Zum Inhalt der Seite

Selbstwiderspruch

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Mit Wort und Reihenfolge

Takano hatte es kaum erwarten können, in den frühen Morgenstunden endlich seine wenigen Sachen zu packen, seinen Patientenstatus ein für alle Mal aufzugeben und in sein Apartment zurückzukehren.
 

Und so kam es, dass sie nun wieder zuhause waren und sich ihr Alltag trotz aller Umstände zum Greifen nah anfühlte. Obwohl das nicht ganz stimmte, denn Takano war zwar zurück zuhause, doch Onodera war bei ihm in der Wohnung geblieben und nun saßen sie sich am Esstisch schweigsam gegenüber. Auch wenn ihr Freund sich nicht vorzeitig aus dem Krankenhaus entlassen hatte, trauten Yokozawa und Onodera dem Frieden keineswegs und hielten weiterhin an dem Entschluss fest, Takano nicht aus den Augen zu lassen.
 

Insgeheim freute sich Onodera über alle Maßen für seinen Vorgesetzten, immerhin war es genau das, was er die ganze Zeit gewollt hatte: Heimkehren. Doch auch das war ohne ausgiebige Diskussion zwischen Yokozawa, Takano und ihm selbst nicht ganz so einfach gewesen. Yokozawa hatte mit Adleraugen auf ihn Acht geben wollen, da er ganz genau wusste, wie schnell Takano zu seiner Arbeit zurückkehren würde, wenn sie nicht da wären. Die Tatsache, dass Yokozawa ihm nicht zutraute, Takano von Dummheiten abzuhalten, hatte ihn getroffen. Nüchtern betrachtet, musste Onodera jedoch zugeben, dass die Vorbehalte des Älteren berechtigt waren. Doch Takano hatte seinen langjährigen Freund ohne Umschweife abgewiesen und seinen Mangel an Privatsphäre all die letzten Tage als Begründung vorgebracht - das war für Yokozawa wie eine unsichtbare Mauer gewesen, die er nicht überwinden konnte.
 

Und nach längerem Hin und Her mit Yokozawa, hatte letztendlich Kirishima ein Machtwort gesprochen, Yokozawa für sich beansprucht und dem Bären somit den Wind aus den Segeln genommen.
 

Das Resultat war, dass Takano und er sich nun gegenübersaßen und sich wie so oft anschwiegen. Doch diese Stille war anders. Sie schwiegen nicht, weil sie nicht wussten, wie sie miteinander ins Gespräch kommen sollten, sondern weil sie miteinander gesprochen hatten. Wieso musste es immer so anstrengend mit ihnen beiden sein?
 

Nervös rutschte Onodera auf seinem Stuhl hin und her. Er fühlte sich zwiegespalten. Auf der einen Seite hätte er nichts dagegen gehabt, wenn Yokozawa zumindest diesen ersten Tag bei Takano geblieben wäre. Yokozawa hatte recht, er könnte sich im Fall der Fälle gewiss effektiver gegen Takano durchsetzen. Auf der anderen Seite war es genau das, was er wollte: bei Takano sein. Auch, wenn es ihm schwer fiel, das Takano zu zeigen. Um seinem inneren Kampf entgegenzuwirken, war Onodera bei ihm geblieben, hatte sich um die Wohnung gekümmert, ihn nur kurz allein gelassen um einzukaufen, sich dann dem Mittagessen gewidmet und dabei stets jeglichen Augenkontakt vermieden.
 

Doch irgendwann hatte auch Takano gemerkt, dass ihm die Tätigkeiten und somit auch die Fluchtmöglichkeiten ausgegangen waren und seinem Kreuzverhör nichts weiter im Weg stand.
 

Entspannt, als wäre nichts gewesen, verweilte Takano ihm nun gegenüber und fixierte ihn mit seinen tiefbraunen Iriden. Ganz gelassen sog er an seiner Zigarette, als hätte Onodera die Sache mit seinem Vater mit keinem Wort erwähnt – dabei hatte Takano jedes Detail hören wollen. Onodera hatte sich wie ein in die Ecke gedrängtes Tier gefühlt, als er Takano alles gebeichtet hatte. Weder hatte er sich getraut, sich zu bewegen, noch gewagt Augenkontakt herzustellen.
 

