fünf traten ein paar Schritte von ihm weg.

Er fuhr sich durchs Haar und hielt sich den Kopf.

Vivien wandte sich unbekümmert an ihn: „Brauchst du Wasser?“,

Erik warf ihr einen bösen Blick zu.

Sie zuckte unbedarft mit den Schultern.

„Was zum Teufel geht hier vor?“, stieß er aus.

Vivien deutete vielsagend auf ihre Kleidung, als würde das alles erklären.

Er schüttelte den Kopf.

Vivien nickte.

Sein Kopfschütteln wurde langsamer.

Viviens Nicken wurde langsamer.

„Bitte sagt mir, dass ihr Drogen in meine Trinkflasche gemischt habt.“

Vivien schaute fragend zu Justin und Vitali.

Dann schlug Vitali ihm grinsend auf den Rücken. „Aus dem Trip wachst du nie mehr auf.“

Er funkelte ihn wütend an.

Vitali blieb davon unbeeindruckt. „Hock dich lieber auf die Couch. Wird länger dauern.“

Über Justins Kopf tauchte wieder das kleine Schmetterlingsmädchen auf.

Ungläubig schüttelte Erik nochmals den Kopf.

 

Sie hatten Erik zwischen ihnen auf dem Sofa positioniert und sich ihrer Jacken und Taschen entledigt.

„Hast du dich wieder eingekriegt?“, fragte Vitali von links außen.

Eriks böser Blick war Antwort genug.

Vivien, die zwischen Justin und Ariane zu Eriks Rechten saß, sah zu ihm, als beobachte sie jede seiner Reaktionen. Er versuchte es zu ignorieren.

Vorsichtig fragte Ariane: „Wärst du jetzt lieber alleine?“

Erik atmete geräuschvoll aus. „Ich hab Kopfweh.“

Vitali gab seinen Senf dazu: „Kommt vielleicht von Ewigkeits Geklingel.“

Das Schmetterlingsmädchen, das vor ihnen herumschwebte, schaute schockiert.

Serena, die links neben Erik saß, zwischen ihm und Vitali, konterte: „Das einzige, was nervt, bist du.“

Erik fasste sich erneut an den Kopf und seufzte.

„Ihr wollt mir also erzählen, dass alles, was mit dem Rollenspiel zu tun hat, die Wahrheit war. Richtig?“

Vivien antwortete: „Nein, das mit dem Kondom und der Wette zwischen Vitali und Ariane war gelogen.“

„Vivien.“, sagte Ariane empört.

Wieder rang Erik nach Atem. „Das heißt, ihr wurdet entführt, habt Superkräfte entwickelt und jetzt kämpft ihr gegen den Schatthenmeister. Ja?“

„In etwa.“, antwortete Vivien.

Erik schluckte und sah kurz zu Justin, Vivien und Ariane. Dann starrte er vor sich. „Secret ist im Schatthenreich zurückgeblieben.“, murmelte er und pausierte. „Bin ich… Secret?“

Es kam keine direkte Reaktion von den anderen.

Dann schwebte die seltsame Erscheinung in sein Sichtfeld und lächelte ihn freundlich an.

„Und was zum Henker ist das?“, schrie er. „Und sagt ja nicht, das ist Ewigkeit! Was ist sie? Und wo kommt sie her? Was hat das alles zu bedeuten!“ Er stieß einen Schrei der Frustration aus.

Vitalis Stimme blieb locker. „Willkommen im Club. – Au!“

Serena hatte ihm mit dem Ellenbogen einen leichten Stoß in die Seite verpasst.  

Ariane begann zu sprechen. „Wir haben Secret –“, sie stockte, „dich im Schatthenreich getroffen. Du wusstest nicht, wie du heißt oder wie du dorthin gekommen bist. Du hast uns geholfen, da rauszukommen. Aber dann haben uns die Schatthen eingekeilt und du –“ Sie brach ab.

Justin fuhr an ihrer Stelle fort. „Du hast Ariane in letzter Minute mit deiner Telekinese durch das Portal geschleudert. Du selbst hast es nicht geschafft.“

Erik krümmte sich und schüttelte den Kopf.

Justin setzte fort. „Wir wissen nicht, was dann mit dir passiert ist. Als wir dich in der Schule wiedergetroffen haben, wusstest du von nichts mehr.“

„Woher wisst ihr, dass ich das war?“, rief er lautstark.

Die anderen sahen ihn nur stumm an.

Für einen Moment wäre ihm der Gedanke, es habe sich um einen Klon gehandelt, weniger abstrus vorgekommen, als die Vorstellung, er habe einfach alles vergessen.

„Die Wunde.“, sagte er dann. „Was ist das für eine Wunde?“

Justin antwortete. „Wir wissen es nicht genau. Du hattest sie schon, als wir dir im Schatthenreich begegnet sind. Du wusstest selbst nicht, wo sie herkam.“

Vivien fügte hinzu: „Der Schatthenmeister hat gemeint, dass du dich wohl gegen die Substanz gewehrt hast, die er dir injiziert hat, und sie dadurch entstanden ist.“

Erik sah mit finsterem Blick zu ihr. „Wann habt ihr mit dem Schatthenmeister gesprochen?“

Vivien lächelte. „Als wir zusammen gegen die Allpträume gekämpft haben.“

Vitali ergänzte. „Während du gepennt hast.“

Erik griff sich an die Stirn.

Serena beugte sich zu ihm. „Wir sind für dich da.“

Erik ging nicht darauf ein.

„Was ist mit den Ohnmachtsanfällen? Was ist da passiert?“, wollte er wissen.

Justin erklärte: „Wir gehen davon aus, dass die Wunde auf die Nähe von Schatthen reagiert. Der Schmerz hat dich ohnmächtig werden lassen.“

Erik nickte verstehend. „Also noch mal. Ihr seid die Gleichgewichtsbeschützer.“

„Wir.“, korrigierte Ariane. „Erinnerst du dich an die Steintafeln auf der Jubiläumsfeier der Finster GmbH? Darauf stand eine Prophezeiung über uns.“

„Das ist jetzt nicht euer Ernst.“, sagte Erik abschätzig. „Seid ihr sicher, dass das auch nur im Entferntesten etwas mit euch zu tun hat?“

Vivien klang locker: „Der Schatthenmeister fand es wichtig genug, um dort Schatthen zu positionieren.“

Ariane fügte hinzu: „Ewigkeit ist uns auch in der Ausgrabungsstelle begegnet.“,

„Und was sagt diese Prophezeiung?“, wollte Erik wissen.

 „Nix, was irgendwer kapiert.“, meinte Vitali.

„Der Schatthenmeister hat gesagt, er hätte uns aus Forschungszwecken entführt.“, informierte Vivien.

Ariane vervollständigte: „Und dass er mit uns das gleiche vorhatte wie mit dir.“

„Das heißt, was auch immer er mit euch vorhatte, hat er bei mir schon gemacht.“, schlussfolgerte Erik.

Sofort bereute Ariane ihre vorschnelle Enthüllung. „Das… wissen wir nicht.“

Serena ergriff das Wort. „Er kontrolliert dich nicht. Das hat er selbst gesagt.“

„Und ihr glaubt dem Schatthenmeister, weil?“

Justins Stimme nahm einen beruhigenden Klang an. „Wir hatten am Anfang genauso wenig Ahnung von dem, was hier vorgeht, wie du jetzt.“

Doch Erik wollte sich nicht beruhigen. „Und nun? Habt ihr jetzt mehr Ahnung? Versteht ihr jetzt irgendwas von dem, was hier vorgeht?“

Vitali antwortete nonchalant. „Man findet sich einfach damit ab. Bringt eh nichts, sich viele Gedanken drüber zu machen.“

Erik sah ihn kurz böse an. „Und jetzt? Was habt ihr vor?“

Statt zu antworten, warfen die anderen sich Blicke zu, die genauso planlos wirkten wie Erik es befürchtet hatte.

