Zum Inhalt der Seite

Reboot

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Damage beyond Repair


 

13. Damage beyond Repair
 

Würden diese Schmerzen jemals aufhören? Würde er jemals seinen Körper wieder so spüren, wie er ihn kannte? Heil und ohne die zahlreichen Prellungen und das unerträgliche Pochen in seinem Kopf? Alles, was er wollte, war schlafen. Nichts mehr spüren, bis diese Situation ein Ende nahm. Egal welches Ende. Hauptsache irgendeines.
 

Aber sie ließen ihn nicht. Alle paar Stunden öffnete sich eine schwere Metalltür und er wurde rüde aus seinem lethargischen Dämmerzustand gerissen. Sie rollten ihn auf dem Rücken, grinsten voller Genugtuung auf ihn herab. Verpassten ihm unzählige Tritte, bis er ihnen das sagte, was sie hören wollten. „Kaiba wird so richtig blechen“, triumphierten sie hämisch, „wir behalten dich noch ein paar Tage hier. Dieser loyale Trottel würde doch alles tun, damit sein kleiner, heißgeliebter Bruder am Leben bleibt. Wir nehmen ihn aus wie eine Weihnachtsgans. Er wird doch für dich jeden nur erdenklichen Betrag zahlen, oder was denkst du, Kleiner?“
 

Mokubas Lider flatterten erschöpft. „Vermutlich“, nuschelte er. „Wie bitte? Sprich deutlich! Ich hab dich überhaupt nicht verstanden“, raspelte einer der unbekannten Männer und verpasste ihm einen weiteren Tritt, diesmal direkt auf sein Kinn. Mokubas Kiefer schmerzte. Alles schmerzte. „Sag es lauter“, feixte sein Peiniger. „Ja, er wird das Lösegeld zahlen“, brachte der jüngere Kaiba mit rauer, heiserer Stimme hervor und dachte gleichzeitig mit Sorge an Seto. Natürlich würde er zahlen, aber was würde das für ihn bedeuten? Für die Firma? Oder hatte sein Bruder bereits einen anderen Plan?
 

„Hey, denkst du nicht, das reicht langsam mal?“, mahnte jetzt eine dunklere, ruhigere Stimme. Insgesamt waren diese Typen zu dritt. Jedenfalls hatte Mokuba bisher sonst niemanden gesehen. „Wieso denn?“, schnappte der Mann, der ihn getreten hatte, zurück, „wir haben Kaiba lediglich versprochen, dass er die kleine Nervensäge lebend zurückbekommt. Den Zustand, in dem er sich dann befindet, haben wir nicht näher beschrieben.“ „Du bist widerlich“, sagte die ruhigere Stimme distanziert, „es geht hier ums Geld und nicht um deine kranken Vorlieben.“
 

Der andere Mann schnaubte verächtlich und schoss dann wie jeden Tag ein Foto mit der tagesaktuellen Zeitung. Endlich schloss sich die schwere Metalltür und der Schlüssel drehte sich im Schloss. Mokuba hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war, wie viel Uhr es war oder wo er sich befand. Und scheinbar hatte Seto letzteres ebenfalls noch nicht herausgefunden. Sonst hätte er ihn längst hier rausgeholt. Und seine Hoffnung schwand mit jeder Minute. Und alles, was er wollte, war etwas Ruhe. Ruhe und Schlaf.
 

~*~
 

Seto saß neben dem Bett seines Bruders, der stumpfsinnig auf seine Hände hinabblickte. Es war nun eine Woche her, dass Mokuba aus dem Krankenhaus entlassen worden war. Er hatte zahlreiche Prellungen und Rippenbrüche davongetragen und zwei Zähne eingebüßt. Diese Verletzungen machten es für Seto nur zu deutlich, dass sein Bruder schreckliche Misshandlungen hatte durchleben müssen. Doch Mokubas körperliche Schmerzen waren nichts gegen den Schmerz, den der ältere Kaiba fühlte, wenn er dessen gebrochenen Blick sah. Darin lag nichts als Stumpfheit und Erschöpfung. Alles, für was er Mokuba immer so sehr geschätzt hatte, seine erfrischende Motivation, sein leichtes Gemüt, seine unerschöpfliche Energie, die andere ansteckte, – das alles gab es nicht mehr. Zumindest im Augenblick nicht. Und er wusste nicht, ob es jemals zurückkehren würde.
 

Warum hatte er diese ganze Episode nicht einfach vergessen können? Warum hatte sein Gehirn nicht in einer inneren Schutzreaktion diese traumatischen Erlebnisse weit aus seinem Bewusstsein verbannt? Seine Erinnerungen waren es, die seinen Körper und seine Seele vergifteten. Dieses Gift sickerte tiefer und tiefer, je öfter er das Erlebte wieder abrief. Und das tat er sehr oft. Jede Nacht im Schlaf hörte Seto seinen jüngeren Bruder schwer atmen und manchmal abrupt aufschreien. Seit er aus dem Krankenhaus zurückgekehrt war, hatte der ältere Kaiba nachts auf dem Sofa bei ihm im Zimmer geschlafen, weil Mokuba ihn leise darum gebeten hatte, ihn nicht alleinzulassen.
 

„Es tut mir so leid“, sagte Mokuba nun gedrückt. Setos Blick flog fassungslos zu ihm hin. „Mokuba, was um Himmels Willen müsste dir denn leidtun?! Mir tut es leid! Dass ich nicht früher da war, dass das überhaupt passiert ist! Einfach alles!“ Ein dicker Kloß bildete sich in seiner Kehle und er spürte, wie ihm die Tränen kamen, kämpfte jedoch tapfer dagegen an.
 

Wie hätte er es verhindern können? Hätte er Mokuba rund um die Uhr bewachen lassen sollen? Ihm das Leben eines normalen Teenagers verweigern? Hätte das die Situation wirklich geändert?
 

„Dass wir so viel Geld verloren haben. Und dass du jetzt so viel Arbeit mit mir hast, das tut mir leid“, murmelte Mokuba jetzt. Ja, Seto hatte das Lösegeld letztlich gezahlt. Zwar hatte er mit der Polizei zusammengearbeitet, aber am Ende war es ihm doch zu riskant gewesen. So waren die Täter entkommen und die Ermittlungen liefen weiter auf Hochtouren. Auch Seto selbst ließ privat weitere Nachforschungen anstellen. Aber all das konnte Mokuba nun nicht mehr helfen. In diesen zehn Tagen, in denen Mokuba verschwunden war, war auch Seto durch die Hölle gegangen. Doch nicht durch dieselbe Hölle, die sein Bruder durchlebt hatte, das wusste er sehr genau. Und noch immer hatte sein Bruder nicht ausführlich über das gesprochen, was dort mit ihm geschehen war.
 

„So ein Blödsinn! Nun hör endlich auf, dir wegen so etwas auch noch Vorwürfe zu machen!“ Mokuba war viel zu gut für diese raue Welt. Er von allen hatte am wenigsten verdient, was ihm widerfahren war. „Mokuba, bitte überleg dir, was ich dir gestern vorgeschlagen habe“, bat Seto seinen Bruder nun nachdrücklich. Aber sein Bruder schüttelte nur den Kopf. „Nein, ich will das nicht“, sagte er entschieden, „die Dinge sind nun mal, wie sie sind. Wir alle müssen mit unseren Erfahrungen leben. Niemand hat das Recht, daran etwas zu ändern oder sich aus der Affäre zu ziehen. Diese Erinnerungen gehören jetzt zu mir.“
 

In Setos Gesicht zeichnete sich Schmerz ab und eine heftige Woge der Verzweiflung überrollte ihn. Es war nicht fair. Nichts davon. Und diese Ohnmacht machte ihn so unsagbar wütend. Nachdem Mokuba schließlich eingeschlafen war, erhob er sich und verließ das Zimmer. Er trat auf den finsteren Flur hinaus, ließ seine Faust gegen die Wand krachen und endlich seinen heißen Tränen freien Lauf.
 

~*~
 

Die zarte Glocke an der Tür kündigte an, dass Kundschaft eingetreten war und Atemu trat lächelnd hinter den Tresen. „Guten Tag, was kann ich für Sie tun?“ „Ich wollte meine Bestellung abholen. Ich hatte angerufen“, sagte eine junge Frau mit braunem, geflochtenem Zopf. „Gern. Das waren fünf Brötchen, eine Flasche Olivenöl und 200g Frühlingszwiebeln, richtig?“ „Richtig. Und dann wäre da noch – die andere Bestellung“, lächelte die junge Frau halb verlegen, halb verschwörerisch, und zwirbelte eine lose Strähne ihres Haars zwischen ihren Fingern. „Aber natürlich“, sagte Atemu, griff unter den Tresen und angelte dort eine kleine Papiertüte hervor. „Darf es sonst nochwas sein?“, erkundigte er sich, während er alles über den Tresen reichte. „Nein, vielen Dank. Heute war es das.“
 

Nachdem er die Kundin abkassiert hatte, ging er zur Ladentür und drehte das Schild von „offen“ auf „geschlossen“. Dann streckte er sich ausgiebig. „Feierabend für heute?“, fragte eine vertraute Stimme hinter ihm. Bakura war in den Verkaufsraum getreten und öffnete routiniert die Kasse, um das Geld darin zu zählen. „Ja, mir reichts für heute“, lächelte Atemu, „ich geh nur noch ins Lager und packe die neuen Lieferungen aus.“
 

Es war ein sonniger Tag im Mai. Neun Monate waren vergangen, seit Atemu aus den USA zurückgekehrt war und Bakura ihm das Angebot unterbreitet hatte, sein Geschäftspartner zu werden. Zunächst war der ehemalige Pharao entrüstet über diesen brüsken Vorschlag gewesen. Wie konnte der Geist des Milleniumsrings nur ernsthaft glauben, dass er sich auf sein Niveau eines gemeinen Kleinkriminellen herabbegeben würde, der die innigsten Begehren der Menschen ausnutzte, um sie nach Strich und Faden auszunehmen? Aber die Wahrheit war … je länger er darüber nachgedacht hatte und je mehr Zeit ins Land gezogen war, desto deutlicher war ihm bewusstgeworden, dass sein Leben dringend einen neuen Kurs brauchte – und Bakuras Vorschlag der Richtungsweiser war, der ihm geradewegs vor die Füße gefallen war.
 

Irgendwann hatte er sich eingestehen müssen, dass die Abneigung, die er geglaubt hatte gegen Bakuras Geschäftskonzept zu hegen, im Grunde nur die Angst davor war, wie andere darüber urteilten. Er selbst fand die Art des Ringgeistes, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, vielmehr erfrischend und einfallsreich als moralisch verwerflich. Und so war ihm am Ende klargewesen, dass er in Wahrheit längst mit dem Angebot liebäugelte.
 

Anfangs hatte er sich um eine Antwort gedrückt, während er Bakura nach wie vor regelmäßig aufgesucht hatte, um von ihm neue Zauber zu lernen. Irgendwann war es dann schließlich nicht mehr nötig gewesen, seine Antwort auszuformulieren. Denn nach und nach war er immer weiter in Bakuras kleines Geschäft eingestiegen, ohne dass sie noch darüber sprechen mussten.
 

Es war Atemu, der schließlich auf den Einfall gekommen war, dass sie ihre Verkaufsräume aus Bakuras ranziger Einzimmerwohnung verlegen sollten. So hatten sie zwei kleine Zimmer in der Altstadt von Domino gemietet und darin einen kleinen Feinkostladen eröffnet. Von dort konnten sie auch ihre etwas anderen Transaktionen durchführen und ganz nebenbei die daraus gewonnenen Geldbeträge über das Konto des Ladens waschen.
 

Was Bakura ihm an Talent für Magie, an Ideen für neue Verkaufsschlager und an Gespür für die Bedürfnisse der Kundschaft voraushatte, konnte Atemu mit Charme beim Verkauf und planerischem Geschick aufwiegen. So ergänzten sie sich ausgesprochen gut. Und nicht nur das. In den letzten Monaten war zwischen ihnen so etwas wie eine Freundschaft entstanden. So genau konnte Atemu es nicht benennen, denn sie hatten nie offen darüber gesprochen.
 

Nachdem Atemus Mitbewohnerin an einer Uni in Tokyo angenommen wurde und aus ihrem WG-Zimmer auszog, war es die natürliche Konsequenz, dass Bakura sein Apartment kündigte und bei ihm einzog. Immerhin erfreute er sich mittlerweile eines regelmäßigen Einkommens und konnte sich etwas Besseres leisten als die vergilbten, winzigen vier Wände, die Atemu insgeheim liebgewonnen hatte und in denen sie sich viele Nächte beim Proben und Entwerfen neuer Zauber um die Ohren geschlagen hatten.
 

„Also dann“, sagte Bakura jetzt, „ich werd mich dann schon mal vom Acker machen. Bis später!“ „Ja, bis gleich“, sagte Atemu, „oh, soll ich uns was zum Abendessen von dem neuen Imbiss mitbringen?“ „Wenn du willst“, Bakura fischte sich seine Schlüssel vom Schlüsselbrett und öffnete die Ladentür. Dann jedoch stockte er und wandte sich noch einmal um: „Hey … hör mal“, begann er etwas zäh. „Hm?“, machte Atemu. „Erklär mir mal, wieso du das eigentlich machst.“ „Machst? Was meinst du?“ „Na, wieso du freiwillig Zeit mit jemandem wie mir verbringst?“, rückte der Ringgeist schließlich mit der Sprache heraus. Atemu, der bis eben einen Karton mit Gewürzen ausgepackt hatte, ließ nun von seinem Tun ab und sah Bakura an.
 

Es wunderte ihn nicht, dass dieser ihm eine solche Frage stellte. Und er zögerte mit einer Entgegnung nicht deshalb, weil er die Antwort darauf nicht kannte, sondern vielmehr, weil sie schwer in Worte zu fassen war.
 

Mit jedem Tag, den er mit Bakura verbrachte, fühlte er sich mehr und mehr wie er selbst. Es war heilsam für ihn, weil Bakura etwas verkörperte, was er selbst immer irgendwie gespürt hatte: Dass die Welt nicht in Schwarz und Weiß gemalt war. Dass man Gutes für Menschen tun konnte, obwohl man nach den Standards der meisten Menschen Unrechtes tat. Atemu sah in den Augen ihrer Kundinnen und Kunden, dass er und Bakura ihnen etwas geben konnten, ihnen auf eine Art und Weise helfen konnten, wie es niemand sonst konnte. Manche Menschen ließen sich in Arztpraxen Medikamente verschreiben, damit ihr Leben etwas erträglicher wurde. Und sndere kamen eben zu ihnen und holten sich hier ihre Ration Liebe, Selbstvertrauen und manchmal auch ein kleines Quantum Extra-Glück. So hatte er das Gefühl, dass er etwas in der Welt bewirken konnte. Und dass sie der Macht der Milleniumsgegenstände nun doch irgendwie einen besseren Sinn verliehen hatten.
 

Bakura hatte ihm diesen Weg nicht nur gezeigt, er war auch derjenige gewesen, der sich nicht von ihm abgewandt hatte, als ihm alle anderen das Gefühl gegeben hatten, dass er nur noch angewidert von sich selbst sein sollte. Derjenige, der von Anfang an nicht geheuchelt hatte, dass niemand außer ihm jemals andere Menschen aus egoistischen Motiven manipuliert hatte. Da hatte Atemu gewusst, dass es eine Seele auf dieser Welt gab, die war wie die seine. Allein das war der Grund, weshalb er heute sein Spiegelbild ohne Scham betrachten konnte. Und das würde er dem Geist des Ringes nie vergessen.
 

Aber wie sollte er Bakura das alles in wenigen Worten mitteilen? „Weißt du das denn nicht?“, stellte er schließlich die Gegenfrage. Der Ringgeist sah ihn nachdenklich an, erwiderte aber nichts. „Mit wem sollte ich denn sonst meine Zeit verbringen, wenn nicht mit dir?“, lächelte der ehemalige Pharao. Daraufhin nickte Bakura und in seinen Augen flackerte Verständnis und etwas wie Rührung auf. Er schien zu begreifen. Möglicherweise hatte er sich auch nur vergewissern wollen, dass Atemu dieselbe Seelenverwandtschaft fühlte wie er selbst. Dann verließ er auffallend rasch den Laden.
 

Schmunzelnd wandte sich Atemu wieder seinem Karton zu. Als er die letzten Waren in die Regale geräumt hatte, wollte er sich gerade ebenfalls seine Schlüssel greifen, als das kleine Glöckchen über der Tür abermals läutete. „Wir haben schon geschlossen! Kommen Sie doch bitte morgen wi …“, sagte er laut und wandte sich zur Tür um, unterbrach sich dann jedoch selbst. „Oh.“ Neugierig betrachtete er den Kunden, der nun im Eingang des Ladens stand.
 

„Ich werde morgen nicht wiederkommen, denn ich brauche jetzt etwas“, entgegnete Seto Kaiba in geschäftlichen Tonfall, während er in seiner üblichen erhabenen Art auf den Tresen zuschritt. „Hallo Seto, lange nicht gesehen“, entgegnete der Pharao sanft, „was führt dich her?“ „Etwas Geschäftliches“, stellte der Besitzer der KaibaCorporation klar, obwohl Atemu auch so keinerlei Zweifel daran gehabt hatte. Was sollte der Firmenchef auch sonst noch von ihm wollen?
 

„Und mit was genau könnte ich dir helfen?“, erkundigte er sich weiter. „Mir ist zu Ohren gekommen, dass du dich auf Bakuras zwielichtiges Geschäftsmodell eingelassen hast und euer illegales kleines Unterfangen offenbar floriert. Eigentlich könnte ich euch bei der Steuerbehörde melden für das, was ihr hier verzapft. Aber deshalb bin ich nicht hier. Ich“, Seto machte eine kurze Pause, und nur wer ihn gut kannte, konnte erahnen, dass er für einige Sekunden nach den richtigen Worten suchte, „ich brauche eines von euren kleinen Zauberkunststückchen. Und du weißt nur zu gut, welches ich meine. Das, das Erinnerungen löscht.“ Atemu sah ihn über den Tresen hinweg nachdenklich an und überlegte gut, wie er seine nächsten Worte wählen sollte. „Also gut. Und wie groß soll die Zeitspanne in etwa sein, an die du dich nicht mehr erinnern möchtest?“, fragte er schließlich sachlich. Für einen Augenblick schwieg Seto, offenbar unwillig, etwas auszusprechen, was nur zu deutlich im Raum stand und was auch Atemu bereits genau zu wissen schien. „Der Zauber ist nicht für mich. Er ist für Mokuba“, sagte er dann leiser und fast bedrohlich.
 

Atemu nickte. Natürlich hatte er in den lokalen Medien von der spektakulären Entführung und Lösegelderpressung gelesen, deren Opfer Mokuba vor einigen Wochen geworden war. Seine Gedanken waren oft bei den beiden Kaibabrüdern gewesen, doch seit den Ereignissen in New York hatte er deren Wunsch respektiert, sich von ihnen und aus ihren Leben fernzuhalten. Und so war dies das erste Mal, dass er Seto seit ihrem Gespräch im Krankenhaus persönlich traf.
 

„Es tut mir sehr leid, was Mokuba durchleben musste. Und wenn er sich dazu entschieden hat, dass er einige seiner Erinnerungen unterdrücken möchte, dann möchte ich euch bitten, dass er mir diesen Wunsch selbst mitteilt. Das ist dringend nötig, damit ich euch helfen kann.“ Nun schnaubte Seto verächtlich und verschränkte die Arme vor der Brust. „Seit wann bist du auf einmal so päpstlich und überkorrekt?“, forderte er Atemu heraus, „Mokuba wird natürlich nicht herkommen und diesen Wunsch dir gegenüber äußern. Weil es nicht sein Wunsch ist, sondern meiner.“
 

Der Pharao zeigte sich ungerührt. „Du willst also gegen den Willen deines Bruders einen Gedächtniszauber auf ihn anwenden und damit sein Leben nachhaltig beeinflussen?“, fragte er. Obwohl in seiner Stimme keinerlei Urteil oder Provokation mitschwang, brachte die Frage offenbar etwas in Seto zum Überschäumen und seine kühle Fassade bröckelte für einen Moment. „Damit wir uns hier verstehen, du kleiner Besserwisser: Das hier ist etwas vollkommen anderes als deine miesen, kleinen Gehirnwäschespielchen von damals! Mein Bruder leidet! Er leidet jede Sekunde seines Lebens unter dem, was er erlebt hat! Und auch wenn er sagt, dass er seine Erinnerungen nicht verlieren will, ich weiß einfach, dass es ihm damit bessergehen wird! Und überhaupt hat dich das nichts anzugehen! Gib mir einfach das, wofür ich dich bezahle, alles klar?!“
 

Statt Setos giftigen Worten mit demselben Temperament zu begegnen, schritt Atemu lediglich um den Tresen herum und auf ihn zu. „Seto, ich verstehe deinen Schmerz. Aber ich kann dir leider nicht geben, um was du mich bittest.“ In dem Augenblick, in dem er es sagte, nahm er deutlich wahr, wie Setos Schultern nach unten sackten und sein gesamter Körper erschlaffte. Auch wenn es andere nicht bemerkt hätten, empfand der ehemalige Pharao ihn in diesem Augenblick wie ein Häufchen Elend, seine letzte Hoffnung zerschlagen. Wahrscheinlich hatte er es insgeheim bereits geahnt.
 

„Ich führe keine Zauber durch ohne die Erlaubnis desjenigen, den die Magie betrifft. Ich weiß, dass es manchmal die einfachste Lösung scheint, jemanden zu seinem Glück zu zwingen. Und ich verstehe, warum du zu mir gekommen bist. Aber ob du es glaubst oder nicht, ich habe meine Lektion insofern gelernt, dass eine solche Entscheidung viele Leben beeinflusst und viele Lawinen lostreten kann. Und deshalb haben wir diese Art von Magie aus unseren Geschäftsbedingungen ausgeschlossen. Und wenn du ehrlich mit dir bist, dann entspricht das doch gar nicht deinen Werten. Jedenfalls nicht denen, die du bei unserem letzten Gespräch noch so vehement vertreten hast. Es wäre eine Handlung aus dem Affekt und aus Verzweiflung heraus, die du dein Leben lang bereuen würdest.“
 

Im Laufe seiner Partnerschaft mit Bakura hatte Atemu eine Regel eingeführt, die es ihnen verbot, Magie zu wirken, die das Leben von Unbeteiligten manipulierte. Er wusste zwar sehr wohl, dass Bakura die Sache nicht immer so genau nahm wie er, aber das war allein dessen Angelegenheit. Obwohl seine eigene Entscheidung von damals mittlerweile zu ihm gehörte und er sie akzeptiert hatte, wusste er heute, dass er etwas gesucht hatte, das er auch auf andere Art hätte bekommen können. Und wenn er eine Lehre aus der ganzen Sache ziehen konnte, dann die, dass er andere nicht in dieselbe Situation bringen würde.
 

„Wenn das wirklich ist, was du willst und du dich nicht von dieser Sache abbringen lassen willst, dann gebe ich dir den Rat, dich an meinen Geschäftspartner zu wenden“, schloss er, „aber ich glaube, dass es das Beste für dich wäre, noch einmal eine Nacht darüber zu schlafen.“ In Setos Gesicht standen so viele Emotionen geschrieben, dass es Atemu schwerfiel, eine einzelne davon herauszulesen. Der Firmenchef schien etwas fahler geworden zu sein und nach einem kurzen Augenblick wandte er sich wortlos um und verließ geknickt das Gebäude.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück