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Skater Love

von

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Plätzchenbacken leicht gemacht

Matt starrte ich in den Strudel, den mein Löffel während des Rührens in den Kaffee zeichnete. So bequem meine Couch für ein kurzes Nickerchen auch war, die ganze Nacht darauf zu verbringen, war keine gute Idee gewesen. Zu allem Überfluss hatte ich mir irgendwas im Nacken gezerrt, als ich einen schon halb schlafenden Karyu gestern Nacht noch vom Sofa ins Bett bugsiert hatte. Ich legte den Löffel beiseite und trank einen großen Schluck aus meiner Tasse. Neben mir lag der Ausdruck des Rezepts für die Kekse, das mir meine Mutter vor ihrer Abreise mit diversen handgeschriebenen Tipps und Kniffen darauf noch gemailt hatte. Je öfter ich jedoch die Anweisungen durchlas, desto stärker wurde das Gefühl, ich würde gar nichts mehr verstehen. Und das, wo das Rezept mit übergroßer Titelzeile dafür warb, selbst für Anfänger geeignet zu sein. Eine absolute Farce, wenn man mich fragte. Vielleicht lagen meine Backfertigkeiten aber auch nur weit unter denen eines Anfängers und machten das Rezept deswegen mindestens so unverständlich wie die Bedienungsanleitung eines Massenspektrometers. Wer konnte das schon so genau sagen?

Alles mentale Lamentieren half jedoch nichts, wenn ich die Kekse fertig haben wollte, bevor Karyu mein Versagen live und in Farbe miterleben konnte. Nun kam es mir doch noch zu Gute, dass mich der Schmerz in meinem Nacken zu nachtschlafender Zeit aufgeweckt hatte und mein Freund seine Erkältung auskurierte. Ein schneller Blick auf die Uhr entlockte mir dennoch ein abgrundtiefes Seufzen. Es war gerade mal halb sieben. Wenn ich so weitermachte, würde mein Schlafdefizit binnen Tagen astronomische Höhen erreichen.

 

Ich rollte über meine eigene Untätigkeit genervt mit den Augen. Statt hier zu sitzen und über die Ungerechtigkeit meines Daseins zu jammern, sollte ich lieber in die Pötte kommen. Mit neu gefasstem Elan – wo auch immer dieser herkam – erhob ich mich und begann, akribisch alle Zutaten zusammenzusuchen, die das Rezept verlangte. Mit mindestens derselben Sorgfalt wog ich diese ab und stellte sie in einer ordentlichen Reihe auf der Arbeitsplatte auf. Ich würde hier sicher nichts dem Zufall überlassen – meine Erfolgschancen waren so schon mehr als gering.

Der Teig fügte sich allerdings mit erstaunlicher Leichtigkeit zusammen und bis ich es mich versah, hatte ich eine geschmeidige, gelbliche Kugel vor mir liegen. Na, das war schon mal kein schlechter Start. Noch einmal überflog ich die Anweisungen, um sicherzustellen, dass ich auch wirklich nichts vergessen hatte, und runzelte die Stirn. Mist, der Teig musste mindestens eine halbe Stunde im Kühlschrank ruhen. Das musste ich überlesen haben. Aber gut, was sollte schon schiefgehen? Karyu würde sicher noch einige Stunden schlafen, genug Zeit also, auch noch den Rest irgendwie hinzubekommen.

 

Ich hätte ahnen müssen, dass mich meine Zuversicht bei nächstbester Gelegenheit in den Allerwertesten beißen würde, oder? Vermutlich, denn kaum hatte ich es geschafft, die mittlerweile ausgekühlte Teigkugel mittels viel Mehl und eines Nudelholzes auszurollen, hörte ich das leise Knarren der Schlafzimmertür.

‚Bitte geh nur ins Bad, bitte geh nur ins Bad‘, flehte ich mental und hielt die Luft an. Karyu hatte jedoch – wie sollte es auch anders sein? – wieder einmal seinen eigenen Kopf und streckte selbigen keine Minute später neugierig in die Küche.