Doch fast gelangweilt hatte sein Vorgesetzter die Lider gesenkt, als hätten sie über etwas völlig Belangloses wie den Wetterbericht gesprochen. Dabei war sich Onodera sicher gewesen, dass Takano ihm den Hals umdrehen würde, sollte er je die ganze Geschichte erfahren. Dem Jüngeren wurde einmal mehr klar, wie schwer es ihm fiel, seinen Vorgesetzten einzuschätzen, nie wusste er, was in dessen Kopf vorging.
 

Er spürte, wie er sich etwas entspannte, als Takano ganz gelassen die Glut seiner Zigarette löschte und das Wort ergriff und dabei weder genervt noch wütend klang. „Was hast du erwartet? Er sieht ab, dass du irgendwann die Firmenleitung übernimmst. Da sollte er dich auch als solche akzeptieren und respektieren. Und eine Führungskraft trifft Entscheidungen.“
 

Zu Onoderas Verwunderung hörte sich seine Stimme sogar genauso ruhig an, wie er wirkte. Wenn nicht gar etwas trocken. Ob die Bedrohung einer Strafpredigt oder gar Schlimmerem an ihm vorbeigezogen war?
 

„Aber ich bin keine Führungskraft und Entscheidungen…“ er seufzte angestrengt, Entscheidungen zählten wirklich nicht zu seinen Stärken. Als er nur einen Moment später Takanos Finger spürte, die zärtlich und wie gewohnt durch sein Haar wuschelten, zuckte er, von der sanften Berührung überrascht, ein wenig zurück. Verwundert blickte er auf und sah Takanos sanftes aufmunterndes Lächeln, sein Herz schlug ihm bei diesem Anblick bis zum Hals.
 

„Noch nicht. Aber das wirst du - wenn du das denn willst.“
 

Fast hätte er sich in Takanos Lächeln verloren, es war so ein seltener Anblick, wenn er ihn mit dieser Wärme in seinen Zügen ansah. Doch seine Worte hatten ihn zurück in die Realität geholt. Er zögerte kurz. Wollte er das? Wollte er eine Führungskraft sein? Eigentlich wollte er sich vorerst nur darauf konzentrieren, seine Arbeit gewissenhaft zu erledigen und beim Marukawa Verlag Erfahrungen sammeln – so, wie er es auch seinem Vater gesagt hatte. Und ganz davon abgesehen, hatte er denn überhaupt das Zeug zur Firmenleitung?
 

„Ich… ich weiß nicht.“
 

Doch als hätte er mit seinen Worten einen Schalter umgelegt, merkte Onodera augenblicklich, wie Takanos Züge gefroren, die sanfte Berührung ins Gegenteil umschwang und lange, filigrane Finger strafend seine Haare zerzausten.
 

„Argh! Es ist immer das Gleiche mit dir! Nie weißt du, was du willst, und hinterher verwirrst du alle um dich herum!“ So viel zu Takanos guter Laune. Innerhalb eines Sekundenbruchteils war Takanos warmes Lächeln seinem üblichen genervten Blick gewichen. Onodera hatte sich doch gedacht, dass der Ältere bislang viel zu friedlich gewesen war. Es wäre auch zu schön gewesen. Ganz wie der Vorgesetzte, den Onodera kannte, hielt Takano seine Verärgerung nicht zurück. „Echt! Unglaublich! Ich meine, es dir schon hundert Mal gesagt zu haben,-“
 

„Tut mir leid! Tut mir leid! Tut mir leid!“ Fantastisch, Takano war ganz der Alte… kleinlaut versuchte Onodera sich der Situation zu entwinden, obwohl er wusste, dass Takano recht hatte. Takanos strafende Worte, ebenso wie der Verdruss, über seine Unentschlossenheit waren gerechtfertigt. Diese Rüge würde er über sich ergehen lassen. Onodera hatte damit gerechnet, dass Takano ihn bereits viel eher wüst unterbrechen und seine Verärgerung zeigen würde. Nämlich als er ihm gebeichtet hatte, dass er ihn über eine Woche gemieden hatte, um über ein Gespräch mit seinem Vater zu grübeln, das im Grunde gut verlaufen war. Oh man… wie konnte Takano auch nicht verärgert sein? Aus seiner Sicht musste es so wirken, als hätte er sich wegen nichts und wieder nichts den Kopf zerbrochen, dabei hatte er bei seinem Vater doch genau das erreicht, was er gewollt hatte.
 

„Weißt du eigentlich, dass das, was du da tust, ein totaler Widerspruch ist?!“
 

„Ich sagte doch bereits - es tut mir leid!“
 

„Mann, jetzt bin ich sauer…“ Takano stöhnte entnervt auf, bevor er sich im Stuhl zurücklehnte und eine weitere Zigarette an seine Lippen führte. Für einen Moment war es still zwischen ihnen, man hörte nur das Schnalzen von Takanos Feuerzeug. Onodera konnte Takano ansehen, dass seine Stimmung drastisch gesunken war. Es war fast wie damals, als sie im Regen gewartet hatten und er Takano offenbart hatte, dass er über all die Jahre noch nicht einmal seinen richtigen Namen gekannt hatte. Er wollte gar nicht wissen, wie wütend Takano jetzt war. Doch irgendetwas musste er sagen, sonst würden sie sich wieder anschweigen, wie sonst auch.
 

„Takano-san?“
 

„Masamune.“
 

„Was?“
 

„Mein Name ist Masamune.“
 

„D-das weiß ich, aber-“
 

„Im Krankenhaus konntest du doch auch ganz normal mit mir reden.“ Takano hob abwartend eine Augenbraue und löschte seine Zigarette im Aschenbecher. Er wollte jetzt nicht streiten und vor allem wollte er nicht aus schlechter Laune heraus rauchen.
 

„Ja, das war eine Ausnahme. Ich habe mich aber inzwischen wieder daran erinnert, dass Sie mein Vorgesetzter sind und bitte um Entschuldigung. Es wird nicht wieder vorkommen.“
 

„Bist du doof?!“ Wollte Onodera ihn mit Absicht ärgern? Stocksteif und sachlich hatte er ihm das wie aus der Pistole geschossen vorgehalten. Wie konnte er nur so stur an dieser Formsache festhalten? Wie es ihn nervte, wenn sich Onodera so starrsinnig an seinen Formalitäten klammerte – da war ihm die unsichere, stotternde Variante schon fast lieber. Immerhin wusste er dann, dass er Onodera näherkam.
 

„Kann ich Ihnen noch auf irgendeine Weise hier behilflich sein?“
 

Definitiv. Es nervte ihn. Nur mit Mühe erinnerte Takano sich selbst daran, dass er jetzt nicht streiten wollte. Er wollte jede Sekunde mit Onodera voll und ganz ausnutzen. Unter seinen dunklen Haarsträhnen lugte er zu seinem Gegenüber und holte gedehnt Luft.
 

„Eigentlich will ich nach dem Ganzen einfach nur vernünftig duschen.“
 

„Das geht nicht! Ihre Wunden sollen trocken bleiben, Sie haben den Arzt doch gehört.“
 

„Dann wasch mich.“
 

„Bitte?! Waschen Sie sich gefälligst selbst!“
 

„Wolltest du mir nicht gerade eben noch helfen?“ Takano konnte sehen, wie sich sein Gegenüber innerlich auf die Zunge biss und sich im Geiste auf die Hinterbeine stemmte. Sie könnten es so einfach haben, wenn er sich nur nicht immer so zieren würde. Nach Onoderas Worten im Krankenhaus hatte er de facto gedacht, dass sie dies eigentlich hinter sich gelassen hatten.
 

„Na schön. Aber die Unterwäsche bleibt an.“
 

„Was hast du denn für ein Verständnis von Körperhygiene?“
 

„Den Teil können Sie schön selbst waschen!!“
 

„Als ob du ‚den Teil‘ nicht gut genug kennen würdest…“
 

„Ich meine es ernst, Takano-san!“
 

„Spielverderber.“
 

Es war Takano ein Rätsel. Wie konnte sich ein so liebreizendes unschuldiges Wesen innerhalb von Sekunden in die altgewohnte widerspenstige Zicke verwandeln, die er seit ihrem Wiedersehen kennenlernen durfte – musste. Doch er musste auch zugeben, dass es auf eine gewisse Weise beruhigend war. Es hatte etwas so Alltägliches an sich und das war etwas, das Takano seit dem Unfall bei Onodera vermisst hatte. Auch, wenn ihm der unschuldige Junge von damals, der ihm so offen seine Liebe gestanden hatte, die Sache wesentlich einfacher machen würde. Nichtsdestotrotz, er liebte Onoderas jetziges Ich, nicht das Ich von damals. Nicht mehr. Sein Herz schlug einzig und allein für den Onodera, der er heute war. Wenn er sich ihm nur endlich voll und ganz hingeben würde…
 

Und wieder schwiegen sie, wie so oft in den vergangenen Tagen. Es war schwierig mit ihnen. Dabei hätten sie sich so viel zu erzählen, es gab so vieles, das sie voneinander nicht wussten. Und nach allem, was passiert war, sollten sie doch jetzt erst recht die Chance nutzen sich richtig kennenzulernen.
 

„Sag mal, ist das nicht für gewöhnlich der Zeitpunkt, an dem du dich irgendwie aus der Affäre ziehen willst?“, Takano stützte den Kopf auf der Handfläche ab und ließ seinen Blick durch die Wohnung streifen. Er beabsichtige keineswegs, Onodera rauszuwerfen, im Gegenteil, er wollte, dass Onodera bei ihm blieb. Doch aus Erfahrung wusste er, dass der Jüngere die frühestmögliche Gelegenheit zur Flucht mit kalkulierbarer Sicherheit ergreifen würde.
 

Er hatte Onodera nicht aufhalten können, als dieser begann seine Wohnung auf den Kopf zu stellen und zu putzen, bis auch die letzte Ecke seiner Wohnung staub- und keimfrei war. Übertrieben, wie er fand – vor allem, wenn man an Onoderas eigenes Chaos dachte. Aber der Jüngere hatte ihm gar nicht zugehört und einfach weitergemacht, sogar eingekauft und gekocht hatte er. Irgendwie hatte es ihn auch gerührt, also hatte er ihm schweigend dabei zugesehen, bis er der Meinung war, dass es an der Zeit war, den Kleinen zur Rede zu stellen und ihm die Möglichkeit zu nehmen, Ausflüchte zu finden.
 

Und so hatte er endlich vom Besuch seines Vaters erfahren.
 

Onodera hatte es dabei möglichst vermieden, Takano in die Augen zu sehen. Er fühlte sich noch immer schuldig und mit Takano über die Sache mit seinem Vater zu sprechen, hatte nur Salz in die Wunde gerieben. Er hatte zwar den Unfall nicht verursacht, aber er hätte von Anfang nicht weggehen sollen. Er hätte bleiben sollen. So wie jetzt hätte er Takano gleich alles erzählen sollen. Er wusste nicht, wie Takano ihm so entspannt gegenübersitzen konnte, als würde ihm all das nichts ausmachen. Ganz so, als wäre er nicht vor ihm weggelaufen und hätte ihn nicht allein gelassen. Dabei hatte er Takano damals einfach so den Rücken gekehrt, als wäre es selbstverständlich ihn um sich zu haben – als hätte er eine Garantie auf Takanos Nähe. Er konnte sich gar nicht vorstellen, was Takano bei dem Unfall durchgemacht haben musste. Soweit Onodera es erkennen konnte, waren die Blutergüsse mittlerweile in ihrer ganzen Pracht zu sehen, allein Takanos Gesicht erstrahlte in tiefem Blau, der Stoff seiner Sachen konnte die Rötungen, Prellungen und blauen Flecke nicht verdecken.
 

Wie konnte sein Vorgesetzter damit so locker umgehen? Und wie konnte er selbst das jemals wieder gut machen?
 

„Hmmm?“, erinnerte Takano den Jüngeren an seine Frage, da er noch immer keine Antwort erhalten hatte. Abwartend beobachtete er ihn aus den Augenwinkeln.
 