Er wurde laut. „Wozu erzählt ihr mir davon, wenn ihr nicht irgendwas geplant habt?“

Vitali zog eine Grimasse. „Äh, wolltest du das nicht wissen?“

„Ganz ehrlich?“, fragte Erik. „Nein!“

Vitali stöhnte. „Ariane hat die ganze Zeit genörgelt, dass wir dir die Wahrheit sagen sollen.“

Ariane korrigierte: „Serena hat entschieden, dass wir es heute tun.“

Serena wandte sich an ihn. „Erinnerst du dich, als ich in der Schule ohnmächtig geworden bin?“

Erik machte ein Gesicht, als begreife er nicht, warum sie das nun ansprach.

„Erinnerst du dich an deinen Traum?“, fragte Serena.

Eriks Augenbrauen zogen sich zusammen.

„Das war kein Traum. Du hast den anderen geholfen, mich zu retten.“

Erik schien angestrengt nachzudenken. Etwas wie Schmerz trat auf seine Stirn. Er bedeckte sein Gesicht erneut mit seiner Hand.

Ariane versuchte, ihm gut zuzusprechen. „Es ist in Ordnung, wenn du dich nicht erinnerst.“

Für Momente sah er sie stumm an, doch sein Gesichtsausdruck wirkte, als würde ihm etwas schmerzlich bewusst werden. „Kann ich kurz mit dir alleine sprechen?“

Keiner der fünf antwortete.

Zunächst war Erik irritiert aufgrund des seltsamen Schweigens, dann begriff er: „Ich darf nicht mit dir alleine sein...“

Er glaubte, Überraschung in den Gesichtern der anderen zu lesen.

Seine Stimme wurde vehementer. „Das ist auch der Grund, warum du und Serena nicht mehr mit mir nach Hause lauft, oder?“

„So ist das nicht.“, widersprach Ariane.

„Was ist es dann?“, fragte er fordernd.

Sie schwieg.

„Wieso habt ihr mir das alles erzählt?“, verlangte er lautstark zu erfahren.

Serena antwortete in ruhigem Ton. „Weil du zu uns gehörst.“

Erik wurde noch aufgebrachter. „Das ist Schwachsinn! Ihr habt euch damit unnötig in Gefahr gebracht! Es wäre besser gewesen, mich da rauszuhalten!“

Ariane wollte widersprechen: „Aber –“

Er fuhr ihr ins Wort. „Nichts aber! Wieso habt ihr mir das sonst so lange vorenthalten, wenn ich nicht eine Gefahr bin? Ihr werft damit eure ganze bisherige Strategie über den Haufen!“

Vivien wandte sich unbeeindruckt an ihn. „Dafür haben wir ja jetzt dich.“, sagte sie freundlich. „Damit wir keine dummen Entscheidungen mehr treffen.“

„Dafür ist es etwas spät.“, sagte er schnippisch.

Ariane stand auf. „Wir können im Trainingsraum reden.“

Erik sah sie unwillig an.

„Du wolltest doch mit mir alleine reden.“, sagte sie und wich seinem Blick aus.

Er schüttelte den Kopf, als hielte er sie für bescheuert.

Sie ballte die Hände zu Fäusten und drehte sich hilfesuchend zu Justin.

Dieser stieß daraufhin einen langen Seufzer aus und verkündete mit fester Stimme: „Wir warten hier.“

Erik starrte ungläubig zu ihm und deutete ein Kopfschütteln an. „Wieso jetzt?“

Arianes Augenbrauen zogen sich zusammen, als empfände sie Schuldgefühle. „Willst du nicht eigentlich fragen: Wieso nicht vorher?“

Er weigerte sich, ihr darauf zu antworten.

