Zum Inhalt der Seite

PS: Ich töte dich

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Irgendetwas von einem Zeichenworkshop in ihrer Schule hatte Clary geträumt, als das Geräusch einer Zimmertür sie aufweckte. Sie hatte ohnehin unruhig geschlafen und als sie realisierte, wo sie war, erkannte sie Simon, der leise ins Wohnzimmer kam und aussah, als würde er gleich in Tränen ausbrechen.
 

Augenblicklich war sie wach und setzte sich auf.

„Entschuldige, ich wollte dich nicht wecken“, sagte er und seine Stimme klang leer.

„Ist alles okay?“

Sie bedeutete ihm, zu ihr zu kommen und der Vampir ließ sich ergeben an ihrem Fußende auf der Couch nieder.
 

„Nein.“
 

Als sie nachfragen wollte, stoppte er sie und legte einen Finger auf seine Lippen. Dann nickte er zur Tür des Gästezimmers herüber und zeigte auf sein Ohr. Er wusste um das gute Gehör eines Vampirs. Raphael würde jedes Wort mitbekommen, das sie wechselten.

Sein Blick fiel auf den Beistelltisch neben der Couch und auf Clarys Zeichenblock, der darauf lag.

Er schlug eine leere Seite auf, kritzelte etwas an den Rand und riss das Stück ab. Dann reichte er es seiner Freundin.
 

Sie sah ihn an. Und blickte dann auf das Stückchen Papier in ihren Händen.
 

Er hat geweint
 

Es zerriss ihr das Herz, Simon so zu sehen. Wortlos rutschte sie ein Stück zur Seite und machte ihm Platz. So viel, wie es das schmale Sofa zuließ.

Er kroch zu ihr unter die Decke, vergrub sich in ihren Armen. Es gab keinen Ort, an dem er gerade lieber gewesen wäre.

Und als sie ihn an sich zog und über seinen Rücken streichelte, fiel all die Last und Anspannung von ihm ab und er ließ seinen eigenen Tränen freien Lauf.
 

Lange orangefarbene Strähnen ihrer Haare lagen ausgebreitet über seinem Arm. Irgendwo darunter zeichnete sich noch immer ein blauer Fleck ab und markierte die Stelle, an der Raphael den jungen Vampir gebissen hatte.

Simon schlief noch und seine Hand hatte sich in ihren Nacken geschmiegt, verschwand in ihrem leuchtenden Haar.
 

Beide trugen lediglich ihre Unterwäsche. Die Bettdecke war zur Seite gerutscht und ihre Beine lagen ineinander verschlungen.
 

Für einen Augenblick blieb Raphael stehen und betrachtete sie.

Dann drehte er sich auf dem Absatz um. Die schwere Haustür schlug hinter ihm ins Schloss und er sah nicht noch einmal zurück.
 

Die folgenden Wochen schleppten sich zäh dahin.

Simon dachte darüber nach, dass die Frage, wie lange es dauerte, sich in jemanden zu verlieben, eigentlich gar nicht von Belang war.

Was wirklich zählte, war die Frage, wie lange es dauern würde, die Gefühle für jemanden zu vergessen.
 

Er lag im alten Bootshaus in seinem Kanu, das er schon vor längerer Zeit mit einem Haufen Decken und Kissen zu seiner Schlafgelegenheit umfunktioniert hatte.

Moderne Vampire schliefen nicht in Särgen, witzelte er. Wenn er einmal von Hochwasser überrascht werden sollte, wäre er jedenfalls bestens vorbereitet!

Clary tippte ihm an die Stirn und lachte. Er war bescheuert!

Aber genau dafür liebte sie ihn so sehr.

Sie ließ ihre Hände in seinen Nacken gleiten und lehnte ihre Stirn gegen seine.

Die selben Augen, in die er schon sein ganzes Leben lang geblickt hatte.

Sie lachten ihn an, die grünen Augen. Offen. Warm. Unkompliziert.

Er zog sie an sich und küsste sie.
 

Das Wasser kochte und der Vampir hob den Deckel, ließ die kleinen Teigtaschen geschickt hineingleiten.

„Für einen Vampir bist du ein ziemlich guter Koch.“

Isabelles Augen hingen fasziniert am Clanleader des Dumorts. Raphael lächelte.

„Das sollte ich auch sein“, sagte er und fuhr mit geübten Handgriffen in seinem Tun fort. „Ich koche jeden Sonntag.“

Sie hob erstaunt ihre Augenbrauen.

„Nicht für mich selber“, erklärte er und legte den Deckel wieder auf den Topf. Von ihm zum Abendessen eingeladen zu werden, hatte sie wohl nicht erwartet. Aber er war nicht wie Meliorn oder andere Männer, die sie zuvor gedatet hatte. Männer, die nur auf ihr aufreizendes Äußeres sahen.

Raphael interessierte sich nicht für diese Reize.
 

Seine Mom hatte ihm das Kochen beigebracht, als er noch klein war. Stunden hatte er bei ihr auf der Arbeitsplatte gesessen, damals in ihrem Haus in Spanien. Sie hatten nie viel Geld gehabt. Die Küche war spärlich eingerichtet gewesen und sie bereitete das zu, was sie bekommen konnte.

Doch sie verfügte über die handwerklichen Fähigkeiten und Rezepte, die sie noch von ihrer eigenen Mutter und Großmutter gelernt hatte.

Raphael dachte gerne daran zurück.

Sie war immer eine starke Frau gewesen. Hatte sich damals von Raphaels Vater getrennt. Den Mann verlassen, der seine Familie schlug und das zu einer Zeit, in der Scheidungen und Emanzipation sich für eine Frau nicht gehörten. Sie hatte ihre Kinder geschützt. War mit Raphael und seinen Brüdern nach Amerika gezogen.

Ein großer Schritt!
 

Heute gab er ihr all das zurück.

Schon lange bevor sie ins Heim gekommen war, hatte er jedes Wochenende für sie gekocht. Und diese Gewohnheit hatte er beibehalten. Er hatte all die Jahre auf sie aufgepasst. Ins Hotel hatte er sie nicht holen können, zu ihrer eigenen Sicherheit. Jedoch konnte er ihr den Ort finanzieren, an dem sie sich von Herzen gewünscht hatte zu leben und an dem sie glücklich war und man sich gut um sie kümmerte. In einem katholischen Altenheim in Harlem. Dem Stadtteil, der einst ihr gemeinsames Zuhause gewesen war.
 

„Wie erklärst du ihr, dass du nicht alterst?“, fragte Izzy, die beeindruckt war, von Alledem, was noch hinter Raphaels Fassade steckte. Das Mehr hinter dem Vampir, den man auf den ersten Blick wahr nahm.

„Weiß sie, was du bist?“
 

„Nein.“

Er schüttelte den Kopf.
 

„Magnus hat meiner Familie vor vielen Jahren sehr geholfen. Er hat ihr damals erzählt, ich hätte einen Teil seiner Magie übernommen und dadurch nun ebenfalls ein ewiges Leben geschenkt bekommen.“

Er ließ seine Hand an ihrem Arm hinunter wandern, bis sich seine Finger in ihre legten. Dann nahm er sie und legte sie auf seine Brust. Legte den Anhänger in ihre Hand, den er stets um den Hals trug.

Das kleine, goldene Kreuz, das er einst als Fünfzehnjähriger geschenkt bekommen hatte.
 

„Damit sie glauben konnte, dass ich zu keinem der Kinder der Nacht geworden war, habe ich gelernt es zu tragen.“

Zu ertragen, wäre wohl passender, dachte er und sein Mund verzog sich zu einem schiefen Lächeln.

Ununterbrochen hatte er sich damals selbst damit gequält, bis er das Kruzifix in den Händen halten konnte, das ihm seine Mutter geschenkt hatte, um ihn vor den dunklen Gestalten der Nacht zu beschützen.
 

Es war das Einzige gewesen, das ihm Halt gegeben hatte. Der einzige Grund für ihn, weiter zu existieren.

Seine Sturheit hatte ihn gerettet. Und seine Liebe zu seiner Mom.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück