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DEATH IN PARADISE - 02

Mord, Lügen und Video
von

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Eine Leiche im Auto

Stille lag über der Insel Saint-Marie. Jene Stille der kurzen Zeitspanne am frühen Morgen, in der man manchmal zu spüren glaubt, dass die Welt den Atem anhält.

Derrick Faulkner blickte kurz über die Schulter ins Innere seiner Hütte, hinüber zum Bett in dem Celine friedlich schlief. Er sah sie kaum, doch schon das Wissen darum, dass sie dort war zauberte ein Lächeln auf die Lippen des unbekleideten Mannes.

Nach einem Moment wandte sich der Inspector ab und sah nach links. Dort im Osten zeigte sich, dicht über dem Horizont, ein erster fahler Lichtstreifen und kündigte den nahenden Sonnenaufgang an. Faulkner liebte diese Zeit des Tages. Leider bekam er sie viel zu selten mit. Doch an diesem Sonntagmorgen hatte ihn irgendetwas aus dem Schlaf geholt, ohne dass er sagen konnte was es war. Für einen Moment hatte er geglaubt, etwas Ungewöhnliches gehört zu haben, als er sich zwischen Traum und Erwachen befunden hatte. So hatte er in die Nacht hinaus gelauscht, doch nur das vernommen, was für diese Zeit des Tages normal war. Das leise Rauschen des Meeres und den Passatwind zwischen den großen Palmblättern der Bäume, die seine Hütte einrahmten.

Zu seiner Erleichterung war Céline gestern nicht weiter auf seine Frage eingegangen, die er ihr stellte, bevor sie nach dem 10-Meilen-Lauf aufgebrochen waren. Der Nachmittag und Abend waren sehr harmonisch verlaufen.

Seit sie ihr Beziehungsarrangement festgelegt hatten, war dieses Thema zwischen ihnen nicht mehr aufgekommen. Doch in den letzten Wochen hatte der Polizist immer stärker den Eindruck gewonnen, dass in dieser Hinsicht vielleicht nicht alles zwischen ihnen gesagt war. Auch was ihn selbst betraf.

Zu Beginn ihrer Beziehung, welcher Art sie nun auch immer sein mochte, war er damit gut zurechtgekommen. Doch in der letzten Zeit hinterfragte er diese Art der Beziehung immer öfter und er wurde den Verdacht nicht los, sich eventuell selbst zu betrügen. Dennoch spürte er, so wie zuvor, auch eine gewisse Zufriedenheit, weil es so war wie es war.

Erneut sah der Mann über die Schulter, als er hinter sich leise Geräusche vernahm.

Céline war erwacht und hatte sich, beinahe lautlos, zu ihm auf die Veranda begeben. Auch sie war, ebenso wie er, splitternackt. Von hinten ihre Arme um ihn legend, schmiegte sich die Frau an ihn und fragte, fast flüsternd: „Was hat dich so früh geweckt und aus meinen Armen getrieben?“

Derrick Faulkner legte seine Hände auf ihre und gab ebenso leise zurück: „Keine Ahnung. Vor dem Tod meiner Familie habe ich stets den Schlaf der Gerechten geschlafen. Ich meine damit, man hätte mich aus dem Bett heben und wegtragen können, ohne dass ich etwas davon bemerkt hätte. Doch aktuell reicht es schon, wenn ein Maulwurf drei Meter unter der Erde einen fahren lässt, um mich aus dem Schlaf schrecken zu lassen.“

Céline lachte lautlos. „Schöner Vergleich. Vielleicht haben sich aber auch nur deine Sinne als Ermittler geschärft.“

Bevor Faulkner etwas darauf erwidern konnte, summte sein Smartphone. Sich mit einem vielsagenden Blick zu Céline aus ihren Armen windend, schritt er ins Innere der Hütte. Céline, die auf der Veranda stehenblieb, hörte Derrick einen Moment lang im Innern rumoren. Gleich darauf hob er, kaum für sie erkennbar, seine Hand, die offensichtlich das Smartphone hielt, und meldete sich.

Der Brite sagte kaum etwas, doch das Wenige reichte Céline um zu erfassen, dass die Nacht für Derrick vorbei war.

Gleich darauf bestätigte der Brite ihre Vermutung, indem er nach draußen sagte: „Es gibt einen Toten, mitten auf der Kreuzung, unterhalb des Polizeireviers. Ich muss los.“

„Bringst du mich vorher nach Hause?“

„Ja, der Tote sitzt zwar in einem Auto, wie mir gesagt wurde, doch ich schätze, dass der trotzdem inzwischen nicht wegfahren wird.“

Céline seufzte leise. „An deinen typisch britischer Humor habe ich mich immer noch nicht ganz gewöhnt, schätze ich.“

Auf dem Weg zur Dusche meinte der Mann: „Das wird schon noch.“

„Oder auch nicht“, murmelte die schlanke Frau so leise, dass der Brite sie nicht hören konnte, als sie in den Wohnraum eintrat und ihre Sachen zusammensuchte. Beim Anziehen dachte sie daran, dass sie mit Derrick längst über einen Teil ihres Lebens hätte reden sollen, den sie bisher gänzlich unter den Tisch hatte fallen lassen. Doch so richtig hatte sich nie die Gelegenheit dazu ergeben und vielleicht war es ja besser, den Dingen ihren Lauf zu lassen. Immerhin war er damit einverstanden gewesen, ihr den Freiraum zu lassen, den sie sich von ihm erbeten hatte und dieser Teil ihres Lebens fiel unter diese Rubrik, befand sie. Auch, wenn sie ahnte, dass es ein Fehler sein könnte.

Als Derrick sich angekleidet hatte, wartete Céline bereits draußen auf ihn und nichts deutete auf jene düsteren Gedanken hin, die sie eben noch gewälzt hatte. Er brachte Céline auf schnellstem Wege nach Hause. Danach telefonierte er kurz mit Florence und machte sich auf den Weg zu ihr, um sie abzuholen.

Etwa zwanzig Minuten später fuhren sie mit dem Polizei-Jeep am Tatort vor. Als sie ausstiegen, sah Derrick Faulkner auf seine blau-rosa Diddl-Uhr und fragte gereizt in Richtung seiner Kollegin: „Warum können diese Rabauken ihre Opfer nicht erst nach dem zweiten Kaffee abmurksen? Wir haben gerade 5:30 durch. Das ist einfach viel zu früh.“

„Ja, manche Leute haben echt Nerven“, spöttelte Florence und deutete auf den Wagen, der die gesamte Kreuzung blockierte. Ernsthafter werdend erkundigte sie sich: „Warten wir mit dem Abschleppen, bis wir einen Durchsuchungsbefehl für den Wagen haben und die Leiche entfernen können?“

„Nein, das würde an einem Montagmorgen viel zu lange dauern. Informieren Sie den Abschleppdienst. Die Leiche bleibt drin. Sagen Sie dem Fahrer, dass er aber deswegen von der Stadt trotzdem keinen Aufschlag bekommt.“

Die Mundwinkel der Polizistin zuckten unmerklich, als sie erwiderte: „Ich kümmere mich darum, Chief.“

Faulkner nickte Florence zu und schritt auf das Fahrzeug zu, an dem sich bereits Sarah Dechiles und Wellesley Karr eingefunden hatten. Neugierig auf die über dem Lenkrad gebeugte Leiche des Fahrers in dem schwarzen Mercedes sehend erkundigte er sich: „Sergeant, was wissen wir bisher?“

„Der Wagen gehört einem gewissen Anthony Rodriguez. Nach meinem Kenntnisstand ein Produzent schlüpfriger DVD-Videos.“

Derrick Faulkner räusperte sich: „Schlüpfrig?“

„Sarah meint pornografisch“, brachte es Karr auf den Punkt, wobei er ein Gesicht machte, als habe er in eine Zitrone gebissen. „Soll ein windiger Typ gewesen sein.“

Der Inspector gab ein unbestimmtes Brummen von sich, bevor er meinte: „Windig oder nicht, er konnte sich immerhin einen Mercedes S 560 4Matic Coupé leisten. Der Wagen kostet neu knapp 200.000 Euro. So einen hätte ich gerne als Streifenwagen. Außerdem darf man auch windige Typen nicht einfach so ermorden.“

Bei seinen letzten Worten sah Sarah Dechiles ihren Vorgesetzten, über das Dach des Wagens hinweg an. „Für so viel Geld bekommt man hier eine Villa in bester Lage, Sir. Das ist ja Wahnsinn.“