Vivien beugte sich vor und deutete mit dem Finger auf Ariane. „Willst du sie noch lange so da stehen lassen? Ich glaube, sie kommt sich langsam blöd vor.“

Ariane warf ihr einen entrüsteten Blick zu. „Danke, Unite.“, empörte sie sich.

Vivien strahlte „Gern geschehen.“

„Ihr seid alle geisteskrank.“, grollte Erik und erhob sich.

Vivien grinste. „Wir geben uns die größte Mühe.“

Er stöhnte und bedeutete Ariane mit einer groben Bewegung voranzugehen.

 

Sie traten in den Bereich, in dem die Zimmer der Beschützer angelegt waren. Bisher hatten sie sie nie benutzt, aber zumindest waren sie da.

Hier war das Licht gedimmt, ganz anders als im hell erleuchteten Gemeinschaftsraum oder in der Trainingshalle.

„Ich weiß nicht mehr genau, welches für dich gedacht war. Aber Vivien hat damals für jeden ein Zimmer eingeplant.“, erklärte sie.

„Was ist das hier überhaupt?“, fragte Erik. „Wo sind wir?“

„Wenn ich ganz ehrlich bin, kann ich dir das nicht so genau beantworten. Ewigkeit hat uns damals vor das Häuschen geführt und uns aufgefordert, uns unser perfektes Hauptquartier auszumalen. Und als wir hineingegangen sind, war es einfach da. So wie wir es uns ausgedacht hatten.“

„Das ist absurd.“

Ariane seufzte. „Man findet sich irgendwann damit ab. Hier geht es zum Trainingsraum.“

Plötzlich wurde sie an der Schulter gepackt. Ariane stieß erschrocken die Luft aus, fing sich wieder und drehte sich zu ihm um. Er hatte seine Hand direkt wieder zurückgezogen.

„Wir müssen nicht noch weiter gehen.“, meinte er und sah zurück.

Wollte er vielleicht nicht allzu weit von den anderen entfernt sein? Aus Sicherheitsgründen? Der Gedanke tat weh.

Sie nickte. „Was wolltest du mit mir besprechen?“

Er schwieg.

Sie wartete.

Hier in dem schlecht beleuchteten Gang ihres Hauptquartiers alleine mit Erik zu stehen, war seltsam. Es wirkte so unwirklich, wie ein Traum. Und das Schweigen verstärkte diesen Eindruck noch zusätzlich.

Die Stille war erdrückend.

Wollte er, dass sie etwas sagte?

 

Erik zögerte.

Irgendwie kam ihm der Moment gewichtiger vor, als ihm lieb war. Aber was er ihr zu sagen hatte, wollte er nicht vor den anderen zur Schau stellen. Und so wie es aussah, würde er ab nun keine Gelegenheit mehr haben, mit ihr alleine zu sprechen.

Er seufzte.

Arianes Stimme brach in die Stille ein, ehe er auch nur zu Worten angesetzt hatte.

„Es tut mir leid!“ Ihre Stimme überschlug sich. „Ich wollte dich nicht anlügen! Ich wollte nicht -“

„Hör auf!“, befahl er streng.

Wie ein geschlagener Hund sah sie ihn an.

Erik stöhnte und legte seinen Kopf in den Nacken.

Auch wenn Vivien ihm damals bei der Begründung für Arianes Verhalten mitgeteilt hatte, dass es sich bei Secret um einen totgeglaubten Charakter handelte, war ihm erst jetzt wirklich bewusst geworden, was das für Ariane bedeutet hatte.

Nochmals sah er sie an, biss die Zähne zusammen und zögerte nicht länger, tat, was er damals schon am ersten Schultag hätte tun sollen – wenn er irgendeine Erinnerung an all das gehabt hätte.

Er zog sie in eine feste Umarmung.

Wohl von der Plötzlichkeit überrascht, gab Ariane ein erschrockenes Geräusch von sich.

„Du hast gedacht, ich wäre tot.“, sprach er seine Erkenntnis laut aus.

Ein hohes Schluchzen, das so klang, als habe sie es unterdrücken wollen, entrang sich ihrer Kehle.

Jäh erwiderte sie die Umarmung. Ihre Finger gruben sich in den Stoff seines Oberteils, genau wie damals. Er spürte, wie tonlose Schluchzer ihren Körper erbeben ließen.

Entschieden ergriff er sie an ihren Oberarmen und schob sie sachte von sich, sah ihr fest in die Augen.

„Was ich damals gesagt habe, was ich über dich gedacht habe…“ Er rang nochmals mit sich und fasste Mut. „Es tut mir leid.“

Das war es, was er ihr hatte sagen wollen. Was er ihr noch schuldig gewesen war.

Mit großen fassungslosen Augen starrte sie ihn an.

Er hatte nicht geglaubt, dass sie begriff, was diese Worte für ihn bedeuteten und wie schwer es ihm gefallen war, sie auszusprechen. Aber ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen schien sie sich dessen aus unerfindlichen Gründen bewusst zu sein.

Sie kniff die Augen zu und zog den Kopf ein, als wäre der Moment zu viel für sie.

Ihr Mund schnappte nach Luft.

„Was ist?“, fragte er, weil ihre Reaktion ihn überforderte.

Ein Geräusch, das halb traurig, halb ohnmächtig klang, leitete ihre Antwort ein. „Sich entschuldigen ist ein Zeichen von Schwäche.“

Erik riss sich von ihr los, taumelte zurück. Angst überkam ihn.

„Das hast du gesagt, als wir im Schatthenreich waren.“

Er versuchte, sich wieder zu beruhigen. Das alles war entsetzlich unheimlich.

Nach weiteren Atemzügen brachte er endlich wieder Worte hervor. „Was hab ich noch gesagt?“

Ariane brauchte einen Moment, um darauf zu antworten. „Secret war…“ Sie unterbrach sich. „Du … warst eher schweigsam. Du hast nicht viel geredet.“

Mit einem Blick forderte er sie dazu auf, fortzufahren.

Sie tat ihm den Gefallen. „Du wusstest nicht, wer du bist, du hattest keinerlei Erinnerungen.“

Erik wartete.

„Du warst eher kalt und emotionslos.“ Ihr Blick hob sich. „Manchmal bist du auch heute noch so, wenn …“ Sie sprach nicht weiter.

„Was?“, forderte er zu wissen.

„Wenn du nicht willst, dass man deine Gefühle sieht.“, eröffnete sie ihm.

Seine Stimme wurde hart. „Ich will nie, dass man meine Gefühle sieht.“

Sie sah zu ihm auf, fast als hätten seine Worte sie verletzt.

Dann zeichnete sich ein trauriges Lächeln auf ihren Zügen ab. Und irgendetwas an ihrem Blick machte ihm klar, dass seine Aussage nicht länger der Wahrheit entsprach.

Er spannte seine Muskulatur an. „Noch was?“

„Du hast mich gerettet. Du hast mich damals im letzten Moment durch das Portal geschleudert. Aber du…“ Sie konnte nicht weiter reden, zog die Schultern an, ihre Stimme bebte leicht. „Es tut mir leid, dass ich dich alleine gelassen habe.“

„Ariane!“, rief er tadelnd.

Sie schüttelte den Kopf, als wolle sie sich nicht beruhigen. „Ich hab dich die ganze Zeit angelogen.“, wimmerte sie.

Erik stieß langsam und resignierend die Luft aus. „Ich wollte die Wahrheit nicht hören.“

Wieder schüttelte sie den Kopf.

Wut packte ihn. „Weißt du eigentlich, wie eifersüchtig ich auf Secret war!“, rief er aufgebracht.

Ariane starrte ihn an. Beschämt wich sie dann seinem Blick aus. „Das brauchst du nicht.“

Normalerweise sprach sie nicht das Offensichtliche aus, daher wunderte ihn die Aussage. „Wie meinst du das?“

Ariane zögerte, sie sah ihn nicht an. „Auch wenn du nicht Secret wärst, …“

Ihre Worte trafen ihn.

Er konnte nicht anders, als die Distanz zu überwinden und sie nochmals an sich zu ziehen.

Einen Moment lang hielten sie einander fest.

„Danke.“, flüsterte er.

Er ließ sie los und brachte Abstand zwischen sich und sie. „Wir sollten die anderen nicht länger warten lassen.“

Ohne sie nochmals anzusehen, wollte er sich auf den Weg machen.

„Erik.“

Ihre Stimme klang ängstlich und bewegte ihn dazu, sich wieder zu ihr umzudrehen.

Ihr Gesichtsausdruck wirkte leidend. „Ich will dich nicht noch mal verlieren.“

Er wusste nicht, wie er darauf reagieren sollte. „Das wirst du nicht.“

Auf seine Worte hin verzog sich ihr Antlitz, als könne sie mit den Gefühlen nicht umgehen, die seine Worte in ihr auslösten.

Kurz hielt er inne, trat dann zu ihr und griff mit seiner Hand nach der ihren, sah ihr fest in die Augen. „Ich verspreche es.“

Ariane biss sich auf die Unterlippe und drückte seine Hand. Für einen Moment standen sie so da.

Sie senkte den Blick. „Versprochen?“

In belehrendem Ton entgegnete er: „Wenn jemand etwas verspricht, gilt es als versprochen.“

Wie erwartet wirkte sie daraufhin pikiert.

Gewinnend lächelte er sie an, doch noch immer schien sie im Bann ihrer Ängste zu stehen. Die Situation im Schatthenreich musste sie traumatisiert haben.

„Es ist vorbei.“, versicherte er ihr, um ihr klarzumachen, dass das, wovor sie sich fürchtete, der Vergangenheit angehörte. „Ich bin hier.“

Zaghaft nickte sie und war abermals den Tränen nahe. Doch sie erneut zu umarmen erschien ihm wenig zielführend.

„Sieh mich an.“, verlangte er.

Sie hob den Blick und dass sie nicht wütend schaute, verdeutlichte ihm, wie verstörend sein Zurückbleiben im Schatthenreich für sie gewesen war.

„Ich bin jetzt hier.“ Seine Stimme wurde sanfter. „Bei dir…“ Ein seltsames Gefühl ermächtigte sich seiner Brust. Er wehrte sich nicht dagegen.

Sachte hob er ihre Hand, die er noch umfasst hielt, und machte sie darauf aufmerksam, dass sie seine Anwesenheit spüren konnte.

„Ich bleibe bei dir.“

Als überprüfe sie in seinen Augen, ob er wirklich die Wahrheit sprach, behielt sie den direkten Augenkontakt bei. Schließlich nickte sie langsam.

Erst nach einem weiteren Moment ließ sie seine Hand los.

 

„Was habt ihr gemacht?“, wollte Vitali prompt wissen, als Ariane und Erik zurückkamen.

„Ich hab ein paar Dinge richtig gestellt.“, entgegnete Erik knapp..

„Hä?“, machte Vitali, doch Erik ignorierte ihn. Auch Ariane antwortete nicht, sondern nahm wieder Platz.

Erik blieb stehen. „Serenas Mutter wird böse, wenn sie noch länger nicht nach Hause kommt.“

„Das ist schon okay.“, sagte Serena wenig überzeugend.

„Vitali kann uns nach Hause bringen.“, meinte Vivien. „Dann geht es schneller.“

Erik senkte skeptisch die Augenbrauen.

Vitali grinste breit. „Ich kann teleportieren.“

Erik schaute wie ein Auto.

„Noch was!“, rief Vivien. „Ewigkeit übernachtet jeden Abend bei einem von uns. Sie könnte heute mit zu dir kommen. Dann kannst du sie besser kennenlernen!“

Eriks Begeisterung hielt sich in Grenzen.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Eriks Einweihung gestaltet sich deutlich weniger spektakulär als befürchtet. Ob sich diese neue Normalität bewährt?
Das erfahrt ihr am Freitag, den 10. Juni, in "Farbe bekennen".

Für mich ist es etwas seltsam, aber jetzt im vierten Band werde ich um Pausen nicht drumrum kommen.
Um die Wartezeit etwas angenehmer für euch zu gestalten, wird es jeweils freitags eine Kurzgeschichte mit den Beschützern und Grauen-Eminenz geben, die ihr hier finden werdet:
http://www.animexx.de/fanfiction/396608/
So bekommt ihr freitags trotzdem was von ihnen zu lesen und die Grauen-Eminenz Fans können sich sogar darauf freuen, dass er ab und zu mal die Hauptfigur ist. ;D

Alles Liebe! (´▽`ʃ♡ƪ) Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  totalwarANGEL
2022-05-13T21:42:07+00:00 13.05.2022 23:42
> Mondnebel
War das nicht Mondstein oder sowas?

> Aus dem Trip wachst du nie mehr auf.
Man sollte eben nicht jeden Pilz in das Ragout reinschnibbeln.

> „Das ist jetzt nicht euer Ernst.“, sagte Erik abschätzig.
Fair enough. Das wäre auch meine erste Reaktion.

> Vitali antwortete nonchalant. „Man findet sich einfach damit ab. Bringt eh nichts, sich viele Gedanken drüber zu machen.“
Ein Philosoph, der Typ.

> „Was ist das hier überhaupt?“, fragte Erik. „Wo sind wir?“
A place between dream and reality, mind and matter.

> „Hör auf!“, befahl er streng.
Genau! Hart durchgreifen musst du. XD

> „Danke.“, flüsterte er.
> [...]
> „Erik.“
Los, küssen!

.... och nö!!! Das ist jetzt lame. :(


Na gut, vielleicht beim nächsten Mal. ;)

Ich hatte wieder meinen Spaß mit Vitali.
Antwort von:  Regina_Regenbogen
19.05.2022 22:00
>> Mondnebel
>War das nicht Mondstein oder sowas?
"Macht der Mondnebel, mach auf!", war der Verwandlungsspruch. "Mondstein, flieg und sieg!", ist der Attackenspruch von Sailor Moon. :D
Fun Fact: Ich hab mir als Synchronsprecherin von Vivien immer Sabine Bohlmann, die erste Sailor Moon Synchronstimme, vorgestellt. 😄

>> Aus dem Trip wachst du nie mehr auf.
>Man sollte eben nicht jeden Pilz in das Ragout reinschnibbeln.
Was? Aber der war so schön rot mit weißen Punkten!

>> „Das ist jetzt nicht euer Ernst.“, sagte Erik abschätzig.
>Fair enough. Das wäre auch meine erste Reaktion.
Na dann muss es eine gute Reaktion sein. XD

>> Vitali antwortete nonchalant. „Man findet sich einfach damit ab. Bringt eh nichts, sich viele Gedanken drüber zu machen.“
>Ein Philosoph, der Typ.
Sowas von!

>> „Was ist das hier überhaupt?“, fragte Erik. „Wo sind wir?“
>A place between dream and reality, mind and matter.
Jupp.

>> „Hör auf!“, befahl er streng.
>Genau! Hart durchgreifen musst du. XD
XD

>> „Danke.“, flüsterte er.
>> [...]
>> „Erik.“
>Los, küssen!
>.... och nö!!! Das ist jetzt lame. :(
Allesamt Spätzünder...

>Na gut, vielleicht beim nächsten Mal. ;)
Nachdem sein erster Versuch, sie zu küssen, so eine Katastrophe war, wird Erik es sich dreimal überlegen, ob er sich noch mal die Blöße geben will, von ihr eventuell abgewiesen zu werden. :'D

>Ich hatte wieder meinen Spaß mit Vitali.
Schön. :D


Von:  RukaHimenoshi
2022-05-13T19:14:38+00:00 13.05.2022 21:14
Ooooooooh, diese Szene mit Ariane... 😱😱😱😍😍😍😍😍😍 Hach oh Gott, das muss ich nun erstmal verarbeiten. 🙈 Es war wirklich süß und so schön und rührend, wie Erik ihre erste Begegnung in der Schule nochmal aufgegriffen und sich dafür sogar entschuldigt hat!!! Aaaaaaah ❤️❤️❤️ Und dann such noch diese Umarmung und... hach! 🥰🥰🥰🥰🥰🥰🥰🥰🥰🥰🥰🥰🥰🥰🥰🥰🥰🥰🥰 Ich bin zwar keine Eriane-Shipperin Nr 1 (Trunite für immer und ewig! 🥰) aber oh wow, mein Shipperherz muss nun erstmal wieder runterkommen. 😂

Ich fand es auf alle Fälle sehr gut, wie du Eriks Reaktion dargestellt hast. Also okay, es war klar, dass er keine Freudensprünge machen wird. 😆 Und Vitalis Kommentare zwischendurch haben es so herrlich aufgeheitert 😂

Oooh, das wird nun also die erste längere Wartezeit. Hach, zum Glück gibt es ja noch die Protastik. 🥰 (... Eigentlich habe gerade ich kein Recht dazu, irgendetwas über Wartezeiten zu sagen. 😅)
Antwort von:  Regina_Regenbogen
19.05.2022 22:13
>Ooooooooh, diese Szene mit Ariane... 😱😱😱😍😍😍😍
Es freut mich, dass sie den gewünschten Effekt hatte. 🥰 Ich hatte die Szene mehrfach überarbeitet, weil sie mir wirklich wichtig war/ist, gerade weil sie noch mal den Bogen schlägt zu ihrem Kennenlernen in der Schule und dadurch deutlich macht, wie sehr sich die Beziehung der beiden seither verändert hat und wie sie miteinander und an einander gewachsen sind. 🥰
Und dass er sich entschuldigt hat, war für mich auch so eine unglaublich schöne Geste! 😍
Ach, wenn die Shipperherzen höher schlagen, freue ich mich immer so sehr mit! 😍 Ich shippe sie ja auch allesamt. 🤣

>Ich fand es auf alle Fälle sehr gut, wie du Eriks Reaktion dargestellt hast.
Ach, da bin ich froh. Ich wollte diesen Schockzustand und diese extreme Selbstkontrolle von ihm irgendwie fassbar machen.

>Und Vitalis Kommentare zwischendurch haben es so herrlich aufgeheitert 😂
Ja, Vitali ist definitiv sein Geld wert. Wie, du kriegst gar kein Geld? Äh, ja, also du hast meinen Respekt verdient, Vitali. *hüstel*

>Oooh, das wird nun also die erste längere Wartezeit.
Ja, das ist total seltsam für mich. 🙈

>Hach, zum Glück gibt es ja noch die Protastik. 🥰
Ja, bin jetzt nur am Überlegen, in welcher Reihenfolge, ich das veröffentliche. Irgendwie bereue ich es im Nachhinein mit der Osterhasen-Geschichte angefangen zu haben, da diese sich lustigerweise zu einer Fortsetzungsgeschichte entwickelt hat. 😂

>Eigentlich habe gerade ich kein Recht dazu, irgendetwas über Wartezeiten zu sagen. 😅
Natürlich hast du ein Recht darauf. :D Du darfst immer alles sagen, was du denkst und fühlst.



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