 

„Du bist schon wach? Guten Morgen“, murmelte er, eindeutig noch verschlafen und blinzelte mich aus kleinen Augen an. Ich wollte es nicht tun, begann jedoch automatisch, ihn zu mustern. Seine Haare standen nach allen Seiten ab, die Wangen waren leicht gerötet und … hatte er sich wirklich die Bettdecke wie einen unförmigen Kokon um den Körper gewickelt?

 

„Du offensichtlich auch“, erwiderte ich mit gehobener Braue und konnte nicht anders, als zu lächeln. „Morgen. Wie geht es dir?“ Aussehen tat mein Freund noch immer ziemlich matschig, wenn ich das so offen anmerken durfte, aber die Hoffnung blieb, dass es ihm wenigstens schon etwas besser ging. „Setz dich, ich mach dir einen Tee oder wäre dir Kaffee lieber?“

 

„Mir gehts schon besser, denke ich“, murmelte Karyu und setzte sich samt Decke an den Küchentisch. Nun wirkte er noch mehr wie eine Raupe, der die Kraft fehlte, ihre Metamorphose zum Schmetterling fortzusetzen. Ob ich ihm glauben konnte? Mit leicht schief gelegtem Kopf beobachtete ich ihn weiterhin, bis mir auffiel, wie unangebracht mein Verhalten war. Karyu war ein erwachsener Mann, der sicher nicht von mir bemuttert werden musste! Welches Recht hatte ich also, seine Aussage infrage zu stellen? Keines, eben. Mit dieser Einsicht erhob ich mich und ging die wenigen Schritte zur Küchenzeile hinüber.

 

„Tee oder Kaffee?“, erkundigte ich mich noch einmal und warf ihm einen schnellen Blick über die Schulter zu. Damit, dass mich Karyu nun seinerseits intensiv musterte, hatte ich jedoch nicht gerechnet. Beinahe hätte ich die Packung Tee fallen lassen, die ich automatisch in die Hand genommen hatte. Es schien, als hätten sich unsere Blicke ineinander verhakt und würden nicht mehr voneinander loskommen, bis Karyu unterdrückt hustete und vor Anstrengung die Augen fest zusammenkniff. Ohne darüber nachzudenken, ging ich auf ihn zu und rieb ihm sacht über den Rücken.

 

„Geht es wieder?“ Ich hörte selbst, wie eigenartig sanft meine Stimme klang, hätte beim besten Willen jedoch nichts dagegen tun können.

 

„Ja …“, krächzte er einen Moment später und nahm zwei tiefe Atemzüge. Ich konnte die Wärme spüren, die von seinem Körper ausging und das angestrengte Zittern, das sein Atmen begleitete. Eine Welle des Mitgefühls packte mich und beinahe hätte ich ihm beruhigend über den Kopf gestreichelt, wäre mir nicht in letzter Sekunde klar geworden, wie unangebracht das gewesen wäre. Schockiert über diesen Beinahe-Fauxpas zog ich mich unter dem Vorwand zurück, den Wasserkocher einzuschalten.

 

„Tee ist für den Anfang sicher besser für dich, was?“, stellte ich so nonchalant ich konnte fest und schaffte es sogar, mich einigermaßen unverkrampft gegen die Küchenzeile zu lehnen, um ihn ansehen zu können.

 

„Damit hast du vermutlich recht“, erwiderte er und schenkte mir ein Lächeln, welches das Potenzial hatte, mir den Boden unter den Füßen wegzureißen. Verdammt, was war nur los mit mir? Ich spürte meinen Herzschlag im Hals; so durchdringend und vibrierend wie Glockenschläge.

 

„Tja, ich hab meistens recht.“ Ich hoffte, Karyu würde das nervöse Wanken meiner Stimme genauso wenig bemerken, wie das Beben meiner Hände, als ich eine Tasse für ihn aus dem Küchenschrank nahm.

 

„Die Betonung liegt auf meistens.“

 

Ich war froh, dass ich ihm gerade den Rücken zugekehrt hatte und er somit nicht die Erleichterung sehen konnte, die mir quer übers Gesicht geschrieben stehen musste. Solange wir uns neckten, war ich auf sicherem Terrain. Damit konnte ich umgehen. Dennoch war das Wasser viel zu schnell heiß und der Tee für meinen Freund vorbereitet, sodass ich keine Ausrede mehr hatte, seine Gegenwart noch länger zu vermeiden. Eigentlich wollte ich sie auch gar nicht vermeiden, ich war gern in Karyus Nähe und verbrachte Zeit mit ihm … wenn er nur endlich aufhören könnte, mich so aus dem Konzept zu bringen.

 

„Hier.“ Ich stellte die Tasse vor ihm ab und setzte mich, wobei mir wieder einfiel, womit ich beschäftigt gewesen war, bevor er mich abgelenkt hatte. Mist, die Plätzchen. „Willst du eigentlich auch etwas Frühstücken? Ich kann dir was machen, aber essen müsstest du im Wohnzimmer.“ Ich machte eine vielsagende Handbewegung in Richtung der Teigplatte, die geduldig darauf wartete, ausgestochen zu werden. Dass ich hoffte, er würde einen Bärenhunger haben und sich nur zu gern ins Wohnzimmer verziehen, um mit Essen versorgt zu werden, musste ich an dieser Stelle nicht extra erwähnen, oder?

 

„Mach dir keine Umstände, ich bin nicht hungrig.“

 

„Und wieder ins Bett gehen willst du auch nicht? Du siehst noch immer so müde aus.“

 

„Mh“, brummte er und rieb sich über die Stirn. „Ich kann nicht mehr schlafen.“

 

„Verstehe.“ Und dahin schwand auch dieses kleine Fünkchen Hoffnung, schönen Dank auch. Gerade so schaffte ich es, nicht zu seufzen, und nahm den Ausstecher zur Hand, den ich mir vorhin schon zurechtgelegt hatte. Statt jedoch einfach mit meiner Arbeit fortzufahren, machte ich den Fehler, ein weiteres Mal in Karyus Richtung zu sehen. Er hatte beide Hände um die Tasse gelegt, pustete und trank einen kleinen Schluck, obwohl der Tee sicher noch nicht durchgezogen war. Und wie eben schon kreuzten sich unsere Blicke, noch bevor ich es verhindern konnte.

 

„Kann ich dir was helfen? Es ist doch sicher nicht verboten, den Meister bei seiner Kunst zu unterstützen, oder?“

 

Ich spürte, wie die Spitzen meiner Ohren heiß wurden und war ehrlich dankbar dafür, dass mein nächster Friseurtermin längst überfällig war. Wofür so ein Mopp an Haaren nicht alles gut sein konnte.

„Natürlich ist das nicht verboten. Ich warne Hizumi und Tsukasa dann nur vor, dass die schiefen und krummen Kekse von dir sind.“ Hilfe, wo kam diese Vermessenheit bitte her? Ich konnte froh sein, wenn es am Ende dieser Backaktion überhaupt etwas geben würde, das ich den beiden überreichen konnte.

 

„Die Krummen packst du einfach in meine Tüte, dann passt das schon.“

 

„Na gut, von mir aus“, sagte ich, ohne weiter auf ihn einzugehen, und schob ihm den Ausstecher zu. „Ich bereite das Backblech vor. Pass aber auf, dass du nicht zu viel Platz zwischen den einzelnen Keksen lässt, sonst müssen wir den Teig so oft ausrollen.“

 

„Okay, mach ich.“ Mein Freund salutierte neckisch und begann mit seiner Arbeit. Bevor ich mich meiner Aufgabe widmete, nahm ich so unauffällig wie möglich den Rezeptausdruck an mich. Hoffentlich hatte Karyu den noch nicht gesehen. Ich könnte ihm einfach reinen Wein einschenken und zugeben, dass ich ein blutiger Anfänger war, was das Backen betraf, damit würde ich mir so einiges an Stress ersparen, aber irgendwie … Ich biss die Zähne zusammen und tat, was ich angekündigt hatte, ich richtete das Backblech her und schaufelte mir mein Grab damit nur noch tiefer.

 

Trotz meiner Bedenken gaben Karyu und ich ein wirklich gutes Team ab. Während er fleißig die Kekse ausstach, kümmerte ich mich darum, dass sie im Ofen, den ich zum Glück nicht vergessen hatte, vorzuheizen, verschwanden. Binnen Minuten begann es in der gesamten Küche herrlich zu duften und wenn ich ehrlich war, fing diese ganze Backaktion langsam aber sicher an, mir Spaß zu machen. Im Radio dudelten Weihnachtslieder in Dauerschleife und ich erwischte Karyu zu meiner großen Freude dabei, wie er zwischendurch leise mitsang. Oder es zumindest versuchte, denn seine Stimme war dank seiner Erkältung ganz rau.

 

„Halt dich nicht zurück, Goldkehlchen“, konnte ich eine kleine Stichelei beim besten Willen nicht mehr zurückhalten, als Maria Carries ‚All I want for christmas is you‘ schließlich eindeutig zu hoch für seine untrainierte und angegriffene Stimme war.

 

„Haha“, murrte er und streckte mir sehr erwachsen die Zunge raus. „Mach lieber mal weiter hier, statt meine Gesangskünste zu beurteilen.“ Er wedelte vielsagend mit der Hand über dem Teig, der erneut fertig ausgestochen war und nur darauf wartete, auf das Blech befördert zu werden.

 

„Und da ist er wieder, der Sklaventreiber von früher“, erwiderte ich und kam grinsend seiner Aufforderung nach. „Die nächste Runde rollst du aus, du bist eindeutig nicht gefordert genug.“ Nun war ich es, der ihm eine lange Nase machte, bevor ich mich wegdrehte, um die fertigen Kekse aus dem Ofen zu holen und die neue Ladung hineinzuschieben.

 

„Ich glaube, das lohnt sich nicht mehr.“

 

„Wie?“

 

„Wir haben kaum noch Teig übrig.“

 

„Ehrlich?“ Erstaunt sah ich auf die Reste, die tatsächlich nur noch ein kleines Häuflein auf dem Tisch bildeten. „Das … ging ja echt schnell.“

 

„Tja, ich bin halt ein guter Helfer.“

 

„Der Beste“, sagte ich und hätte mich dafür am liebsten geohrfeigt. Warum zum Teufel war mein Mund immer schneller als mein Hirn? Für einen unangenehmen Augenblick kehrte Stille zwischen uns ein, in dem ich krampfhaft versuchte, Karyu nicht anzusehen.

 

„Ich hab eine Idee“, brach er schließlich das Schweigen und ich hätte niemandem erklären können, wie dankbar ich ihm in diesem Moment dafür war. „Wir machen aus dem Rest einfach Freestyle-Kekse.“

 

Ich wischte mir einige kitzelnde Haarsträhnen aus dem Gesicht und verschaffte mir so noch einige wertvolle Sekunden, in denen ich versuchen konnte, mich wieder zu beruhigen. Immerhin schien Karyu meine Aussage nicht seltsam oder unangebracht gefunden zu haben, das war schon mal etwas.

„Freestyle-Kekse?“, erkundigte ich mich schließlich und setzte mich ihm gegenüber an den Tisch.

 

„Jepp.“ Karyu drückte die Teigreste zu einer Kugel zusammen, knetete sie kurz durch und teilte sie in zwei gleichgroße Stücke. „Wir formen einfach irgendwas, was uns in den Sinn kommt.“

 

„Und der andere muss erraten, was es ist?“

 

„Ehm, ja, warum nicht?“

 

„Okay.“ Ich nahm meinen Teig entgegen, statt mir jedoch eine Form auszudenken, blieben meine Blicke erneut wie magisch angezogen an Karyu hängen. Besser gesagt an seinen langen Fingern, die erstaunlich geschickt die ersten Details aus seinem Teig herausarbeiteten. Er hatte schöne Finger. Elegant … irgendwie …

 

„Hey!“ Ich zuckte zusammen und hob den Blick, um ihn aus geweiteten Augen anzusehen. „Wenn du dabei zusiehst, was ich mache, gilt das als schummeln.“

 

„Pfff“, schnaubte ich und versuchte, mein Herz davon zu überzeugen, dass es okay war, wenn es brav in normalem Tempo weiter schlug, statt gegen meinen Brustkorb zu hämmern. „Ich hab dir nicht zugesehen, ich hab ins Leere gestarrt und überlegt. Du warst einfach mal wieder im Weg, das ist alles.“

 

„Wer’s glaubt.“

 

„Wie willst du das Gegenteil beweisen, mh?“

 

„Ich hab’s gesehen.“

 

„Dann steht Aussage gegen Aussage.“

 

„Schön, du willst es ja nicht anders haben.“ Karyu griff nach einem Notizblock, den ich achtlos an die Seite des Tischs geschoben hatte, um Platz für die Backaktion zu haben, und stellte ihn behelfsmäßig zwischen uns. „Sichtschutz“, erklärte er sein Handeln mit einem triumphierenden Schmunzeln im Mundwinkel.

 

„Dein Ernst? Das ist wie zu Schulzeiten.“ Mit hochgezogener Augenbraue sah ich ihn an, bevor ich die Schultern zuckte und mich meiner eigenen Keksform widmete. „Aber wenn du meinst.“ Dem kleinen Lächeln, das sich mit aller Macht auf meine Lippen schlich, konnte ich mich nicht erwehren. Und wer war ich schon, Karyu seinen Spaß nicht zu gönnen?

 

Ein paar Minuten später war ich zufrieden mit meiner Form. Vielleicht hätte ich mir mehr Mühe geben sollen, um es meinem Freund schwerer zu machen, sie zu erkennen, aber ich war zufrieden.

„Fertig“, verkündete ich, den geformten Teig in einer Hand und deckte ihn mit der anderen ab, damit Karyu ihn nicht gleich sehen würde.

 

„Ich auch.“ Er zog den Sichtschutz zwischen uns mit der Linken fort, mit der Rechten hatte er seine Teigkreation abgedeckt. „Auf drei?“ Ich nickte. „Eins, zwei, drei.“ Gleichzeitig zogen wir die Hände weg und betrachteten unsere Kunstwerke. Karyu war der Erste, der sein Lachen nicht zurückhalten konnte. „Das war so klar. Zwei Dumme, ein Gedanke.“

 

„Ich glaube, raten ist überflüssig, was?“ Ebenfalls leise glucksend ließ ich mir von Karyu den anderen Keksrohling geben, erhob mich und trug beide hinüber zur Arbeitsplatte, wo ich sie auf ein Blech legte. Auch wenn der Keksbass und die Keksgitarre eher rudimentär daherkamen, sahen die beiden so nebeneinander doch irgendwie gut aus. Ich schüttelte den Kopf über meine idiotischen Gedanken, ging in die Hocke und sah durch die Glasscheibe in den Ofen, ob die anderen Kekse schon braun genug waren, um sie herauszunehmen. Plötzlich spürte ich eine Präsenz im Rücken, die mir einen kleinen Schauer über selbigen jagte. Ich sah mich nach hinten um und mein Herz setzte aus. Karyu war aufgestanden und hatte sich halb neben, halb hinter mich gehockt, um auch in den Ofen sehen zu können.

 

„Ich hätte ja nicht gedacht, dass wir die so gut hinbekommen. Ob die auch so lecker schmecken, wie sie aussehen?“, fragte er nachdenklich und seine Worte kitzelten meine Wange, so nah waren wir uns. Ich schluckte, aber mein Mund war so trocken, dass meine Kehle nur ein jämmerliches Klacken von sich gab.

 

„Wir haben so viele gemacht, da können wir später welche probieren“, erwiderte ich mit dünner Stimme und spürte, wie taub meine Lippen waren. Statt nun endlich wieder auf Abstand zu gehen, schien mir Karyu noch näher zu kommen, bis ich eine zarte Berührung an der Wange spürte. Mit geweiteten Augen starrte ich ihn an und fühlte mich wie das sprichwörtliche Reh im Scheinwerferlicht.

 

„Da … ist ein wenig Mehl in deinem Gesicht.“ Karyus Stimme klang wie aus weiter Ferne, beinahe verträumt, wobei ich nicht hätte sagen können, ob das an ihm oder an meiner verschobenen Wahrnehmung lag.

 

„Oh“, hörte ich mich sagen und kämpfte mit aller Macht dagegen an, die Augen zu schließen und mich in diese sanfte Berührung zu lehnen. Zögerlich zog Karyu seine Finger zurück und augenblicklich begann meine Wange zu kribbeln, als würde meine Haut auf keinen Fall vergessen wollen, wie sie sich angefühlt hatten. „Ich muss die Kekse aus dem Ofen holen, bevor sie verbrennen“, wisperte ich und zerriss damit diese unerträgliche Spannung, die sich über uns gelegt hatte.

 

„Natürlich.“ Karyus Stimme war kaum lauter als meine und er blinzelte, als müsse er erst aus einer Welt zurückkehren, die Meilen von hier entfernt war. Langsam, mit beinahe mechanisch starren Bewegungen ging er auf Abstand, bevor er sich ebenso ungelenk erhob. Erst, als er sich erneut an den Tisch gesetzt hatte, hatte ich das Gefühl, wieder frei atmen zu können. Dennoch brauchte es mehrere Atemzüge, bis ich mich wieder stabil genug fühlte, um die mittlerweile sehr braunen Kekse aus dem Ofen zu holen.

 

„Ich würde sagen, wir verzieren die Kekse erst später. Langsam aber sicher bekomme ich nämlich Hunger.“ Mit immensem Energieaufwand schaffte ich es, meine wirbelnden Emotionen wieder dahin zu verbannen, wo sie mir nicht ständig die Sinne vernebeln würden. Wenn mir gerade eines klar geworden war, dann, dass ich sie nicht ewig würde ignorieren können, aber sie hier, jetzt, in Karyus Gegenwart zu analysieren, war keine Option. „Was hältst du vom Lieferdienst? Ich hätte Lust auf irgendwas mit Fisch.“

 

Einen kurzen Moment lang hatte ich das Gefühl, Karyu wäre mit meinem eindeutigen Versuch, unsere Interaktionen in ein ungefährlicheres Fahrwasser zu steuern, nicht einverstanden. Dann schlich sich jedoch ein kleines, fast geheimnisvolles Lächeln auf seine Lippen, als er sich erhob.

 

„Gute Idee. Dann kümmere ich mich mal um unser Essen. Was genau willst du?“

 

„Überrasch mich.“

 

„Nichts lieber als das.“ Wie konnte so ein harmloser Satz so viele Implikationen mit sich bringen? „Ist es okay, wenn ich danach kurz im Bad verschwinde?“

 

„Klar.“ Nein, meine Stimme war nicht rau und meine Knie auch nicht weich geworden, verdammt, als mir Karyu ein weiteres Lächeln schenkte.

 

„Danke.“

 

Ich nickte und sah ihm hinterher, wie er noch immer in die Bettdecke gewickelt die Küche verließ. Tonlos seufzend fuhr ich mir durchs Haar und warf einen langen Blick durch das Sichtfenster in den Ofen, wo Keksbass und Keksgitarre langsam Farbe bekamen.

„Du bist wirklich zu alt für so was“, murmelte ich kopfschüttelnd, während ich Karyus ruhige Stimme aus dem Wohnzimmer hören konnte. „Viel zu alt.“

 

 

tbc …



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  -Pharao-Atemu-
2024-05-10T16:05:09+00:00 Gestern 18:05
Für so etwas, ist man nie zu alt.
Da liegt zero völlig falsch.


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