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Drivers getting installed


 

12. Drivers getting installed
 

In sich gekehrt saß Atemu auf den aufgereihten Stühlen im Besucherbereich des Krankenhauses und wartete geduldig darauf, dass Setos Privatjet bereit für die Abreise war. Tea und Tristan unterhielten sich in einiger Distanz zu ihm leise miteinander und der Pharao spürte förmlich, dass er selbst Gegenstand des angespannten Gesprächs war. Tristan blickte neugierig und etwas nervös zu ihm herüber. Er hatte wenig Feingefühl für komplexe soziale Sachverhalte und würde nicht mit ihm sprechen, bis Gras über die Sache gewachsen war. Das wusste Atemu. Falls das jemals der Fall sein würde, verstand sich.
 

Er fühlte sich ansteckend, ausgestoßen. Isoliert. Offenbar war er von einem gewöhnlichen menschlichen Individuum zu einer exotischen, potenziell gefährlichen Kreatur, einem ambigen Schwellenwesen mutiert.
 

Zumindest Tea kam irgendwann langsam zu ihm herüber und setzte sich neben ihn. Er konnte ihr unaufdringliches Parfüm riechen und spürte, dass sie es gut mit ihm meinte. „Atemu, hör zu … wir haben natürlich gehört, was … vorgefallen ist.“ „Natürlich“, murmelte der ehemalige Pharao tonlos. „Und naja … ich würde gerne deine Sicht der Dinge hören. Möchtest du mit uns darüber sprechen?“ Er hob den Blick und sah die junge Frau direkt an. Schließlich schüttelte er langsam den Kopf. „Alles ist ganz genau so, wie Mokuba es euch erzählt hat. Es gibt keine andere Sicht auf die Dinge und sollte auch keine geben.“ „Ähm … okay. Verstehe“, antwortete Tea verunsichert, „dann … lasse ich dich wohl besser wieder allein.“ „Danke“, sagte Atemu leise.
 

Er hatte jegliches Gefühl für Zeit verloren, als Mokuba schließlich aus Setos Zimmer trat und auf ihn zuschritt. „Komm mit“, sagte er in geschäftlichem Tonfall und führte ihn nach draußen. Schließlich übergab er ihn an einen Piloten, der ihn in das Flugzeug dirigierte und ihm einen Platz zuwies. Es war, als fänden die Dinge an ihm vorbei statt, ohne seine Anwesenheit. Er war alleine. Und war er das nicht irgendwie immer schon gewesen? Er war sich selbst so fremd wie er es für die Menschen in seinem Umfeld mit hoher Wahrscheinlichkeit geworden war. Und gleichzeitig hatte er den Eindruck gewonnen, sich jetzt besser zu kennen als jemals zuvor. Vielleicht hatte er heute etwas über sich selbst gelernt.
 

Zu Hause angekommen starrte er lange auf sein Mobiltelefon und liebäugelte damit, Yugis Nummer zu wählen. Aber was hätte er ihm sagen sollen? Er ertrug es im Augenblick nicht, sich seine Moralpredigten und sein „Ich hab’s dir ja gesagt“ anzuhören, seine enttäuschten Blicke auf sich ruhen zu spüren. Auch wenn er es wahrscheinlich verdient hatte. Zumindest wollten alle ihn das Glauben machen.
 

Er wollte diese ganze Sache jetzt einfach vergessen, wollte allein bleiben und doch nicht mit seinen Gedanken alleine sein. Er war müde und rastlos, schuldbewusst und trotzig, resigniert und enthusiastisch, ohne zu wissen, auf was er seine Energie lenken sollte. Er sehnte sich nach der Gesellschaft von jemandem, der nichts davon wusste, was er getan hatte. Oder es nicht wertete.
 

Mit diesen miteinander in Konflikt stehenden Gefühlen klopfte er schließlich noch am Abend seiner Ankunft an Bakuras Tür. Dieser ließ ihn wortlos, wie beiläufig ein, als wäre sein Besuch nichts, das ihn in irgendeiner Weise verwunderte. „Willst du nicht wissen, was ich noch hier will?“, fragte der Pharao etwas verunsichert. „Liegt das denn nicht auf der Hand?“, der Geist des Milleniumsringes zog eine Braue nach oben, „ich bin der einzige, an den du dich wenden kannst nach alldem. Hab ich nicht Recht? Der einzige, der dich nicht verurteilt.“ Atemu nickte ertappt. „Also, dann schieß mal los. Was darf es denn dieses Mal sein? Ein weiterer Vergessenszauber? Diesmal für dich?“ „Was? … Nein, nein, ich bin nicht hier, um etwas zu kaufen. Ich … will nur reden.“ Nun war es Bakura, der sich verwundert umwandte. „Reden? Ausgerechnet mit mir?“
 

Wenig später saß der Pharao auf dem ranzigen Sofa, in eine kratzige Decke gehüllt. Das Wetter war bereits herbstlich und es war unverschämt kalt in Bakuras heruntergekommener Bleibe. „Weißt du, was das Verrückteste an der ganzen Sache ist?“, fragte er, bevor er einen Schluck von seinem Tee nahm, der abenteuerlich und nach aufregenden Gewürzen schmeckte. Etwas Vergleichbares hatte er noch nie getrunken und nahm gleich einen weiteren Schluck, um diesen intensiven Eindruck weiter zu ergründen. „Du wirst es mir sicherlich gleich offenbaren“, gluckste Bakura. „Dass ich es noch immer nicht wirklich bereue. Ich meine, jetzt müsste doch dieser Moment des Einsehens und der Schuldgefühle und des Verlustes einschlagen wie eine Bombe und mich von den Füßen hauen. Aber – nichts. Nichts dergleichen.“
 

Der Geist des Milleniumsringes seufzte und goss seinem Gast Tee nach, da der Inhalt von dessen Tasse bereits zur Neige ging. „Das verwundert mich nicht“, entgegnete er schließlich. „Wie meinst du das?“, der Pharao beäugte ihn kritisch. „Naja, wie soll ich dir das am besten sagen?“, zum ersten Mal schien der Ringgeist nach den richtigen Worten zu suchen, bevor er sprach, „es ist doch offensichtlich, dass du mittlerweile mehr Gefallen daran gefunden hast, deinen Hohepriesterverschnitt zu zähmen und zu erobern als daran, dir seiner Zuneigung sicher zu sein. Du hast den Kick dieses Versteck- und Fangenspiels gebraucht und es hat dich mehr gepusht, das Spiel zu spielen, als es zu gewinnen.“ Atemu sagte nichts, aber er bestritt auch nicht. Er wusste, dass Bakuras Worte in eine Kerbe in seinem Inneren schlugen, auch wenn sie widerlich klangen. Sie schwiegen für einige Sekunden. „Um ehrlich zu sein“, setzte der Pharao erneut an, „ich weiß nicht mal mehr, ob ich mich in Seto verliebt habe oder vielmehr in die Idee, derjenige zu sein, der seine Mauer durchbricht.“
 

„Willst du mich denn eigentlich nicht einen Kopf kürzer machen, weil ich mich bei diesem kleinen Mini-Playback-Kaiba verplaudert hab?“, wollte der antike Geist schließlich wissen. Atemu schüttelte lediglich den Kopf. „Das alles ist auf meinen Mist gewachsen. Ich bin nicht mehr daran interessiert, jemand anderem die Schuld in die Schuhe zu schieben. Diese Suppe habe ich mir eingebrockt und werde sie auch auslöffeln.“
 

Bakura war auch isoliert, wie er. Das stand ihm nun deutlich vor Augen. Aber er schien wesentlich besser mit dieser Tatsache klarzukommen als er selbst. „Wie machst du es?“, fragte er mit ehrlicher Neugierde. „Was?“, gähnte Bakura gelangweilt. „Na, wie ist es dir so egal geworden, was der Rest der Welt von dir hält?“ „Ach das“, jetzt grinste Bakura ihn frech an, „wenn du eine selbsterfüllende Prophezeiung bist, dann fügst du dich irgendwann in dein Schicksal und lebst das, was alle ohnehin schon on dir denken. Und ganz ehrlich: So übel ist dieses Leben gar nicht.“ Nun zuckten seltsamerweise auch Atemus Mundwinkel und auf seinen Lippen formte sich ein leichtes Lächeln. Er glaubte zu verstehen. Zum ersten Mal, seit er vor zehn Monaten diese Wohnung betreten hatte, studierte er Bakuras Gesicht. Es wirkte vom Leben gezeichnet, manchmal gleichgültig, aber nicht uninteressant.
 

„Was wirst du jetzt tun?“, fragte Bakura nachdenklich. „Ich hab nicht die geringste Ahnung“, antwortete Atemu schwermütig. Sein Blick schweifte durch den Raum und blieb schließlich an den Gefäßen mit der wabernden Materie hängen. „Kannst du mir was zeigen?“ „Was meinst du´“, fragte Bakura in einem Ton, der einen Deut zu genervt klang, um nicht aufgesetzt zu wirken. „Du weißt schon – irgendein Kunststück. Einen coolen Zauber“, insistierte der Paarao unbeeindruckt. Alles, was er sich wünschte, war etwas, das seine Gedanken konzentrierte und von der Leere ablenkte, die sich vor ihm auftat.
 

„Also schön“, seufzte Bakura gedehnt, „fangen wir mit etwas Leichtem an.“ „Verstehe“, nickte Atemu. In diesem Moment klingelte sein Mobiltelefon und Yugis Name wurde auf dem Display angezeigt. Der ehemalige Pharao blickte einen Moment darauf, dann drückte er den Anruf weg. „Okay!“, sagte er, „ich bin ganz Ohr!“ Die Augenbraue des Ringgeists flog amüsiert nach oben. „Keine Sorge“, sagte er, „deinen Besuch hier werde ich auch diesmal diskret behandeln.“ Doch der Pharao schüttelte müde den Kopf. „Nein, schon gut. Ich wollte herkommen. Es kümmert mich nicht mehr, wer davon weiß.“
 

~*~
 

Als Atemu erwachte, genoss er die Schwerelosigkeit, bevor seine Gedanken zu ihm zurückkehrten. Eine Wärme umgab ihn und er kuschelte sich dankbar hinein. Gleichzeitig spürte er, dass ihn etwas Raues umgab. Und ein vertrauter Geruch. Er schlug die Augen auf. Lose über seinen Schultern lag die Decke, die Bakura ihm gestern entgegengeworfen hatte. Er konnte sich nicht daran erinnern, sie sich übergestreift zu haben oder überhaupt eingeschlafen zu sein.
 

Kaum ein Laut war zu vernehmen und die Möbel um ihn herum waren dank der zugezogenen Jalousien nicht mehr als unscharfe Schemen. Unwillig schloss er noch einmal die Augen, als ihn ein ohrenbetäubendes Pochen an der Tür urplötzlich hochschrecken ließ. Alarmiert und mit beschleunigendem Puls fuhr er hoch, unschlüssig, was er tun sollte. Noch einmal sah er sich um. Von Bakura war weit und breit keine Spur zu sehen. Wieder pochte es ungeduldig an die Tür. „Hallo? Ist jemand da?! Bakura? Ich komme, um die Ware abholen!“ „Augenblick, ich bin gleich da!“, rief Atemu, mehr als einem Reflex heraus. Schließlich eilte er zum Fenster und zog schwungvoll die Jalousien nach oben. Dann durchquerte er das Zimmer und öffnete vorsichtig die Tür einen Spalt breit.
 

Da er ein gutes Gespür für Menschen hatte, begriff er sofort, dass von dem Mitdreißiger, der dort vor der Tür stand, keinerlei Gefahr ausging. Flehend und fast verzweifelt blinzelte dieser ihm entgegen. „Sie sind nicht Bakura“, stellte er überflüssigerweise fest. Noch bevor Atemu etwas entgegnen konnte, fuhr er fort: „Ich will eigentlich nur meine Bestellung abholen. Es ist wirklich ... dringend.“
 

„Oh, verstehe“, Atemus Augen suchten hektisch den Raum ab und schweiften über die Utensilien, die seit gestern noch unverändert und unordentlich auf dem kleinen Tischchen mit der Zeitung unter dem zu kurzen Stempel standen. Darauf hatten sie gestern einen Selbstbewusstseins-Zauber geprobt. Schließlich blieb sein Blick an einem Regal hängen, in dem ein geöffneter Hefter lag. Irgendetwas schien Bakura dort eingetragen zu haben. Der Pharao fischte sich den Ordner und fand seine Vermutung bestätigt. Darin waren in schludriger Handschrift Namen von Kundinnen und Kunden, Bestellungen und Preislisten festgehalten. Neben dem Ordner standen einige vorbereitete Päckchen, Säckchen und Umschläge.
 

„Das haben wir gleich“, lächelte er dem nervösen Kunden zu, „wie war noch gleich Ihr Name?“ „Sakurabi“, erklärte der Mann bereitwillig. Atemu überflog die Liste und fand glücklicherweise einen passenden Eintrag. „Ah ja, Anerkennungszauber!“, rezitierte er. „Richtig, richtig“, nickte der Kunde eifrig und zugleich etwas unangenehm berührt. „Hier haben wir es auch schon, Herr Sakurabi.“ Er nahm eine kleine Pralinenschachtel mit dem entsprechenden Namensschild vom Regalbrett, „das macht dann 20.000 Yen.“ „Ja, natürlich“, mit sichtlicher Erleichterung angelte der Mann seine Brieftasche aus seinem Sakko und begann, einige Scheine abzuzählen.
 

„Sie wirken etwas gestresst“, konnte sich Atemu den Kommentar nicht verkneifen, „darf ich Ihnen vielleicht als kleines Goodie einen Entspannungszauber vorschlagen?“ Der Mann hielt in seinem Tun inne und sah den ehemaligen Herrscher interessiert an. „Ach … wie aufmerksam. Das hört sich in der Tat an, als wäre es etwas für mich. In letzter Zeit bin ich tatsächlich ziemlich unter Strom, wissen Sie?“ „Ich weiß, wovon Sie sprechen“, lächelte Atemu freundlich und konnte förmlich beobachten, wie der Kunde ruhiger und weniger gehetzt wirkte, „und glauben Sie mir, diesen Zauber kann ich Ihnen aus persönlicher Erfahrung empfehlen. Ich wende ihn selbst ab und zu an und er ist jeden Yen wert. Und wissen Sie was? Für Stammkunden gibt es das Ganze zum Sonderpreis. Nur 25.000 Yen alles zusammen. Was sagen Sie?“ „Ich sage: Da kann ich wohl kaum ablehnen!“, nickte Herr Sakurabi. „Sie werden es nicht bereuen!“, lächelte der Pharao höflich.
 

Wie er es zuvor bereits einige Male getan hatte, nahm er aus einer großen Tüte einige Teeblätter und füllte sie in eine kleinere Papiertüte ab. Für einen Augenblick schloss er die Augen und fokussierte sein Inneres auf die Magie, die Bakura ihm beigebracht hatte, ließ die Kraft, die in seinem Puzzle eingeschlossen war, in seinen Körper fließen und konzentrierte sie auf den Zauber, den er wirken wollte. Schließlich hielt er seine Hand locker über die offene Papiertüte und ließ er die freigesetzte Magie durch seine Fingerspitzen in die abgefüllten Teeblätter rieseln. Endlich verschloss er die Tüte und reichte sie dem Kunden.
 

Genau in diesem Augenblick öffnete sich die Tür zum Nebenraum und Bakura betrat das Zimmer. „Ah, guten Morgen!“, grüßte Herr Sakurabi verlegen, „ich bin bereits bedient worden von diesem reizenden jungen Mann.“ „Ja, das sehe ich“, stellte der Ringgeist trocken fest. „Sehr freundlich, wirklich, Ihr Assiste …“ „Partner“, unterbrach ihn Bakura bestimmt und trat neben den Pharao. „Wie nett. Ich sehe, das Geschäft floriert. Also dann bis nächste Woche!“
 

„Bist du verrückt geworden?!“, blaffte Atemu ihn an, sobald der Kunde aus der Tür war, „was erlaubst du dir?! Was soll das heißen, ‚Partner‘?!“ Bakura grinste schief. „Das heißt, was es heißt. Bei deinem Sinn fürs Geschäft und deinem verkäuferischen Charme, von dem ich da soeben Zeuge geworden bin, können wir unsere Umsätze verdoppeln. Und das heißt, dieses Unternehmen hat gut Platz für zwei Mitarbeiter. Wenn du interessiert bist, versteht sich.“
 

~*~
 

„Ich glaube das einfach nicht.“ Langsam schüttelte Mokuba den Kopf und strich sich fahrig durch sein schwarzes Haar. „Ich weiß nicht, was ich dir sagen soll. Es tut mir ehrlich leid, Mokuba“, sagte Yugi, der ihm gegenüber am Küchentisch in der kleinen Wohnung über „Muto-Spiele“ saß. Er wirkte sichtlich zerknirscht. „Ich weiß ja, dass Atemu dir wichtig ist“, fuhr Mokuba mit zusammengezogenen Brauen fort, „aber sowas zu vertuschen … so kenne ich dich gar nicht. Ich hätte von dir echt anderes erwartet.“
 

Yugi senkte kleinlaut den Blick. „Hätte ich gewusst, welchen Rattenschwanz das Ganze nach sich zieht, hätte ich mich mit dir in Verbindung gesetzt“, murmelte er, „aber dass Atemu mit Bakura einen Deal gemacht hat, habe ich erst von Ryou erfahren, als die Sache schon über die Bühne war. Und auch dann wusste ich auch nicht wirklich, um was es bei der Abmachung ging. Erst nachdem dein Bruder sein Gedächtnis verloren hatte, ist es mir gedämmert, welche Magie Atemu sich von Bakura erkauft hat. Und ich … ja, ich gebe zu, ich wollte nicht, dass Atemu Schwierigkeiten bekommt. Ich wollte ihm die Chance geben, seine Handlungen zu bereuen oder sogar rückgängig zu machen. Er … steht mir ja trotz allem nahe und war ein wichtiger Teil von mir. Und ich denke, so irre das auch klingt, Ryou geht es da genauso.“
 

Ryou nickte ernst, sagte aber nichts weiter. Immerhin hatte er selbst mit den Kaibas wenig zu tun und war Mokuba nicht dieselbe Rechenschaft schuldig, die dieser nun von Yugi rückwirkend verlangte. „Und …“, ergänzte dieser nun etwas weniger enthusiastisch, „ich muss gestehen, ich wollte auch nicht in die Schusslinie geraten. Ich hatte mit der Sache nichts zu tun und wollte nicht derjenige sein, der sich einmischt und alles auffliegen lässt.“
 

Mokuba schwieg eine ganze Weile. Er wusste, hätte sein Bruder ähnlich unrecht gehandelt und dieses Handeln hätte Auswirkungen auf Yugi oder dessen Freunde gehabt, wäre es ihm ebenfalls nicht leichtgefallen, Seto an den Pranger zu stellen. Er musste sich zähneknirschend eingestehen, dass er womöglich ebenso die Füße stillgehalten hätte. „Wie auch immer“, sagte er schließlich etwas frostig, „die Sache ist erledigt. Reden wir nicht mehr davon.“
 

„Heißt das denn jetzt, Kaiba ist wieder der arrogante Sack, den wir kennen und … hassen?“, fragte Joey salopp und fing sich sofort strafende Blicke von Yugi und Mokuba ein. „Schon gut, schon gut, schaut mich nicht so an. Ich mein ja nur: Ich für meinen Teil bin froh, dass dieser irre Spuk vorbei ist. Diese Stadt war mir schon ziemlich langweilig ohne einen reichen Pinkel, über den man sich aufregen kann.“
 

„Wo ist dein Bruder jetzt?“, wollte Tristan wissen. „Er ist in der KaibaCorp. und will dort nach dem Rechten sehen“, erklärte Mokuba, „ich fahre jetzt ebenfalls hin und sehe, ob ich ihm helfen kann.“ Setos Krankenhausaufenthalt hatte, wie zu erwarten, nicht lange angedauert. Bereits nach weniger als 24 Stunden hatte er sich kurzerhand selbst entlassen und erklärt, dass sein eigenes, ohnehin besser ausgebildetes medizinisches Team seinen Zustand im Auge behalten würde. Allerdings fühlte er sich bereits vollständig wiederhergestellt. Nicht nur körperlich, nein. Auch und vor allem sein Kopf arbeitete effizienter denn je. Nachdem er die letzten Termine seiner Marketingkampagne wahrgenommen hatte, flog er nach Domino zurück und ließ sich von Roland unverzüglich zur Firma bringen, um aufzuarbeiten, was er in den letzten Monaten einem unerfahrenen Stümper mit seinem Körper hatte überlassen müssen.
 

So fand ihn Mokuba an diesem Tag vertieft über seinem Schreibtisch brütend, als dieser die Chefetage betrat. „Wie kommst du voran?“, fragte er neugierig. „Wie man‘s nimmt. Ich muss einiges aufholen und vor allem unseren Kurs an mehreren Stellen korrigieren. Es ist mir ein Rätsel, wie jemand mit meinem Verstand so ineffizient denken und einige für das Unternehmen so unprofitable Entscheidungen treffen konnte.“ Er begriff es tatsächlich nicht im Ansatz, und er tat ohnehin besser daran, all das weit von sich wegzuschieben und seinen Führungsstil des vergangenen Jahres zu behandeln, als wäre es der eines anderen gewesen. Alles andere hätte ihn wohl in eine erneute geistige Krise gestürzt.
 

„Welche Entscheidungen meinst du genau?“, fragte sein Bruder nun ehrlich interessiert und Seto blickte zu ihm auf, verblüfft darüber, dass der Jüngere diese Frage überhaupt als diskutabel erachtete. „Ich meine zum Beispiel all die Verantwortung, die plötzlich auf verschiedene Positionen verteilt ist. Das geht entschieden zu weit. Man sagt nicht umsonst, viele Köche verderben den Brei. Und ich verlasse mich sicher nicht auf einen Haufen unerfahrener Laien, wenn es um wichtige interne Prozesse geht.“ „Ich … denke, dein Gedanke dabei war, dass diese Mitarbeitenden durch die neue Verantwortung schnell lernen und an Selbstbewusstsein gewinnen. Und dass sie sich auf ihren Positionen wohlfühlen, wenn sie merken, dass man Ihnen etwas zutraut und Ihre Arbeit wertschätzt“, erklärte Mokuba ruhig, aber ein wenig zurückhaltend, „du … hattest da so ein Buch gelesen … einen Ratgeber …“ Gegen Ende des Satzes war er immer leiser geworden, ängstlich, das gefürchtete Wort überhaupt in den Mund zu nehmen.
 

Setos Blick, der bereits wieder einige Akten überflogen hatte, schnellte erneut zu seinem Bruder und er zog lediglich vielsagend eine Augenbraue nach oben. „Einen Ratgeber“, stellte er fest und spie das Wort förmlich aus, als wäre es eine vergiftete Mahlzeit, „findest du nicht, das sagt bereits alles? Oh, ich verachte diesen kleinen Pharao-Verschnitt so unendlich dafür, dass er es zugelassen hat, meine Firma in den Ruin zu treiben, indem sie von einem ratgeberlesenden, inkompetenten Weichei geführt wird!!“ Damit schien das Thema für ihn beendet zu sein und er schritt zum nächsten Tagesordnungspunkt, „ach apropos, Mokuba, sei so gut und gib Roland diese Vertragsvorlagen zur geplanten Kooperation mit der Schroeder-Corp. für den Aktenvernichter, ja?“
 

„Du willst die Kooperation platzen lassen?! Aber warum denn?!“, nun klang Mokubas Ton bewegter und hörbar schockiert. „Aber natürlich. Ich arbete nicht mit Idioten zusammen. Das ist wohl Grund genug. Und abgesehen davon habe ich es durchgespielt. Von einer solchen Partnerschaft hätten wir keinerlei Nutzen. Dieser lächerliche Clown-Verein würde uns nur mit deren Problemen belasten, die wir dann ausbügeln können.“
 

Für einige Sekunden stand Mokuba lediglich da. Er wusste nicht recht, was er erwidern sollte. Er wollte Seto nicht erneut widersprechen und ihm dadurch den Eindruck vermitteln, dass er Entscheidungen seines erinnerungslosen Pendants zu befürwortete und seine heutigen anzweifelte. Aber er konnte auch nicht leugnen, dass es ihm unsagbar wehtat, dass all die behutsamen Anbahnungen der beiden Firmen und die Entwicklung der KaibaCorp. zu einem mitarbeiterfreundlicheren Arbeitgeber von jetzt auf gleich in Scherben lagen.
 

Seto schien seinen inneren Zwiespalt zu spüren. Er erhob sich und schritt auf ihn zu. „Wie ich merke, bist du nicht einverstanden“, stellte er trocken fest. „Nein, das … so wollte ich das nicht … ich … ich weiß nicht so recht, wie ich es sagen soll, Seto. Aber es war nicht alles schlecht, was du in den letzten Monaten getan hast. Ich denke, es war nicht zwangsläufig der falsche Weg. Sondern eben lediglich ein anderer.“ Nun war es an Seto, zu schweigen. „Nun“, sagte er, „ich bin nicht mehr dieser Mensch. Und das bedeutet, dass ich die Dinge auf meine Weise regele. Da du aber ein entscheidender Teil dieser Firma bist und dir ein großes Mitspracherecht zusteht, schlage ich vor, dass wir die endgültige Entscheidung nochmal vertagen. Ich erwarte von dir bis Montagmorgen eine Präsentation aller stichhaltigen Argumente für eine Kooperation mit den Schroeders. Wenn du mich damit überzeugen kannst, können wir die Sache neu verhandeln. Bist du damit einverstanden?“ Mokuba nickte. Das klang fair. „In Ordnung“, sagte er.
 

Seto legte ihm eine Hand auf die Schulter und lächelte leicht. „Ich habe den Eindruck, wir müssen uns beide an diese neue … alte Situation erst wieder gewöhnen und uns neu alignieren.“ „Scheint so“, auch Mokuba grinste nun. Es war wohl naiv zu glauben, dass man einfach an dem Punkt weitermachen konnte, an dem man aufgehört hatte. Nicht nach allem, was geschehen war.



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