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Jahrtausendhexer

Krieg um das Eroberte Meer
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Und weil ich nicht viel Zeit zum Schreiben habe, immerhin schon einmal die erste Hälfte des nächsten Kapitels, mal wieder aus Lukas Sicht :3 Weiter geht's dann aus einem anderen Blickwinkel, ich weiß leider nicht, wie bald ich wieder zum Schreibseln komme. Viel Spaß auf jeden Fall schon mal beim Lesen!

Vielen Dank fürs Warten!!! Komplett anzeigen

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Verfolger

Die Augen des jungen Jahrtausendhexers blieben die meiste Zeit geschlossen, während der Verhüllte ihn sicheren Schrittes und unermüdlich durch den prasselnden Regen und die undurchdringliche Nacht trug.

Sie waren nicht weit gekommen, als Ain Pantokratos plötzlich alle Kraft verlassen hatte. Erst, als er stürzte und sie die rote Verfärbung des Hemdes an seinem Rücken sahen, bemerkten sie auch die blutende Wunde an seinem Hinterkopf.

Ohne ein Wort war der Verhüllte im Bruchteil einer Sekunde an Ains Seite. Er prüfte den Puls des jungen Hexers, warf Noll einen bösen Blick zu und schulterte Ain. „Besser für dich, du läufst und heilst ihn dabei“, fuhr er Noll an, ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen.

„Ichich...“, stammelte der Heiler, der vor Schreck über Ains Verletzung weiß wie ein Blatt geworden war.

„Du schaffst das, Noll“, ermunterte ihn Luka so gelassen wie möglich. Wahrscheinlich wäre er genauso weiß geworden wie der Magier, doch allein seine dunkle Hautfarbe ließ es nicht zu. Er lief los, um zu Liam aufzuschließen. „Du musst es schaffen, wir können noch nicht rasten.“

Luka bemerkte kaum, wie fest er die Zähne zusammenpresste, um seiner Wut über die Weißen, wie Ain sie nannte, keine Luft zu machen. Ain Pantokratos war ein Jahrtausendhexer, verdammt, eine Person und eine wichtige noch dazu – außerdem fast noch ein Kind –, kein ungeliebtes Haustier oder Versuchsobjekt.

Endlich erwachte auch Noll aus seiner Starre. Mit großen Sprüngen hechtete er an Luka vorbei und passte sein Tempo dann Liam an. Seine unstet wackelnde Hand schwebte nur wenige Zentimeter von Ains Wunde entfernt. Luka hoffte, dass Noll nicht aus Versehen dagegen stieß und womöglich alles schlimmer machte. Aber er selber war im Moment nutzlos, ihm blieb nichts anderes, als Noll und Liam zu vertrauen und weiter zu laufen. Und sich über Ain zu ärgern. Warum hatte er nichts gesagt und sich derart verausgabt? Und dabei hatte der Junge behauptet, er vertraue ihm. Aber andererseits wusste Luka auch, dass Ain nichts dafür konnte. Wenn er nicht das war, was die hirnverbrannten Forscher aus ihm gemacht hatten, dann war er ein einsamer Junge, der die Welt nicht kannte und verstand. Wie konnte Luka ihm ernsthaft böse sein? Den Weißen allerdings – und er entschied sich, diese Bezeichnung von nun an wie ein Schimpfwort zu gebrauchen – konnte er aus tiefstem Herzen und ohne Hindernisse grollen.

Doch es gelang Noll, die Wunde zumindest provisorisch zu behandeln, und als sie endlich die von Marus beschriebene Stelle fanden, an der die Wächter Kleidung und Nahrung versteckt hatten, schien Ain zumindest nicht mehr zu leiden. Vielmehr wirkte es, als schliefe er friedlich. Luka hoffte, dass er tatsächlich schlief und sein Geist nicht wieder auf Wanderschaft gegangen war. Ain hatte immer furchtbare Schmerzen, wenn es geschah.

Liam ließ den Jungen behutsam auf einer der für sie dort gelagerten Decken nieder, bettete seinen Kopf sanft auf einer weiteren und legte schließlich die dritte Decke über ihn, um ihn warm zu halten. Sie befanden sich unter einem schmalen Felsvorsprung, der den heftigen Regen von ihnen abhielt. Aber auch nur, weil ein starker Wind das Wasser nicht direkt in ihr Versteck lenkte, sondern schräg von ihm fort.

„Fünf Minuten.“

Noll sah den Verhüllten entgeistert an. „Fü-Fünf?“, wiederholte er krächzend.

„Wir sind noch viel zu nah am Palast, um wirklich zu rasten.“

Luka stimmte Liam innerlich zu. Weit waren sie beim besten Willen nicht gekommen. Und sie waren zu Fuß unterwegs, nicht zu Pferde, wie er ursprünglich angenommen hatte. Luka vermisste Raslan, den edlen Rappen, schon jetzt. Der Schwarze und die anderen Tiere waren bisher seine einzigen Freunde unter allen Palastbewohnern gewesen. Doch schließlich hatten sie sich entschieden, erst nach Erreichen des nächsten Gehöfts – was etwa einen halben Tag oder in diesem Fall eine halbe Nacht dauern sollte – ein jeder sein Pferd zu erstehen, beziehungsweise abzuholen. Natürlich hatte Liam bereits im Vorfeld dafür gesorgt, dass ihnen ausreichend und gute Tiere zur Verfügung stehen würden. Im Moment aber blieben sie zu Fuß unauffälliger, da sie so abseits der Wege auf entlegenen Pfaden durch die schroffen Felsen klettern konnten, um ihr erstes Ziel, die Pferde, querfeldein zu erreichen. Luka bedauerte allerdings die vier Rösser, die Liam unmittelbar vor ihrer Flucht aus dem Palast entwendet und vermutlich irgendwo in die Berge gejagt hatte, um ihre baldigen Verfolger in die Irre zu leiten und sie glauben zu machen, die Gruppe wäre schon viel weiter gekommen. Bis die Tiere zu ihren edlen Herren zurückkehrten, würde sicherlich noch einige Zeit vergehen.

Weniger lange allerdings dürfte es dauern, bis die Magier wieder aus den Tiefen ihres Zwangsschlafes erwachten und Himmel und Erde in Bewegung setzen würden, um Ain zurückzuholen. Sicherlich, Lady Ayslinns Idee einer Schatzjagd hatte das Schloss in Aufruhr versetzt und ihren Dienern zufolge – die ein fast unheimliches Händchen für Kräutergemische hatten, wie Luka erstaunt festgestellt hatte – sollte das Gas die Weißen Magier für etwa zwei Stunden außer Gefecht setzen. Ohne auf die Zeit geachtet zu haben, war Luka sich sicher, dass sie fast abgelaufen sein musste. Für die Flucht aus dem Schloss hatten sie vielleicht eine halbe Stunde gebraucht, seitdem waren sie unterwegs. Und der Palast schien noch immer zum Greifen nah.

Noll strich sich mit einer Hand immer wieder die tropfenden Haare aus dem Gesicht, damit ihm das Wasser nicht in die Augen lief. Doch auch in nassem Zustand waren seine Haare nicht zu bändigen und ständig fielen ihm nasse Strähnen in die Stirn und behinderten seine Sicht. Luka verlagerte besorgt sein Gewicht, um zu sehen, ob Ain noch atmete, denn der junge Hexer lag wie tot da. Erst bei genauem Hinsehen erkannte Luka, dass sich sein Brustkorb ganz leicht hob und senkte.

„Wie sieht es aus?“, wollte Liam wissen.

Noll zögerte. „Er hat... viel Blut verloren... Der viele Regen und die körperliche Betätigung haben verhindert, dass die Wunde sich schließen kann. Und etwas Fieber hat er. Weder gegen das Eine noch das Andere kann ich mit meinen Kräften etwas machen. Ich... Ich kann nur die Verletzung selbst behandeln.“

„Wann wird es ihm besser gehen?“

„Nun... Wahrscheinlich ist er in ein paar Stunden wieder fit.“

„In ein paar Stunden?“, wiederholte Luka ungläubig und runzelte die Stirn. „Blutarmut und Fieber kurieren sich nicht in so kurzer Zeit aus.“

„Bei einem normalen Menschen nicht, nein“, bestätigte Noll traurig. „Aber nach all den Jahren in der... in unserer Obhut... kann man Ain Pantokratos auch physisch wohl kaum mehr als 'normal' bezeichnen. Trotz seines schmalen Körpers ist er wahrscheinlich ausdauernder, als jeder trainierte Soldat.“

„Es ist nicht sein Körper, der stark ist, Noll“, korrigierte Liam den Heiler leise. Luka war aufgefallen, dass der Verhüllte nur mehr sprach, wenn es um den jungen Jahrtausendhexer ging. „Es ist sein Wille, den ihr gestählt habt und der ihn jetzt so lange auf den Beinen gehalten hat.“ Sie alle schwiegen betreten, bis Liam fortfuhr. „Wie weit bist du? Wir sollten weiter, damit wir den Hof und unsere Tiere bald erreichen. Ich möchte so schnell wie möglich eine große Distanz zwischen uns und dieses vermaledeite Schloss bringen.“

„J-ja. Also die Wunde habe ich gleich geschlossen.“

„Wie lange werden wir noch laufen?“, warf Luka ein. Selbst Liam musste früher oder später mit Ain auf dem Rücken die Kraft ausgehen.

„Vielleicht noch einmal zwei Stunden“, mutmaßte der Verhüllte. „Wenn alles gut geht.“

„Und wir nicht in einer glitschigen Felsspalte verschwinden.“

Liam lächelte – vermutlich. „Das wäre in der Tat etwas hinderlich.“

Luka schulterte die zwei großen Leinenbeutel mit Proviant, Geld und Kleidung, die die Wachen für sie versteckt hatten. Sie waren schwerer als erwartet, doch Noll Kerstein wirkte beim besten Willen nicht trittsicher genug, um die nassen und rutschigen Felsen mit einem Sack über der Schulter und nur einer freien Hand zu bewältigen. Sie konnten froh sein, wenn der Heiler nicht tatsächlich den Halt verlor und zwischen den Felsen verschwand.

Auch unter der Last noch behände sprang Luka hinaus in den Regen. Liam hob sich den bewusstlosen Jahrtausendhexer wieder auf den Rücken und Noll erhob sich etwas wackelig vom kurzen Knien und packte dabei die Decken zusammen, um sie unter den Säcken auf Lukas Rücken zu verschnüren, wo sie hoffentlich nicht völlig durchnässen würden.

Es war kein leichter Weg. Luka wunderte sich nicht, dass Noll sich mit und auf Händen und Füßen und nicht besonders schnell fortbewegte. Dass Liam trotz des zusätzlichen Gewichtes keine Probleme hatte, überraschte ihn allerdings kaum. In den wenigen Tagen, in denen der Verhüllte ihn unterrichtet hatte, war Luka aufgefallen, wie behände und elegant sich der Mann bewegte und welch immense Kontrolle er über seinen Körper hatte. Es bräuchte mehr als unebene Felsen, nassen Stein, etwas Wind und einen Regenstrom, um Liam aus dem Gleichgewicht zu bringen. Auch Lukas Balance war ausgezeichnet, doch ohne seine scharfen Augen, mit denen er auch in vollkommener Dunkelheit noch sehen konnte, wäre er dennoch aufgeschmissen oder zumindest deutlich langsamer gewesen. Wahrscheinlich hätte er sich wie der Heiler bewegt, mit den Händen die Felsstrukturen neben sich abgetastet und mit den Füßen den Boden. Vor jedem unsicheren Schritt.

Nachdem sie eine ganze Weile schweigend und konzentriert geklettert waren, begann ihr „Weg“ langsam abzufallen. Luka meinte, durch den Vorhang aus Wasser in der Ferne ein schwaches Licht ausmachen zu können. Er lächelte erleichtert, denn das musste das Gehöft sein, zu dem sie strebten. Dort warteten ihre Pferde und sie würden den Palast endlich schnellen Schrittes hinter sich lassen können.

Je näher sie kamen, desto langsamer wurde Liam. Er musste etwas wahrnehmen, was auch Luka mit seinen scharfen Augen noch nicht erkennen konnte.

„Ist das der Hof?“, fragte Noll endlich, als sie kaum mehr als einen Steinwurf von den Gebäuden entfernt waren. Er klang erleichtert.

„Ruhig“, mahnte Liam leise. Im beständigen Prasseln des Regens war seine Stimme kaum auszumachen.

Noll schwieg betreten und Luka sprang an ihm vorbei über die Felsen, um direkt zu Liam aufzuschließen. „Was ist?“, fragte er angespannt. Er konnte noch immer nichts sehen.

„Es sind zu viele Menschen auf dem Gehöft.“

Luka sog scharf die Luft ein. Das durfte nicht sein! „Haben sie uns schon eingeholt?“

Der Verhüllte ging in die Hocke und ließ den Jahrtausendhexer vorsichtig in Lukas Arme gleiten. Ain Pantokratos brannte vor Fieber.

„Ich werde nachsehen“, antwortete Liam dann. Pass auf ihn auf, ergänzte sein Blick und Luka nickte. Innerlich musste er grinsen, als ihm auffiel, dass Liam wahrscheinlich nicht nur Ain im Sinn hatte. Flink und behände verschwand der Verhüllte in der Dunkelheit und Luka beobachtete durch die Wassermassen, wie Liam sich im Schutz der Felsen dem Anwesen und den Lichtern näherte.

„Was passiert?“, fragte Noll leise. „Ist irgendetwas schief gelaufen?“

Luka zuckte mit den Schultern. „Wir wissen es noch nicht. Kannst du nach Ain sehen?“

Der Heiler senkte beschämt den Blick und schüttelte den Kopf. „Ich kann ihm nicht helfen“, wehrte er entschuldigend ab. „Ich weiß nicht, wo die Quelle von Fieber und Schwäche liegt. Sonst könnte ich etwas tun.“

„Du machst dich unfähiger, als du bist“, versetzte Luka. Manchmal musste man den Menschen die Wahrheit sagen, wenn sie selbst im Dunkeln irrten. Er wusste, dass er Noll mit seinen Worten verletzte. Aber in Anbetracht dessen, dass ihre kleine Gruppe gerade einer Horde irrsinniger – und wahrscheinlich sehr mächtiger – Magier den Jahrtausendhexer entwendet hatte, sah Luka nicht die kleinste Veranlassung, den unstet wirkenden Heiler mit Samthandschuhen anzufassen.
 

***

„Bist du sicher, dass er zurück kommt?“, fragte Noll zum vierten Mal.

Luka stöhnte, der Heiler trieb ihn langsam in den Wahnsinn. Nicht einmal ansehen wollte Luka ihn mehr, denn Noll beäugte ihre Umgebung wie ein verängstigter Hase. Seit der Verhüllte sie zurückgelassen hatte, war mindestens eine Stunde vergangen und wütendes Donnergrollen hatte sich zu dem Prasseln der Regentropfen gesellt. Hin und wieder erhellte ein ferner Blitz die Bergspitzen um sie herum. Es hätte gespenstig sein können, vielleicht auch schön, wenn man ein Dach über dem Kopf hatte. Doch sie waren auf der Flucht, Luka hätte dem Gewitter kaum weniger Aufmerksamkeit schenken können. Er kauerte über Ains schmalem Körper und versuchte, den Jungen vor dem Regen zu schützen, denn es gab hier keine Möglichkeit, sich unter zu stellen. Natürlich funktionierte es nicht. Alles war nass, in Lukas Schuhen schwappte das Wasser, wenn er sich bewegte. Die besten Bedingungen für den Jahrtausendhexer, zu genesen.

Luka kniff die Augen zusammen, sah er dort einen Schatten auf sie zukommen? Der Regen tat sein Bestes, ihm die Sicht zu versperren, doch Luka war sich sicher. Jemand kam auf sie zu. Gerade, als er sich erheben wollte, um Liam entgegen zu gehen, erstarrte er. Der Verhüllte war problemlos und elegant über die unebenen und rutschigen Steine geschritten, wer auch immer sich ihnen näherte, tat es nicht.

Geistesgegenwärtig zog Luka Ain näher zu sich und presste sich zwischen die Felsen. „Runter und kein Laut“, zischte er und Noll zog augenblicklich den Kopf ein.

Der Heiler robbte mit großen Augen und weißem Gesicht auf ihn zu. „Was… was ist?“

„Ruhig, jemand kommt und es ist nicht der Verhüllte.“

Noll biss sich auf die Lippe und kauerte sich tiefer in seinen Spalt, als erwarte er den Leibhaftigen.

Lukas Gedanken rasten. Er kannte Liam noch nicht lange, doch er bezweifelte, dass der Verhüllte einen Mann an seiner Statt zu ihnen sandte. Gleichzeitig konnte er aber auch nicht glauben, dass sie ihn gefasst hatten. Irgendetwas war an ihm, das es jedem unmöglich zu machen schien, Liam zu ergreifen. Er war wie der Wind selbst. Aber was blieb, wenn keine dieser Möglichkeiten in Betracht kam?

„Schatt… Luka!“, wisperte Noll auf einmal panisch und zerrte an Lukas Hemd. „Da!“

Alarmiert wandte Luka den Blick in die Richtung, in die Nolls zitternde Hand deutete. Er sog scharf die Luft ein – ein weiterer Mann näherte sich ihnen aus der Richtung, aus der sie gekommen waren! Das konnte kein Zufall sein. Sein Herz begann zu rasen. Das war nicht Liam, das waren die Magier. Wie hatten sie die Gruppe nur so schnell finden können? Liams Plan, die Weißen in die Irre zu leiten, war gut gewesen. Sie mussten verraten worden sein, es gab keine andere Antwort.

Doch das tat nichts zur Sache, schalt Luka sich. Jetzt mussten sie ihre Verfolger los werden. Es schienen nur zwei zu sein – fürs erste. Hatte das Training mit Liam ihn stark genug gemacht, es mit zwei Magiern aufzunehmen? Er hoffte es, denn verstecken konnten sie sich kaum, die Männer kamen von zwei Seiten direkt auf sie zu. In wenigen Minuten würden sie entdeckt werden.

„Pass auf Ain auf und rühr dich nicht von der Stelle“, ordnete Luka Noll an und hoffte, dass er wusste, was er tat. Er drückte Ain dem Heiler in die Arme und kroch davon, jeden Stein als Deckung nutzend. Er musste wenigstens einige Meter zwischen sich und die anderen bringen. Nun war er doch dankbar für den unnachgiebigen Regen und den Donner, denn so brauchte er nicht zu befürchten, durch ein Geräusch entdeckt zu werden. Die Männer ließ er dabei nicht aus den Augen.

Als Luka das Gefühl hatte, einen ausreichend großen Abstand zwischen sich und die anderen gebracht zu haben, atmete er noch einmal tief ein. Er wusste, was er tat, da war er sich sicher. Hoffentlich. Entschlossen stand er auf und blickte dem von unten kommenden Mann entgegen.

Der Magier bemerkte ihn sofort und gestikulierte mit beiden Armen in Lukas Richtung, damit auch der andere Weiße ihn bemerkte.

Kommt nur, dachte Luka grimmig. Sein Vorteil war, dass er als Angehöriger des Hüter-Clans in der Dunkelheit mehr sehen konnte, als jeder andere Mensch. Diese Karte würde er zu spielen wissen.

„Halt“, rief einer der Magier ihm zu. Als ob er sich bewegt hätte, Luka schnaubte. Aber wenigstens schienen ihre Verfolger nicht die hellsten Köpfe zu sein. Die Weißen schienen sie zu unter- oder sich selbst zu überschätzen.

Alles in Luka schien sich anzuspannen, während die beiden Männer auf ihn zu kamen. Sie kamen dem Versteck von Noll so nahe, dass Luka schon befürchtete, die Angst würde mit dem Heiler durchgehen und Ain verraten.

Die Männer blieben nur wenige Schritte von Luka entfernt stehen, alles an ihrer Haltung schrie ihre Kampfbereitschaft aus.

„Wo ist der Jahrtausendhexer“, fragte der kräftigere von beiden fordernd.

„Gib ihn uns lieber freiwillig“, riet der andere. Luka bemerkte, dass die Tropfen von ihm abprallten, er hatte es hier also mit einem Wassermagier zu tun. Angesichts dessen, dass die Welt im Moment aus diesem Element zu bestehen schien, entschied Luka, dass das keine glückliche Fügung war.

Luka lachte laut auf und hoffte, dass es überlegen klang. „Warum sollte ich das tun?“, fragte er so forsch wie er konnte und verschränkte die Arme vor der Brust. „Damit ihr ihn an irgendwelche Maschinen anschließt? Damit ihr ihn verletzt? Um ihn zu manipulieren und wie eine Puppe in eurem Krieg einzusetzen? Ich denke nicht.“

„Und was hast du vor, Junge?“, fragte der Kräftige lauernd. „Glaubst du, du besiegst uns? Und dann?“

Wie auf ein Stichwort hob der Wassermagier unauffällig die Hand. Luka sprang zur Seite, als das Wasser, auf dem er stand, empor schoss. Er lächelte grimmig, so leicht würde er es den beiden Weißen nicht machen. Ohne das Training mit Liam wäre er sicherlich gestürzt und hätte sich im schlimmsten Falle das Genick an einem der Felsen gebrochen. Doch er hatte die Bewegung des Magiers genau sehen können. Magie war direkt, für Luka war klar gewesen, was sein Angreifer vorgehabt hatte. Und das Adrenalin, das in seinen Adern pulsierte, ließ ihn schneller reagieren, als gewöhnlich.

„Oh? Nicht schlecht“, lobte der stramme Weiße ihn. „Du hast offensichtlich Erfahrung im Umgang mit Magie. Von wem hast du das gelernt?“

„Willst du reden oder kämpfen?“, konterte Luka. Sein ganzer Körper stand unter Strom.

Der Weiße grinste und sein Partner nickte. Das gefiel Luka ganz und gar nicht. Zu schnell, um ihm auszuweichen, schoss der Magier auf ihn zu, eingehüllt von wütenden Regentropfen und getrieben von einem mächtigen Windstoß. Instinktiv hob Luka die Arme und warf sich zur Seite, doch er war zu langsam. Der physische und von Wind und Wasser beschleunigte Schlag seines Angreifers schleuderte ihn so heftig zu Boden, dass er stumm aufschrie. Seinen Kopf hatte er schützen können, doch mit dem linken Schulterblatt hatte er ungebremst eine scharfe Felskante getroffen. Eiskalt schoss der Schmerz durch seinen ganzen Körper und Luka krümmte sich zusammen.

„Schade, dass du es mir nicht sagen willst“, fuhr der Windmagier fort. „Ich hätte gerne gewusst, wer am Hof es gewagt hat, den Schatten im Kampf gegen einen Magier zu unterrichten.“ Er grinste hämisch. „Nicht, dass das noch einen Unterschied machen würde.“ Er nickte seinem Kollegen zu. „Mach ihn fertig, wir brauchen ihn nicht, um unseren Jahrtausendhexer zurück zu bekommen.“

Der Wassermagier nickte mit einem abartig zufriedenen Gesichtsausdruck.

Luka konnte nicht reagieren, als der Mann gemächlich auf ihn zu schritt. Sein gesamter Körper schien gelähmt zu sein vor Schmerz. Die Welt um ihn herum drehte sich und wurde zunehmend weißer. Wer auch immer behauptet hatte, nach einem heftigen Schlag würde einem schwarz vor Augen, hatte sich geirrt. Die weißen Flecken wurden immer einnehmender. Luka kniff die Augen zusammen und riss sie wieder auf, doch es half nichts.

Der Magier trat ihn mit aller Macht in die Seite, sodass er auf den Rücken rollte. Lachend stemmte der Weiße die Hacke seines Stiefels auf Lukas Schulter und presste mit seinem ganzen Gewicht. Diesmal konnte Luka den Schrei nicht unterdrücken. Er hasste sich dafür, dass er so schwach und hilflos war. Er wusste, dass er bei vollem Bewusstsein bleiben musste, um sich aus seiner misslichen – und schmerzhaften – Lage zu befreien. Doch er wusste, dass es ihm nicht gelingen würde. Er war blind, wie sollte er sich helfen? Hoffentlich fanden sie Ain nicht.

„Was sollen wir denn mit dir machen?“, überlegte der Wassermagier laut. „Es gibt so viele wunderbare Möglichkeiten.“ Er trat fester zu und Luka schrie erneut auf, als die Knochen in seiner Schulter endgültig brachen.

„Hör auf zu spielen“, knurrte der kräftige Weiße.

Die Antwort war nur ein unzufriedenes Schnauben. „Ich mach ja schon“, schmollte der Wassermagier beleidigt. „Nie darf man seinen Spaß haben.“

Hoffentlich fanden sie Ain nicht, schoss es Luka erneut durch den Kopf. Er hatte keine Angst vor dem Tod, schon seit Jahren hatte er jeden Moment mit seinem Kommen gerechnet. Jeder Fehltritt im Palast hätte ihn den Kopf kosten können, jede Wache, jeder Gast, jeder Bewohner am Hof hätte sich den „Spaß“ erlauben können, seinem elenden Dasein ein Ende zu setzen. Doch nun war etwas geschehen in seinem Leben, Luka war frei und er trug die Verantwortung für einen Jungen, dem es schlechter ergangen war, als ihm selbst. Alles in ihm schrie danach, Ain zu beschützen. Wenn ihm nur dies gelänge, dann wäre sein Leben nicht umsonst gewesen!

„Was spielen wir?“, hörte Luka auf einmal die Stimme des Verhüllten kalt und ruhig durch das Unwetter schneiden. „Zwei Magier gegen einen Jungen?“

„Wir können auch einer gegen zwei spielen“, entgegnete der Kräftige nach einer kurzen Pause. „Wo zum Henker kommt der denn jetzt her?“

Liam ignorierte ihn. „Lass den Jungen los“, befahl er dem Wassermagier leise.

Der lachte. „Wie wäre es, wenn du dich dazu legst?“

Luka sah nicht, was geschah, doch plötzlich verschwand der Druck auf seiner zerschmetterten Schulter. Der Magier wurde förmlich von ihm gerissen. Mit einem schrillen Schrei flog der Mann davon und landete mit einem widerlich dumpfen Geräusch auf hartem Stein. Kein Wasser federte seinen Sturz.

„Eralim!“, brüllte der zweite Weiße, doch der Wassermagier reagierte nicht mehr.

„Spielen wir einer gegen einen?“, fragte Liam und die Kälte in seiner Stimme nahm noch einmal zu. „Oder hast du keine Lust mehr? Nein, warte.“ Er machte eine kurze Pause und Luka konnte hören, wie er leichten Schrittes über die Felsen stieg. „Aufgeben mögen wir ja nicht.“

Der Weiße brüllte wütend und stürzte sich auf Liam. Der Kampf war so schnell vorbei, wie er begonnen hatte und Liam kniete sich neben Luka nieder. „Alles in Ordnung?“, fragte er, ohne Luka zu berühren.

„Meine Schulter…“, stöhnte Luka mit zusammengepressten Zähnen. „Oh Götter, es tut mir so leid.“

Wieder spürte er Liams Lächeln. „Du hast dich gut geschlagen. Hättest du sie nicht aufgehalten, hätten sie Ain entdeckt.“ Er senkte die Stimme. „Ich danke dir, nicht jeder hätte das für einen Fremden getan. Ich hole Noll.“

Zu seinem eigenen Entsetzen stellte Luka fest, dass er weinte. Nicht viel, doch er konnte die Tränen nicht zurückhalten. Keine einzige Träne hatte er während seiner Zeit im Bergpalast vergossen, doch Liams Worte hatten ihn getroffen wie kein Schmerz, den seine Gegner ihm hätten zufügen können. Es war lange her, dass sich das letzte Mal jemand bei ihm bedankt hatte und schon gar nicht mit einer solchen Ehrlichkeit in der Stimme. Zum Glück konnte niemand seine Tränen sehen.

„Luka.“ Eine erstaunlich warme Hand legte sich sanft auf seine Schulter und wie zarte Fäden zog die Wärme durch seinen gesamten Körper. Luka konnte förmlich spüren, wie seine Knochen sich wieder verbanden. Alle Anspannung fiel augenblicklich von ihm ab und machte einer inneren Ruhe Platz. Sogar der Regen ließ plötzlich nach. War Noll ein so guter Heiler gewesen?

„Luka.“

Luka öffnete die Augen und sah in Ains besorgtes Gesicht. Unwillkürlich musste er lachen und der junge Hexer schreckte verstört zurück.

„Keine Sorge“, beruhigte Luka ihn und setzte sich auf. Auch Liam und Noll hatten sich zu ihnen gesellt. „Ich hatte nur gedacht, dass ich derjenige sein würde, der neben dir sitzt, wenn du aufwachst. Nicht umgekehrt.“

Ain lächelte erleichtert, wurde jedoch sofort wieder ernst. Sein Blick wanderte von Luka zu Noll und weiter zu Liam, dann senkte er demütig den Kopf. „Es tut mir leid, dass ich euch Ärger bereitet habe“, sagte er leise.

„Hör zu, Ain.“ Liam war der Erste, der reagierte. Er kniete sich neben dem jungen Jahrtausendhexer nieder und legte ihm ermutigend die Hand auf die Schulter. „Wir haben entschieden, dass wir dich dort rausholen möchten. Wir haben nicht aufgepasst. Du musst dich für nichts entschuldigen.“

„Aber…“

„Kein Aber. Das musst du verstehen.“

Ain biss die Zähne zusammen und nickte.

Luka grinste den Verhüllten an. „Du musst an deiner Überzeugungskraft arbeiten.“

„Wollen wir spielen?“, entgegnete Liam sarkastisch und Luka lachte.

„Danke, ich habe genug gespielt heute.“

Liam erhob sich und streckte Luka und Ain die Hände entgegen. „Die Magier waren auf dem Gehöft“, erklärte er. „Ich konnte nicht eher zurückkehren, ohne dass sie mich entdeckt hätten, aber unsere Pferde sind klar.“

„Na dann…“ Luka stöhnte, als er sich mit Liams Hilfe erhob. Auch Ain hatte sichtliche Mühe, aufzustehen. „Kannst du gehen?“, fragte Luka besorgt.

Der junge Hexer nickte. „Mir geht es gut.“

Auch die Anderen schienen von dieser Antwort nicht überzeugt zu sein, doch zu den Pferden war es nicht mehr weit und der Regen hatte aufgehört. Luka stutzte. Nein, die Tropfen prasselten noch immer genauso hart auf sie hinab wie zuvor. Doch sie erreichten ihre Haut nicht mehr.

„Machst du das?“, fragte Luka Ain beeindruckt.

Der Hexer nickte. „Das ist das Mindeste.“

Luka lächelte. „Das ist perfekt, gut, dass es dir wieder besser geht.“ Dann fiel ihm etwas ein, was der kräftige Weiße zuvor gesagt hatte und er wandte sich noch einmal an Liam. „Einer der Magier hat gesagt, sie bräuchten mich nicht, um Ain zu finden. Glaubst du, das hat einen tieferen Sinn?“

Der Verhüllte verschränkte nachdenklich die Arme vor der Brust und schwieg einen Moment. „Wahrscheinlich“, gab er dann zu. „Aber im Moment kann ich dir auch nicht sagen, was sie damit meinen.“

Noll gab ein unterdrücktes Stöhnen von sich. „Perfekt“, murmelte er entmutigt. „Diese Reise beginnt einfach perfekt.“


 


 



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von: Futuhiro
2017-02-04T21:42:43+00:00 04.02.2017 22:42
Nagut, wäre auch zu einfach gewesen, wenn sie völlig unbehelligt davongekommen wären. Wobei ich denke, daß zwei Verfolger ein bisschen wenig sind, um einen Jahrtausendhexer einzufangen. Aber Gott sei Dank ist Ain zumindest wieder wach.

Okay, die Reise kann beginnen. Wir haben einen kampferprobten Leibwächter und einen Heiler in der Truppe. Das ist schonmal viel wert. Wozu Luka im späteren Verlauf noch nützlich sein wird, muss sich erst noch zeigen. Aber ich bin sicher, daß auch er noch eine Aufgabe bekommt. Bislang ist er reiner Nutznießer, der seine Chance zur Flucht aus dem Palast erkannt und genutzt hat.
Von:  Flordelis
2014-07-17T14:11:15+00:00 17.07.2014 16:11
Ich komme zur zweiten Hälfte des Kapitels. *____*

> Noll beäugte ihre Umgebung wie ein verängstigter Hase
Auch auf die Gefahr hin, dass es langsam nervig wird, aber ich mag Noll total. Er hat was so liebes und süßes an sich, dass ich ihn gern einpacken und mitnehmen würde. XD
Der Vergleich mit einem verängstigten Hasen passt also prima~.

> Sie mussten verraten worden sein
Nooooooooooooooooooooooooooooooo! D:

> die Tropfen von ihm abprallten
Das ist ein wirklich hübsches Detail, vor allem, weil Luka daran den Wassermagier erkennt. Gefällt mir~.

> auf die Schulter. „Wir haben entschieden
Ich glaube, an der Stelle hast du den Kursiv-Tag nicht richtig geschlossen, denn der ganze Text nach "wir" bleibt kursiv.

Ich finde wieder einmal, dass du es sehr schön schaffst, Spannung aufzubauen. Ich hab richtig mitgefiebert, als es erst so aussah, als würden die Weißen Ain entdecken und dann, als Luka sich ihnen entgegengestellt hat. Mein Kompliment~.

Dass Ain am Ende wieder aufgewacht ist und Luke heilen konnte, fand ich sooooo schön. Vor allem die Beschreibung, die du für Lukas Empfinden dabei nutzt (warme Fäden), die hat mir sehr gut gefallen.

Tja, damit ist nun wieder Wartezeit angesagt, um zu erfahren, wie die Reise nach diesem perfekten Anfang weitergeht. >:D
Antwort von:  Listener
18.07.2014 21:29
Hihi, Dankeschön :-)

Ja, aber hoffentlich nicht lange. Ich hänge mich noch am Setting auf, weil im Moment ja Luka und Ain ziemlich alles hinnehmen, was Liam tut und um sie herum geschieht. Das bleibt natürlich nicht so^^
Von:  Flordelis
2014-04-24T17:00:40+00:00 24.04.2014 19:00
Ich hab jetzt extra eine Weile gewartet, weil es ja noch nicht fertig ist, aber ich bin ein ungeduldiger Mensch, also lese ich einfach schon mal das, was da ist. ^^

> „Besser für dich, du läufst und heilst ihn dabei“
Ohohoho~ Na, ob das gut geht? >:D

> Ain Pantokratos war ein Jahrtausendhexer, verdammt, eine Person und eine wichtige noch dazu – außerdem fast noch ein Kind –, kein ungeliebtes Haustier oder Versuchsobjekt.
Ich finde das ja auch schrecklich. Eigentlich ist Ain was total Besonderes, aber die behandeln ihn wie ein Versuchsobjekt, das man im Bedarfsfall einfach ersetzen kann.
Armer Ain. =/

Ah, Noll hat es geschafft. ^^
Ich hatte befürchtet, er stolpert während des Gehens, weil er sich vielleicht nicht auf beides gleichzeitig konzentrieren kann. Jetzt bin ich erleichtert. =)

Ich bin ja erstaunt, dass sie wirklich zu Fuß fliehen. Das ist echt wagemutig, anzunehmen, dass sie sich auf diese Weise schnell genug fortbewegen, um zu entkommen.
...
Ach so, klar, so macht der Plan natürlich Sinn, daran hatte ich nicht gedacht.

> Trotz seines schmalen Körpers ist er wahrscheinlich ausdauernder, als jeder trainierte Soldat.
Oh Ain! TT____________________TT
Seine Geschichte macht mich immer wieder so traurig.

Und schon wieder am (vorläufigen) Ende. :<
Ich bin schon mal gespannt, wie es weitergehen wird und hoffe, dass deine Zeit bald mal wieder das Weiterschreiben erlaubt. Gerade jetzt, wo es doch so spannend ist. *.*
Antwort von:  Listener
06.07.2014 21:35
Dankeschön :>

Jetzt ist eine wirklich lange Zeit vergangen und ich lag oft abends im Bett und dachte mir "Mensch, ich möchte schreiben." Einmal hatte ich die Datei dann auch offen, aber da war es mit der Kreativität dann echt weit her und ich konnte den Anschluss selber nicht finden (pfui).

Aber jetzt hat es geklappt. Das Kapitel wird gerade neu freigeschaltet! Ich hoffe, dass ich recht bald weiterschreiben kann. Aber langsam habe ich wieder einen kontrollierteren Tagesablauf :-)

Liebe Grüße und danke fürs Lesen und Kommentieren!!


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