Florence, die das Telefonat beendet hatte, trat zu Faulkner und meinte: „Der Abschleppdienst ist in zehn Minuten hier. Wohin soll er den Wagen bringen?“

„Erst einmal vor die Polizeistation. Ich will die Leiche nicht zu weit bewegen, bevor sie aus dem Wagen geholt wird. Erst nachdem wir das Auto untersuchen konnten, soll der Abschleppdienst nochmal anrollen und den Wagen zu seinem vorläufig letzten Abstellplatz bringen, Florence. Kümmern Sie sich später auch darum, bitte.“

Die Polizistin bestätigte und der Inspector schritt etwas nach vorne. Durch die Windschutzscheibe auf den Toten sehend, fragte er: „Sarah, das Opfer wurde erschossen, oder irre ich mich?“

„Sie irren sich nicht, Chief. In der Rückenlehne des Fahrersitzes ist deutlich ein Einschussloch zu erkennen. Mindestens neun Millimeter, wenn ich raten müsste.“

„Hm“, machte Faulkner nachdenklich. „Ist schon ein komisches Auto. So, wie der Tote über dem Lenkrad liegt hätte er durch die Windschutzscheibe erschossen werden müssen. Die Scheibe hat jedoch keinen Kratzer.“

Sarah Dechiles unterbrach ihre Beobachtungen und kam zu ihrem Vorgesetzten. Mit ihm durch die Windschutzscheibe des Wagens sehend stimmte sie zu: „Richtig, Chief. Ist ein komisches Auto. Was schließen Sie daraus?“

Der Mann sah seine Untergebene an. „Ich denke, der Mörder saß bei dem Opfer im Wagen. Außerdem benutzte er wahrscheinlich einen Schalldämpfer, denn ein Schuss aus einer so großkalibrigen Waffe hätte ansonsten die halbe Insel aus dem Schlaf gerissen.“

„Sie denken, Rodriguez kannte seinen Mörder, oder seine Mörderin?“

„Ich tendiere momentan zu dieser Annahme, Sergeant.“

Die nächsten Worte von Sarah Dechiles bewiesen, dass sie trotz der frühen Stunde ganz bei der Sache war. „Die Handbremse ist angezogen, Sir. Aber der Tote ist doch bestimmt nicht mitten auf die Kreuzung gefahren, hat die Handbremse angezogen, um sich dann in aller Ruhe erschießen zu lassen?“

„Würde ich auch nicht denken“, stimmte der Inspector zu. „Der Wagen wurde also vermutlich bewegt, nachdem der Mord bereits erfolgt war. Die Frage ist nur warum?“

Niemand schien eine plausible Vermutung zu haben und nach einer Weile meinte Wellesley Karr: „Das mutet alles ziemlich mysteriös an.“

Faulkner nickte in dessen Richtung. „Da haben Sie recht, Officer Karr.“

In die Runde sehend meinte der Detective-Inspector nach einer Weile: „Hier können wir zu viert wenig tun. Zwei von uns könnten sich schon einmal auf den Weg zum Revier machen und einen Kaffee aufsetzen. Wer kocht den besten?“

Drei Augenpaare richteten sich auf Faulkner.

Der Leitende Ermittler der Polizei von Saint-Marie grinste amüsiert und wandte sich zu Sarah. „Okay, Sie fahren, Sergeant Dechiles. Florence, sie weisen bitte den Fahrer des Abschleppdienstes an.“

Damit warf Faulkner seiner Untergebenen den Autoschlüssel zu.
 

* * *
 

Als sie auf dem Revier waren und der Kaffee in der Maschine durchlief, sah Sarah Dechiles zu ihrem Vorgesetzten. Er trug ganz leger Bluejeans, Turnschuhe und eins jener bunten, kurzärmligen Hemden, wie sie gerade auf der Insel angesagt waren. Einmal mehr stellte sie fest, dass er nicht wie ein typischer Brite auf sie wirkte.

Als sich Faulkner, so als habe er ihre Blicke im Rücken gespürt, zu ihr umsah, räusperte sie sich und fragte rasch: „Wie geht es ihrem Fuß, Sir. Ich hoffe, dass Sie nicht allzu große Schmerzen haben.“

„Es geht, danke der Nachfrage, Sarah. Céline hat mir gestern Nachmittag einen elastischen Verband angelegt. Ich schätze, die Bänder sind lediglich überdehnt.“

„Vielleicht sollten Sie das trotzdem untersuchen lassen.“

Der Mann nickte. „Ja, aber zuerst werde ich mit dem Detective-Sergeant zur Villa des Toten fahren und mich dort umsehen. Auf dem Rückweg werden wir einen Abstecher zum Krankenhaus machen.“

Die Frau druckste ein wenig herum, bevor sie geradeheraus sagte: „Ich wollte mich noch bei Ihnen bedanken, Sir. Sie wissen schon. Für die Urkunde.“

Faulkner lächelte und lehnte sich mit dem Rücken gegen das Highboard, auf dem die Kaffeemaschine stand. „Sie haben die Urkunde am meisten verdient. Sie sagten zwar, dass Ihnen dieser Wettkampf sehr wichtig gewesen ist, doch ich finde, Sie sollten sich nicht so sehr über die Leistung bei diesem Lauf definieren. Vielleicht habe ich Ihnen das, abgesehen von gestern, in den letzten Monaten nicht oft genug gesagt, Sarah, aber Sie sind eine sehr gute Polizistin und Sie leisten sehr gute Arbeit auf Saint-Marie. Sie arbeiten mitunter etwas unkonventionell, doch ich mag das. Die Bürger dieser Insel können froh sein, Sie zu haben.“

Für einen kurzen Moment wand sich die Frau ungewohnt verlegen, bevor sie ablenkend fragte: „Ist der Kaffee schon durch?“

Mit einem feinen Lächeln trat Faulkner zur Seite und stellte fest: „Ist er. Dann mal her mit den Tassen, ich höre den Abschleppwagen. Unsere Kameraden werden also auch nicht mehr lange auf sich warten lassen.“

Wie aufs Stichwort kam Wellesley Karr herein. „Ah, der Kaffee ist fertig.“

Der Inspector selbst verteilte den Kaffee auf vier Tassen und reichte sie weiter. Zum Schluss eine an Florence, die hinter dem Officer hereingekommen war und grinsend zu ihm sagte: „Der Abschlepp-Mensch wollte tatsächlich einen Aufschlag verlangen, Sir.“

Mit einem Löffel intensiv seinen Kaffee umrührend, obwohl er weder Milch noch Zucker hineingetan hatte, erwiderte der Inspector: „Ich hoffe, Sie haben ihm diese Flausen ausgetrieben, Florence.“

Die Frau grinste vielsagend und nahm vorsichtig einen Schluck aus ihrer Tasse. Als sie die Tasse auf ihren Schreibtisch stellte, fragte sie: „Wie machen Sie das, Sir? Keiner von uns bekommt den Kaffee so hin, obwohl wir keine andere Marke nehmen.“

„Es ist, wie in unserem Beruf. Sie müssen das richtige Maß finden.“

Die vier Beamten tranken ihren Kaffee und schließlich sah Derrick Faulkner auffordernd zu Florence. „Wir zwei fahren zur Villa des Getöteten und sehen uns dort um. Haben Sie die Schlüssel bei dem Toten gefunden?“

„Ja, Sir. Da die Villa kein Tatort ist, habe ich bereits jetzt mit Richterin Stone gesprochen. Sie stellt den Durchsuchungsbefehl für die Villa aus, und bei der Gelegenheit auch gleich für den Wagen. Wir können also anfangen zu ermitteln.“

Faulkner nickte zufrieden und wandte sich zu den beiden Uniformierten: „Sie zwei werden sich den Wagen ansehen und mit der Spurensicherung beginnen, sobald die Leiche abtransportiert worden ist. Legen Sie dabei ein besonderes Augenmerk auf die Bergung des Projektils aus der Rückenlehne, sofern es noch drin steckt.“

Der Inspector wechselte einen raschen Blick mit Florence Cassell und schritt zum linken Ausgang des Reviers.

Seine Kollegin schloss sich ihm an. Erst draußen sagte sie: „Die Richterin war nicht begeistert, dass ich sie aus dem Bett geworfen habe, doch ohne die Beschlüsse hätten wir nur mit der unmittelbaren Beweissicherung beginnen dürfen. Wer weiß, wer sonst noch alles Zugang zur Villa des Ermordeten hat.“

Sie stiegen in den Land-Rover, wobei Faulkner seine Kollegin fahren ließ. Er selbst wollte lieber sein Fußgelenk schonen. Als der Wagen anfuhr, sagte er: „Sie haben damit Umsicht bewiesen, Detective-Sergeant. Natürlich müssen wir damit rechnen, dass uns eventuell Beweise durch die Lappen gehen, sofern wir zögerlich ermitteln. Richterin Stone wird das einsehen müssen.“

Sie fuhren die Hauptstraße hinauf, die von Honoré aus in Richtung Norden quer über die gesamte Insel führte. Unterhalb des höchsten Punktes bog Florence Cassell nach rechts ein und die Straße wurde unebener, als sie sich an dem Hügel zu einer protzigen, weißen Villa hinaufwand. Auf dem Vorplatz der Villa hielt Florence an und sah zu Faulkner.

„Ich schätze, ich habe den falschen Beruf gewählt“, murrte der Inspector und sah mit düsterer Miene auf das Anwesen. „Schlüpfrige DVD-Videos müsste man produzieren.“

Florence Cassell grinste breit. „Schlüpfrig, Sir?“

Der Mann lächelte in der Erinnerung. „Sarah nannte es so. In Ordnung, dann wollen wir uns mal im Innern der Villa umsehen. Vielleicht bekommen wir so einen kleinen Einblick, was für ein Mann dieser Anthony Rodriguez war.“

„Ich will das, abseits der Ermittlungen, gar nicht allzu genau wissen, Sir.“

Sie stiegen aus und betraten die Villa. Ihre Schritte hallten seltsam laut im Foyer und nachdenklich murmelte Faulkner: „Wissen wir etwas über eventuell hier tätiges Personal, Florence? Im Moment wirkt die Villa wie ausgestorben.“

„Ich habe Officer Karr vorhin gebeten, sich darum zu kümmern, Sir. Die Liste der Angestellten sollte vorliegen, wenn wir zurück sind.“

Faulkner nickte zufrieden. „Sehr gut. Dann wollen wir mal.“

Der Brite schloss die Eingangstür zur Empfangshalle auf, nachdem er beim dritten Versuch den richtigen Schlüssel erwischt hatte. Inzwischen war es draußen hell genug, dass sie darauf verzichten konnten das Licht einzuschalten.

Nachdem sie sich fast eine Stunde lang in der Parterre und in der oberen Etage umgesehen hatte, ohne etwas von Relevanz zu entdecken, abgesehen von dem privaten Laptop des Verstorbenen, begaben sich die beiden Polizisten ins Untergeschoss. Hier schaltete Faulkner, der voranging, das Licht ein.

Unten angekommen blieben sie stehen. Ihnen wurde sofort klar, wo die Videos gedreht wurden, die Anthony Rodriguez produziert hatte. Neben dem Kamera- und Beleuchtungs-Equipment gab es in der einen Hälfte des großen Studios ein riesiges Bett, in dem ein halbes Dutzend Menschen mühelos Platz gefunden hätte.

Als Faulkner mit seiner Kollegin die andere Hälfte des Studios in Augenschein nahm, schüttelte Florence ihren Kopf und deutete auf eine lederne Unterlage, die an vier Ketten von der Decke hing. An den Ketten wiederum hingen Schlaufen für Arme und Beine. „Eine sogenannte Liebesschaukel, Sir. Sieht nach einem Sado-Maso-Bereich aus, wie in dem Film Fifty Shades of Grey. Die Bücher gefielen mir übrigens wesentlich besser, als die Filme.“

Erst nach einigen Augenblicken fiel Florence auf, dass der Inspector nichts sagte, sondern sie nur fragend ansah. Sie sah zu ihm und erkundigte sich: „Ist etwas, Sir?“

Der Inspector hob abwehrend die Hände. „Nein, überhaupt nicht. Sehen wir uns lieber nach Datenträgern um.“

Florence hob unmerklich ihre Augenbrauen und erlaubte sich ein feines Lächeln, als sie zum entgegengesetzten Ende des Studios schritt.

Erst nach fast einer Minute fragte Derrick Faulkner: „Sie haben die Bücher gelesen?“

„Alle drei, Chief.“

„Interessant.“

Wieder wurde es still und sie durchsuchten die Schränke an den Wänden. Erst nach einer geraumen Weile fügte Florence amüsiert hinzu: „Ich habe auch Baise-Moi gelesen. Von Virginie Despentes – sehr spannend, Sir.“

„Leihen Sie mir die Bücher mal?“, erkundigte sich Faulkner schließlich, nachdem er in einem kleinen Nebenraum verschwunden war. „Ich kenne nur den ersten Film, und von dem zuletzt genannten Roman habe ich noch gar nicht gehört.“

Ein Lachen kam aus dem Studio. „Kein Problem, Chief. Aber ich dachte…“

Als sich die Polizistin unterbrach, sah Faulkner neugierig zu ihr ins Studio. „Was dachten Sie, Florence?“

„Ach nichts, Sir. Fast hätte ich etwas Ungehöriges gesagt.“

Der Mann kam mit einigen Datenträgern zu Florence ins Studio und meinte bestimmt: „Dann möchte ich es erst recht erfahren. Also, was dachten Sie?“

„Ich dachte, Ihr Liebesleben würde gut verlaufen, wollte ich sagen. Aber das war wirklich nur als Scherz gemeint, Sir.“

Faulkner musterte Florence für einen Moment und schmunzelte dann unmerklich. Er schien etwas sagen zu wollen, unterließ es dann jedoch.

Das kurze Innehalten genügte der Polizistin jedoch, um zu erkennen, dass ihrem Vorgesetzten etwas auf der Seele lag. Vorsichtig fragte sie: „Es ist doch alles in Ordnung? Zwischen Ihnen und Céline meine ich.“

Der Mann zögerte, bevor er sich einen Ruck gab und zugab: „So dachte ich bisher, doch irgendetwas hat sich verändert. Weniger, was Céline betrifft. Es ist mehr ein Gefühl, das sich bei mir selbst eingeschlichen hat. Na ja, Sie wissen ja um die Art unserer Beziehung. Zuerst hat alles gepasst. In den letzten Wochen habe ich jedoch immer wieder einmal gespürt, dass sich da immer öfter eine gewisse Unzufriedenheit einschleicht. Anfangs dachte ich, dass diese Art von Beziehung genau richtig für mich ist, doch jetzt…“

„Jetzt nicht mehr?“

Faulkner hatte Mühe dem forschenden Blick seiner Kollegin standzuhalten. Endlich gab er zu: „Nein, jetzt nicht mehr. Im Grunde sehne ich mich nach einer Partnerin, die ich nicht teilen muss. Das wurde mir zuletzt immer deutlicher bewusst. Auf der anderen Seite empfinde ich sehr viel für Céline. Ich möchte sie nicht verlieren.“

„Glauben Sie, Céline wird ihren Lebenswandel für Sie ändern, Chief?“

Faulkner schüttelte stumm den Kopf und atmete tief durch. Erst nach einem langen Moment sagte er: „Nein, mein Gefühl sagt mir, dass sie das niemals tun wird.“

Für eine Weile sahen sie sich an, bevor Florence Cassell leise meinte: „Sie werden nicht um eine Entscheidung herumkommen, Sir.“

Faulkner nickte und räusperte sich dann. „Machen wir weiter, Florence.“

Die Frau verstand den Wink und wandte sich wieder den Datenträgern zu, die sie gefunden hatte und nun zusammen auf eine Ablage legte. Danach sah sie kurz in die Dateien, auf einem der beiden Laptops, die sich ebenfalls hier befanden.

Ein helles, wollüstiges Stöhnen drang aus den Lautsprechern eines der Geräte, als sie eine der Dateien ansah und entschuldigend sah Florence über die Schulter. „Tut mir leid, Sir, ich stelle besser den Ton ab.“

Die Frau hörte nur ein zustimmendes Brummen, während sie wieder auf den Bildschirm sah. Im nächsten Moment verharrte sie. Schnell schloss sie das File und sah kurz über die Schulter, um sich zu vergewissern, dass ihr der Detective-Inspector immer noch den Rücken zuwandte. Den Laptop schließend erklärte sie: „Das Material sichten wir besser auf dem Revier, Chief. Das wird bei der Fülle von Dateien und Datenträger eine Weile dauern.“

Ein leises Seufzen war die Antwort. „Sie haben recht, Florence. Stellen wir sicher, was da ist und begeben uns auf den Rückweg. Diese Umgebung fängt allmählich an, mich zu deprimieren. Wir machen unterwegs am Krankenhaus Halt, wegen meines Fußgelenks.“



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