„N-nein.“ Onodera mied möglichst jeden Blick zu seinem Gegenüber und Takano musste mit Unbehagen feststellen, dass es nicht Verlegenheit war, die er auf dem abgewandten Gesicht des jungen Redakteures sehen konnte. Stattdessen hatte sich auf Onoderas Miene etwas ganz anderes abgezeichnet, etwas, das ihm ganz und gar nicht gefiel - Reue.
 

Innerlich seufzte er. Natürlich, der Unfall. Takano hatte im Krankenhaus nur am Rande mitbekommen, dass Onodera ein schlechtes Gewissen umtrieb, er es ihm gegenüber jedoch nicht zugeben wollte. Aber er hatte Onodera die letzten Tage oft genug gesagt, dass er sich wegen nichts schlecht fühlen musste.
 

Das würde er unbedingt aus Onoderas Kopf streichen müssen, doch vielleicht war es dafür noch zu früh. Vielleicht wäre der richtige Zeitpunkt, wenn er nicht mehr aussah, als hätte ihn ein Bus überfahren. Takano verzog das Gesicht bei dem Gedanken daran, wie erschreckend nahe sein Vergleich der Realität kam. Eine solche Erfahrung würde er nicht zwingend wiederholen wollen… obwohl Onoderas Nähe seit dem Unfall sein Herz höher schlagen ließ.
 

„Ich habe versprochen, Ihnen zu helfen. Daher werde ich bleiben.“
 

Takanos umherschweifender Blick war augenblicklich zu Onodera zurückgekehrt und nun wachsam auf ihn gerichtet. Takano spürte, wie das Herz in seiner Brust einen Satz machte und sich sein Körper angesichts Onoderas Worte mit Wärme flutete.
 

„Ach?“, hungrig durchbohrten seine dunklen Iriden den jungen Redakteur und auch wenn sie indirekt waren - er wollte noch mehr solcher Geständnisse, die ihm Onoderas Gefühle offenbarten. Doch noch mehr als das wollte er Onodera nah sein. Noch näher.
 

„Vorerst.“
 

Schade, aber er würde sehen, was sich damit anfangen ließ. Takano hatte nicht vor, Onodera so schnell wieder gehen zu lassen, er wollte den Menschen, den er so sehr liebte, bei sich haben. Und wenn es nach ihm gehen würde: Für immer.
 

„Willst du mir nicht auch noch erzählen, was dich so beschäftigt?“
 

„H-habe ich doch schon.“ Die Sache mit seinem Vater, ja. Und auch, wenn Takano sich vorstellen konnte, dass dies den Jüngeren sehr beschäftigte, glaubte er ihm einfach nicht, dass das alles war. Natürlich musste dieser Besuch wie ein Schlag ins Gesicht gewesen sein und er konnte sich gut vorstellen, dass sich Onodera im ersten Moment ziemlich hilflos und überrannt gefühlt haben musste. Aber war das wirklich schon alles? Er hatte bereits eine ganze Weile darüber nachgedacht und jetzt, nachdem Onodera mit ihm gesprochen hatte, fügten sich die Teilchen langsam zu einem großen Ganzen. Ritsu war nicht wie er, der sich einfach nichts sagen ließ und trotzdem sein eigenes Ding machte. Dafür war er zu unschuldig, er war nicht verdorben genug und hatte diese Ehrfurcht vor Älteren. Nicht nur seinen Eltern gegenüber, auch gegenüber seinen Kollegen und nicht zu vergessen gegenüber ihm, doch das würde er dem Kleinen noch austreiben, dieses Formelle nervte ihn. Er hatte es schön gefunden, dass der Jüngere ihn im Krankenhaus so unerwartet beim Vornamen genannt und auf diese förmliche Anrede verzichtet hatte. Endlich hatte Onodera von sich aus den Abstand zwischen ihnen verringert.
 

Und dennoch, selbst wenn er all das berücksichtigte, so konnte er sich nur ihren damaligen Streit erklären. Doch es fehlten noch immer Teile im Gesamtbild - Teile, die erst seit dem Unfall fehlten.
 

„Ich meine, dass da noch etwas anderes ist.“ Und er konnte sich denken was. Er wartete kurz, schwieg und hoffte, dass der Jüngere sich ihm öffnen würde. Doch Onodera zeigte keine Reaktion. Wenigstens log er ihn nicht an, oder versuchte es abzustreiten.
 

„Es ist der Unfall, nicht wahr?“ Onodera, der merklich zusammenzuckte und etwas zurückwich, verkörperte durch und durch, dass er sich unwohl fühlte. Natürlich war es der Unfall. Und wieder schwiegen sie. Takano wusste nicht, was er Onodera sagen sollte, wie er ihm klar machen sollte, dass er ihm nicht böse war. In keinem Moment hatte er die Schuld bei Onodera gesucht, er wusste ganz genau, dass er selbst es war, der die rote Ampel fast überfahren hätte und bereits in der anderen Fahrbahn stand. Hinzu kam noch, dass er mit einem absolutem Tabu gebrochen hatte, als er sich während des Fahrens von dem Anruf ablenken ließ. Und dann hatte eins zum anderen geführt. Er war es, der sich schrecklich fühlte, wenn er mit ansehen musste, wie sehr Onodera und Yokozawa darunter litten.
 

Aber auf der anderen Seite freute er sich darüber, dass sie für ihn dagewesen waren. Es bedeutete ihm alles und war gewiss nicht selbstverständlich, diese beiden Personen in seinem Leben zu haben, ihnen wichtig zu sein und Teil ihrer Familie zu sein. Es erfüllte ihn mit einer unbeschreiblichen Wärme, nach so vielen Jahren endlich eine Familie zu haben, in der es ganz normal war, sich umeinander zu sorgen.
 

Takano nahm einen tiefen Atemzug und musterte Onodera eindringlich, bevor er aufgab. Er konnte ihn nicht dazu zwingen, über dieses Thema zu sprechen, oder – und das wäre ihm am liebsten – sich von der ganzen Sache zu distanzieren und nach vorne zu blicken. Doch zumindest solange ein Blick in sein Gesicht Onodera keine andere Wahl ließ, als an den Unfall zu denken, würde vor allem Letzteres keine Option sein.
 

„Also, steht das jetzt mit der gemeinsamen Dusche?“, er stützte sich an der Tischplatte ab, als er sich langsam erhob.
 

„Waschen! Wie ich bereits sagte. Und außerdem mit-“
 

„Unterwäsche, ja ja, schon klar. Mein ich ja. Du wirst noch alt und grau, wenn du dich immer gleich so aufregst.“
 

„Tak-“, weiter kam er nicht, denn Takano hatte seine Lippen mit den seinen verschlossen und ihm damit jeglichen Wind aus den Segeln genommen. Onodera spürte warme Finger an seinen Wangen und die großen Hände, die sanft sein Gesicht umschlossen. Als sich Takanos Lippen von den seinen lösten, trennten sie nur Millimeter. Er blickte direkt in Takanos Augen und versank in seinen tiefdunklen braunen Iriden, die im Licht bernsteinfarben glänzten und ihn ansahen, als ob sie durch ihn hindurchblicken konnten. Takano war ihm so nah…
 

„Ich freue mich, dass du dich so um mich sorgst.“, Takano hauchte ihm noch einen kurzen Kuss auf die Lippen, bevor er von dem Jüngeren abließ.
 

Da war er wieder, sein Onodera. Mit dem hochroten Kopf, seiner Unschuldsmiene und den glasigen grünen Augen, die mit der Röte seiner Wangen nicht stärker im Kontrast stehen könnten. Sein Onodera, der mit seiner Nähe völlig überfordert war.
 

„Irgendwer muss ja nach Ihnen sehen. Wer weiß, was Sie allein alles anstellen würden!“

„Duschen.“
 

„Takano-san!“
 

„Jetzt komm endlich, sonst werde ich noch alt.“
 


 

~~~
 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Uuuund? Wie fandet ihr es?
Ich würde mich unglaublich darüber freuen zu erfahren, wie ihr das Kapitel fandet! :) Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück